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MaßgeschneidertVon Roberto Becker / Fotos: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Falk Wenzel
Einen Nerv muss der regieführende Intendant Florian Lutz in Halle getroffen haben. Am Ende gab es nämlich eine Buh- und Bravo-Kontroverse für die Regie des neuen Fidelio, wie sie anderswo zum normalen Ritual gutbürgerlichen Diskursverhaltens in der Oper gehört. In der Saalestadt war das bis zum künstlerischen Neustart vor einem Jahr eher die Ausnahme. Über Konfektion regt man sich halt nicht so sehr auf. Mit einem Einzelstück der ästhetischen oder intellektuellen Haute Couture ist das schon anders. Nicht nur das Ganze gehört diesmal eher in diese Kategorie. Eine Maßanfertigung trägt schon Anke Berndt als Leonore im Video zur Ouvertüre. Da rauscht sie mit einem grandiosen barocken Straßenfeger durch halb Halle. Sie sucht den Knast mit ihrem Florestan. Findet erst einen alten Stadtplan und dann das Gefängnis und ihn. Und das ist auf der Bühne des Opernhauses, die Martin Miotk betont altmeisterlich mit Kerker-Prospekten ausgestattet hat. Eine Kulissenpracht mit Riesentreppe, Gittern und Ketten. Auch Gerippe liegen herum. Was das Publikum schon wegen der Seltenheit nicht in Rage gebracht, sondern erfreut haben dürfte. Wie auch die Kostüme von Andy Besuch. Die sind von ausgesuchter Üppigkeit. Vor allem das für Don Pizarro oder die für den Chor! Aber darum geht es nicht in erster Linie. Sondern vielmehr um die Konfrontation von Beethovens Freiheitspathos mit dem Freiheitsverständnis und der -erfahrung von uns. Heute. Marzelline und Fidelio - auf dem Bildschirm Don Pizarro
Die Kunst und die Bedingungen ihrer Produktion sind da noch immer ein guter Indikator, denn die Freiheit der Kunst und ihrer materiellen Voraussetzungen wird oft noch vor allen anderen einschränkt. Damit scheint sich Florian Lutz, seit er Intendant in Halle wurde, mittlerweile aus eigener Erfahrung ganz gut auszukennen. Er muss ein Publikum durch Qualität interessieren, neugierig machen und dann auch halten! Da gibt es aber auch kommunale Politiker und einen von denen nach Halle berufenen GmbH-Geschäftsführer, namens Stefan Rosinski, die zwar alle am gleichen Strang ziehen wie die Künstler, nur eben nicht immer in die gleiche Richtung. Die entsprechenden Kontroversen dazu füllen seit April immer wieder die Kommentar- und Leserbriefspalten der Regionalpresse vor Ort, das Ende und der Ausgang sind nicht abzusehen. Mittlerweile ist bekannt, dass die Intendanten der Oper und des Schauspiels (Matthias Brenner) sowie der GMD der Staatskapelle Halle (Josep Caballe-Domenech) keine Vertrauensbasis für eine Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführer der GmbH sehen. Hier wird vom "Gefangenenchor" eher besichtigt als frei durchgeatmet.
Vor diesem ziemlich konkreten Hintergrund wird in Halle der Don Pizarro vom mord- und racheversessenen Fiesling zum mächtigen Konsolidierer der Finanzen fürs Theater. Da werden das Verscherbeln der Requisiten wie im Fernsehen bei "Bares für Rares" und das Entlassen als Chance fürs Überleben des Unternehmens und einen persönlichen Neuanfang seiner Mitarbeiter verkauft. Und Don Pizarro zieht - im Kostüm eines Barockfürsten - gegen das "narzistische Stadttheater" mit einer Inbrunst zu Felde wie der reale Geschäftsführer gegen das "depressive Staatstheater", hier nachzulesen (leider kostenpflichtig). Es ist konsequent, dass bei einem solchen Zugang aus dem eingekerkerten Florestan ein in Sachzwängen gefangener Florian (L.), aus dem Gefängnis ein Intendantenbüro und aus dem mordlustigen barocken Gouverneur ein streich- und entlassungsfreudiger Manager im blauen Anzug werden. Ähnlichkeiten mit lebenden Geschäftsführern (oder gar Bürgermeistern) sind bei diesem - zugegeben - frechen Ausflug in den selbstironischen Slapstick natürlich "rein zufällig". Die Hallenser können das spielend entschlüsseln. (Zumal man in der Regionalpresse lesen konnte, dass sich der Geschäftsführer auf der Bühne in gar keiner Weise wieder erkennt.) Für die anderen funktioniert dieses Spiel mit der Maskierung als exemplarischer Fall. ...der Kerker ein Intendantenbüro ..... der Gefangene wie der Intendant und sein Leitungsteam ...
Nun hat noch jede ambitionierte Fidelio-Inszenierung auch eine andere als die konkrete überlieferte Geschichte erzählt. Vergreifen an oder ändern, gar Streichen der überlieferten Sprechtexte gehören bei dieser Oper seit langem zum guten Ton. Gelingen: mehr oder weniger. Ob in Halle am Ende beim Publikum das eine oder andere überwiegt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es höchst unterhaltend. Und umgeht alle Peinlichkeiten, die ein Fidelio vom Blatt (selbst bei einem Harry Kupfer, siehe unsere Rezension) haben kann. Das triumphale Finale etwa mit seinem Preisen von Freiheit und Gattenliebe wird mit einem Video überblendet und manchmal auch kurz unterbrochen, in dem Hallenser auf der Straße nach ihrem Freiheitsbegriff befragt werden. Großer Auftritt von Don Pizarro
Beethoven fragt, Zeitgenossen von heute antworten. Das ist eine pfiffige Pointe nach dem Selbstporträt der Opernmacher in Gefängnis ihrer Sachzwänge. Fidelio, zwar nicht todernst zelebriert, aber ernst interpretiert. Neben Anke Berndt in der Titelrolle, Gerd Vogel als Don Pizarro und dem Gast Hans Georg Priese als Florestan überzeugen vor allem Ines Lex und Robert Sellier mit ihren singspielfrischen Porträts von Marzelline und Jaquino. Christopher Sprenger muss ein paar Klippen umschiffen, führt dann aber die Staatskapelle in ein fulminantes Finale. Danach übernahm lautstark das Publikum.
Ein Spielzeitauftakt, der für Aufregung sorgt. Und Beethoven zum Zeitgenossen macht. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Florestan
Don Fernando
Don Pizarro
Leonore
Rocco
Marzelline
Jaquino
Erster Gefangener
Zweiter Gefangener
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- Fine -