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Beklemmend, bewegend Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk Es gibt viele Gründe für eine Angststörung, es gibt viele Möglichkeiten, mit ihr umzugehen und noch mehr Versuche, ihr zu entfliehen. Die junge Blanche de la Force sucht ihr Heil im Kloster, fern von der bisherigen ihr so viel Angst machenden Welt, in der die Französische Revolution mit allen Schrecken für ihre adelige Familie tobt. Sie ignoriert ihr Problem aber nicht, denn sie fügt ihrem Namen „von der Todesangst Christi“ hinzu. Durch die zwangsweise Auflösung der Klöster und den geforderten Bruch des Gelübdes gerät sie aber auch dort in Lebensgefahr. Sie flieht – findet schließlich aber doch den Mut, ihrem Gelübde treu zu bleiben und zusammen mit ihren Mitschwestern in den Tod durch die Guillotine zu gehen. Blanche de la Force (Dorothea Maria Marx), Chevalier de la Force (Simon Bode), Marquis de la Force (Stefan Adam) Dietrich
W. Hilsdorf, der die Dialoge der
Karmelitinnen in Hannovers
Erstaufführung inszeniert hat, legt Blanche
quasi auf die Psychiatercouch und kommt zu
spannenden Ergebnissen. Die eigentlich junge
Blanche ist eine vorgealterte Frau mit Angst-
und Zwangsstörungen, deren Neurosen vielfache
Ursachen haben. Da gibt es die Erziehung ihres
strengen, distanzierten Vaters, der es nie
überwunden hat, dass seine Frau bei der Geburt
Blanches starb, die eine Frühgeburt nach einem
Schreckenserlebnis war – was gleich zwei
mögliche Ursachen für Blanches Störungen sein
könnten und da gibt es das inzestuöse
Verhältnis mit ihrem Bruder, der sie mehr als
eine Schwester liebt und dessen Berührungen
sie sich angstvoll entzieht. Kein Wunder, dass
sie neben ihren Ängsten auch ein starkes,
unterdrücktes Aggressionspotential hat. Zu
ihren Ticks gehören auch das Mitsichtragen
eines eigenen Löffels, immer wiederkehrende
Bewegungen und das sich Verstecken unter dem
Tisch. Mère Marie (Monika Walerowicz, l.), Madame de Croissy, alte Priorin (Renate Behle) Problematisch wird die Inszenierung, weil Hilsdorf das Kloster kein Kloster sein lässt, sondern zu einer Art christlicher Erziehungsanstalt für verhaltensauffällige Mädchen werden lässt. Man denkt momentweise an den Film The Magdalene Sisters (Die unbarmherzigen Schwestern) und in anderen Momenten daran, dass Blanche zu Sesemi Weichbrodt in Pension gegangen ist. Mit dem optischen Eliminieren des Glaubensgelübdes, der Verfolgung wegen des Glaubens und der Treue bis zum Tod im Glauben wird der Geschichte ein wesentlicher Aspekt entzogen. Es ist ein anderes, ob man solidarisch mit seinen Schulfreundinnen stirbt, oder ob ein tiefgehender Ewigkeits- und Erlösungsgedanke dahintersteht. Auch die Verlegung in die Entstehungszeit der Oper, die Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts (Kostüme: Renate Schmitzer) bringt die Geschichte nicht weiter. Gertrud von le Fort schrieb die Novelle unter dem Eindruck des aufkommenden Nationalsozialismus und erklärte dazu „Ich folgte damit einer meiner Dichtung auch sonst naheliegenden Neigung, aktuelle Probleme und Gestalten in die Vergangenheit zurückzuspiegeln, um sie, von der allzu bedrängenden Nähe gelöst, reiner und ruhiger formen zu können.“ Dieses im Programmheft abgedruckte Credo erklärt einfach und einleuchtend die Beweggründe für die von Autoren gewählten Zeiten und Räume, in denen sie durchaus aktuelle Fragen behandeln (z. B. auch Rosenkavalier, Ring…). Das in die Entstehungszeit oder unsere heutige Zeit Versetzen durch die Regie nimmt der Geschichte oft nicht nur den Reiz, es nimmt dem Zuschauer auch die Aufgabe, selbst zu interpretieren, zu übersetzen, zu erkennen. Das Credo, das Gertrud von le Fort beschreibt, ist mir jedenfalls sympathischer als das Credo des modernen Regietheaters, bloß nichts so auf die Bühne zu stellen, wie es geschrieben steht und alles anders zu machen. Beichtvater (Latchezar Pravtchev), Ensemble Warum der unten holzvertäfelte und oben mit elegant seidig leuchtender Tapete gezierte Einheitsraum (Bühnenbild: Dieter Richter) später von einem sehr heutigen Maler weiß übertüncht wird, ist offensichtlich und selbsterklärend. Die auf- und zugeschobenen, einfachen Häuserfassaden machen einen ganz netten Effekt, aber warum auf einen Zwischenvorhang ein Bauzaun gemalt ist, bleibt rätselhaft. In der Personenregie gibt es Licht und Schatten. Der oben beschriebenen analytisch ausgeformten Zeichnung der Familienmitglieder stehen zum Teil obskure Ideen gegenüber. Zum Beispiel, dass die Mädchen der sterbenden Anstaltsleiterin (eigentlich Priorin) ein elektrisches Bügeleisen vor das Gesicht halten wie einen Spiegel, auf dem man dann sehen kann, ob sie noch atmet. Das Bügeleisen war wenige Minuten vorher aber noch im Einsatz – und mit einem heißen spiegelnden Metallteil funktioniert das nicht. Sind die Mädchen so unerfahren zu glauben, dass die Dame tot ist, weil sie nichts sehen? Das Herabfallen des Kruzifixes beim Tod der Priorin ist ein peinlich-plakativer Effekt. Ihre Zeichnung als schmerzverzerrte, fast schon männlich wirkende alte Frau, die sich auf zwei Stöcke stützt, geht dagegen tief durch die Haut. Pervers wird es, wenn zwischen zwei Szenen eine Gouvernante zwei kleine Mädchen den Fußboden wischen lässt und dabei in sexuelle Ekstase gerät. Geradezu befreiend wirkt dann, dass eines der Mädchen danach wegläuft und der schon abgegangenen Erzieherin die Zunge herausstreckt. Überzeugend erscheint, dass der Beichtvater als Frau verkleidet flieht, warum er dabei aber eine lebensgroße Figur des Gekreuzigten (aus der Renaissance, also mit Genitalien, die eine Schwester schamhaft mit einem Tuch bedeckt) mit sich schleppt, ist unlogisch – damit erkennt man ihn doch sofort. Die Einblendung „Herbst 1792“ und dass der abgeschlagene Kopf des Vaters an einer langen Stange auf die Bühne getragen wird, wirken wie eine zwanghaft versuchte Einbeziehung der Französischen Revolution des Originals, um mehrere Zeit- und Handlungsebenen zusammenzuführen, was nicht ohne die vielfach bemühten „interessanten Brüche“ gelingen kann, wenn es denn gelingt. In den meisten Fällen, wie auch hier, ist das Ergebnis aber weder Fleisch noch Fisch. Ensemble Natürlich gibt es am Ende auch kein Fallbeil. Die Schwestern gehen nacheinander durch eine Tür im Hintergrund in das hell gleißende Licht, das Sterbende immer wieder beschreiben, während der Chor aus dem dritten Rang erst pöbelnd randaliert und dann sehr eindrucksvoll summt und singt. Der Zuschauerraum ist dazu unangenehm hell beleuchtet. Das komponierte Fallen der Guillotine wird hier durch das extrem lautstarke Zuknallen der Tür übernommen. Ein Knalleffekt im wahrsten Sinne des Wortes, dessen es für diese durchaus starke Lösung gar nicht bedarf. Ach ja: Bevor Blanche als letzte am Schafott durch die Tür schreitet, gibt sie den (leitmotivisch eingesetzten) Löffel ab – legt ihn auf den Tisch. Ob das nun die Überwindung ihrer Neurosen bedeuten soll… – die Assoziation zum Volksmund erdet die Stimmung doch erheblich.
Dorothea
Maria Marx gestaltet die Blanche stimmlich und
insbesondere auch darstellerisch in dieser
Charakterisierung absolut überzeugend. Simon
Bodes heller, leichtklingender, schön
timbrierter Tenor ist ideal für die Partie
ihres Bruders. Stefan Adam verleiht dem Vater
neben Strenge auch unterdrückte Verletztheit.
Als alte Priorin erinnert Renate Behle an
viele großartige Opernabende mit ihr in
Hannover und singt die Partie mit in dieser
Lage absolut intakter Stimme, die genau den
richtigen Anteil an Betagtheit mitklingen
lässt. Eine großartige Charakterzeichnung. Als
ihre Nachfolgerin als Priorin glänzt Kelly God
mit volltönendem, warmem Sopran. Monika
Walerowicz singt und spielt die Mère Marie mit
vielen Facetten und Ausdrucksvarianten und
hinterlässt einen ebenso guten Eindruck wie
Ania Vegry als Constance, ihr charakterliches
Gegenstück, deren Lebensfreude sich in ihrem
beweglichen, leuchtenden Sopran widerspiegelt.
Mit Latchezar Pravtchev ist der Beichtvater
bestens besetzt. Adäquat sind auch die
kleineren Partien besetzt, wobei Yannick
Spanier als Diener und Beamter besonders auf
sich aufmerksam machen kann. Valtteri
Rauhalammis Dirigat ist von der ersten bis zur
letzten Note fesselnd und in seiner Intensität
atemberaubend, beklemmend, bewegend. Das
Staatsorchester ist bestens disponiert.
FAZIT |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Licht Chor Dramaturgie
Chor und Extrachor der Niedersächsisches
Solisten Marquis de la Force
Blanche de la Force
Chevalier de la Force
Madame de Croissy, alte Priorin
Madame Lidoine, neue Priorin
Mère Marie Soeur Constance
Mère Jeanne
Soeur Mathilde
Beichtvater
1. Kommissar
2. Kommissar,
Kerkermeister,
Offizier,
Thierry Karmelitinnen Weitere
Informationen
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E-Mail: oper@omm.de
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