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Musiktheater
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Dialoge der Karmelitinnen

Oper in drei Akten von Francis Poulenc (1956)
Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Georges Bernanos (1947/52) und nach der Novelle
Die Letzte am Schafott von Gertrud von le Fort (1931)

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 2. Juni 2018

 



Staatsoper Hannover
(Homepage)

Beklemmend, bewegend

Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk

Es gibt viele Gründe für eine Angststörung, es gibt viele Möglichkeiten, mit ihr umzugehen und noch mehr Versuche, ihr zu entfliehen. Die junge Blanche de la Force sucht ihr Heil im Kloster, fern von der bisherigen ihr so viel Angst machenden Welt, in der die Französische Revolution mit allen Schrecken für ihre adelige Familie tobt. Sie ignoriert ihr Problem aber nicht, denn sie fügt ihrem Namen „von der Todesangst Christi“ hinzu. Durch die zwangsweise Auflösung der Klöster und den geforderten Bruch des Gelübdes gerät sie aber auch dort in Lebensgefahr. Sie flieht – findet schließlich aber doch den Mut, ihrem Gelübde treu zu bleiben und zusammen mit ihren Mitschwestern in den Tod durch die Guillotine zu gehen.

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Blanche de la Force (Dorothea Maria Marx), Chevalier de la Force (Simon Bode), Marquis de la Force (Stefan Adam)

Dietrich W. Hilsdorf, der die Dialoge der Karmelitinnen in Hannovers Erstaufführung inszeniert hat, legt Blanche quasi auf die Psychiatercouch und kommt zu spannenden Ergebnissen. Die eigentlich junge Blanche ist eine vorgealterte Frau mit Angst- und Zwangsstörungen, deren Neurosen vielfache Ursachen haben. Da gibt es die Erziehung ihres strengen, distanzierten Vaters, der es nie überwunden hat, dass seine Frau bei der Geburt Blanches starb, die eine Frühgeburt nach einem Schreckenserlebnis war – was gleich zwei mögliche Ursachen für Blanches Störungen sein könnten und da gibt es das inzestuöse Verhältnis mit ihrem Bruder, der sie mehr als eine Schwester liebt und dessen Berührungen sie sich angstvoll entzieht. Kein Wunder, dass sie neben ihren Ängsten auch ein starkes, unterdrücktes Aggressionspotential hat. Zu ihren Ticks gehören auch das Mitsichtragen eines eigenen Löffels, immer wiederkehrende Bewegungen und das sich Verstecken unter dem Tisch.
Unter welchem Tisch? Unter immer dem gleichen, denn bei Hilsdorf findet Blanche in ihrem Pseudo-Neurosen-Asyl den gleichen Raum vor. Damit wird deutlich, dass Blanche ihren Ängsten nicht entfliehen kann, sondern sie überallhin mitnimmt, dass eine Flucht keine Befreiung ist. Soweit der spannende und reizvolle Aspekt der Inszenierung.

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Mère Marie (Monika Walerowicz, l.), Madame de Croissy, alte Priorin (Renate Behle)

Problematisch wird die Inszenierung, weil Hilsdorf das Kloster kein Kloster sein lässt, sondern zu einer Art christlicher Erziehungsanstalt für verhaltensauffällige Mädchen werden lässt. Man denkt momentweise an den Film The Magdalene Sisters (Die unbarmherzigen Schwestern) und in anderen Momenten daran, dass Blanche zu Sesemi Weichbrodt in Pension gegangen ist. Mit dem optischen Eliminieren des Glaubensgelübdes, der Verfolgung wegen des Glaubens und der Treue bis zum Tod im Glauben wird der Geschichte ein wesentlicher Aspekt entzogen. Es ist ein anderes, ob man solidarisch mit seinen Schulfreundinnen stirbt, oder ob ein tiefgehender Ewigkeits- und Erlösungsgedanke dahintersteht. Auch die Verlegung in die Entstehungszeit der Oper, die Fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts (Kostüme: Renate Schmitzer) bringt die Geschichte nicht weiter. Gertrud von le Fort schrieb die Novelle unter dem Eindruck des aufkommenden Nationalsozialismus und erklärte dazu „Ich folgte damit einer meiner Dichtung auch sonst naheliegenden Neigung, aktuelle Probleme und Gestalten in die Vergangenheit zurückzuspiegeln, um sie, von der allzu bedrängenden Nähe gelöst, reiner und ruhiger formen zu können.“ Dieses im Programmheft abgedruckte Credo erklärt einfach und einleuchtend die Beweggründe für die von Autoren gewählten Zeiten und Räume, in denen sie durchaus aktuelle Fragen behandeln (z. B. auch Rosenkavalier, Ring…). Das in die Entstehungszeit oder unsere heutige Zeit Versetzen durch die Regie nimmt der Geschichte oft nicht nur den Reiz, es nimmt dem Zuschauer auch die Aufgabe, selbst zu interpretieren, zu übersetzen, zu erkennen. Das Credo, das Gertrud von le Fort beschreibt, ist mir jedenfalls sympathischer als das Credo des modernen Regietheaters, bloß nichts so auf die Bühne zu stellen, wie es geschrieben steht und alles anders zu machen.

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Beichtvater (Latchezar Pravtchev), Ensemble

Warum der unten holzvertäfelte und oben mit elegant seidig leuchtender Tapete gezierte Einheitsraum (Bühnenbild: Dieter Richter) später von einem sehr heutigen Maler weiß übertüncht wird, ist offensichtlich und selbsterklärend. Die auf- und zugeschobenen, einfachen Häuserfassaden machen einen ganz netten Effekt, aber warum auf einen Zwischenvorhang ein Bauzaun gemalt ist, bleibt rätselhaft.

In der Personenregie gibt es Licht und Schatten. Der oben beschriebenen analytisch ausgeformten Zeichnung der Familienmitglieder stehen zum Teil obskure Ideen gegenüber. Zum Beispiel, dass die Mädchen der sterbenden Anstaltsleiterin (eigentlich Priorin) ein elektrisches Bügeleisen vor das Gesicht halten wie einen Spiegel, auf dem man dann sehen kann, ob sie noch atmet. Das Bügeleisen war wenige Minuten vorher aber noch im Einsatz – und mit einem heißen spiegelnden Metallteil funktioniert das nicht. Sind die Mädchen so unerfahren zu glauben, dass die Dame tot ist, weil sie nichts sehen? Das Herabfallen des Kruzifixes beim Tod der Priorin ist ein peinlich-plakativer Effekt. Ihre Zeichnung als schmerzverzerrte, fast schon männlich wirkende alte Frau, die sich auf zwei Stöcke stützt, geht dagegen tief durch die Haut. Pervers wird es, wenn zwischen zwei Szenen eine Gouvernante zwei kleine Mädchen den Fußboden wischen lässt und dabei in sexuelle Ekstase gerät. Geradezu befreiend wirkt dann, dass eines der Mädchen danach wegläuft und der schon abgegangenen Erzieherin die Zunge herausstreckt. Überzeugend erscheint, dass der Beichtvater als Frau verkleidet flieht, warum er dabei aber eine lebensgroße Figur des Gekreuzigten (aus der Renaissance, also mit Genitalien, die eine Schwester schamhaft mit einem Tuch bedeckt) mit sich schleppt, ist unlogisch – damit erkennt man ihn doch sofort. Die Einblendung  „Herbst 1792“  und dass der abgeschlagene Kopf des Vaters an einer langen Stange auf die Bühne getragen wird, wirken wie eine zwanghaft versuchte Einbeziehung der Französischen Revolution des Originals, um mehrere Zeit- und Handlungsebenen zusammenzuführen, was nicht ohne die vielfach bemühten „interessanten Brüche“ gelingen kann, wenn es denn gelingt. In den meisten Fällen, wie auch hier, ist das Ergebnis aber weder Fleisch noch Fisch.

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Ensemble

Natürlich gibt es am Ende auch kein Fallbeil. Die Schwestern gehen nacheinander durch eine Tür im Hintergrund in das hell gleißende Licht, das Sterbende immer wieder beschreiben, während der Chor aus dem dritten Rang erst pöbelnd randaliert und dann sehr eindrucksvoll summt und singt. Der Zuschauerraum ist dazu unangenehm hell beleuchtet. Das komponierte Fallen der Guillotine wird hier durch das extrem lautstarke Zuknallen der Tür übernommen. Ein Knalleffekt im wahrsten Sinne des Wortes, dessen es für diese durchaus starke Lösung  gar nicht bedarf. Ach ja: Bevor Blanche als letzte am Schafott durch die Tür schreitet, gibt sie den (leitmotivisch eingesetzten) Löffel ab – legt ihn auf den Tisch. Ob das nun die Überwindung ihrer Neurosen bedeuten soll… – die Assoziation zum Volksmund erdet die Stimmung doch erheblich.

Dorothea Maria Marx gestaltet die Blanche stimmlich und insbesondere auch darstellerisch in dieser Charakterisierung absolut überzeugend. Simon Bodes heller, leichtklingender, schön timbrierter Tenor ist ideal für die Partie ihres Bruders. Stefan Adam verleiht dem Vater neben Strenge auch unterdrückte Verletztheit. Als alte Priorin erinnert Renate Behle an viele großartige Opernabende mit ihr in Hannover und singt die Partie mit in dieser Lage absolut intakter Stimme, die genau den richtigen Anteil an Betagtheit mitklingen lässt. Eine großartige Charakterzeichnung. Als ihre Nachfolgerin als Priorin glänzt Kelly God mit volltönendem, warmem Sopran. Monika Walerowicz singt und spielt die Mère Marie mit vielen Facetten und Ausdrucksvarianten und hinterlässt einen ebenso guten Eindruck wie Ania Vegry als Constance, ihr charakterliches Gegenstück, deren Lebensfreude sich in ihrem beweglichen, leuchtenden Sopran widerspiegelt. Mit Latchezar Pravtchev ist der Beichtvater bestens besetzt. Adäquat sind auch die kleineren Partien besetzt, wobei Yannick Spanier als Diener und Beamter besonders auf sich aufmerksam machen kann. Valtteri Rauhalammis Dirigat ist von der ersten bis zur letzten Note fesselnd und in seiner Intensität atemberaubend, beklemmend, bewegend. Das Staatsorchester ist bestens disponiert.
 

FAZIT

An der Staatsoper Hannover stehen die 1957 uraufgeführten Dialoge der Karmelitinnen (überraschenderweise) zum ersten Mal auf der Bühne. In der Inszenierung gibt es Licht und den üblichen Schatten des modernen Regietheaters. Musikalisch bleiben keine Wünsche offen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Valtteri Rauhalammi

Inszenierung
Dietrich W. Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Licht
Elana Siberski

Chor
Lorenzo Da Rio

Dramaturgie
Swantje Köhnecke

 

Chor und Extrachor der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover


Solisten

Marquis de la Force
Stefan Adam

Blanche de la Force
Dorothea Maria Marx

Chevalier de la Force
Simon Bode

Madame de Croissy, alte Priorin
Renate Behle

Madame Lidoine, neue Priorin
Kelly God

Mère Marie
Monika Walerowicz

Soeur Constance
Ania Vegry

Mère Jeanne
Julie-Marie Sundal

Soeur Mathilde
Marlene Gaßner

Beichtvater
Latchezar Pravtchev

1. Kommissar
Uwe Gottswinter

2. Kommissar, Kerkermeister,
Javelino

Gihoon Kim

Offizier, Thierry
Yannick Spanier

Karmelitinnen
Katrin Beyer
Daniela Butina
Alla Doelle
Kathrin Eineinkel
Kathi Habermann
Diana Jolig-Werner
Dialekti Kampakou
Clara Kunzke
Tatjana Rodenburg
Eunjeong Song
Danuta Volpe



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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