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Aus der Trutzburg der Macht
Von Christoph Wurzel / Fotos: Barbara Aumüller
Offene Feindschaft zwischen den Sizilianern (rechts) und den französischen Besatzern: Ensemble Die Inszenierung verlegt die Handlung der Oper aus dem französisch besetzten Palermo des späten 13. Jahrhunderts an die Schwelle der sechziger/siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in eine unbestimmte Stadt. So wird aus Hélène, der Schwester des von den Besatzern ermordeten Herzogs Friedrich und Führerin der sizilianischen Widerstandsgruppe gegen die Fremdherrschaft, eine Untergrundkämpferin, die unverkennbar Züge Ulrike Meinhofs trägt. Ein Moment, das glücklicherweise nicht weiter trägt, denn eine derartige Parallele ließe sich durch keinerlei inhaltliche Konstellation der Oper rechtfertigen. Zu Recht entwickelt die Regie die Konfliktlage im Weiteren hauptsächlich aus den persönlichen Auseinandersetzungen der Protagonisten. Nur dem sizilianischen Freiheitskämpfer Procida, der auch die einzige historisch verbürgte Figur dieser Oper ist, sind im Libretto prononciert patriotische Worte in den Mund gelegt. Außer der Hintergrundfolie des Sizilianeraufstands, der wegen heftiger Provokationen vonseiten der Franzosen vor Beginn des österlichen Vespergottesdienstes 1282 in Palermo ausbrach, geht es bei Verdi hauptsächlich um einen doppelten Loyalitätskonflikt zwischen den Hauptfiguren der Oper, vornehmlich Henri, der zwischen Vater und Geliebter hin- und hergerissen ist; denn ausgerechnet das Haupt der verhassten Franzosen Guy de Montfort eröffnet ihm, sein Vater zu sein. Gleichzeitig liebt Henri aber Hélène, die sich nach inneren Kämpfen schließlich für ihn entscheidet, damit aber Verrat an ihren Rachegefühle gegenüber den Mördern ihres Bruders übt. Politischen Charakter erhält dann nochmals das tragische Finale, wenn in einem coup de théâtre sowohl Montfort und alle Franzosen als auch Henri und Hélène als Überläufer von den sizilianischen Aufständischen ermordet werden. Beim historischen Blutbad sollen an diesem einen Tag 8000 Franzosen umgekommen sein. Hin- und Hergerissen zwischen kalter Machtausübung und sehnsuchtsvoller Vaterliebe: Guy de Montfort (Christopher Maltman) Die Ursachen für den Hass der Sizilianer auf die Franzosen werden in der Inszenierung deutlich herausgestellt. Arrogant und herablassend gegenüber der sizilianischen Bevölkerung und gegenüber ihren Frauen übergriffig treten die Franzosen auf, was allerdings einen Teil von ihnen nicht von Fraternisierung abhält. Eindrucksvoll ist auch das Bühnenbild, eine regelrechte Trutzburg, mittels der Drehbühne mal von außen gesehen eine einschüchternde Geheimdienstzentrale, dann das Interieur einer technokratisch kalten Machtzentrale der Fremdherrschaft. Dass sich die Gefängnisszene des 4. Aktes dann allerdings im Zwischenbereich von Innen und Außen dieses Gebäudes abspielt, wirkt weniger glaubwürdig. Eine spannende Entwicklung der Handlung gelang in der gesehenen Aufführung leider nur teilweise und schien vom individuellen Gestaltungsvermögen der Sängerdarsteller abhängig. Manche Szenenkonstellation geriet nur steif und gekünstelt. Interessante Regie erweist sich ja auch in der lebendigen Rollengestaltung von Nebenfiguren, was hier z.B. im Falle von Ninetta und Danieli, der beiden Freunde von Hélène, nur unzureichend gelang. Der Chor sang ganz ausgezeichnet, ist aber meistens sehr statisch geführt, stand wie eine Phalanx und sang fast ausschließlich einheitlich nach vorn gerichtet. Überhaupt wird viel nach vorn und an der Rampe gesungen. Wie angesagt war der Darsteller des Procida, Kihwan Sim, durch Hexenschuss gehandicapt. Mit sonorem Bass vollbrachte er aber sängerisch eine Glanzleistung. Die Rolle des Henri wurde von Leonardo Caimi verkörpert, einem italienischen Tenor mit wenig farbenreicher Stimme und jedenfalls an diesem Abend recht eingeschränktem darstellerischen Repertoire. Ihm hätte die Abendregie manch altbackenes Händestrecken oder Verlegenheitsgelaufe ausreden sollen. Zwischen den Fronten: Henri (Leonardo Caimi) und Hélène (Barbara Haveman) Dafür gaben Christopher Maltman als Montfort und Barbara Haveman als Hélène eindrucksvolle Rollenportraits. Maltman gestaltete die lange Szene und Arie zu Beginn des 3. Aktes „Ja, ich gestehe meine Schuld“ zu einer intensiven Selbstreflexion und machte die Sehnsucht des Vaters nach seinem ihm entfremdeten Sohn glaubhaft. Mit Verve zeigte Barbara Haveman die seelischen Abgründe ihrer Figur, die ihre widersprüchlichen Gefühle nicht zu innerer Ruhe kommen lassen. Ihre vokale Gestaltung war technisch exzellent, besonders aber auch im Ausdruck facettenreich und anrührend. Und besonders eine Szene hatte doch starke Intensität: die Szene im Gefängnis, wo Montfort seinen Sohn mit dem Verlangen unter Druck setzt, ihn als seinen Vater anzuerkennen und dafür ihm und Hélène die Freiheit verspricht - dem kritischen Moment, welcher der Handlung die entscheidende Wende zu geben scheint, bis im Finale unerwartet doch das schreckliche Ende eintritt. Unter der straffen Leitung von Stefan Soltesz spielte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester handfest und kernig, dabei in vielen Einzelstimmen klangschön und präsent. FAZIT In dieser Wiederaufnahmeproduktion blieb vieles in der Personengestaltung arg konventionell und hölzern, aber es gelangen auch Momente szenischer Intensität. Besonders zwei Hauptrollen waren exzellent besetzt. Das Orchester enttäuschte nicht - wie in Frankfurt gewohnt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie Szenische Leitung der Wiederaufnahme Bühnenbild und Kostüme
Licht Chor, Extrachor Herren
Dramaturgie
Chor und Extrachor (Herren) Statisterie der Oper Frankfurt Frankfurter Opern- und SolistenGuy de Montfort
Sire de Béthune
Graf von Vaudemont
Henri, ein junger Sizilianer
Jean Procida, Arzt aus Sizilien
Herzogin Hélène Ninetta,
ihr Kindermädchen Danieli Mainfroid Thibault Robert
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