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Reif für eine Familientherapie
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Walküre weniger als mythologische Göttersaga denn als ziemlich kompliziertes Familiendrama. Jedenfalls in der Sichtweise des Regisseurs Dietrich W. Hilsdorf. Schließlich sind alle Akteure irgendwie miteinander verwandt oder verschwägert. Der ziemlich konstruierte Weltrettungsplan des Chefgottes Wotan, einen Helden zu zeugen (außerehelich), der den unendliche Macht verleihenden Ring des Nibelungen erbeuten und damit wieder in die Hände der vermeintlich Guten geben soll, scheitert bekanntlich an der enthusiastischen, aber leider auch inzestuösen Liebesbeziehung des Doch-nicht-Helden Siegmund zu Zwillingsschwester Sieglinde - da muss Stiefmutter Fricka, gleichzeitig Hüterin der Ehe und somit Beschützerin von Sieglindes ungeliebten Ehegatten Hunding, eingreifen mit dem bekannt traurigen Ende. Verhandelt wird das bei einem Gläschen Rotwein: Hilsdorf setzt alle Personen gemeinsam an einen großbürgerlichen Tisch, der freilich nicht im bourgeoisen Salon, sondern in einer Art Bunker steht, Ausdruck des herrschenden Kriegszustands. Hier droht Gefahr für das etablierte, keineswegs glückliche Familienleben: Siegmund stellt sich zwischen Hunding und Sieglinde.
Der Ansatz ist nicht neu; Hilsdorf hat ihn vor neun Jahren im benachbarten Essen bereits umgesetzt (unsere Rezension) - im Sommer gibt es dort eine Wiederaufnahme der Produktion, sodass der direkte Vergleich möglich sein wird. Vieles scheint, wenn die Erinnerung nicht trügt, jetzt an der Rheinoper recht ähnlich inszeniert zu sein. In Essen allerdings war Hilsdorf einer von vier Regisseuren, die sich jeweils einer einzelnen Oper des Ring angenommen hatten, und nach einem furiosen Rheingold von Tilman Knabe wirkte seine verbürgerlichte Walküre seltsam matt; jetzt ist er für die gesamte Tetralogie verantwortlich. Wenn es nach den ersten beiden Teilen so etwas wie eine Leitlinie gibt, an der sich das Regiekonzept orientiert, dann am ehesten das bewusste Unterlaufen des visionären Weltenendzeitdramas. Aus dem Rheingold setzt sich der Gedanke fort, dass Wagner unterschwellig mehr über seine Zeit, die eben eine bürgerliche war, erzählt als über den Mythos. Die Personenregie ist dabei bis ins Detail ausgefeilt. Ganz konsequent durchhalten kann (will?) Hilsdorf den Realismus, der sich in manchen Szenen vor allem im ersten Aufzug einstellt, allerdings nicht; Schwert und Speer (der dramatisch vom Bühnenhimmel fällt) müssen schon sein. Der Familenrat entscheidet nicht in Wotans (liegend) Sinn: Fricka (links) triumphiert, Brünnhilde ist nicht wirklich überzeugt.
Vielschichtig bleibt die eindrucksvolle Raumlösung (Dieter Richter). Der zu Beginn drückend niedrige Bunker (die Esche darin ist versteinert und wirkt wie ein Pfeiler des Baus) mit kleiner Kochecke, man kann auch Industriearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts darin erahnen, weitet sich allmählich zu einer großen Halle, in dem im dritten Aufzug ein abgestürzter Hubschrauber liegt - eine Anspielung natürlich auf Francis Ford Coppolas Film Apocalypse Now, der einen Hubschrauberangriff im Vietnamkrieg mit der Musik des Walkürenritts unterlegt. Konterkariert wird das durch ein mit bunten Lampen (in den Regenbogenfarben) besetztes Bühnenportal wie aus einem Varietétheater (das gab es auch schon im Rheingold . Ein Stück theatralische Distanz behält sich das Regieteam vor. Auch bei den Kostümen (Renate Schmitzer) gibt es eine Verschiebungen zwischen den Zeiten und Sphären. Wotan wirkt wie ein Offizier aus dem 2. Weltkrieg, ein Stratege der Macht - mit Augenklappe und dem vergleichsweise jugendlichem Auftreten erinnert der schlanke Simon Neal an Hitler-Attentäter Stauffenberg. Der bärtige Siegmund erinnert an den Anarchisten und zeitweiligen Wagner-Freund Michail Bakunin. Grandios die Kostüme der Walküren, elegantes rote Abendkleider, die durchbrochen sind von silbrigen Elementen, die auf den Walkürenpanzer verweisen. Im harten, geradezu sezierenden Licht setzt dieses Rot den entscheidenden farblichen Akzent in einer ästhetisch sehr strengen, gerade darin eindrucksvollen Bildsprache. Strafe muss sein: Wotan und Brünnhilde, umgeben von anderen Walküren.
Wird das psychologisierende Konzept weitgehend von den schauspielrisch sehr guten Darstellern getragen, so ist ausgerechnet der zentrale Vater-Tochter-Konflikt dadurch eingetrübt, dass Tochter Brünnhilde dummerweise älter ist als Vater Wotan. Linda Watson hat die Brünnhilde auch schon in Bayreuth gesungen (unter dem Dirigat von Christian Thielemann), die immer klangvolle Stimme hat Kraft und dramatischen Aplomb, auch das Piano Substanz. Ein paar Eigenarten muss man wohl hinnehmen, so die extrem gedehnten Glissandi der "Hojotoho"-Rufe, und am Ende des Abends ist auch die Intonation nicht immer ganz sauber. Die große Bühnenerfahrung schlägt allerdings auch in eine pauschalisierende Routine um - der Stimmungsumschwung in der "Todesverkündigung" von der feierlichen Todesbotin zur kämpferischen Unterstützerin Siegmunds etwa dürfte ein ganzes Stück emphatischer, nachvollziehbarer klingen. Simon Neal ist ein auch stimmlich schlanker, zunächst zupackender Wotan, der sich die Partie klug einteilt; in das Konzept eines "unpathetischen" Ringes aus dem Geist des bürgerlichen Schauspiels passt er überzeugend. Am Ende fehlt es der Stimme dann aber doch am von der Musik geforderten großen Format. Feuerzauber und schlafende Brünnhilde.
Mit flammendem jugendlich-dramatischen Impetus singt Elisabeth Strid eine hinreißende Sieglinde, im Übrigen im zweiten Aufzug hochschwanger (Hilsdorf dehnt die eine Nacht zwischen dem ersten und zweiten Aufzug kurzerhand auf sechs Monate). Corby Welch ist ein lyrischer, immer klangschöner Siegmund; ob man der Partie aber nicht doch etwas mehr Wucht und Kraft wünschen würde? Das ist wohl Geschmackssache. Sami Luttinen hat für den Hunding keine abgründig schwarze Stimme, macht aber viel aus seinen Möglichkeiten. Und Reneé Morloc schließlich ist eine sehr erfahrene Fricka, die geschickt mit den Möglichkeiten ihrer nicht mehr ganz jungen Stimme umgeht, auch sie immer auf einen runden, kultivierten Klang bedacht. Dirigent Axel Kober zeichnet einen luftig-leichten Klang, der immer wieder die Nebenstimmen hervorhebt (und, keineswegs nebensächlich, ausgesprochen sängerfreundliche Lautstärken wählt). Manches könnte ein wenig mehr Drive haben, mehr nach vorne gerichtet sein, aber insgesamt korrespondiert der Ansatz natürlich sehr gut mit der Regie, hat aber auch darüber hinaus seine musikalischen Reize. Zum ganz großen Wagnerglück allerdings müssten die Düsseldorfer Symphoniker genauer, teilweise auch bewusster phrasieren, mehr "zaubern" - manches klingt dann doch arg handwerklich, und wo man jede Stimme hört, da hört man eben auch jede Ungenauigkeit in Ansatz und Artikulation.
Hilsdorfs assoziationsreiche Regie ist in ihrem Verzicht auf Deutungshoheit im Ring und die Rückbesinnung auf die psychologischen Zusammenhänge sicher kein Paukenschlag, aber doch berührend und von einigem Reiz. Musikalisch eher solide als glanzvoll. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Siegmund
Hunding
Sieglinde
Wotan
Brünnhilde
Fricka
Helmwige
Gerhilde
Ortlinde
Waltraute
Siegrune
Rossweiße
Grimgerde
Schwertleite
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