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Musiktheater
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b.33

Stravinsky Violin Concerto

Ballett von George Balanchine
Musik von Igor Stravinsky (Konzert für Violine und Orchester D-Dur)

Rose of Shadow

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Adriana Hölszky (Roses of Shadow für Sängerin und acht Instrumentalisten - Auftragskomposition des Ballett am Rhein)
- Uraufführung -

Polish Pieces

Ballett von Hans van Manen
Musik von Henryk M. Górecki (Konzert für Klavier und Streichorchester op. 40 und Three Pieces in Old Style für Streichorchester)

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (zwei Pausen)

Premiere am 16. Dezember 2017 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Verloren sein in einer nicht zu deutenden Welt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Vergrößerung Stravinsky Violin Concerto © The George Balanchine Trust – Aleksandra Liashenko, Eric White, Foto © Gert Weigelt

Es ist eine ziemlich düstere Gegenwart, die Martin Schläpfer in seinem neuesten Werk Roses of Shadow beschreibt. Eine Gruppe von Menschen in unwirtlicher Landschaft, die von einem monolithischen, geometrisch klaren Objekt beherrscht wird (Ausstattung: Marcus Spyros Bertermann) - das erinnert an den Monolithen, der in Stanley Kubricks 2001 - A Space Odyssee für eine ungewisse und unverstandene Welt stand. Im Halbdunkel scheint das ein Untergangsszenario zu sein. Mal formieren sich die Tänzerinnen und Tänzer zum Ensemble, meist bilden sie kleinere Gruppen. Wer einmal auf der Bühne ist, der bleibt auch dort. Es gibt offenbar kein Entrinnen. Oder, um es aus anderer Perspektive zu betrachten: Man sammelt sich, sucht Schutz in der Gemeinschaft. Das tänzerische Vokabular wirkt fragmentiert; Elemente des klassischen Balletts blitzen immer wieder auf wie Relikte aus der Vergangenheit. Einmal heben die Herren die Damen an, die aber wie tot in den männlichen Armen hängen, leblos herumgetragen werden. Der Aufschwung scheitert. Wenn eine Tänzerin auf Spitze hereintanzt, hat das die Eleganz des klassischen Balletts verloren und ist zu einer geradezu kämpferischen Geste umgedeutet. Ein (etwas zu dramatisch angeleuchteter) Ball wird zur Waffe, suggeriert die Weltkugel wie den Hamlet'schen Totenkopf. Am Ende legen sich die Tänzerinnen und Tänzer nieder wie zum Schlafen, ein Moment zwischen Ruhe und Resignation.

Vergrößerung

Roses of Shadow: Chidozie Nzerem, Marlúcia do Amaral

Die Musik zu diesem 45-Minuten-Werk wurde eigens bei Adriana Hölszky in Auftrag gegeben, mit der Schläpfer bereits 2014 in Deep Field zusammengearbeitet hat. Roses of Shadow (der Titel bezieht sich auf Shakespeares 67. Sonett) ist eine Komposition für ein Kammerensemble aus acht Instrumentalisten und eine Sängerin, deren Sopran immer wieder instrumental oder geräuschhaft eingesetzt wird und die vereinzelt Textfragmente (neben Shakespeare Lyrik nordamerikanischer Indianer) zischt, spuckt und keift. Wenn vom "Adler" oder der "Freiheit" die Rede ist, darf man allerdings nicht an Schiller'sches Pathos denken - auch die Musik strahlt kaum Optimismus aus. Ergeben die instrumentalen Klangereignisse, ebenfalls oft geräuschhaft und nicht klar den einzelnen Instrumenten zuzuordnen (wobei Alphorn und Euphonium auch recht exotische Klangfarben beisteuern), eine faszinierende Textur (großartig und wuchtig gespielt vom kleinen Ensemble), so ist die Verwendung der Stimme gelinde gesagt gewöhnungsbedürftig. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Interpretation und damit der betont unangenehm hässlich klingende Umgang von Sopranistin Angelika Luz mit dem Text (so sprechen sonst nur Hexen oder böse Stiefmütter im Märchen) im Sinne der Komponistin ist; man darf vielleicht auch zugutehalten, dass damit die Gefahr allzu großen Wohlklangs eingedämmt wird (eine Gefahr, die bei der immer kontrolliert anmutenden Musik Adriana Hölszkys freilich nicht allzu groß ist) - diese Text-Gekeife -Ebene gibt dem Werk ein paar unangenehme Kratzer, die verzichtbar scheinen.

Vergrößerung Roses of Shadow: Ensemble

Ohnehin ist es nicht ganz leicht, die anspruchsvolle (und anspruchsvoll zu hörende) Musik und die nicht weniger anspruchsvolle kleinteilige, sich auch schon mal im Detail und in Parallelaktionen verlierende Choreographie gleichzeitig wahrzunehmen. Vermutlich muss man Roses of Shadow drei-, vier-, besser fünfmal sehen, um die Vielschichtigkeit einigermaßen angemessen zu erfassen. Andererseits: Das Moment der Orientierungslosigkeit, der zersplitterte Charakter ist ja durchaus Programm. Man kann das Werk deuten als ein Lamento über den Verlust von Sicherheit, über das Wegbrechen des Vertrauten. Damit bewegt sich Schläpfer am Puls der Zeit, ohne ein irgendwie "politisches" Ballett kreiert zu haben. Das nicht leicht zu konsumierende Stück lässt den Zuschauer ebenso betroffen wie irritiert zurück. Nicht jeder beteiligte sich am durchaus heftigen Beifall (und nach der anschließenden Pause blieben eine Reihe von Parkettplätzen frei). Gleichwohl wird hier ausgelotet, was das Ballett als Gegenwartskunst vermag, und die der Musik wie der Choreographie innewohnenden Kräfte besitzen trotz der pessimistischen Grundstimmung paradoxerweise die Energie, die Hoffnung gibt. "Art can make the difference", wird Martin Schläpfer im Programmheft zitiert. Leicht gesagt - aber tatsächlich umgesetzt. Die Roses of Shadow sind große Kunst, die beschwört -und damit sind wir letztendlich doch bei Schiller angekommen - was die Menschheit den Zerfallsprozessen entgegenzusetzen hat.

Vergrößerung

Polish Pieces: Ensemble

Wenn Martin Schläpfer diese Uraufführung gleich dem Zentralgemälde eines Triptychons rahmen lässt von zwei Heiligen der Ballettkunst, nämlich George Balanchine und Hans van Manen, dann mag man daraus den sehr selbstbewussten Anspruch lesen, Gültiges zu schaffen. Die Gegenüberstellung mit Balanchines Stravinsky Violin Concerto von 1972 verortet dabei Schläpfers Choreographie in der hohen Kunst des neoklassizistischen Balletts und dessen Schönheitsideal, auf das Schläpfer sich gleichzeitig bezieht wie davon distanziert. Balanchines strenge Symmetrien werden immer wieder unterlaufen von betont schlaksigen Bewegungsabläufen, die an alte Zeichentrickfilme der frühen Disney-Ära erinnern. Die Choreographie zeigt überraschend viel Humor und Selbstironie, wobei vielleicht nicht alles im Detail originaler Balanchine ist, sondern vielleicht manches auch die reflektierte zeitgemäße Übersetzung. Gleichwohl: Mit dem Schönheitsideal, das hier getanzt wird, ist der Bezugspunkt gesetzt für das, was Schläpfer in Roses of Shadow bewusst ausspart und als Leerstelle eben nicht zeigt, aber als Erinnerung durchschimmern lässt. Mark Bouchkov spielt den Solopart in Stravinskys Violinkonzert mit nonchalanten Understatement ohne jegliche Starallüren, die Düsseldorfer Symphoniker sind unter der Leitung von Wen-Pin Chien ein solider Begleiter, in diesem Konzert glänzen die Bläser als selbstbewusster Widerpart des Solisten.

Vergrößerung Polish Pieces: Julie Thirault, Rashaen Arts, Sonia Dvořák, Philip Handschin

Den Abschluss bilden Hans van Manens Polish Pieces auf Henryk Goreckis knapp 10 Minuten kurzes Klavierkonzert sowie die nicht längeren Drei Stücke im alten Stil für Streichorchester. Schon die farbenfrohen, hautengen Ganzkörpertrikots (blaue Farben für die Damen, gelbe und rote für die Herren) bilden einen denkbar starken Kontrast zu Balanchines strenger Schwarz-Weiß-Ästhetik wie auch den etwas rätselhaften, allzu artifiziell anmutenden Kostümen in Roses of Shadow. Optisch wie tänzerisch findet hier ein wahres Feuerwerk statt, voller Schwung und mitreißender Energie - eine Art Regenbogen nach dem Gewitter. So ungebrochen optimistisch, wie der Anfang denken lässt, geht die Choreographie dann doch nicht aus; ein finaler Pas de deux endet mit der Trennung des Paares. Van Manens Sprache zeichnet sich durch enorme Konzentration wie auch eine bestechende Ökonomie der Mittel aus (daneben wirkt Schläpfers Stil, nicht zum ersten Mal, weitschweifig). Das setzt einen fulminanten und publikumswirksamen Schlusspunkt des (Ballett-)Jahres, einhellig umjubelt. Wolfgang Wiechert als Solist am Klavier und das Orchester liefern den ein wenig glatten, aber wirkungsvollen Sound dazu.


FAZIT

Ein großes Theaterereignis: Das erneute Gipfeltreffen von Martin Schläpfer und Adriana Hölszky, eingebunden in eine kluge Programmkonzeption, bringt ein grandios düsteres, sehr intensives Werk von zur Uraufführung, das dem Publikum einiges abverlangt. Als versöhnlicher Ausgleich darf van Manen farbenfroh wirbeln.


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Produktionsteam

Stravinsky Violin Concerto

Choreographie
George Balanchine

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Violine
Marc Bouchkov

Choreographische Einstudierung
Maria Calegari
Bart Cook

Licht
Thomas Diek

Die Düsseldorfer Symphoniker

Uraufführung: 1972,
Ney York City Ballett

Tänzerinnen und Tänzer

Aria 1
Aleksandra Liashenko
Eric White

Aria 2
Claudine Schoch
Marcos Menha

Ensemble
Doris Becker
Feline van Dijken
Kailey Kaba
So-Yeon Kim
Norma Magalhães
Cassie Martín
Virginia Segarra Vidal
Irene Vaqueiro
Brice Asnar
Rubén Cabaleiro Campo
Michael Foster
Philip Handschin
Vincent Hoffman
Pedro Maricato
Tomoaki Nakanome
Daniel Vizcayo


Roses of Shadow

Choreographie
Martin Schläpfer

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Bühne und Kostüme
Marcus Spyros Bertermann

Sopran
Angelika Luz

Klarinetten
Jochen Mauderer

Trompete, Euphonium, Alphorn
Paul Hübner

Akkordeon
Stefan Hussong

Violine
Franziska Früh

Violoncello
Doo-Min Kim

Schlagzeug
Fabian Clasen

Bass-Koto
Naoko Kikuchi

Klavier
Ville Enckelmann


Tänzerinnen und Tänzer

* Besetzung der rezensierten Aufführung
Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
* Yuko Kato / Cassie Martín
So-Yeon Kim
Helen Clare Kinney
Virginia Segarra Vidal
Elisabeta Stanculescu
Irene Vaqueiro
Yoav Bosidan
Rubén Cabaleiro Campo
Michael Foster
Sonny Locsin
Chidozie Nzerem
Friedrich Pohl
Boris Randzio
Alexandre Simões


Polish Pieces

Choreographie
Hans van Manen

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Klavier
Wolfgang Wiechert

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Licht
Joop Caboort

Choreographische Einstudierung
Iris Reyes, Mea Venema

Die Düsseldorfer Symphoniker

Uraufführung: 1995,
Nederlands Dans Theater, Den Haag


Tänzerinnen und Tänzer

Sonia Dvořák -
Philip Handschin

Julie Thirault -
Rashaen Arts


Mariana Dias -
Daniel Vizcayo

Norma Magalhães -
Filipe Frederico

Virginia Segarra Vidal -
Arthur Stashak

Alexandra Inculet -
Bruno Narnhammer



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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