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Der frivole Charme der WohlstandsgesellschaftVon Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöß
Nein, es gibt keinen neuen Ring in Bielefeld. Nur das Rheingold. Wenn es anderswo (Stuttgart, Essen, Chemnitz) die vier Teile der Tetralogie auf vier verschiedene Regisseure oder Regisseurinnen (wie gerade in Chemnitz) aufgeteilt wird, dann liegt es nahe, einzelne Teile isoliert zu spielen. Schon in Essen hatte Tilman Knabe gezeigt, dass man das Rheingold so erzählen kann, dass alles Wesentliche aus dem Ring gesagt ist. Das ist jetzt auch in Bielefeld zu erleben. Regisseurin Mizgin Bilmen, die in der vorigen Spielzeit mit einer hochinteressanten Charlotte Salomon auf sich aufmerksam gemacht hat, zeigt das Vorspiel zur Tetralogie als Endspiel. Der Rest, so ahnt man, ist Grauen. Die Rheintöchter und Alberich
Die Bühne wird links und rechts eingefasst durch schräg stehende Bauteile, die wie die leeren Fassaden einstürzender Gebäude aussehen. Man kann an Ground Zero denken, die Ruinenreste des World Trade Center. Verwendung findet das allerdings nicht, und das ist sicher der Schwachpunkt des Bühnenbilds von Cleo Niemeyer: Diese Wände stehen einfach nur so herum, ohne jede Funktion, außer dass sie den Blick fokussieren auf die Leinwand dahinter und die trapezförmige, leicht ansteigende Spielfläche dazwischen. Mit diffuser Beleuchtung und ein wenig Nebel werden die Stimmungen der vier Szenen verblüffend gut eingefangen (Licht: Johann Kaiser), von einer fast naturalistischen Unter-Wasser-Atmosphäre im ersten über die unwirtlich kühle Höhenlandschaft im zweiten und vierten bis zur rötlichbraunen Unterwelt des dritten Bildes. Es ist eine Inszenierung, die nicht nur den Intellekt anspricht, sondern auch eine sinnliche Ebene hat. Wotan und Fricka
Auf den ersten Blick erscheint die Inszenierung beinahe unpolitisch. Die Rheintöchter in durchaus erotischen, netzartigen weißen Kleidern zeigen viel Bein, und Nienke Otten, Hasti Molavian und Nohad Becker sind nicht nur körperlich verführerisch attraktiv, sondern singen auch sehr schön, verhalten sich allerdings wenig charmant gegenüber Alberich. Den singt Yoshiaki Kimura kraftvoll, ziemlich kurzatmig und nicht eben klangschön, aber insgesamt doch sehr eindrucksvoll - ein hysterischer Fiesling, aber auch nicht unsympathischer als die Götter. Die hat Kostümbildner Alexander Djurkov Hotter in weiße Phantasiegewänder gesteckt, das tollste trägt Froh - Federschmuck auf dem Kopf, eine Weste mit Spiegelscherben besetzt, superknappes Höschen und Schuhe wie aus dem Barock. Weiß geschminkt sind sie allesamt, dazu ziemlich rote Lippen und Wangen, dazu einigermaßen sexy - eine reichlich frivole Gesellschaft ist das, und nach und nach ahnt man, dass das die Frivolität derer ist, die auf Kosten anderer gerade die Welt vernichten. Clowns sind sie, absurde Charaktere. Wotan zeigt deutliche Züge eines Generals. Freia trägt auf dem Rücken eine Art Gewächshaus mit sich herum: Die goldenen Äpfel der ewigen Jugend, das sind hier wohl die im Glashaus geschützten Ressourcen der Natur, die man per Schlauch inhalieren kann. Lächerlich zu glauben, dass damit ein Überleben möglich ist. Aber sie klammern sich dran, diese Götter, die Machthaber aus irgendeinem Kulturkreis sein können. In Nibelheim: Mime und Loge
Fasolt und Fafner sind Soldaten, sicher Söldner; Loge offenbar jemand, der im Krieg viel gesehen und seine Erfahrungen daraus gezogen hat. Nur einer ist Mensch: Mime. Ein junger Mann, den man auf irgendeiner Bielefelder Straße angesprochen und in die Oper gelockt haben könnte. Der einzige, der sich - gegenüber Loge und Wotan - wie ein Mensch artikulieren kann. Die Masse dagegen schweigt. Schon auf dem Grund des Rheines zu Beginn liegen etliche Körper auf dem Boden, kriechen herum, sind vielleicht ertrunken. Die erste Irritation: Wenn Alberich das Gold stiehlt, dann schnappt er sich einen dieser Körper und trägt ihn davon. Die Menschen sind das Gold, die "Bodenschätze" (sie tragen Trikots, die wie eine verkrustete Lehmschicht aussieht), sie sind die Arbeiter in Nibelheim und werden Freia verdecken müssen, um als Tauschware die Göttin anschließend auszulösen. Das sind, so darf man vermuten, die Namenlosen, auf deren Rücken (oder weniger blumig gesprochen: durch deren Ausbeutung) die Götter wie Götter leben können. In ihren Trikots tragen diese Wesen Goldstaub, und wenn die Götter diesen herausgreifen und herumwerfen, dann sieht es so aus, als wühlten sie in den Eingeweiden. Kampf um den Ring: Alberich und Mime, hinten Wotan
Man kann die Inszenierung ganz naiv betrachten, als Folge von eindrucksvollen und rätselhaften, sehr genau durchchoreographierten und mit viel Feinarbeit in der Personenregie ausgestalteten Bildern. Passend dazu liefert Dirigent Alexander Kalajdzic mit den sehr ordentlichen Bielefelder Philahramonikern eine ausgesprochen plastische Interpretation, die weniger den symphonischen Gesamtaufbau deutlich macht als vielmehr zeigt, wie detailverliebt Wagner die Handlung auch musikalisch erzählt. Das szenische und das musikalische Geschehen korrespondieren hervorragend in dieser Produktion; kaum ein Motiv aus dem Orchester, das nicht in irgendeiner Weise von der Regie aufgegriffen würde. Und gesungen wird auch durchweg gut. Frank Dolphin Wong ist ein schlanker, aber intensiver Wotan, Uwe Eikötter mit scharfen, beweglichem Charaktertenor ein eindrucksvoller Loge, Moon Soo Park ein kraftvoll rauhbeiniger Fasolt, Sebastian Pilgrim ein imposanter Fafner. Sarah Kuffner gibt die Fricka mit manchen Zwischentönen, Melanie Kreuter ist als Freia unauffällig, Lianghua Gong ein lyrischer Froh, nur Olaf Haye als Donner wirkt recht kraftlos. Lorin Wey ist ein leichtgewichtiger, aber sympathischer Mime mit schöner Stimme, und Katja Starke eine sehr akzeptable, leicht dunkel getönte Erda - eine von den Unterdrückten, die hier ganz kurz eine Stimme finden. Der Gewitterregen ist goldig: Der Einzug nach Walhall
Dann gibt es aber noch eine zusätzliche, verstörende Deutungsebene durch die Videosequenzen (Malte Jehmlich), die weitgehend auf atmosphärisch wirkende Schlieren reduziert sind, aber bei den Zwischenspielen dann konkrete Bilder aufblitzen lassen - Bilder von Bombenabwürfen und Landkarten, Luftaufnahmen, Bilder aus vergangenen Kriegen und aus der Sklaverei. Ausgedörrte Landschaften. Und dann Bilder von Ertrunkenen an den Stränden des Mittelmeeres, wie man sie viel zu oft gesehen hat. Zum Einzug nach Walhall, zunächst mit einem Gewitterregen aus Gold begleitet, sieht man im Hintergrund eine Atombombe explodieren. Und so sehr man sich nach dieser packenden Regie wünschte, Mizgin Bilmens Umgang mit der Walküre, Siegfried und Götterdämmerung erleben zu können - dieses Rheingold hat den Ring tatsächlich auserzählt.
Mizgin Bilmen inszeniert das Rheingold als sarkastische Weltuntergangsparabel mit dem bösen Beigeschmack, dass wir Zuschauer mitschuldig an der Katastrophe sein könnten - das ist ganz starkes Theater, zudem auch musikalisch auf gutem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fricka
Freia
Erda
Fasolt
Fafner
Woglinde
Wellgunde
Flosshilde
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