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Artaserse

Dramma per Musica in tre atti
Libretto von Pietro Metastasio, mit Texten fer Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Fassung von Balász Kovalik, Eva Pons, Julia Schinke und Loretta Trinei
Musik von Johann Adolph Hasse

In deutscher und italienischer  Sprache

Dauer: ca 2 3/4 Stunden – eine Pause

Eine Produktion der Theaterakademie August Everding und der Hochschule für Musik und Theater München mit dem Master-Studiengang Musiktheater/Operngesang in Kooperation mit der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen

Premiere am 12.April 2018 im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth
(rezensierte Aufführung: 15.April 2018)

 
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Hochschule für Musik und Theater München


 

Die Oper ein Leben

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Jean-Marc Turmes

Heute würde man sagen, die Frau benötigte ein gehöriges Maß an Resilienz. Der übergriffige Vater, Demütigungen durch Mutter und Großmutter, ein geliebter Bruder, der vom Vater fast zum Tode verurteilt worden wäre, eine befohlene Heirat mit Umzug in eine trostlose Gegend, ein Gatte, der sie mit ihrer engsten Vertrauten und Freundin betrügt - eigentlich zu viel, um es zu ertragen. Aber Wilhelmine, geborene Prinzessin von Preußen und spätere Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth hat dies alles irgendwie  ausgehalten. Man kann vermuten, dass sie die vielen Widrigkeiten ihres Lebens mit künstlerischer Betätigung kompensiert hat. Denn Wilhelmine hat als Fürstin der politisch unbedeutenden Markgrafschaft Bayreuth zu einer kulturellen Blüte ungewöhnlichen Ausmaßes verholfen. Bedeutendstes Zeugnis ist bis heute das auf ihre Veranlassung hin gebaute Opernhaus, das nun in seiner Originalgestalt restauriert und mit derjenigen Oper wiedereröffnet wurde, mit der es vor 270 Jahren eingeweiht worden ist - dem Dramma per musica Artaserse von Johann Adolph Hasse.

Dem Anlass gemäß ist bei der Fast-Ausgrabung dieser Barockoper (komplett wird sie nur überaus selten gespielt, einzelne Arien daraus sind allerdings in CD-Einspielungen vertreten) ein besonderes Konzept verfolgt worden. Denn bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Artaserse 1748 nicht allein die Eröffnungsoper gewesen ist, sondern dass das zugrunde liegende Libretto von Pietro Metastasio zumindest motivisch überraschend viele Parallelen zum Leben der Markgräfin selbst aufweist. Daher hat das Team dieser Produktion den Opernstoff mit dem Leben Wilhelmines überblendet und ohne entscheidende Veränderungen ein Pasticcio aus der Oper mit Originaltexten der Markgräfin zusammengestellt, das neben den meisten Original-Nummern in etwas veränderter Abfolge noch zwei Arien aus einer weiteren Hasse-Oper, Ezio, und sogar eine Arie aus der von Wilhelmine selbst komponierten Oper Argenore enthält. Als Autodidaktin erweist sich Wilhelmine darin nicht allein als versierte Komponistin, sondern in ihrem Ausdruck von Abschiedsschmerz und Todessehnsucht ist diese c-Moll-Arie sogar überaus anrührend. Überraschende Modulationen und melodische Wendungen heben sie weit über die barocke Konvention hinaus und sie macht neugierig, dieses einzige und zu Lebzeiten wohl nie aufgeführte Bühnenwerk der Markgräfin einmal ganz hören zu können. Auch inhaltlich dürfte sich Argenore mit der überaus düsteren Handlung ohne eigentliches lieto fine von den gängigen Opern-Sujets der Barockzeit deutlich absetzen. Bemerkenswert ist aber auch hier wieder eine Parallelität zu Wilhelmines Biografie, denn auch in Argenore stehen unauflösliche Familienkonflikte in einem (allerdings antiken) Fürstenhaus  im Mittelpunkt, so dass die Oper schon als „negativer Fürstenspiegel“ bezeichnet wurde.

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Biografie und Oper verschränken sich: Wilhelmine (vorn: Anja Silja) als Zuschauerin einer Verschwörung auf der Bühne (hinten v.l.: Pauline Rinvet, Tianji Lin)

Anders als in Wilhelmines Oper gibt es in Hasses Artaserse durchaus ein glückliches Ende, nachdem die üblichen Topoi abgehandelt sind. Ein Verschwörer (Artabano) tötet den Herrscher (Xerxes) und schiebt die Schuld letztlich seinem eigenen Sohn (Arbace) in die Schuhe. Dieser kann seine Unschuld nicht beweisen, ohne seinen Vater zu verraten. Da der neue Herrscher (Artaserse) sein Freund ist, glaubt dieser aber nicht an dessen Schuld und beauftragt ausgerechnet den unbeteiligt geglaubten Artabano damit, den vermeintlichen Verschwörer Arbace hinrichten zu lassen. Die Loyalitätskonflikte steigern sich noch, wenn die beiden Frauenfiguren ins Spiel kommen, die jeweils über Kreuz Schwester und Geliebte der beiden Hauptgegner Artaserse und Arbace sind. Eine kurze Schlacht führt wie oft in der Barockoper zur Lösung des Knotens, der Erzbösewicht (Artabano) bereut und der Herrscher lässt Milde mit allen Schuldigen walten - so wie es sich seinerzeit die Kunst gern gewünscht hätte, es in der Realität aber leider meist nicht gewesen ist.

Die Produktion zeigt dieses Spiel mit der Fiktion sehr schön. Denn als Bühne auf der Bühne (Entwurf Csaba Antal) ist als verkleinertes, sonst identisches Modell das Bühnenportal eben dieses Markgräflichen Opernhauses aufgebaut. Es lässt sich bewegen und gibt auch die hölzerne Hinterkonstruktion dem Blick frei. Einem Spiel im Spiel wird hier also die Bühne bereitet. Im kleinen Guckkasten wird in prächtigen barocken Opernkostümen (opulent von Sebastian Ellrich entworfen) die Handlung von Metastasios und Hasses Oper gespielt. Die Markgräfin ist als Rolle hinzugefügt und erlebt die ganze Aufführung als Zuschauerin und durch Rezitation eigener Aussagen aus Briefen und Memoiren das Geschehen gleichsam als Flashback ihres eigenen Lebens. Die ganze Bühne füllend wird das Spiel mehr und mehr zu ihrem Lebensdrama. Dass Anja Silja diese Rolle verkörpert, deren Weltkarriere einmal in Bayreuth am Grünen Hügel nicht weit vom barocken Opernhaus entfernt ihren Ausgang nahm, gibt dieser Regieidee eine charmante Note. Am Schluss, wenn in der Oper das glückliche Ende gekommen ist, verschmelzen für Wilhelmine endgültig Fiktion und wirkliches Leben. Die (natürlich italienische) Schlussszene, in der die Opernfigur Artabano zuerst ihrer Verzweiflung dann ihrer Reue Ausdruck verleiht, wird von Anja Silja zum akkompagnierenden Orchester auf Deutsch mehr markiert als gesungen und es erweist sich, dass der Text Metastasios auch all ihre eigenen Traumata ausspricht. Erlösung wächst ihr schlussendlich zu mit einer Zeile aus ihrer Oper Argenore  „Ah no, vivi felice e lieto - lebe glücklich und froh, dort im Elysium, wo wir den Frieden genießen, der uns hier verwehrt ist“. Erlösung durch die Kunst - Wilhelmines Lebensthema.

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Bühne für die eigene Biografie: im Vordergrund die Markgräfin (Anja Silja) und dahinter die Prinzessin Wilhelmine (Pauline Rinvet) und der Prinz Friedrich (Kathrin Zukowski)

Wie Fiktion und Wirklichkeit sich überschneiden, macht das Produktionsteam auch deutlich, indem die Rollenfiguren nicht mehr die Namen aus dem Libretto tragen, sondern typisiert als Funktionsträger bestimmten Verhaltens und bestimmter Konstellationen bezeichnet sind, als Intrigant, als Vater, Mutter, Bruder und Schwester. Die Opernrollen, demnach die Arien und Rezitative, werden diesen Rollentypen neu zugeordnet und die Sängerinnen und Sänger switchen gleichsam zwischen den Personen des Dramas hin und her. Dadurch wird die eigentliche Opernhandlung immer weniger relevant, die Beziehungen und Interaktionen der Protagonisten allerdings umso mehr. Da ist es auch kein großer Schaden, dass es keine Übertitel gibt (offenbar wird eine entsprechende Anlage in diesem authentisch barocken Haus als Fremdkörper empfunden), denn die durch die Musik vermittelten Affekte werden allein durch die genau ausgeführte Personenführung bestens unterstrichen, spielen doch die Sängerdarsteller höchst präsent ihre Rollen und werden zudem durch die Kostüme überaus plastisch gezeichnet: barock als Gestalten in Hasses Oper, klassizistisch preußisch als Mitspieler in Wilhelmines Biografie und gegenwärtig als allgemein gültige Typen der Moderne.

Im Verlauf dieses neuen szenischen Settings werden die Hauptkomplexe von Wilhelmine Vita anschaulich: ihre Zwangsverheiratung nach Bayreuth, die geschwisterliche Zuneigung zu ihrem Bruder, dem späteren Friedrich II., das dramatische Zerwürfnis Friedrichs mit seinem despotischen Vater und dessen Plan, gemeinsam mit seinem Freund Katte nach Frankreich zu fliehen (was mit der Hinrichtung Kattes endete), die Affäre um die heimliche Liebschaft des Markgrafen mit der Hofdame Marwitz und schließlich Wilhelmines Musikenthusiasmus. In klaren, eindrucksvollen und mit der Musik übereinstimmenden Bildern hat Regisseur Balász Kovalik eine Doppel-Geschichte erzählt, die den Abend in Spannung hält und den Spagat zwischen Original und Konzept souverän bewältigt.

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Familienzwist im Hause Hohenzollern: Erzwungene Hochzeit (v.l.: Anja Silja, Natalya Boeva, Pauline Rinvet, Tianji Lin, Eric Ander, Kathrin Zukowski)

Das junge Sängerensemble hat sich dieser Aufgabe mit großem Engagement gestellt. Fast alle sind noch Studierende an Münchner Gesangsklassen und wirken doch schon enorm professionell. Naturgemäß ist manche Stimme in Volumen oder Klang noch entwicklungsfähig, aber insgesamt konnten alle in ihren Partien überzeugen, die Sopranistin Pauline Rinvet  mit geläufigen Koloraturen, die Sopranistin Kathrin Zukowski mit warmer, empfindsamer Stimme, der Bass Eric Ander durch intensive Ausdrucksgestaltung und die Mezzosopranistin Natalya Boeva, die für ihre ausgeprägt expressive Arien-Gestaltung Szenenapplaus erhielt. Der jüngste Sänger im Ensemble war der Tenor Tianji Lin, der die Rolle des Intriganten stimmlich passend kühl und spitz präsentierte.

Die Münchner Hofkapelle spielte im Graben all ihre Barockexpertise aus. Michael Hofstetter dirigierte pointiert in Tempo und Dynamik. Die warme und klare Akustik des vollständig hölzernen Raumes brachte die Farben der Instrumente beeindruckend heraus und sorgte zudem für großartige Transparenz - eine barocke Klangkulisse  vom Feinsten.

FAZIT

Die Produktion beeindruckt durch das stimmige Konzept, zumal es gezielt auf den konkreten Raum und den besonderen Anlass zugeschnitten ist. Die Solistinnen und Solisten überzeugen darstellerisch wie vokal. Auch die Münchner Hofkapelle trug entscheidend zum Gelingen dieses barocken Festes bei.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Hofstetter

Inszenierung
Balász Kovalik

Bühne nach einem Entwurf von
Csaba Antal

Kostüme
Sebastian Ellrich

Dramaturgie
Julia Schinke

Licht
Benjamin Schmidt

 

Hofkapelle München

 

Solisten

Schwester
Pauline Rinvet

Bruder
Kathrin Zukowski

Mutter
Natalya Boeva

Vater
Eric Ander

Intrigant
Tianji Lin

Markgräfin von Bayreuth
Anja Silja

 


Weitere
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