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La Bohème

Szenen aus Henri Murgers La Vie de Bohème in vier Bildern
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Musik von Giacomo Puccini

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: ca 2 3/4 Stunden – eine Pause

Aufführungen in Baden-Baden am 10. und 12. (rezensiert) November 2017
(Premiere am 4. Mai 2017 am Akademischen Opern- und Ballett-Theater Perm)

 
 

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Emotionen kommen allein aus der Musik

Von Christoph Wurzel / Fotos: Andrea Kremper

Eros und Thanatos - in keiner anderen Kunstform sind Liebes-Begehren und Tod so eng beieinander wie in der Oper. Und in Puccinis La Bohème allemal. Immer wieder aufs Neue macht das ihren Erfolg aus. Aber nicht immer werden die Klippen der Rührseligkeit in dieser Geschichte umschifft. In der  Produktion, die nun als Gastspiel des Akademischen Opern- und Ballett- Theaters aus Perm in Baden-Baden gezeigt wurde, gelang dies durchaus, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Der griechische Dirigent Teodor Currentzis sendet schon seit etlichen Jahren vom fernen Sibirien aus mit den von ihm gegründeten Ensembles musicAeterna (Chor und Orchester) kräftige Impulse in Sachen Originalklang auch in die Konzertsäle und auf die Opernbühnen hierzulande. Nicht beim barocken oder klassischen Repertoire stehen geblieben, ist er nun mit Puccini an die Schwelle zum 20. Jahrhundert vorgedrungen.
Mit dem musikalischen Teil der in Perm erarbeiteten Produktion seiner Bohème gastierte er bereits in Dortmund (siehe unsere Rezension) und was von dort berichtet wurde, machte gespannt auf die um die Szene komplettierte Aufführung in Baden-Baden.

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Die Männerkommune der Bohèmiens: Musiker (Edwin Crossley-Mercer), Dichter (Leonardo Capalbo), Maler (Konstantin Suchkov) und Philosoph (Nahuel di Pierro) (v.l.)

Für Ausstattung und Regie zeichneten verantwortlich der Bühnenbildner Raimund Bauer, die Kostümbildnerin Kathi Maurer und der Regisseur Philipp Himmelmann, die allerdings nicht „Originalklang“ anschlugen, sondern die Handlung  der Pariser Bohèmiens aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Zeit der 68er Studentenrevolte in Frankreich transponierten.

Im zweiten Bild „Quartier Latin“ proben denn auch mit selbst gemalten Pappschildern einige Choristen den Aufstand gegen das Establishment und die permanente Revolution an den Universitäten. Die Bohème also politisches Schwärmertum? Diese Regieidee trägt angesichts des vollkommen unpolitischen Librettos nicht weit und wirkt hier nicht mehr als ein Oberflächenreiz. Hätte sich der Regisseur dagegen doch mehr in ausgefeilter Personenregie um die Charaktere seiner Protagonisten gekümmert, statt ihnen die Gesten längst verstaubter Opernzeiten zu erlauben, wie sie mindestens dem Rodolfo-Darsteller immer mal wieder unterlaufen! Dann wären die szenischen Lösungen nicht so blutleer geblieben.

Szenische Intensität gelingt vor allem im ersten Bild am buffonesken Beginn mit den vier Lebenskünstlern, die viele Flausen im Kopf, aber kaum Geld in der Tasche haben. Ein nach oben verschiebbarer Kubus stellt die kleine Mansarde dieser Künstlerbehausung dar, in der Bett, Tisch und Stühle und ein Ofen das spärliche Inventar bilden. Auf der einen Seite Marcellos Staffelei, auf der anderen Seite an der Wand aufgereiht die zu Papier gebrachten dichterischen Ergüsse Rodolfos, daneben ein Foto von Jean-Paul Sartre, das aber nur im Programmheft zu identifizieren ist. Wenigstens im Ofen machen sich die Zettel nach und nach für ein wenig Wärme nützlich. Hier kommt Atmosphäre auf, bisweilen sogar der Eindruck leicht ironischer Distanz. Derb komisch wird es, wie sie mit dem Vermieter umgehen, der die Monatsmiete einzutreiben versucht, bald aber wieder trickreich hinaus expediert wird. 
Dann lässt Mimis erstes Erschienen einen interessanten Aspekt aufblitzen. Offenbar kommt sie nur unter einem Vorwand in diese Männer-WG, denn hastig bläst sie ihre brennende Kerze noch aus, um nach Feuer zu fragen, statt wie im Libretto wegen des erloschenen Lichts. Auch dieser hier angedeutete Zug ihres Charakters wird im Verlauf der Handlung nicht weiter verfolgt - außer diesem Anflug von Eigeninitiative zeigt Mimi weiterhin keine weiteren Anzeichen irgendeiner Art von Autonomie, bleibt letztlich dem Klischee der scheuen, leidenden Schönheit verhaftet. Und will man nicht wieder auch hier Ironie herauslesen, so wirken die folgende Annäherung und das Liebesduett eher wie eine Parodie aus einem Film der 1960ger Jahre.

Zum zweiten Bild entsteht unterhalb der hoch gefahrenen Dachkammer, mit ein paar Tischen und Stühlen reduziert möbliert, das Straßencafé Momus. In dem bunten Treiben der Straße mit Demonstranten, Kindern, Luftballonhändler und am Schluss der Soldatenparade fehlt  streckenweise die ordnende Hand des Regisseurs, bis sich das Interesse auf Musetta und ihren Walzer richtet. Sofia Formina gibt diese Rolle eher plakativ als laszive Kokotte, deren Wandlung im letzten Bild zur mitfühlenden Helferin Mimis darstellerisch nicht ganz plausibel erscheint.

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In Eiseskälte die Trennung vor Augen: Mimi (Zarina Abaeva)

Die szenischen Mittel reduzieren sich weiter im dritten Bild „Die Barrière d'Enfer“, einem Platz am äußersten Rand der Stadt, hier Tummelplatz prekärer Existenzen, wo nur ein paar ausgediente Holzkisten ausreichen müssen, um Ambiente zu schaffen. Dafür rieselt auch hier wie in den Bildern zuvor unablässig und unerbittlich der Schnee, allerdings ganz unromantisch, aber überdeutlicher Hinweis  auf das fatale Ende.

Im vierten Bild finden wir uns zuerst in der Dachkammer wieder. Die Lage der Bohème-Künstler ist trostlos geworden. Keine Aufträge, kein Geld und die Frauen weggelaufen. Aus Frust schlagen sie ihre Behausung kurz und klein. Und als Musetta schließlich mit der entkräfteten Mimi hereinplatzt, kann diese gar keine Bleibe mehr in der Wohnung finden, sondern stirbt auf der Straße im Schnee ihren einsamen Tod. Die Übrigen entfernen sich langsam ins helle Licht des Bühnenhintergrunds.

Blass bleibt die Inszenierung weniger infolge derartigen  Bühnensettings, sondern wegen der unausgegorenen Personenregie. Dafür entschädigen die Solistinnen und Solisten mit teilweise großartigen Stimmen und besonders im Falle der Mimi von Zarina Abaeva mit wirklich berührendem Ausdruck. Ihre beiden Arien im ersten und dritten Bild werden zu den vokalen Höhepunkten des Abends. Faszinierend, wie sie die Stimme setzt und in der ersten Arie “Mi chiamano Mimi” die Facetten des Textes ausdeutet: wunderschön zart ihren Hang zur Poesie (“quelle cose che han nome poesia”), federnd leicht die Schilderung ihres Alltags (“Sola mi fo il pranzo da me stessa”) und aufblühend in der Vorstellung des Frühlings (“ma quado vien lo sgelo il primo sole è mio”). Das ist Gesang vom Feinsten!

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Am Ende: Mimi (Zarina Abaeva) und Rodolfo (Leonardo Capalbo)

Leonardo Capalbo singt den Rodolfo solide mit etwas angestrengter Höhe, bleibt allerdings in der Tiefe des Ausdrucks und der Wärme der Stimme hinter seiner Partnerin zurück. Konstantin Suchkov dagegen gibt der Rolle des Malers Marcello mit geschmeidigem Bariton markant Statur. Mit intensiver Bühnenpräsenz und  stimmlichem Wohllaut lässt als Schaunard Edwin Crossley-Mercer keine Wünsche offen. Die Rolle des Colline wurde vom Regisseur besonders nachlässig behandelt. Immerhin hat Puccini ihm eine Arie gegönnt, aber Nahuel de Pierro muss sie reizlos an der Rampe präsentieren, singt dafür aber mit schönen Ausdrucksvaleurs. Nicht vergessen werden darf der Karlsruher Kinderchor Cantus Juvenum, der bereits zum wiederholten Male in Baden-Baden mit Klarheit und Festigkeit glänzte und auch das Chorensemble von musicAeterna mit Präzision und Volumen.

Was diese Aufführung aber überragend macht, ist das Dirigat von Teodor Currentzis, der Puccinis kleinteilige Partitur bis in feinste Nuancen hinein nicht nur adäquat übersetzt, sondern sein Orchester auch zu begeisterndem Espressivo anhält. Was diese hervorragenden Musikerinnen und Musiker aus den Noten holen, macht wahrlich Staunen und man glaubt, manches Detail zum ersten Mal zu hören. Wunderbar flexibel gestaltet Currentzis die dynamischen Wechsel. Jede Phrase ist genau ausgearbeitet, die Einzelstimmen werden transparent hörbar, jede Farbe leuchtet auf. Wo Currentzis die Musik zu großer Geste auffahren lässt, gibt er doch blitzschnell den Solisten den Raum zur Entfaltung. Und besonders eindrücklich bleibt zum Schluss - “quasi insensibile” und “morendo”- das fahle Ersterben der Musik bei Mimis Tod. Dies alles mit wahrem Gefühl und ohne jede falsche Sentimentalität.

FAZIT

Wirklich außergewöhnlich an dieser Produktion ist das ebenso messerscharfe wie expressive Dirigat von Teodor Currentzis, das wunderbar flexible Spiel des Orchesters und die überaus berührende Stimme von Zarina Abaeva als Mimi. Die Inszenierung bleibt blass und überzeugt kaum.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Teodor Currentzis

Inszenierung
Philipp Himmelmann

Bühnenbild
Raimund Bauer

Kostüme
Kathi Maurer

Lichtdesign
Henning Streck

Chorleitung
Vitaly Polonsky

Einstudierung Kinderchor
Anette Schneider



musicAeterna (Chor und Orchester)



Solisten

Mimì
Zarina Abaeva

Rodolfo, Dichter
Leonardo Capalbo

Musetta
Sofia Fomina

Marcello, Maler
Konstantin Suchkov

Schaunard, Musiker
Edwin Crossley-Mercer

Benoît, Hausbesitzer /
Alcindoro, Staatsrat

Gary Agadzhanian

Parpignol, Händler
Sergei Vlasov

Sergeant bei der Zollwache
Evgeni Ikatov

Zöllner
Victor Shapovalov





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