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Ein Theater-Karren voller Operetten-Narren oder Wenn Eisler in den Offenbach gerät Von Joachim Lange / Fotos von Iko Freese - drama-berlin.de
Eigentlich ist es erstaunlich, dass einer wie Stefan Herheim erst jetzt, da er mit dem Starruhm der Opernszene ausgestattet ist und den Vertrag als designierter Intendant des Theaters an der Wien in der Tasche hat, bei der Operette gelandet ist. Wenn man mal davon absieht, dass manche seiner Operninszenierungen ziemlich operettig daherkommen und der Norweger ein ausgemachter Freund von entfesseltem Bühnentohuwabohu ist und dabei auch vor dem Festspielhaus in Bayreuth und Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal nicht Halt macht.
Da ihn der Chef der Komischen Oper Barrie Koksy nun im 70. Jubiläumsjahr von Berlins quirligstem Opernhaus mit der Inszenierung eines neuen Blaubart betraut, also auf einen der legendären Walter Felsenstein-Klassiker (mit über 360 Reprisen in fast 30 Jahren Laufzeit!) angesetzt hat, war natürlich klar, dass er sich für diese Jaques-Offenbach-Operette aus dem Jahre 1866 etwas Besonderes einfallen lässt, um den Geist der zugespitzten Satire von damals ins Heute überträgt. Oder es zumindest zu versuchen. In Zeiten, in denen die Zensur (in dem einen Teil Berlins schon etwas länger, in dem anderen aber auch schon fast 30 Jahre) zum Glück nur noch Erinnerung ist, muss die Zuspitzung besonders deutlich ausfallen, damit sie als solche erkannt wird. Wenn zur Wiederbelebung der halbtoten, vermeintlich ermordeten flotten Boulotte (Sarah Ferede) aber neben einem Zweikörbchen-Defibrillator auch noch ein selbstleuchtender Bananen-Dildo zum Einsatz kommt oder dem Blaubart ein Riesenpenis seine Hose (ver-)ziert, dann kann man solche vulgären Ergänzung (die sich auch im Text finden) für einen Tick zu viel des Guten halten.
Wenn sich dann aber in die rebellischen Gesänge von Blaubarts doch nicht ermordeten Exfrauen das "Auferstanden aus Ruinen" von Hanns Eislers DDR-Nationalhymne einschleicht, wird das vom Publikum ebenso amüsiert goutiert wie die Wort-, Bauklötzer- und Prospekte-Spielereien mit dem abgerissenen Palast der Republik und dem wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss der Hohenzollern. Inklusive der Debatten, was die neue Kuppel nun zieren soll. Wenn das auch sonst fröhlich drauflos kalauernde Haus-Urgestein Peter Renz als König Bobèche die Debatte mit dem Stoßseufzer "Es ist ein Kreuz" beschließt, dann steckt er tatsächlich eins obendrauf. Nachdem er vorher schon alle möglichen Varianten von Halbmond über Davidstern bis Deutsche-Bank-Logo oder McDondald's M ausprobiert hat. Dass sich in dem neuen deutschen Text die Vokabeln "Marseillaise" und "Bouillabaisse" in einem Atemzug wiederfinden, ist typisch für die Treffer (oder Querschläger!), die Stefan Herheim, Clemens Flick und Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach als Autoren ihrer eigenen Fassung gelandet haben. Das funktioniert alles in allem gut, überbrückt aber den Abstand zu dem, worüber man sich im zweiten französischen Kaiserreich amüsiert hat, nur zum Teil. Ein auf dreieinhalb Stunden, auch mit fremder und Offenbach Musik "erweitertes" Dauer-Amüsement ist auch anstrengend.
Zumal dieser Offenbach doch eher einem angelassenen als einem auf Hochtouren laufenden Motor ähnelt. Mag sein, dass Herheim deshalb einen Thespis-Karren auf die Bühne rollen lässt. Sozusagen als Keimzelle des Theaterzaubers. Auf dem Kutschbock der Gevatter Tod (Wolfgang Häntsch) und im Geschirr ein Cupido. Grandios wie Rüdiger Frank diese Rolle seiner verletzlichen, verwachsenen Klein-Körperlichkeit anverwandelt, die Sympathien auf sich zieht, dem Tod immer wieder ein Schnippchen schlägt, und ihm am Ende stets eine Nasenlänge voraus ist. Dem Tod übrigens ist die eine große Standpauke vorbehalten, die er der Operette, dem Theater und eigentlich auch dem Publikum verpasst. Mit einem Beigeschmack von Wahrheit… Aus dem Theaterwagen entfaltet sich Christof Hetzers ganzes Bühnenbild. Dessen technische Tücken waren für eine Verschiebung des Premierentermins um eine ganze Woche verantwortlich. Das passiert hier auch nicht alle Tage…. Und so ganz funktionierte es immer noch nicht.
Was im Vergleich damit aber wie geschmiert lief, war das Räderwerk aus Protagonisten und Chor. Mit Wolfgang Ablinger-Sperrhacke stand ein typgerecht aufgeblasener Blaubart als Beinahemassenmörder auf der Bühne. Christiane Oertel war die dazu zänkisch haargenau passende Königin Clémentine. Vera-Lotte Böcker ist eine zur Prinzessin bestens taugende Fleurette, und mit Johannes Dunz bekommt sie am Ende einen im barocken Outfit hinreißenden Prinzen Saphir. Zwischen Blaubart und seine Frauen ist der Giftmischer Populani (Tom Erik Lie) gesetzt, dessen Loyalität zu seinen Gelüsten größer ist als die zu seinem Herrn. Er hat nicht gemordet, sondern sich seinen privaten Harem zusammengesammelt, mit dem er - wie seine SM-Montur verrät - so seine Spielchen veranstaltet. Stefan Soltész und das Orchester der Komischen Oper bewährten sich im Offenbachmodus, versuchten aber nicht so zu tun, als könnten sie das diesmal nicht ganz so mitreißende Timing nachliefern, das auf der Bühne fehlte. Am Ende blieb das ganze doch ein irdisches Unternehmen. Wenn der Blitz wirklich einschlägt, dann ist das Publikum der Komischen beim Schlussapplaus jedenfalls deutlich ausdauernder als diesmal.
An der Komischen Oper in Berlin entfesselt Stefan Herheim für Jaques Offenbachs Blaubart die Theatergeister von damals und von heute, trifft aber nicht ganz so sicher wie an dem Haus mittlerweile üblich das richtige Tempo. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
König Bobèche
Königin Clémentine
Fleurette, danach Prinzessin Hermia
Prinz Saphir, anfangs Daphnis
Popolani, Alchemist im Dienste Blaubarts
Graf Oscar, Minister des Königs
Graf Mariza
Boulotte, Bäuerin
Fluerette en miniature
Daphnis en miniature
Héloise
Eléonore
Isaure
Rosalinde
Blanche
Gevatter Tod
Cupido
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