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La forza del destino

Melodramma in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit niederländischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h (zwei Pausen)

Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden, London
Premiere am 9. September 2017
(Rezensierte Aufführung: 1. Oktober 2017)


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De Nederlandse Opera
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Schicksalshafte Verstrickungen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Monika Rittershaus

Verdis La forza del destino ist ein schwieriger Stoff, auch wenn in den letzten Jahren immer wieder sein Potential als Antikriegsstück oder für das tiefenpsychologische Ausloten von Familiengeschichten entdeckt wurde - wirklich befriedigende Inszenierungen habe ich nur selten gesehen, und so sind es in Christof Loys Amsterdamer Produktion, die auch in London gezeigt werden wird, auch eher einzelne berührende Szenen, die in Erinnerung bleiben. Der Regisseur nutzt die lange Sinfonia, um eine (nicht hundertprozentig klare) Vorgeschichte zu zeigen, nämlich dass Leonora und Carlo bereits als Kinder nicht miteinander können, dass ein weiteres Kind des Marchese stirbt, dass die Mutter - vielleicht aus Gram darüber? - die Familie verlässt, die zudem allerhand religiöse Neurosen pflegt, in der Übergriffe an der Tagesordnung sind und die ihre nach Ausbruch strebende Tochter in dem riesigen Raum gefangen hält, der kaum ein Fenster hat, der bessere Zeiten gesehen hat und der leicht verändert in allen Szenen zu sehen ist, weniger ein konkreter Spielort als ein Seelenraum natürlich (Ausstattung: Christian Schmidt). Es ist kein Zufall, dass das einzige Fenster, das dem Zuschauer keinen Blick nach außen gewährt, geschlossen wird, als Leonora stirbt.


Vergrößerung Leonora (Eva-Maria Westbroek) liebt Don Alvaro (Roberto Aronica).

Zeit ist ein Thema für den deutschen Regisseur, Leonora etwa sehen wir zunächst als kleines Mädchen, am Ende dann als grauhaarige Frau, und auch die übrigen Protagonisten tragen nun graue Haare. Und in entscheidenden Momenten sehen wir die Gesichter der Protagonisten überlebensgroß als Video über die Szene gelegt, voller Entsetzen in der Szene, in der der Marchese zu Tode kommt. Loys Blick auf den Krieg, der die Folie für das private Geschehen liefert, ist ein sehr distanzierter, ästhetisierender, auch die Beziehung zwischen Alvaro und Carlo scheint für ihn weniger von Interesse, da plätschert vieles sehr ruhig vor sich hin, was immerhin angenehmer ist als der nervtötende Aktionismus anderer Produktionen. Aber da gibt es auch gerade in den ruhigeren Szenen sehr dichte Momente, Bilder, die fast wie Stilleben wirken, wozu das intensive Licht von Olaf Winter erheblich beiträgt, gerade auch ganz am Ende, wenn selbst die unsensiblen Klatschwütigen, die die vorgehenden Aktschlüsse verdorben hatten, vor der verklärten Intensität in die Knie gingen, sodass großer Beifall erst nach einigen Sekunden einsetzte.

Zu Christof Loys großen Qualitäten gehören nicht zuletzt seine Begabung, viele Mitwirkende präzis zu führen und diese nicht nur als Masse, sondern auch als Individuen zeichnen zu können (für die Solisten gilt das ohnehin und in besonderem Maße), sowie ein gutes Händchen fürs Inszenieren mitreißender "Revueszenen" (etwa beim Rataplan, einem grotesken Totentanz, den Bombengeräusche beenden), wobei Choreograf Otto Pichler daran keinen geringen Anteil gehabt haben dürfte. Angesichts solcher Meriten fallen die typischen "Loymätzchen" kaum ins Gewicht -wie etwa ein paar tanzende Männerpaare, die ziemlich aufgesetzt wirkende Kritik an der Institution Kirche (etwa vor Leonoras "La vergine degli angeli"), als die Fratres über sie herfallen, oder die einzelne Glühbirne aus dem Bühnenhimmel, die man wirklich leid ist.

Vergrößerung

Leonora (Eva-Maria Westbroek) flüchtet sich nach dem Tod ihres Vaters in den Schoß der Kirche.

Eva-Maria Westbroek ließ den Rezensenten ziemlich verstört zurück. Die Künstlerin wird besonders in ihrer niederländischen Heimat sehr verehrt, in Amsterdam singt sie neben Mailand, London und New York sehr regelmäßig Konzerte und Opernvorstellungen, aber es wurde diesmal doch recht offen diskutiert, ob die Forza-Leonora tatsächlich die richtige Partie für sie ist. Immerhin, die Künstlerin hat stets deutsches und italienisches Repertoire (und mehr) nebeneinander gesungen, in der laufenden Spielzeit wird sie Santuzza und Giorgietta in Puccinis Il tabarro singen, und es waren ja nie ausschließlich Italienerinnen, die dieses Fach dominiert haben. Zweifellos ist die Leonora eine der dramatischsten (und schönsten) Rollen, die Verdi für Soprane geschrieben hat, da braucht es in jedem Fall einige Stamina und Durchschlagskraft, über die Frau Westbroek natürlich verfügt (die sich selbst gern als Spinto, nicht als Hochdramatische bezeichnet und für die Zukunft folgerichtig Rollen wie Wagners Brünnhilde ausschließt). Und doch liegt hier auch das Problem: Die Höhe ist sehr hart geworden, scharf und metallisch, das Vibrato sehr ausladend, die Intonation über dem System zu ungenau (da geriet mancher Ton eine quälende Nuance zu tief), und da fehlt es eben auch an der nötigen Rundung und Wärme in der Stimme, am italienischen Stil auch, an Pianokultur und vielem mehr, mit dem die wirklich großen Vorgängerinnen nicht nur in den vier wunderbaren Arien geglänzt haben. Und damit bin ich bei einem weiteren Punkt, den Westbroeks Interpretationen bei aller Bewunderung für die an sich wunderbare Stimme und ihren großen, auch szenisch nie nachlassenden Einsatz immer von sehr guten getrennt haben: Auch diesmal wirkt ihre Herangehensweise nicht bis ins Letzte durchdacht, so, als hätte sie keine Zeit gehabt, die Partie wirklich in Ruhe einzustudieren.

Vergrößerung Carlo (Franco Vassallo) und Alvaro (Roberto Aronica), eben noch beste Freunde, entdecken die Identität des jeweils anderen.

Eine wahre Freude war dagegen der herrlich strömende, keine Grenzen kennende, besonders höhenstarke Kavaliersbariton von Franco Vassallo - was hört man in dieser und anderen Verdipartien mitunter für ein lautes Gebell. Roberto Aronica wusste auch manchen rauhen, gefährdeten, in einem Fall auch wegbrechenden Ton für ein differenziertes Portrait des Alvaro zu nutzen; wie sehr er die mitunter sehr metallische Stimme überstrapaziert, macht einem Sorge, aber effektvoll ist diese Art des Singens zweifellos.

Veronica Simeoni überzeugte als hintergründig-vielschichtige Preziosilla, die auch im letzten Akt noch einmal als eine Art geläuterte Kundry-Figur auf der Bühne beschäftigt war, eher szenisch als vokal, ihr Mezzo ist wirklich ein sehr durchschnittlicher mit deutlich hörbaren Grenzen in der dünnen Höhe wie in der vulgären Tiefe. Über einen vor Gesundheit und Kraft strotzenden, balsamischen Bass verfügt Vitalij Kowaljow als Padre Guardiano, dass er darstellerisch sehr zurückhaltend agierte, spielte da kaum eine Rolle. Das Gegenteil galt für Alessandro Corbelli, der mit seiner schrullig-komischen Lesart des Fra Melitone sofort zum Publikumsliebling avancierte und von einer erheblich in die Jahre gekommenen Stimme auf diese Weise perfekt ablenkte. Sehr erfreut war man über das Comeback von Roberta Alexander, die zum ersten Mal seit 1984 wieder auf der Amsterdamer Opernbühne stand und als Curra ihre große Charakterisierungskunst und eine reife, aber intakte Stimme in viel zu kurzen Momenten demonstrierte. Ähnliches lässt sich über James Creswells Marchese sagen. Hoher Comprimariostandard ist auch den weiteren Mitwirkenden zu attestieren, größtes Lob aber dem hervorragenden, wunderbar klingenden Chor des Hauses.

Vergrößerung

Alvaro (Roberto Aronica) hält die vom Bruder getötete Leonora (Eva-Maria Westbroek) in den Armen.

Michele Mariotti hatte mich mit seiner sehr aufmerksamen, überlegten Lesart von I due Foscari bei den diesjährigen Salzburger Festspielen sehr überzeugt, und auch an diesem Nachmittag erlebte man große Momente, aber auch eher Routiniertes. Der Italiener hat zweifellos ein Händchen für Steigerungen und Timing, für wohl durchdachte Tempi und sehr differenziert musizierte Details, aber mitunter hätte er namentlich die Protagonistin ein bisschen mehr unterstützen können.


FAZIT

Die ganz große Begeisterung konnte ich weder für die Produktion noch für die musikalische Seite entwickeln, aber zweifellos war dies eine der besseren Verdi-Vorstellungen, die man zur Zeit erlebt. Christof Loy scheitert nicht an dem reichlich krausen Libretto, aber trotz mancher Zutaten bekommt er den schwierigen Stoff aber auch nicht hundertprozentig in den Griff.
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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michele Mariotti

Inszenierung
Christof Loy

Bühne und Kostüme
Christian Schmidt

Licht
Olaf Winter

Choreografie
Otto Pichler

Choreinstudierung
Ching-Lien Wu



Koor van
De Nationale Opera

Nederlands
Philharmonisch Orkest


Solisten

Il marchese di Calatrava
James Creswell

Donna Leonora
Eva-Maria Westbroek

Don Carlo di Vargas
Franco Vassallo

Don Alvaro
Roberto Aronica

Preziosilla
Veronica Simeoni

Padre Guardiano
Vitalij Kowaljow

Fra Melitone
Alessandro Corbelli

Curra
Roberta Alexander

Un alcade
Roger Smeets

Mastro Trabuco
Carlo Bosi

Un chirurgo
Peter Arink





Weitere Informationen
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De Nederlandse Opera
(Homepage)



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