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Musiktheater
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Dialogues de Carmélites
(Gespräche der Karmelitinnen)


Oper in drei Akten (zwölf Bildern)
Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Georges Bernanos
Musik von Francis Poulenc


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)


Premiere im Theater Aachen am 15. April 2018



 

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Ein gottloses Familiendrama

Von Stefan Schmöe / Fotos: Ludwig Koerfer

Das Martyrium als Endzweck? Das dürfte in der christlichen Welt ein kaum konsensfähiger Gedanke sein, und das macht Francis Poulencs Dialogues des Carmélites ungeachtet der schönen Musik durchaus schwierig. Ein paar Wochen zuvor hat Ben Baur die Oper, die eine blutige Episode der französischen Revolution aufgreift, in Gelsenkirchen als grandioses Requiem für die unschuldig ums Leben gekommenen Menschen inszeniert. In Aachen wählt Regisseurin Ute M. Engelhardt mit ihren Ausstattern Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf einen Ansatz, der weniger auf die universelle humanistische Botschaft abzielt, sondern mehr auf die Frage der individuellen Haltung zum Tod und zur Todesangst. Damit fokussiert die Inszenierung ungleich stärker auf die Geschichte der Hauptfigur, der von Ängsten zerrissenen Blanche, die - obwohl nicht verhaftet - ihrem Gelübde zum Martyrium treu bleibt und den Mitschwestern zum Schafott folgt.

Vergrößerung in neuem Fenster Im Haus der Familie de la Force: Blanche wird ihrem Vater (links) und Bruder gleich verkünden, dass sie dem Karmelitinnen-Orden beitreten wird.

Das gelingt vor allem durch eine sehr genaue Personenregie, die durchweg alle Figuren stark individualisiert, auch wenn das im Stück nicht unbedingt vorgesehen ist. So deutet die Regisseurin nach dem Tod der alten Priorin einen regelrechten Machtkampf zwischen der Novizenmeisterin Mére Marie (die auf das Gelübde zum Martyrium drängt) und der letztendlich zur neuen Priorin gewählten Madame Lidoine (die aus Verantwortung gegenüber den Schwestern nach Wegen zum Überleben sucht). Man sieht die Todesangst der Nonnen angesichts der Hinrichtung, die manche mehr, manche weniger gefasst erwarten, und das alles sind belebende Momente in einer mitunter ja auch ziemlich textlastigen, dann wieder ritualhaften Oper, und so gewinnen diese Gespräche der Karmelitinnen an dramatischem Profil. Erzählt wird die Geschichte zeitlos, wobei die eindrucksvolle Ausstattung, die das Kloster auch wie eine Art Gefängnis erscheinen lässt, genug Bezüge zum (für die Handlung unverzichtbaren) historischen Kontext erkennen lässt.

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Im Kloster: Blanche (links) und die alte Priorin

So weit, so gut - aber das reicht der Regisseurin nicht, die eine Vorgeschichte in das Stück hineinkonstruiert, die zunehmend an Bedeutung gewinnt: Mére Marie, so der letztendlich ziemlich abstruse Gedanke, war früher einmal die Amme von Blanche, deren Mutter bei der Geburt verstarb; und den vergeblichen Versuch, als Ersatzmutter zu fungieren (ein erotisches Verhältnis zu Blanches Vater wird gleich miterzählt), kompensiert sie wohl mit ihrer Rolle im Kloster. Das alles wird in Rückblenden gezeigt, wobei man es ohne Hinweise aus dem Programmheft wohl kaum verstünde. Zur Ehrenrettung der Regie sei gesagt: Es gibt im dritten Akt der Oper tatsächlich eine Begegnung zwischen Blanche und Mére Marie (die die Novizin überreden möchte, zu den Schwestern zu eilen und den Tod auf sich zu nehmen), die eine solche Personenkonstellation denkbar werden lässt. Weil am Ende aber Blanche in den Tod geht, Marie dagegen untertaucht, verschieben sich die Akzente. Anders als in Gelsenkirchen, wo die Hinrichtung durch das Ausblasen von Kerzen nur angedeutet wurde, geht es in Aachen ziemlich direkt zu: Menschen aus dem Volk, man sollte wohl besser von Pöbel sprechen, streifen einer Nonne nach der anderen schwarze Hauben über, worauf diese tot zu Boden fallen (und im Hintergrund fließt pathetisch ein Blutstrom). Am Ende aber löst sich die Menge auf und Mére Marie bleibt allein auf der Bühne zurück und wird damit nachträglich zur Gegenspielerin Blanches aufgebaut, ja sogar zur heimlichen Hauptfigur: Die Dogmatikerin, die andere in den Tod schickt und selbst unversehrt bleibt. Nachdem die Geschichte aber aus der Perspektive Blanches erzählt wurde, fehlt es dieser Deutung, obwohl durchaus sorgsam vorbereitet, an gewichtigen Argumenten, und sie lässt sogar eine andere Lesart zu: Die böse Stiefmutter, könnte man überspitzt formulieren, überlebt die gute und reine Prinzessin. So endet eine an sich doch sehr beachtliche Regie als eher banales Anti-Märchen. Und vor lauter Familienpsychologie ist die ja nicht ganz unwesentliche Theologie, in der Musik unüberhörbar, völlig aus den Augen verloren gegangen.

Vergrößerung in neuem Fenster Mére Marie

Mag die Regie auch letztendlich durch das Schlussbild in Schieflage geraten - gespielt und gesungen ist das bravourös. Suzanne Jerosme ist eine großartige Blanche, fast kindlich zu Beginn, zur selbstverantwortlich ihr Schicksal entscheidenden jungen Frau gereift am Ende, und das verkörpert sie auch stimmlich, mit mädchenhaftem, leuchtendem, zunehmend größerem Sopran. Irina Popoya singt die Mére Marie mit warmer, lyrischer Stimme. Katharina Hagopian ist eine sehr konzentrierte Madame Lidoine, die Spitzentöne liegen ihr zu hoch, ansonsten ist die Partie mit großer Intensität gesungen. Katja Starke gibt mit keineswegs alter Stimme eindrucksvoll die sterbende alte Priorin, Alexey Sayapin mit flammendem Tenor den hörbar bewegten und mitleidenden Bruder Blanches, Andrew Finden einen soliden Vater. Exzellent ist Faustine de Monés mit glockenhellem, nicht zu leichtem Sopran als junge Novizin Constance. Sehr homogen singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Elena Pierini), insbesondere auch die Choristinnen in der großartigen Schlussszene, in der beim gemeinsam begonnenen Salve Regina eine nach der anderen verstummt (bis nur noch Constance - und schließlich Blanche mit den letzten gesungenen Tönen - übrig sind).

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In Erwartung des Urteils: Die Nonnen des aufgelösten Klosters; ganz rechts die neue Priorin, Madame Lidoine

Sehr beachtlich spielt das Sinfonieorchester Aachen unter der Leitung des kommissarischen Generalmusikdirektors Justus Thorau. Der arbeitet ausgesprochen plastisch die unterschiedlichen Mittel heraus, derer sich Poulenc bei der Komposition bediente. Den explizit liturgischen Stücken (nicht nur das erwähnte Salve Regina), die den Gesamteindruck prägen, stehen durchaus bewegte, fast humoristische Momente gegenüber, die mitunter etwas vom Geist von Die Brüste des Tiresias abbekommen haben. Thorau setzt aber auch immer wieder mit scharfen Akkorden Akzente, die an Strawinsky erinnern. Mitunter klingt das ein wenig eklektizistisch, aber moderner und pointierter, weniger "romantisch" als bei Rasmus Baumann in Gelsenkirchen, dabei keineswegs zu kleinteilig.


FAZIT

Die Regie geht zwar letztendlich nicht auf, vermag aber durch die exzellente Personenführung und die engagierten Darsteller zu fesseln. Musikalisch sehr eindrucksvoll.





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Hinweis: Wir schließen uns in unserer Rezension der vom Theater Aachen verwendeten Schreibweise "Karmelitinnen" (statt "Karmeliterinnen", wie man es ebenfalls findet) an.

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Justus Thorau

Inszenierung
Ute C. Engelhardt

Bühne und Kostüme
Jeannine Cleemen
Moritz Weißkopf

Licht
Eduard Joebges

Chor
Elena Pierini

Dramaturgie
Christoph Lang


Extrachor und Opernchor Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Marquis de La Force
Andrew Finden

Blanche, seine Tochte
Suzanne Jerosme

Der Chevalier, sein Sohn
Alexey Sayapin

Madame de Croissy, Priorin
Katja Starke

Madame Lidoine, die neue Priorin
Katharina Hagopian

Mère Marie, Novizenmeisterin
Irina Popova

Soeur Constance, Novizin
Faustine De Monès

Mère Jeanne
Anne Lafeber

Soeur Mathilde
Margarita Dymshits

Der Beichtvater des Karmel
Patricio Arroyo

1. Kommissar
Hans Schaapkens

2. Kommissar
Rein Saar

Ein Offizier
Stefan Hagendorn

Kerkermeister
Pawel Lawreszuk

Thierry, Diener
Rein Saar

Javelinot, Arzt
Stefan Hagendorn

Karmelitinnen
Regina Achtelik
Kornelia Barwitzki
Lynn Borok-Melton
Ursula Brachmanski
Juliane Cromme
Martine David
Corinna Heller
Monika Kettenis
Jung-Ae Kim
Jolanta Kosira
Svetlana Meißel
Kim Savelsbergh
Antonella Schiazza
Annette Schmitz
Kathi Sommer-Uhländer

Mädchen
Emma Pospischill



Weitere Informationen
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Theater Aachen
(Homepage)





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