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Musiktheater
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Les Horaces

Tragédie lyrique in drei Akten und zwei Intermèdes
Libretto von Nicolas-François Guillard nach Pierre Corneilles Horace
Musik von Antonio Salieri


in französischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Produktion zwischen Les Talens Lyriques und dem Centre de Musique Baroque de Versailles (CMBV) in Zusammenarbeit mit Château de Versailles Spectacles

Konzertante Aufführung im Theater an der Wien am 18. Oktober 2016

 

 

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Theater an der Wien
(Homepage)

Wiederentdeckung eines Römer-Dramas

Von Thomas Molke

Antonio Salieri ist heutzutage den meisten nur noch als missgünstiger Rivale Mozarts ein Begriff, der auch an Mozarts Ableben nicht unbeteiligt gewesen sein soll. Was man allerdings vor allem aufgrund der berühmten Verfilmung des Dramas Amadeus von Peter Shaffer über Mozarts älteren Kollegen zu wissen glaubt, basiert auf einem Gerücht, das der Sänger Calisto Bassi verbreitet hat und dessen Wahrheitsgehalt heute nicht mehr überprüft werden kann. Auf den Opernbühnen führt Salieri immer noch ein Schattendasein, obwohl seine Werke bis in die 1820er Jahre in ganz Europa große Erfolge feiern konnten. Das Theater an der Wien, das sich in seiner Spielplangestaltung vor allem Opern abseits des gängigen Standardrepertoires widmet, versucht nun, zwei Werken von Mozarts "Rivalen" zu neuem Ruhm zu verhelfen, und hat neben einer szenischen Neuproduktion des Falstaff (siehe auch unsere Rezension) auch noch eine konzertante Aufführung von Les Horaces auf den Spielplan gestellt. Im Gegensatz zum Falstaff war dieses Werk jedoch bereits bei der Uraufführung am 2. Dezember 1786 in Versailles ein Misserfolg. Salieri versuchte zwar noch, die Oper zu retten, indem er für die zweite Aufführung in Paris das Ende abänderte, konnte allerdings nicht verhindern, dass das Stück nach nur drei Aufführungen abgesetzt wurde und in den Archiven verschwand. Aus dem in der französischen Nationalbibliothek erhaltenen Manuskript der Partitur ist die Oper nun in einer eigens für Christophe Rousset und sein Ensemble Les Talens Lyrique rekonstruierten Fassung im Theater an der Wien zu erleben.

Die Handlung geht auf eine bei dem römischen Geschichtsschreiber Titus Livius berichtete Episode aus dem 7. Jahrhundert vor Christus zurück, als das noch junge Rom unter seinem Herrscher Tullus Hostilius mit der benachbarten Stadt Alba Longa um die Vorherrschaft in Latium kämpfte. Um die beiden Völker zu schonen, sollte der Konflikt durch einen Kampf zwischen den drei besten Kriegern aus jedem Volk entschieden werden. Für Rom wurden die drei Horatier, für Alba Longa die drei Curatier ausgewählt. Als es einem der Horatier schließlich gelang, für Rom den Sieg zu erlangen, betrauerte seine Schwester bei den Feierlichkeiten laut den Tod der Curatier, da sie mit dem ältesten der drei Brüder verlobt war, und wurde von ihrem Bruder dafür getötet. Der französische Dichter Pierre Corneille erkannte das dramatische Potenzial in dieser Geschichte und verfasste daraus eine fünfaktige Komödie, in der die Schwester der Horatier den Namen Camilla (Camille) erhielt. Als weitere Figur führte er Sabina (Sabine) ein, eine Schwester der Curatier, die mit dem ältesten Bruder der Horatier verheiratet ist, um den Konflikt zwischen Vaterlandsliebe und Familie noch weiter zuzuspitzen.

Nachdem Salieri bereits 1784 mit der Uraufführung seiner Oper Les Danaïdes erfolgreich in Paris in Glucks Fußstapfen getreten war, sollte er auch die beiden weiteren Opern komponieren, die die französische Königin Marie Antoinette eigentlich bei Gluck in Auftrag gegeben hatte und die dieser aufgrund seines Rückzugs in den Ruhestand nicht mehr begonnen hatte. Eine Vertonung von Beaumarchais' Tarare verschob Salieri zunächst und widmete sich Corneilles Tragödie, die Nicolas-François Guillard, der Librettist von Glucks Iphigénie en Tauride, für ihn in ein dreiaktiges Libretto mit zwei kurzen Zwischenspielen umwandelte. Corneilles letzter Akt, in dem Horace wegen des Mordes an der Schwester der Prozess gemacht wird, wurde genauso gestrichen wie die Partie der Sabina. Guillard und Salieri konzentrieren den ganzen Konflikt folglich auf Camilles Gefühle. Ursprünglich sollte die Oper mit Camilles Selbstmord enden, doch als diese Fassung bei der Uraufführung in Versailles durchfiel, entschied Salieri sich kurzerhand für ein anderes Ende. Valère, ein Freund der Familie, bittet Horace, Nachsicht mit seiner trauernden Schwester zu haben und sich stattdessen über die Freiheit Roms zu freuen. So gehen Camilles Klagen im allgemeinen Jubel der Römer unter, was dramaturgisch noch schwächer als der ursprüngliche Schluss ist. Das Orakel, das ihr zu Beginn der Oper verkündet, bald wieder mit ihrem Verlobten vereint zu sein, wobei eine Vereinigung im Tod gemeint ist, wird folglich gegenstandslos.

Musikalisch lässt sich eine Affinität zu Glucks Iphigénie en Tauride nicht leugnen. Schon in der Ouvertüre ist der kriegerische Konflikt zwischen Rom und Alba Longa durch vermehrten Einsatz des Blechs unüberhörbar. Christophe Rousset findet mit seinem Ensemble Les Talens Lyriques einen packenden Zugang, auch wenn die Blechbläser an manchen Stellen nicht ganz sauber klingen. Der Großteil des ersten Aktes gehört dann musikalisch Camille. In direkt drei Arien darf sie im Tempel der Göttin Egeria zunächst ihre Verzweiflung zum Ausdruck bringen, dann die Göttin um Hilfe anflehen und anschließend nach dem verkündeten Orakelspruch auf ein glückliches Ende mit ihrem Geliebten Curiace hoffen. Judith van Wanroij gelingt es, mit ihrem flexiblen Sopran die jeweilige Stimmung der Figur sorgfältig herauszuarbeiten. Die leidenden Töne bringt sie mit zarter, beinahe schon fragiler Stimme hervor, um in dem folgenden Gebet mit warmem, beweglichem Sopran viel entschlossener zu klingen. Ihren Jubel lässt sie anschließend in strahlenden Höhen erklingen. Philippe-Nicolas Martin gibt mit dunklem Bariton dem Orakel einen fast schon übernatürlichen Klang. Eugénie Lefebvre gefällt als Frau im Gefolge Camilles mit zartem Sopran und unterstützt in den Chorpassagen die Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles.

Als alter Horace punktet Jean-Sébastien Bou mit markanten Tiefen, auch wenn seine Figur dramaturgisch nicht gut nachvollziehbar ist. Einerseits leidet er mit seiner Tochter Camille unter dem Kampf und will weder seine Söhne noch seinen designierten Schwiegersohn verlieren. Andererseits fügt er sich, ohne zu zögern, dem vermeintlichen Götterurteil und verflucht sogar seinen Sohn, als ihm berichtet wird, er sei vor den Curatiern geflohen. Ebenfalls eindimensional ist die Zeichnung der Söhne, Horace und Curiace. Cyrille Dubois überzeugt als Curiace zwar stimmlich mit strahlendem Tenor, der auch die Spitzentöne meistert, ohne dabei forcieren zu müssen. Wenn er seiner Verlobten im Duett allerdings erklärt, dass er den Kampf um das Vaterland über seine Liebe zu ihr stellt, weiß man eigentlich nicht so recht, wieso Camille an ihrer Liebe zu ihm festhält. Ähnlich seelenlos wird sein Kontrahent, der junge Horace, gezeichnet, der von Julien Dran ebenfalls mit kräftigem Tenor präsentiert wird. Wahrscheinlich liegt es an der Schwäche dieser Charaktere, dass die Oper das Publikum damals nicht begeistern konnte.

Les Chantres du Centre de Musique Baroque de Versailles präsentieren sich stimmgewaltig, auch wenn beim Kampf eine differenzierte Aufteilung in Römer und Albaner wünschenswert gewesen wäre. So singt der Chor beide Seiten, was den Konflikt zwischen den beiden Parteien merklich abschwächt. Das Ensemble Les Talens Lyriques rundet unter der Leitung von Christophe Rousset den Abend musikalisch wunderbar ab, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt, in dem wahrscheinlich auch die Freude herauszuhören ist, dass man eine Ausgrabung erleben durfte, die fast 230 Jahre in den Archiven schlummerte. Mit einer CD-Einspielung der Produktion dürfte 2017 zu rechnen sein.

FAZIT

Der Versuch, Salieris Opernschaffen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ist grundsätzlich positiv zu betrachten. Ob Les Horaces dafür allerdings das geeignete Werk ist, ist fraglich.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christophe Rousset

Chor
Olivier Schneebeli

 

Les Talens Lyriques

Les Chantres du Centre de
Musique Baroque de Versailles


Solisten

Camille
Judith van Wanroij

Curiace
Cyrille Dubois

Le jeune Horace
Julien Dran

Le vieil Horace
Jean-Sébastien Bou

L'Oracle / Un Albain / Valère / Un Romain
Philippe-Nicolas Martin

Le Grand-Prêtre / Le Grand-Sacrificateur
Andrew Foster-Williams

Une suivante de Camille
Eugénie Lefebvre

 


Weitere Informationen

Theater an der Wien
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