Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Parsifal

Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner



in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Untertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere an der Wiener Staatsoper am 30. März 2017


Homepage

Wiener Staatsoper
(Homepage)

Wenn das Hirn leuchtet ...

Von Roberto Becker / Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Im Programmbuch zum neuen Wiener Parsifal gibt es einen langen Anhang mit Fotos prominenter Besetzungen der Vergangenheit. Allein in der Vorgängerinszenierung von Christine Mielitz aus dem Jahre 2004 haben Thomas Quasthoff, Stephen Gould, Waltraud Meier, Matthias Goerne, Jonas Kaufmann, Evelyn Herlitzius, Peter Seifert und Johann Botha, Violetta Urmana und Thomas Hampson, Angela Denoke und Michael Volle, Thomas Moser und Falk Struckmann auf der Bühne gestanden. Allein dieses „Who is Who“ der Wagnersänger von Rang belegt, dass die Wiener Staatsoper ein Haus für dieses Ausnahmewerk ist. Nun geben Dirigent Semyon Bychkov und Regisseur Alvis Hermanis den musikalischen und szenischen Rahmen vor.

Szenenfoto kommt später

So sieht er aus, der Parsifal für das Jugendstil-vernarrte Wien

Die exzellente Sängerriege wird diesmal von René Pape als Gurnemanz angeführt, der kurz vor der Generalprobe für den erkrankten Hans-Peter König einsprang, seine Partie hoch souverän meisterte und am Ende berechtigterweise den meisten Beifall bekam. Als Kundry debütierte die Schwedin Nina Stemme. Mit dramatischer Eloquenz und Wärme verlässt sie am Ende gestärkt und vielleicht sogar gesundet diesen pompös ausgestatteten Gralsbezirk. Hörbar bewährt und sicher bewältigt Christopher Ventris die Titelpartie. Grandios leidend singt Gerald Finley den Gralskönig Amfortas. Jochen Schmeckenbecher bleibt als Klingsor etwas hinter der diabolischen Dimension der Rolle zurück, doch auch er glänzt mit großer Wortverständlichkeit und gestaltendem Ausdruck. Alle übrigen Rollen sind so sorgfältig besetzt, wie es dem Selbstverständnis des Hauses entspricht.

Semyon Bychkov setzt am Pult des Staatsopernorchesters auf ein getragenes Tempo und brauchte für den ersten Aufzug 1 Stunde 46 Minuten. Er vermag natürlich allerhand von der Leuchtkraft und der Magie dieser Musik zu entfalten, doch treffen ihn am Ende etliche Buhs. Vermutlich, weil er sich etwas zu sehr in den Gralsdonner steigerte und andererseits auch wieder zu bedächtig dehnte.

Szenenfoto kommt später

Parsifal und Klingsor, hinten Kundry

Über dem mit der Pracht des Wiener Jugendstils protzenden Einheitsbühnenraum fällt der Schriftzug „Wagner-Spital“ ins Auge. Der meint freilich nicht den Komponisten Richard, sondern den Architekten Otto. Was wir sehen, ist eine Kulissenvariante des berühmten Otto-Wagner-Spitals in Wien. Mit dieser opulenten Ausstattungsidee hat Hermanis, der wie immer zugleich für die Bühne steht, allerdings seinen Trumpf schon ausgespielt. Dass die Engel der Kirche, die zum Spital gehört, den Eindruck des Bühnenambientes noch verstärken und die Altarkuppel, die bei der Grals-Enthüllung von der Decke und sich auf ein immer größer dimensioniertes Modell eines Gehirns senkt, kann man in einem Spital als Interieur durchaus akzeptieren. Der eigentliche Gral ist vom Kelch zu einer Swarowsky-Variante des menschlichen Gehirns geworden, das bei Bedarf hereingetragen wird und leuchtet wie die LED-Deko in den Wiener Läden der österreichischen Glitzerschmuckfirma in der Kärntner Straße.

Die Arbeit am Gehirn der Doktoren Gurnemanz oder Klingsor, ob im Gespräch auf der Couch oder mit dem Elektroschocker und dem Bohrer, gehört offenbar zu den hauptsächlichen Therapie-Ansätzen für die Patienten dieser Klinik, in der wie auf dem Zauberberg ein mit weißem Kittel ausgestatteter Gurnemanz das Sagen hat. Dass der ausgerechnet Klingsor den Schlüssel in die Hand drückt, mit dem er das vergitterte Spezialbett verschließt, in das Kundry verfrachtet wird, lässt tief blicken. Oder ist halt einfach nur recht praktisch in einem Einheitsbühnenraum. Klingsor jedenfalls versucht zunächst mit kräftigen Stromstößen, Tote zu erwecken. Bei einer davon muss es sich um Parsifals Mutter Herzeleide handeln. Immerhin macht der Schrei Kundrys hier Sinn, denn auch sie soll dieser Behandlung unterzogen werden. Des Effektes wegen erheben sich plötzlich die abgedeckten Toten in diesem anatomischen Gruselkabinett und sind die Blumenmädchen. Die entblättern sich bis aufs züchtig geschnürte Korsett und die knielangen Unterhosen. Um Parsifal zu verführen? Ohne Erfolg, versteht sich.

Szenenfoto kommt später

Prsifal und Kundry

Ebenso von der Ausstattung her gedacht ist die Gralsgesellschaft selbst. Ein Sammelsurium der Wiener Kulturelite um die vorvorige Jahrhundertwende. Klimt etwa. Bei anderen muss man raten. Ob die nur zum Gralsevent mal vorbeischauen oder ob die ganze Gesellschaft in Behandlung ist, wird nicht so ganz klar. Jedenfalls schauen sie bei der letzten Gralsenthüllung so in die Röhre wie Parsifal bei der ersten. Sie verstehen nix und rühren sich nicht von der Stelle. Im Grunde ist das der abschließende Offenbarungseid der Regie, die gar nicht erst versucht hat, mit dem Stück etwas anzufangen.

Szenenfoto kommt später

Mehr Hirn! Aber die Ratlosigkeit bleibt.

Aufregender als die Inszenierung, die es vor allem schafft, dass man am Ende erst einmal genug vom Jugendstil hat (was ja eine ziemliche Leistung ist), waren wieder einmal die Statements des Letten, der in Hamburg am Thalia sein Engagement gekündigt hat, weil ihm die deutsche Flüchtlingspolitik nicht passt. Höhepunkt war diesmal ein Satz im Wiener „Standard“: „Wenn ich heute eine Wiener Zeitungen lese, dann sehe ich, dass meine Sicht von damals heute Regierungspolitik ist. Die Zeitungen von Deutschland erinnern mich hingegen immer noch an die der Sowjetunion: Wenn jemand eine abweichende Meinung hat, dann wird er zum Feind.“ So spricht ein Lette, der in Deutschland und Österreich italienische und deutsche Opern inszeniert. Dabei aber leider nur die Verpackung im Blick hat. Und so was wie eine triftige Personenregie beiseite lässt. Von einer ambitionierten Deutung ganz zu schweigen. Da kann Bayreuth froh sein, dass der ursprünglich mal geplante Lohengrin-Kelch am Grünen Hügel vorüber gegangen ist.


FAZIT

Wien hat einen neuen Parsifal mit Ur-Wiener Ambiente. Musikalisch hat die Produktion ihre Vorzüge - die Regie von Alvis Hermanis freilich streckt die Waffen vor dem Werk.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Semyon Bychkov

Inszenierung und Bühne
Alvis Hermanis

Kostüme
Kristine Jurjane

Licht
Gleb Filshtinsky

Video
Ineta Sipunova

Chorleitung
Martin Schebesta



Chor der Wiener Staatsoper

Extrachor der Wiener Staatsoper

Kinder der Opernschule der Wiener Staatsoper

Orchester der Wiener Staatsoper


Solisten

Amfortas
Gerald Finley

Gurnemanz
Renè Pape

Parsifal
Christopher Ventris

Klingsor
Jochen Schmeckenbecher

Kundry
Nina Stemme

Titurel
Jongmin Park

Erster Gralsritter
Benedikt Kobel

Zweiter Gralsritter
Clemens Unterreiner

Erster Knappe
Ulrike Helzel

Zweiter Knappe
Zoryana Kushpler

Dritter Knappe
Thomas Ebenstein

Vierter Knappe
Bror Magnus Tødenes

Blumenmädchen
Ileana Tonca
Olga Bezsmertna
Margaret Plummer
Hila Fahima
Caroline Wenborne
Ilseyar Khayrullova

Stimme von oben
Monika Bohinec



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Wiener Staatsoper
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -