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Three Tales

Video-Oper in drei Teilen
Video von Beryl Korot
Musik von Steve Reich

In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 17. September 2016


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Drei radikale Ereignisse des 20. Jahrhunderts als Video-Oper


Von Thomas Molke / Fotos: © Uwe Stratmann

Die Wuppertaler Oper hat wieder ein Solisten-Ensemble. Diese Aussage vom neuen Opernintendanten Berthold Schneider wurde bei der Gala zur Spielzeiteröffnung vor zwei Wochen mit großer Begeisterung vom Publikum goutiert, und damit hat Schneider schon einmal einen Grundstein dafür gelegt, dass er in Wuppertal mit offenen Armen aufgenommen wird. Bei einer so großen Erwartungshaltung ist es verständlich, dass er die Saison direkt mit zwei Produktionen eröffnet nach dem Motto: Nicht kleckern, sondern klotzen. Den Anfang macht am Samstag eine Video-Oper, die ihre Uraufführung 2002 bei den Wiener Festwochen erlebte und seitdem nur auf Festivals gespielt wurde, ein absolutes Novum also für ein Opernhaus. Die Musik stammt von Steve Reich, der als Mitbegründer der Minimal Music gilt, und um das Publikum mit dessen Musikstil vertraut zu machen, lässt Schneider das Publikum vor der Vorstellung gemeinsam mit einem Schlagzeuger Reichs Clapping Music klatschen. Als witzige Eselsbrücke für den Rhythmus beweist Schneider mit dem Spruch "Wuppertal - Barmen - El-berfeld" auch bereits eine Spur Lokalpatriotismus.

Three Tales ist ein Stück über die technischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts und greift drei Ereignisse heraus, die für das Jahrhundert von großer Bedeutung waren: die Explosion des Luftschiffes Hindenburg in New Jersey 1937, die Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll zwischen 1946 und 1952 und das geklonte Schaf Dolly 1997. Beryl Korot verwendet für die Projektionen dokumentarisches Videomaterial, das er mit neuen Mitteln der Technik bearbeitet. Die gesprochenen Texte in den Videos werden dabei von Reich in den Rhythmus der Musik integriert und teilweise von fünf technisch verstärkten Solisten verzerrt übernommen. Das Publikum sitzt auf der Bühne des Opernhauses auf klinisch weißen Drehstühlen, die an ein Versuchslabor erinnern, und wird somit Teil der Aufführung. Die Videos werden beim ersten Teil auf die Rückwand, bei den anderen beiden Teilen auf eine Leinwand über dem Orchester und den Solisten projiziert, so dass die Zuschauer von den Bildern gewissermaßen eingerahmt werden. Auch musikalisch hat man das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein, wenn vom hinteren Teil der Bühne aus ein Klang erzeugt wird, der an die Ambosse bei Wotans und Loges Abstieg nach Nibelheim in Wagners Das Rheingold erinnert.

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Das Publikum zwischen den Musikern und Solisten auf der linken und Video-Projektionen der Hindenburg auf der rechten Seite

Die erste Geschichte behandelt mit der Explosion und dem Absturz der Hindenburg die erste technische Katastrophe, die auf Film festgehalten ist. Zu unruhigen Klängen, die sich in leichter Variation ständig wiederholen, sieht man auf der Rückwand in historischen Aufnahmen, wie die Hindenburg in New Jersey in Flammen aufgeht. Die Großaufnahme des brennenden Luftschiffes führt dem Zuschauer das Ausmaß der Katastrophe vor Augen. Die Solisten erinnern in ihrem Gesang an einen klagenden antiken Chor. Kolot zeigt nun das Luftschiff in mehreren kleineren Abbildungen auf seinem Flug, um es dann immer wieder in Großaufnahme explodieren zu lassen. So korrespondieren die sich ständig wiederholenden Bilder mit Reichs musikalischem Aufbau der Szene. Interessant wird vor allem der zweite Abschnitt der Geschichte gestaltet, wenn der Bau der Hindenburg in modernen Bildern nachgestellt wird und die Musik mit den Ambossen zum einen das oben erwähnte Thema aus dem Rheingold aufnimmt, zum anderen aber in der Melodie auch an den Walkürenritt erinnert. Wenn man dazu Techniker quasi in das Bild klettern sieht, hat man das Gefühl von Wesen, die sich wie die Walküren durch die Lüfte schwingen.

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Atombombentests im Bikini-Atoll: Jonathan Stockhammer mit den Musikern (im Hintergrund von links: Dustin Smailes, Andreas Karasiak, Christian Sturm, Rlitsa Ralinova und Nina Kouvochristou)

Erwähnenswert sind auch die religiösen Anspielungen. Wenn man die Hindenburg auf ihrem Flug hinter Kirchturmspitzen sieht, wird die menschliche Hybris deutlich, die dem ganzen Projekt zugrunde lag. Deutlicher werden die Anspielungen in der zweiten Geschichte über die Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll. Reich und Kolot greifen dabei auf die Schöpfungsgeschichte zurück. Die Amerikaner, die mit ihren Tests auf den Marschallinseln den Anfang des Kalten Krieges markieren, stehen für die Menschen, denen die Herrschaft über die Erde und das Leben auf diesem Planeten übergeben wird. Die Bewohner der Insel symbolisieren den friedlichen Menschen, der den Garten Eden bebauen soll. Beeindruckend lässt Korot die historischen Bilder mal in eine Art Negativ umspringen, so dass man das Gefühl einer Explosion hat, und mal in ein Gemälde übergehen, das die Menschen seltsam verzerrt. Die Vertreibung der Inselbewohner aus ihrer Heimat erreicht in den Bildern damit eine bedrückende Intensität. Grausam wirken auch die Bilder, in denen Tiere gegen ihren Willen abtransportiert werden, um die Auswirkungen der Atombombentests auf "Fleisch" zu sehen. Wenn dann während der ganzen Geschichte auch noch von zehn auf eins herabgezählt wird, hat man den Wunsch, die Geschehnisse aufzuhalten, muss allerdings erkennen, wie machtlos der Mensch als "Herrscher" über die Erde geworden ist.

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Künstliche Intelligenz als Technologie der Zukunft in "Dolly"

Nach diesen beiden Katastrophen kommt man in der dritten Geschichte in der Gegenwart an, die mit dem geklonten Schaf Dolly und den ersten sprechenden Maschinen keineswegs beruhigender wirkt. Hier nehmen die Interviews mit diversen Wissenschaftlern einen ganz besonderen Raum in der Musik und der Rhythmik ein. So wird beispielsweise bei einem Wissenschaftler immer wieder das Wort "Machines" dupliziert. Als Gegenpol zu den Wissenschaftlern wird der Rabbiner Adin Steinsaltz eingespielt, der die religiöse Komponente auch in die dritte Geschichte einbindet, indem er zum einen eine Geschichte erzählt, in der ein Mensch einen Maschinenmenschen geschaffen hat, der ihn bittet, ihn zu zerstören, wenn man den Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht mehr feststellen könne, und zum anderen kritisiert, dass es die eigentliche Sünde des Menschen sei, es zu eilig zu haben und zu viel in die Schöpfung einzugreifen. So lässt auch die dritte Geschichte den Zuschauer nachdenklich zurück. Reichs Musik, die von nur acht Musikern unter der Leitung von Jonathan Stockhammer umgesetzt wird, geht eine großartige Symbiose mit den erzählten Geschichten ein. Unter den fünf Solisten befinden sich zwar mit Ralitsa Ralinova und Nina Koufochristou nur zwei neue Ensemble-Mitglieder, aber Christian Sturm, der für diese Produktion als Gast zurückkehrt, ist hier in Wuppertal kein Unbekannter, da er doch vor Kamiokas Intendanz zum festen Opernensemble gehörte, und auch Dustin Smailes ist dem einen oder anderen vielleicht noch aus der Zeit vor seiner professionellen Ausbildung zum Musical-Darsteller aus dem TiC in Cronenberg bekannt.

FAZIT

Berthold Schneider schafft einen gelungenen Einstieg in seine Intendanz und geht mit der Video-Oper in Wuppertal neue Wege, die neugierig auf das machen, was noch kommt.

Die Rezension zur Premiere Hoffmanns Erzählungen vom folgenden Tag finden Sie hier.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jonathan Stockhammer

Szenische Einrichtung
Berthold Schneider

Raum
Katrin Wittig

 

Klavier
Michael Cook /
Christian Dammann
Maki Hayashida

Schlagzeug
Werner Hemm /
Ralf Zartmann

Vibraphon
Benedikt Clemens /
Daniel Häker

Violine 1
Nikolai Mintchev /
Axel Heß

Violine 2
Ulrike Nahmmacher /
Martin Simon

Viola
Hikaru Moriyama /
Momchil Terziyski

Violoncello
Michael Kempa /
Hyeonwoo Park

Solisten

Sopran
Nina Koufochristou
Ralitsa Ralinova

Tenor
Andreas Karasiak
Dustin Smailes
Christian Sturm


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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