Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Rigoletto

Oper in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Schauspiel Le Roi s'amuse von Victor Hugo
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 9. April 2017


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Willkommen im osteuropäischen "Mantua"


Von Thomas Molke / Fotos: © Wil van Iersel

19 Texte sollen Giuseppe Verdi zur Auswahl gestanden haben, als er sich, ganz auf seinen Theaterinstinkt verlassend, mit Victor Hugos knapp 20 Jahre zuvor uraufgeführtem Stück Le Roi s'amuse für einen Stoff entschied, der nicht nur gegen die gängige Opernkonvention verstieß und mit der buckeligen Titelfigur einen der vielschichtigsten Charaktere der Opernliteratur schuf, sondern genau wie Hugos Theaterstück die Zensur auf den Plan rief, so dass die Oper erst nach Verlegung der Handlung an den Hof eines fiktiven Herzogs von Mantua, der in der Vorlage dann auch nur Duca genannt wird, am 11. März 1851 im Teatro la Fenice zur Uraufführung gelangen konnte. Heute bildet Rigoletto zusammen mit Il trovatore und La traviata die sogenannte "Trilogia popolare" und gehört zum festen Standardrepertoire der Bühnen, und auch wenn La traviata in der Rangliste der beliebtesten Opern noch vor Rigoletto steht, dürfte die berühmte Tenorarie "La donna è mobile" schon allein durch die Werbung einen noch größeren Bekanntheitsgrad in allen Bevölkerungsschichten bekommen haben. Generalintendant Berthold Schneider, der in seiner ersten Spielzeit an der Wupper mit Steve Reichs Video-Oper Three Tales, Prokofjews Liebe zu den drei Orangen und Helmut Oehrings AscheMond nicht gerade das Standardrepertoire bedient hat, hat vielleicht gerade deshalb dieses Werk als letzte szenische Premiere auf den Spielplan gesetzt.

Bild zum Vergrößern

Der Herzog von Mantua (Sangmin Jeon, Mitte) lässt sich von seinen Höflingen wie ein König feiern.

Natürlich stellt sich bei einem so gängigen Stoff, den die meisten Opernbesucher schon häufig gesehen haben, immer wieder die Frage nach der Inszenierung, da für die meisten Theaterschaffenden der Ausdruck "museal" ja einem Schimpfwort gleichkommt und man immer bestrebt ist, auf der Bühne etwas Neues zu erfinden. Auch der junge russische Regisseur Timofej Kuljabin beschließt, die Handlung der Oper in die Gegenwart zu verlegen, und stößt dabei auf das Problem, wo sich diese Geschichte in der heutigen Zeit überhaupt noch glaubhaft ereignen könnte. Eine derart von Männern dominierte Gesellschaft würde vielerorts heutzutage die Gleichstellungsbeauftragten auf den Plan rufen, und so verlegt Kuljabin das Stück in einen fiktiven osteuropäischen Staat namens "Mantua", der zahlreiche auch heute leider noch existente posttotalitäre Züge aufweist. Der Herzog von Mantua ist der Spitzenkandidat einer Partei namens "Mantua United", die mit dem Emblem eines Wildschweins anzudeuten scheint, dass man in diesem Staat eigentlich keine richtige Wahl hat. So passt es, dass sich dieser Herzog mit seinen totalitären Machtbefugnissen wie ein König feiern lässt und nur nach seinen eigenen Gesetzen lebt. Die Höflinge buckeln, denn sonst geht es ihnen wie Monterone, der aufbegehrt und dafür ins Gefängnis wandert.

Bild zum Vergrößern

Gilda (Ruslana Koval) mit Rigoletto (Pavel Yankovsky) in der Nervenheilanstalt

Rigoletto ist hier kein buckeliger Narr, sondern ein Talkmaster, der im staatlichen Fernsehen mit "Rigoletto's World" auf einem Sender, der den zum Staat passenden Namen "ManTV" trägt, die "Wahrheit" verkündet und deshalb von den Höflingen gleichermaßen gefürchtet und gehasst wird. Wie er über die Medien Menschen vernichten oder diffamieren kann, wollen auch sie ihn verletzen, und da kommt ihnen Gilda, die sie zunächst für seine heimliche Geliebte halten, gerade recht. Aber wie motiviert man in der heutigen Zeit die Figur der Gilda? Wieso lässt sie sich dermaßen von ihrem Vater von der Realität abkapseln und weiß weder etwas über seinen Beruf noch über seine Vergangenheit? Auch hierfür findet Kuljabin eine plausible Erklärung. Gilda ist Insassin einer Nervenheilanstalt und lebt in einer Traumwelt. Da wird es nachvollziehbar, dass sie sich unsterblich in den als Student getarnten Herzog verliebt und auch nicht wirklich begreift, welche Gewalt ihr im Schlafzimmer des Herzogs widerfährt. Anders lässt es sich kaum erklären, dass sie nach diesen Demütigungen immer noch bereit ist, für den Herzog am Ende ihr eigenes Leben zu geben, obwohl sie vorher gesehen hat, dass er sie mit Maddalena betrügt.

Bild zum Vergrößern

Fragwürdige Liebeserklärung: Maddalena (Catriona Morison, Mitte) und der Herzog von Mantua (Sangmin Jeon, links) (auf der rechten Seite: Gilda (Ruslana Koval) und Rigoletto (Pavel Yankovsky))

Bis zu diesem Punkt ist die Geschichte schlüssig erzählt. Doch leider baut Kuljabin noch weitere Verstrickungen ein, bei denen das Konzept dann ins Wanken gerät. Den gedungenen Mörder Sparafucile als Security-Mitarbeiter und Maddalena als Kellnerin beim Herzog einzuführen, ist zwar fragwürdig, bietet allerdings die Möglichkeit, die Schenke im dritten Akt, in der der Herzog absteigt, direkt in die politische Schaltzentrale zu verlegen, in der auch die ersten beiden Akte spielen. Dass Maddalena nach dem Quartett "Bella figlia dell'amore", in dem der Herzog sie verführt, während Rigoletto seiner Tochter währenddessen die Untreue des Herzogs vor Augen führt, den Herzog wirklich schützen will, bleibt nach der szenischen Umsetzung des Quartetts jedoch unmotiviert. Statt Maddalena zu umgarnen, versetzt der Herzog nach vorherigem Kokain-Konsum sie mit russischem Roulette in Angst und Schrecken und zwingt sie sogar, sich die Pistole an die Stirn zu setzen und abzudrücken. Die Angst, die in diesem Moment aus Catriona Morisons Augen als Maddalena spricht, macht absolut unglaubwürdig, dass sie anschließend ihren Bruder anfleht, ein derartiges Monster zu verschonen. Das flackernde Licht beim aufziehenden Gewitter wirkt etwas lächerlich, da Gilda die Szene nicht von draußen, sondern von einem Nebenraum aus beobachtet und in dem Zimmer wohl kaum Schutz vor einem Sturm suchen müsste.

Bild zum Vergrößern

Betrug: Rigoletto (Pavel Yankovsky) findet statt des toten Herzogs seine sterbende Tochter Gilda (Ruslana Koval).

Streitbar ist sicherlich der Schluss inszeniert. Vom Publikum wird es immer wieder belächelt, wenn sich die eigentlich schon tote Gilda wieder aus dem Leichensack erhebt und in einer letzten herzzerreißenden Arie ihren Vater um Verzeihung bittet, bevor sie in seinen Armen stirbt. Auch hierfür sucht Kuljabin eine plausible Lösung. Gilda scheint durch den Plastiksack unter enormem Sauerstoffmangel gelitten zu haben, so dass sie nun völlig den Verstand verloren hat und ihre letzten Beteuerungen geistesabwesend und regelrecht stammelnd von sich gibt, so dass Rigoletto seiner Tochter das Genick bricht, um sie von ihrem Leiden zu erlösen. Bis dahin mag man dem Regieansatz folgen können, wenn man will. Nachdem Rigoletto jedoch verzweifelt erkannt hat, dass Monterones Fluch eingetroffen ist, begibt er sich wieder in den Saal und spielt seine Rolle im politischen Machtspiel einfach weiter. Über den Bildschirm flackert weiter seine Sendung "Rigoletto's World" und er nimmt mit den anderen Günstlingen und dem Herzog an einem riesigen Tisch Platz, so als ob gar nichts passiert wäre. Sind die Menschen heute wirklich so abgestumpft?

Musikalisch erreicht die Aufführung ein beachtliches Niveau. Mit Pavel Yankovsky hat man einen grandiosen Sängerdarsteller für die Titelpartie engagiert, der mit markanten Tiefen und durchschlagenden Höhen gleichermaßen zu punkten weiß. Die große Arie "Cortigiani", mit der Rigoletto die Höflinge anklagt und seine eigene Verzweiflung zum Ausdruck bringt, geht in Yankovskys eindringlicher Interpretation unter die Haut. Ruslana Koval begeistert als Gilda mit glockenklaren Sopran und bewegendem Spiel. Stolz darf man in Wuppertal auf Ensemble-Mitglied Sangmin Jeon sein, der sich hinter den namhaften Interpreten des Herzogs keineswegs zu verstecken braucht. Mit tenoralem Schmelz glänzt er sowohl in seiner Auftrittsarie "Questa o quella" als auch in der berühmten Bravourarie "La donna è mobile". Dabei präsentiert er sich darstellerisch als absolutes Scheusal, was vor allem in seiner Arie "Parmi veder le lagrime" zum Ausdruck kommt, wenn er sich scheinbar um die entführte Gilda sorgt. Hier demütigt er seine Frau, indem er nicht nur seine Untreue zur Schau stellt, sondern sie auch noch in Gildas Rolle zwingt. Dass seine Stimme hingegen Herzen dahinschmelzen lässt, wird auch im Quartett "Bella figlia dell'amore" deutlich. Catriona Morison überzeugt als Maddalena mit warmem Mezzo und aufreizendem Spiel. Sebastian Campione verleiht dem Sparafucile mit schwarzen Tiefen diabolische Züge, und Lucia Lucas lässt den Fluch Monterones mit bedrohlich dunklem Bariton ertönen. Der von Markus Baisch einstudierte Chor übernimmt auch mehrere kleine Solopartien und überzeugt durch homogenen Klang und große Spielfreude. Johannes Pell lässt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal Verdis Musik aus dem Graben regelrecht aufblühen und sorgt ebenfalls für große Emotionalität, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten gibt. Auch einzelne Unmutsbekundungen für das Regie-Team gehen im allgemeinen Jubel unter.

FAZIT

Musikalisch erlebt man hier Verdi vom Feinsten. Wenn man die Geschichte in die heutige Zeit übertragen will, geht Timofej Kuljabins Regie-Konzept zumindest in weiten Teilen auf.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Pell

Inszenierung
Timofej Kuljabin

Bühnenbild
Oleg Golovko

Kostüme
Galya Solodovnikova

Licht
Denis Solntsev

Bild-Design
Varvara Timofeeva

Chor
Markus Baisch

Dramaturgie
Ilya Kukharenko

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor der
Wuppertaler Bühnen

Statisterie der
Wuppertaler Bühnen


Solisten

*Premierenbesetzung

Herzog von Mantua
Sangmin Jeon

Rigoletto
*Pavel Yankovsky /
Marco Buhrmester

Gilda
*Ruslana Koval /
Ralitsa Ralinova

Graf von Monterone
Lucia Lucas

Graf von Ceprano
Oliver Picker

Marullo
Simon Stricker

Borsa
Mark Bowman-Hester

Sparafucile
Sebastian Campione

Maddalena
Catriona Morison

Giovanna
*Ute Temizel /
Katrin Natalicio

Gerichtsdiener
*Hak-Young Lee /
Javier Zapata

Page
*Banu Schult /
Katharina Greiß

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -