Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Willkommen im osteuropäischen "Mantua"
19 Texte sollen Giuseppe Verdi zur Auswahl gestanden haben, als er sich, ganz
auf seinen Theaterinstinkt verlassend, mit Victor Hugos knapp 20 Jahre zuvor
uraufgeführtem Stück Le Roi s'amuse für einen Stoff entschied,
der nicht nur gegen die gängige Opernkonvention verstieß und mit der buckeligen Titelfigur
einen der vielschichtigsten Charaktere der Opernliteratur schuf, sondern genau
wie Hugos Theaterstück die Zensur auf den Plan rief, so dass die Oper erst nach Verlegung der
Handlung an den Hof eines fiktiven Herzogs von Mantua, der in der Vorlage dann
auch nur Duca genannt wird, am 11. März 1851 im Teatro la Fenice zur
Uraufführung gelangen konnte. Heute bildet Rigoletto zusammen mit Il trovatore und La
traviata die sogenannte "Trilogia popolare" und gehört zum festen
Standardrepertoire der Bühnen, und auch wenn La traviata in der
Rangliste der beliebtesten Opern noch vor Rigoletto steht, dürfte
die berühmte Tenorarie "La donna è mobile" schon allein durch die Werbung einen
noch größeren Bekanntheitsgrad in allen Bevölkerungsschichten bekommen haben.
Generalintendant Berthold Schneider, der in seiner ersten Spielzeit an der
Wupper mit Steve Reichs Video-Oper Three Tales, Prokofjews Liebe zu
den drei Orangen und Helmut Oehrings AscheMond nicht gerade das
Standardrepertoire bedient hat, hat vielleicht gerade deshalb dieses Werk als
letzte szenische Premiere auf den Spielplan gesetzt. Der Herzog von Mantua (Sangmin
Jeon, Mitte) lässt sich von seinen Höflingen wie ein König feiern. Natürlich stellt sich bei einem so gängigen Stoff, den die
meisten Opernbesucher schon häufig gesehen haben, immer wieder die Frage nach der
Inszenierung, da für die meisten Theaterschaffenden der Ausdruck "museal" ja
einem Schimpfwort gleichkommt und man immer bestrebt ist, auf der Bühne etwas
Neues zu erfinden. Auch der junge russische Regisseur Timofej Kuljabin
beschließt, die Handlung der Oper in die Gegenwart zu verlegen, und stößt dabei
auf das Problem, wo sich diese Geschichte in der heutigen Zeit überhaupt noch
glaubhaft ereignen könnte. Eine derart von Männern dominierte Gesellschaft würde
vielerorts heutzutage die Gleichstellungsbeauftragten auf den Plan rufen, und so
verlegt Kuljabin das Stück in einen fiktiven osteuropäischen Staat namens
"Mantua", der zahlreiche auch heute leider noch existente posttotalitäre Züge
aufweist. Der Herzog von Mantua ist der Spitzenkandidat einer Partei namens
"Mantua United", die mit dem Emblem eines Wildschweins anzudeuten scheint, dass
man in diesem Staat eigentlich keine richtige Wahl hat. So passt es, dass sich
dieser Herzog mit seinen totalitären Machtbefugnissen wie ein König feiern lässt
und nur nach seinen eigenen Gesetzen lebt. Die Höflinge buckeln, denn sonst geht
es ihnen wie Monterone, der aufbegehrt und dafür ins Gefängnis wandert. Gilda (Ruslana Koval) mit
Rigoletto (Pavel Yankovsky) in der Nervenheilanstalt Rigoletto ist hier kein buckeliger Narr, sondern
ein Talkmaster, der im staatlichen Fernsehen mit "Rigoletto's World" auf einem
Sender, der den zum Staat passenden Namen "ManTV" trägt, die "Wahrheit"
verkündet und deshalb von den Höflingen gleichermaßen gefürchtet und gehasst
wird. Wie er über die Medien Menschen vernichten oder diffamieren kann, wollen
auch sie ihn verletzen, und da kommt ihnen Gilda, die sie zunächst für seine
heimliche Geliebte halten, gerade recht. Aber wie motiviert man in der heutigen
Zeit die Figur der Gilda? Wieso lässt sie sich dermaßen von ihrem Vater von der
Realität abkapseln und weiß weder etwas über seinen Beruf noch über seine
Vergangenheit? Auch hierfür findet Kuljabin eine plausible Erklärung. Gilda ist
Insassin einer Nervenheilanstalt und lebt in einer Traumwelt. Da wird es
nachvollziehbar, dass sie sich unsterblich in den als Student getarnten Herzog
verliebt und auch nicht wirklich begreift, welche Gewalt ihr im Schlafzimmer des
Herzogs widerfährt. Anders lässt es sich kaum erklären, dass sie nach diesen
Demütigungen immer noch bereit ist, für den Herzog am Ende ihr eigenes Leben zu
geben, obwohl sie vorher gesehen hat, dass er sie mit Maddalena betrügt. Fragwürdige Liebeserklärung:
Maddalena (Catriona Morison, Mitte) und der Herzog von Mantua (Sangmin Jeon,
links) (auf der rechten Seite: Gilda (Ruslana Koval) und Rigoletto (Pavel
Yankovsky)) Bis zu diesem Punkt ist die Geschichte schlüssig erzählt.
Doch leider baut Kuljabin noch weitere Verstrickungen ein, bei denen das Konzept
dann ins Wanken gerät. Den gedungenen Mörder Sparafucile als
Security-Mitarbeiter und Maddalena als Kellnerin beim Herzog einzuführen, ist
zwar fragwürdig, bietet allerdings die Möglichkeit, die Schenke im dritten Akt,
in der der Herzog absteigt, direkt in die politische Schaltzentrale zu verlegen,
in der auch die ersten beiden Akte spielen. Dass Maddalena nach dem Quartett
"Bella figlia dell'amore", in dem der Herzog sie verführt, während Rigoletto
seiner Tochter währenddessen die Untreue des Herzogs vor Augen führt, den Herzog
wirklich schützen will, bleibt nach der szenischen Umsetzung des Quartetts
jedoch unmotiviert. Statt Maddalena zu umgarnen, versetzt der Herzog nach vorherigem
Kokain-Konsum sie mit russischem Roulette in Angst und Schrecken und zwingt sie
sogar, sich die Pistole an die Stirn zu setzen und abzudrücken. Die Angst, die
in diesem Moment aus Catriona Morisons Augen als Maddalena spricht, macht
absolut unglaubwürdig, dass sie anschließend ihren Bruder anfleht, ein
derartiges Monster zu verschonen. Das flackernde Licht beim aufziehenden
Gewitter wirkt etwas lächerlich, da Gilda die Szene nicht von draußen, sondern
von einem Nebenraum aus beobachtet und in dem Zimmer wohl kaum Schutz vor
einem Sturm suchen müsste. Betrug: Rigoletto (Pavel
Yankovsky) findet statt des toten Herzogs seine sterbende Tochter Gilda (Ruslana
Koval). Streitbar ist sicherlich der Schluss inszeniert. Vom Publikum
wird es immer wieder belächelt, wenn sich die eigentlich schon tote Gilda wieder
aus dem Leichensack erhebt und in einer letzten herzzerreißenden Arie ihren
Vater um Verzeihung bittet, bevor sie in seinen Armen stirbt. Auch hierfür sucht
Kuljabin eine plausible Lösung. Gilda scheint durch den Plastiksack unter
enormem Sauerstoffmangel gelitten zu haben, so dass sie nun völlig den Verstand
verloren hat und ihre letzten Beteuerungen geistesabwesend und regelrecht
stammelnd von sich gibt, so dass Rigoletto seiner Tochter das Genick bricht, um
sie von ihrem Leiden zu erlösen. Bis dahin mag man dem Regieansatz folgen
können, wenn man will. Nachdem Rigoletto jedoch verzweifelt erkannt hat, dass
Monterones Fluch eingetroffen ist, begibt er sich wieder in den Saal und spielt
seine Rolle im politischen Machtspiel einfach weiter. Über den Bildschirm
flackert weiter seine Sendung "Rigoletto's World" und er nimmt mit den anderen
Günstlingen und dem Herzog an einem riesigen Tisch Platz, so als ob gar nichts
passiert wäre. Sind die Menschen heute wirklich so abgestumpft? Musikalisch erreicht die Aufführung ein beachtliches Niveau.
Mit Pavel Yankovsky hat man einen grandiosen Sängerdarsteller für die
Titelpartie engagiert, der mit markanten Tiefen und durchschlagenden Höhen
gleichermaßen zu punkten weiß. Die große Arie "Cortigiani", mit der Rigoletto
die Höflinge anklagt und seine eigene Verzweiflung zum Ausdruck bringt, geht in
Yankovskys eindringlicher Interpretation unter die Haut. Ruslana Koval
begeistert als Gilda mit glockenklaren Sopran und bewegendem Spiel. Stolz darf
man in Wuppertal auf Ensemble-Mitglied Sangmin Jeon sein, der sich hinter den
namhaften Interpreten des Herzogs keineswegs zu verstecken braucht. Mit
tenoralem Schmelz glänzt er sowohl in seiner Auftrittsarie "Questa o quella" als
auch in der berühmten Bravourarie "La donna è mobile". Dabei präsentiert er sich
darstellerisch als absolutes Scheusal, was vor allem in seiner Arie "Parmi veder
le lagrime" zum Ausdruck kommt, wenn er sich scheinbar um die entführte Gilda
sorgt. Hier demütigt er seine Frau, indem er nicht nur seine Untreue zur Schau
stellt, sondern sie auch noch in Gildas Rolle zwingt. Dass seine Stimme hingegen
Herzen dahinschmelzen lässt, wird auch im Quartett "Bella figlia dell'amore"
deutlich. Catriona Morison überzeugt als Maddalena mit warmem Mezzo und
aufreizendem Spiel. Sebastian Campione verleiht dem Sparafucile mit schwarzen
Tiefen diabolische Züge, und Lucia Lucas lässt den Fluch Monterones mit
bedrohlich dunklem Bariton ertönen. Der von Markus Baisch einstudierte Chor
übernimmt auch mehrere kleine Solopartien und überzeugt durch homogenen Klang
und große Spielfreude. Johannes Pell lässt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal
Verdis Musik aus dem Graben regelrecht aufblühen und sorgt ebenfalls für große
Emotionalität, so dass es am Ende frenetischen Applaus für alle Beteiligten
gibt. Auch einzelne Unmutsbekundungen für das Regie-Team gehen im allgemeinen
Jubel unter.
FAZIT
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Licht Bild-Design Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor der
Statisterie der Solisten*Premierenbesetzung Herzog von Mantua Rigoletto Gilda Graf von Monterone Graf von Ceprano Marullo Borsa
Sparafucile Maddalena Giovanna Gerichtsdiener Page
|
- Fine -