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Musiktheater
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Ariodante

Dramma per musica in tre atti HWV 33
Text von einem unbekannten Bearbeiter nach einer Episode aus Ariostos Orlando furioso und einem Libretto von Antonio Salvi
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca 3 3/4 Stunden – eine Pause

Premiere am 5. März 2017

 



(Homepage)

Ein lieto fine im Boxring

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Christoph Kalscheuer

Was ist Barockoper anderes als reines Sinnenvergnügen: prächtige Kostüme, aufwändige Ausstattung, spektakuläre Bühnenaktionen, Darstellungen heftigster Affekte, virtuose Stimmakrobaten und kapriziöse Darsteller, die sich  als Superstars bejubeln lassen. In der Barockzeit erwartete  sich jedermann ein Fest.

In der Stuttgarter Neuproduktion von Händels Ariodante ist äußerlich zunächst einmal nichts Barockes zu entdecken, aber sonst alles oben Genannte, also doch Oper im barocken Sinn aber absolut aktuellem Outfit. Und mit großer Faszinationskraft. Überbordende Spiellust und Freude am Oper Machen sind das Prinzip dieser Aufführung, die den weiten Kreis zwischen Komischem und Tragischem  überzeugend aufschließt.

Vor allem erweist sich die Staatsoper Stuttgart auf dem Feld des Barock auch musikalisch als äußerst versiert. Das Staatsorchester könnte es an diesem Abend mit jedem Spezialensemble für Alte Musik mühelos aufnehmen. Und auch die Sängerinnen und Sänger - nahezu komplett aus dem Stuttgarter Ensemble - stehen denen mit Barockexpertise keineswegs nach. Vokal sehr homogen und auf hohem Niveau ist die Sängerequipe auch darstellerisch exzellent aufgelegt.

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Tänzerische Leichtigkeit: Ensemble und Staatsorchester

Ziemlich sportiv geht es los, wenn zur Sinfonia alle Beteiligten wie zu einem Match in die Arena einlaufen, im Trainingsdress und selbstbewusst den Fans zuwinkend, die sich im Laufe dieses langen, aber überaus kurzweiligen Abends spürbar im Publikum herausbilden. Weiter geht es mit lustvollem Schminken, Auswahl der passenden Kostüme   und allmählicher Positionierung in der passenden Opernrolle. Alles fröhlich (manchmal auch ein bisschen Kindergarten), dynamisch, tänzerisch - in dieser Freude jedenfalls enorm ansteckend; kein Wunder, beginnt doch Ariodante dort wo andere Opern enden, nämlich mit der Hochzeit eines glücklichen Paares - Ginevra und Ariodante. So strahlt der erste Akt vor purer Ausgelassenheit. Ginevra singt davon, wie der angelegte Schmuck sie noch verführerischer für den Geliebten macht. Ana Durlovski bewältigt die Arie mit beeindruckender Geläufigkeit und wenn man von einiger Schärfe in der Höhe absieht, mit  stimmlicher Eleganz. Später, wenn Ginevra infolge einer Intrige bitteres Leid erfährt, wird die Sängerin eine berührende Ausdrucksstärke beweisen: „Komm Tod, du bist die Erlösung“.

In übermütiger Freude schwingt sich Diana Haller als Ariodante ans Reck und präsentiert dazu noch  phänomenale Stimmartistik. Im hochgefahrenen Graben erzeugt Giuliano Carella zu derart circensischer Selbstdarstellung mit dem Orchester den passenden Drive.

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Lust am Rollen-Spielen: Ana Durlovski, Josefin Feiler, Christophe Dumaux, Sebastian Kohlhepp, Diana Haller und Philipp Nicklaus

Doch bei eindimensionaler Ausgelassenheit bleibt die Inszenierung nicht stehen. Jossi Wieler und Sergio Morabito, für genaue Lesart der Stücke und szenische Gedankentiefe bekannt, zeigen selbstverständlich alle Ebenen des Stückes auf. Denn mit Beginn des 2. Akt entspinnt sich eine fürchterliche Intrige, die fast alle Figuren der Oper in seelische Krisen stürzt, mit Ausnahme des Intriganten selbst.

Diesen Höfling Polinesso zeigt der Countertenor Christophe Dumaux als zynischen Bösewicht in aller Coolness und misogyner Kälte. Weil er ein Auge auf Ginevra geworfen hat, bei ihr aber nicht ankommt, fädelt er ein übles Spiel ein, in dem Ginevra als Liebesverräterin erscheint und Ariodante diesem tragischen Missverständnis auf den Leim geht.

Schamlos benutzt Polinesso dazu Dalinda die in ihn verknallt ist, dafür aber die Avancen von Ariodantes Bruder Lurcanio zurückweist. Das  entsprechende Duett gegen Ende des 1. Akts ist in seiner subtil ausgearbeiteten Psychologie nur einer von zahlreichen szenischen Höhepunkten des Abends. Josefin Feiler zeigt diese „Hofdame“ mit schönem klarem Sopran zwischen Unbedarftheit und Berechnung. Den eher empfindsamen Lurcanio stattet der Tenor Sebastian Kohlhepp mit warm timbrierter Stimme aus.

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Schwere Erschütterung: Die unschuldig verurteilte Ginevra (Ana Durlovski) verabschiedet sich von ihrem Vater (Matthew Brook)

Ebenso wie die Regie intensive Bilder für Freude und Lebenslust in Händels Oper findet, so berührend sind die Szenen der Tragik und Trauer gestaltet. Und auch hier geben die Sängerdarsteller den Affekten überaus präsent Ausdruck. Zu den schönsten Arien im gesamten Werk Händels überhaupt gehört Ariodantes Arie „Scherza infida“, in der er seinem Schmerz über die vermeintliche Untreue Ginevras Ausdruck verleiht. Gebannt durfte man hier verfolgen, mit welchem Farbenreichtum Diana Haller diese Arie gestaltete und mit welch sensibler Anteilnahme das Orchester in Gestalt der  düster absteigenden Melodielinie im Fagott und der tragischen Schwere  des Pizzicato im Bass  diese Emotionen begleitete. Die Regie lässt Ariodante danach im Orchestergraben verschwinden und ganz im Sinne von Text und Musik sozusagen der Welt abhanden kommen.

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Beim Finale im Barock angekommen (Ensemble)

Das Zünglein an der Waage zwischen Leichtigkeit und Schwere bildet in dieser Inszenierung eine gehörige Portion  Ironie. Ginevras Schuld oder Unschuld soll sich im Gottesurteil erweisen, wofür laut Libretto dieser Ritteroper zwei edle Streiter für die Wahrheit kämpfen. Hier finden sich die Gegenspieler (anknüpfend an die anfängliche Sportskameradschaft) in einem veritablen Boxring wieder. Und während auf der Fläche oben das muntere Spiel abgeht,  bangt Ginevra darunter ihrem ungewissen Schicksal entgegen. So eng gefügt werden hier Komik und Tragik. Schließlich endet der Zweikampf übel für den Bösewicht und glücklich für alle sonstigen Beteiligten. Aber Ginevra bleibt bis zum Schluss benommen von der Schmach, die ihr angetan wurde; und zwar nicht allein von Polinesso und seinem Werkzeug Dalinda, sondern auch  ihrem Vater, der es aus Feigheit nicht vermochte, sich einschränkungslos zu ihr zu stellen. Das lässt in dieser Rolle Matthew Brook erkennen, wenn er dem Mitgefühl mit seiner Tochter eine deutliche Note Larmoyanz untermischt.

Am Schluss kommen endlich barocke Kostüme ins Spiel. So verabschiedet sich das Ensemble mit einem Augenzwinkern. Das in der Barockoper unvermeidliche lieto fine, das glückliche Ende: So schön es aussieht, so wirklichkeitsfremd ist es auch - eben barock. Aber nicht genug  solcher Desillusionierung, zu den Ballettmusiken (sie  sind hier dankenswert einmal nicht gestrichen!) werden Texte aus einem Essay von Jean Jacques Rousseau rezitiert, in denen sich der Aufklärer dezidiert als Frauenfeind und Verächter der Schauspielerei entpuppt. Jedoch kann besser und geistreicher als mit der vitalen Kraft dieser Aufführung derart Mäkelei nicht widersprochen werden.

FAZIT

Nach solch einer Aufführung darf auch der Kritiker einmal schwärmen. Einen derart inspirierenden Opernabend habe ich lange nicht erlebt. Und die Buhs, die sich ostentativ in den sehr langen und tosenden Schlussbeifall mischten, bleiben mir diesmal vollkommen unverständlich.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Carella

Inszenierung und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne und Kostüme
Nina von Mechow

Beleuchtungs - und Videokonzept
Voxi Bärenklau



Staatsorchester Stuttgart

Continuo
Franziska Finckh (Gambe)
Matthias Bergmann (Basse de Violon)
Andrea Baur,
Johannes Vogt
(Laute)
Jan Croonenbroeck (Cemablo)

 

Solisten

Der König von Schottland
Matthew Brook

Ginevra, seine Tochter
Ana Durlovski

Dalinda, Hofdame Ginevras
Josefin Feiler

Ariodante, Ritter, verliebt in Genevra
Diana Haller

Lurcanio, Ariodantes Bruder
Sebastian Kohlhepp

Polinesso, Herzog von Albany
Christophe Dumaux

Odoardo, Günstling des Königs
Philipp Nicklaus

Astolfo
Yehonatan Haimovich

 


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Staatstheater Stuttgart
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Da capo al Fine

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