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Ein lieto fine im BoxringVon Christoph Wurzel / Fotos: © Christoph Kalscheuer
Was ist Barockoper anderes als reines Sinnenvergnügen: prächtige
Kostüme, aufwändige Ausstattung, spektakuläre Bühnenaktionen,
Darstellungen heftigster Affekte, virtuose Stimmakrobaten und
kapriziöse Darsteller, die sich als Superstars bejubeln lassen.
In der Barockzeit erwartete sich jedermann ein Fest. Tänzerische Leichtigkeit: Ensemble und Staatsorchester
Ziemlich sportiv geht es los,
wenn zur Sinfonia alle Beteiligten wie zu einem Match in die Arena
einlaufen, im Trainingsdress und selbstbewusst den Fans zuwinkend, die
sich im Laufe dieses langen, aber überaus kurzweiligen Abends spürbar
im Publikum herausbilden. Weiter geht es mit lustvollem Schminken,
Auswahl der passenden Kostüme und allmählicher
Positionierung in der passenden Opernrolle. Alles fröhlich (manchmal
auch ein bisschen Kindergarten), dynamisch, tänzerisch - in dieser
Freude jedenfalls enorm ansteckend; kein Wunder, beginnt doch Ariodante dort wo andere Opern
enden, nämlich mit der Hochzeit eines glücklichen Paares - Ginevra und
Ariodante. So strahlt der erste Akt vor purer Ausgelassenheit. Ginevra
singt davon, wie der angelegte Schmuck sie noch verführerischer für den
Geliebten macht. Ana Durlovski bewältigt die Arie mit beeindruckender
Geläufigkeit und wenn man von einiger Schärfe in der Höhe absieht,
mit stimmlicher Eleganz. Später, wenn Ginevra infolge einer
Intrige bitteres Leid erfährt, wird die Sängerin eine berührende
Ausdrucksstärke beweisen: „Komm Tod, du bist die Erlösung“. Lust am Rollen-Spielen: Ana Durlovski, Josefin Feiler, Christophe Dumaux, Sebastian Kohlhepp, Diana Haller und Philipp Nicklaus
Doch bei eindimensionaler
Ausgelassenheit bleibt die Inszenierung nicht stehen. Jossi Wieler und
Sergio Morabito, für genaue Lesart der Stücke und szenische
Gedankentiefe bekannt, zeigen selbstverständlich alle Ebenen des
Stückes auf. Denn mit Beginn des 2. Akt entspinnt sich eine
fürchterliche Intrige, die fast alle Figuren der Oper in seelische
Krisen stürzt, mit Ausnahme des Intriganten selbst. Schwere Erschütterung: Die unschuldig verurteilte Ginevra (Ana Durlovski) verabschiedet sich von ihrem Vater (Matthew Brook) Ebenso wie die Regie intensive Bilder für Freude und Lebenslust in Händels Oper findet, so berührend sind die Szenen der Tragik und Trauer gestaltet. Und auch hier geben die Sängerdarsteller den Affekten überaus präsent Ausdruck. Zu den schönsten Arien im gesamten Werk Händels überhaupt gehört Ariodantes Arie „Scherza infida“, in der er seinem Schmerz über die vermeintliche Untreue Ginevras Ausdruck verleiht. Gebannt durfte man hier verfolgen, mit welchem Farbenreichtum Diana Haller diese Arie gestaltete und mit welch sensibler Anteilnahme das Orchester in Gestalt der düster absteigenden Melodielinie im Fagott und der tragischen Schwere des Pizzicato im Bass diese Emotionen begleitete. Die Regie lässt Ariodante danach im Orchestergraben verschwinden und ganz im Sinne von Text und Musik sozusagen der Welt abhanden kommen. Beim Finale im Barock angekommen (Ensemble) Das Zünglein an der Waage zwischen Leichtigkeit und Schwere bildet in dieser Inszenierung eine gehörige Portion Ironie. Ginevras Schuld oder Unschuld soll sich im Gottesurteil erweisen, wofür laut Libretto dieser Ritteroper zwei edle Streiter für die Wahrheit kämpfen. Hier finden sich die Gegenspieler (anknüpfend an die anfängliche Sportskameradschaft) in einem veritablen Boxring wieder. Und während auf der Fläche oben das muntere Spiel abgeht, bangt Ginevra darunter ihrem ungewissen Schicksal entgegen. So eng gefügt werden hier Komik und Tragik. Schließlich endet der Zweikampf übel für den Bösewicht und glücklich für alle sonstigen Beteiligten. Aber Ginevra bleibt bis zum Schluss benommen von der Schmach, die ihr angetan wurde; und zwar nicht allein von Polinesso und seinem Werkzeug Dalinda, sondern auch ihrem Vater, der es aus Feigheit nicht vermochte, sich einschränkungslos zu ihr zu stellen. Das lässt in dieser Rolle Matthew Brook erkennen, wenn er dem Mitgefühl mit seiner Tochter eine deutliche Note Larmoyanz untermischt. Am Schluss kommen endlich barocke Kostüme ins Spiel. So verabschiedet sich das Ensemble mit einem Augenzwinkern. Das in der Barockoper unvermeidliche lieto fine, das glückliche Ende: So schön es aussieht, so wirklichkeitsfremd ist es auch - eben barock. Aber nicht genug solcher Desillusionierung, zu den Ballettmusiken (sie sind hier dankenswert einmal nicht gestrichen!) werden Texte aus einem Essay von Jean Jacques Rousseau rezitiert, in denen sich der Aufklärer dezidiert als Frauenfeind und Verächter der Schauspielerei entpuppt. Jedoch kann besser und geistreicher als mit der vitalen Kraft dieser Aufführung derart Mäkelei nicht widersprochen werden. FAZIT Nach solch einer Aufführung darf auch der Kritiker einmal schwärmen. Einen derart inspirierenden Opernabend habe ich lange nicht erlebt. Und die Buhs, die sich ostentativ in den sehr langen und tosenden Schlussbeifall mischten, bleiben mir diesmal vollkommen unverständlich. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Dramaturgie
Bühne und Kostüme
Beleuchtungs - und Videokonzept
Solisten
Der König von Schottland
Ginevra, seine Tochter
Dalinda, Hofdame Ginevras
Ariodante, Ritter,
verliebt in Genevra
Lurcanio, Ariodantes Bruder
Polinesso, Herzog von Albany
Odoardo, Günstling des Königs
Astolfo
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- Fine -