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Tatort Theater - Der Broadway liegt in Westfalen Von Thomas Tillmann / Fotos von Oliver Berg
Die Marketing-Abteilung des Theaters Münster weiß, wie es geht: Als "Krimimusical" wird Curtains angekündigt, dem Stücknamen der Untertitel "Vorhang auf für Mord" beigegeben. Krimi geht immer, zumal im westfälischen Münster, das einen Tatort mit Kultstatus beheimatet. Der Reiz des Stückes liegt aber für den Generalintendanten und Regisseur Ulrich Peters gerade darin, dass durch die Erfindung der Rolle des musicalaffinen Inspektors Cioffi, der hinter den Kulissen eines Bostoner Musicaltheaters diverse Morde aufzuklären hat, dem Zuschauer gleichzeitig ein reizvoller, durchaus differenzierter Blick hinter die Kulissen des Musicalbusiness ermöglicht wird. Ein bisschen Agatha Christie, ein bisschen Kiss Me Kate und ein bisschen Muppets Show also. Ein ganz großer Erfolg war Curtains nicht, in London etwa wurde es nicht mehr als ein paar Monate gespielt, während es sich bis heute an amerikanischen High Schools größter Beliebtheit erfreut. Ein Todesfall mit Folgen: Inspektor Cioffi (Boris Leisenheimer, Bildmitte) macht sich im Colonial Theatre auf die Suche nach dem Mörder. John Kander und Fred Ebb, das geniale Autorenteam, deren eher ernste Shows (Cabaret, Chicago oder Kuss der Spinnenfrau) und brilliante Songs (für Barbra Streisand und dann später vor allem für Liza Minnelli) das Genre seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nachhaltig prägten, haben sich hier zum ersten Mal an eine Musical Comedy herangewagt. Die Arbeit begann schon Mitte der achtziger Jahre, wurde aber nie vollendet; erst als Ebb starb, bat Kander den erfolgreichen Broadway-Autor Rupert Holmes, das Werk mit ihm fertigzustellen, im Juli 2006 fand im Ahmanson Theatre in Los Angeles die Uraufführung statt, die Produktion war dann vom 22. März 2007 an (wieder mit David Hyde Pierce, Debra Monk und Karen Ziemba) im Al Hirschfeld Theatre am New Yorker Broadway zu erleben. Als ich die Musik zum ersten Mal gehört habe (gesehen habe ich die Produktion leider nicht, ich musste mich 2008 in New York zwischen Curtains und Sunday In The Park With George entscheiden und habe dem wunderbaren Sondheim-Musical den Vorzug gegeben), wollte ich bei aller Begeisterung zunächst nicht glauben, dass die Musik mit ihren vielen hinreißenden, unmittelbar ins Ohr gehenden Melodien von John Kander stammte. Liedtexterin Georgia (Julia Gámez Martin, Bildmitte) springt für den ermordeten Star ein. Mit leichter Hand und viel Gefühl für Timing bringt das Regieteam dieses 2011 in Coburg zum ersten Mal in Deutschland gezeigte Stück auf die Bühne, die Dialoge haben hohes Tempo, die Pointen werden präzise gesetzt und erreichen große Teile der Zuschauer (und dies ohne anbiedernde Anspielungen an lokale oder weltpolitische Ereignisse des Jahres 2017, was einem anderswo mitunter den letzten Nerv raubt), die Figuren sind im Rahmen der durchs Stück vorgegebenen Möglichkeiten vielschichtig und genau gezeichnet, Annette Taubmanns Choreografie ist nicht spektakulär, aber gleichermaßen einfallsreich wie machbar auch für die nichtprofessionellen Tänzer, die Spielfreude des großen Ensembles (Solisten aus dem Schauspiel-, dem Musiktheater- und dem Tanztheaterensemble stehen gemeinsam mit dem Chor und einigen Gästen auf der Bühne, und es gibt keinen einzigen wirklichen Ausfall unter ihnen!) wirkt nicht aufgesetzt, die positive Stimmung überträgt sich auf das Premierenpublikum, das am Ende gar nicht mehr aufhören möchte zu klatschen - und das nach mehr als drei Stunden Spielzeit. Carmen Bernstein (Suzanne McLeod) kann kein Mord in ihrem Theater erschüttern: "The show must go on!", vermittelt sie ihrem Personal (Chor und Ensemble des Theaters Münster). Diese Produktion ist - anders als manch andere Musical- und Operettenproduktion an kleineren, beinahe zu Tode gesparten Stadttheatern - auch optisch wirklich ein Genuss, da blinken die Lichter um die Bühne, da glitzern die Kostüme, da stammen die Perücken nicht aus der Karnevalsabteilung des nächstgelegenen Kaufhauses (Ausstattung: Bernhard Niechotz), und auch die zahllosen Szenenwechsel zwischen Western-Kulisse und Backstage werden geschickt gelöst. Im Theater Münster funktioniert auch die Tontechnik, die anderswo manchen Abend ruiniert, hier scheppert und quiekt nichts, hier ist das Verhältnis zwischen Bühne und Graben ein ausgeglichenes, die Stimmen dringen sehr natürlich ans Ohr der Zuschauer. Selbst die deutschen Songtexte, die einen Musicalabend nachhaltig negativ beeinflussen können, fand ich gelungen, zumal beinahe jedes Wort zu verstehen war, auch dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit in Musicalproduktionen in Deutschland. Und auch im Graben stimmte alles, das Sinfonieorchester Münster klang ebenso flott wie die mittlerweile kaum mehr ein Dutzend Personen umfassenden Bands in den Gräben der Musicaltheater in London und New York, Thorsten Schmid-Kapfenburg hat ein exzellentes Händchen für ins Bein und ans Herz gehende Musicalatmosphäre, ist immer nah dran am Bühnengeschehen und unterstützt das Ensemble nach Kräften. Inspektor Cioffi (Boris Leisenheimer) und Niki Harris (Corinna Ellwanger) sind voneinander hingerissen. Boris Leisenheimer macht sich die (an einigen Stellen etwas tief für seinen hellen Tenor liegende) Rolle des musicalvernarrten Inspektors großartig zu eigen, er entwickelt einen ganz eigenen tollpatschigen Charme und ist einfach ein unglaublicher Sympathieträger, nicht zuletzt in den Flirt- und Tanzszenen mit der attraktiven, blondgelockten Corinna Ellwanger als Niki Harris. Julia Gámez Martin gelingt es als Georgia Hendricks, die Wandlung von der etwas aus der Übung gekommenen, einspringenden Liedtexterin zum Star der Show hervorragend und mit kraftvoller Stimme nachvollziehbar zu machen, die seit Jahrzehnten als dramatischer Mezzosopran in Münster engagierte Suzanne McLeod bringt viel Persönlichkeit mit für die strenge Produzentin Carmen Bernstein, als ihre Tochter Elaine - pardon, "the name is Bambi!" - ist die quirlige Kiara Lillian Brunken besonders tänzerisch hinreißend, Christoph Rinke ist ein komischer, aber nicht zu tuntig agierender Stage Director, Schauspielerin Claudia Hübschmann macht in wenigen Auftrittsminuten deutlich, wie unfähig die Hauptdarstellerin Jessica Cranshaw ist, Sascha Stead macht gute Figur als Choreograf Bobby, und auch bei den vielen kleineren Rollen hat man sich viel Mühe bei der Besetzung gegeben. Einziger kleiner Wermutstropfen ist Ilja Harjes, der den Aaron Fox zwar vielschichtig spielt, dessen Stimme es aber an Volumen und Glanz fehlt, um "I Miss The Music", einen der Hits der Show, wirklich adäquat über die Rampe zu bringen. FAZIT Diese liebevoll und kompetent umgesetzte, gut einstudierte Musicalproduktion ohne Stadttheatermief macht einfach Spaß. Auf nach Münster!
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Sinfonieorchester Münster TanzTheaterMünster
Solisten
Carmen Bernstein,
Produzentin
Sidney Bernstein,
Produzent
Oscar Shapiro,
Financier
Aaron Fox,
Komponist
Georgia Hendricks,
Liedtexterin
Christopher Belling,
Regisseur
Bobby Pepper,
Choreograf
Johnny Harmon,
Inspizient
Jessica Cranshaw,
Hauptdarstellerin
Niki Harris,
Darstellerin
Bambi Bernét,
Darstellerin
Randy Dexter,
Darsteller
Harv Freemont,
Darsteller
Frank Cioffi,
Lieutenant
O'Farrel,
Detective
Daryl Grady,
Theaterkritiker
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