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Lebkuchengrüße aus Bayreuth
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Zum Orchestervorspiel werden erst einmal allerlei Märchenfiguren verbraten, oder genauer: verbacken. Da marschieren das Rotkäppchen auf, das Dornröschen, Rapunzel, Aschenputtel und manche andere, zuletzt die sieben Zwerge mit knallroten Zipfelmützen. Sie alle werden von der Hexe angelockt, und die wirft sie kurzerhand in den Backofen, aus dem sie anschließend roboterhaft als Lebkuchen herausklettern. Dieser Backofen mit seinem hohen Kamin erinnert ein wenig an eine Fabrik des 19. Jahrhunderts. Auch in den etlichen überdimensionalen Besenstielen, die bühnenhoch herab hängen (und später als Wald und dann als Käfig herhalten), mag man zunächst Schornsteine erahnen. Die Industrialisierung als Kehrseite der Gebrüder-Grimm-Romantik, das könnte ein interessanter Regieaspekt sein, wie auch der hier angedeutete Eltern-Kind-Konflikt (der Vater ist schließlich Besenbinder). Oder ist da bereits zu viel hinein interpretiert? Tanzen kann Sophie Witte als Gretel auch sehr schön. Hänsel (Susanne Seefing) ist skeptisch.
Die Spuren jedenfalls verwischen alsbald. Hinrich Horstkotte, für die Regie und gleich auch noch für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich, erzählt den Beginn ganz realistisch (und ganz konventionell) in einer sepiafarbenen Es-war-einmal-Zeit nach, die hier eine Arme-Leute-Zeit ist. Es gibt kleine Zeichen der Irritation, das zu große Mobiliar etwa, und die Hexe mit ihrer Lebkuchenarmada geistert bereits vor der Pause, wo sie ja noch gar nichts zu singen hat, allgegenwärtig durch die Szene. Beim Sandmännchen und Taumännchen fürchtet Horstkotte, wie so viele seiner Regiekollegen, den Kitsch und versucht etwas ganz originell anderes - was unvermeidlich zu anders geartetetem Kitsch führt. Die vierzehn Engel allerdings, die gibt's dann mit kleiner Verzögerung trotzdem, und mit gar niedlichen Engelsflügelchen. So viel Kitsch darf dann doch sein. Im Wald, da lauert bereits die Hexe (hinten) - aber noch sind Gretel und Hänsel einigermaßen guter Dinge.
Mehr und mehr geht es aber offenbar vorrangig darum, möglichst kurzweilige Unterhaltung zu bieten, und so ist ziemlich viel los auf der Bühne. Ein weiterführendes Konzept bleibt da nicht übrig, aber was soll's - familientauglich ist das allemal. Eine besondere Pointe hält Horstkotte noch parat, und das ist das Hexenhaus - das unverkennbar das Bayreuther Festspielhaus zitiert. Aus der Luft gegriffen ist das nicht, schließlich gehörte Engelbert Humperdinck dem engsten Wagner-Kreis an und assistierte dem Bayreuther Meister 1882 bei der Uraufführung des Parsifal. Noch gewichtiger sind freilich die etlichen Wagner-Anklänge in der Musik von Hänsel und Gretel, und die kostet der neu verpflichtete junge Kapellmeister Diego Martin-Etxebarria am Pult der recht guten Niederrheinischen Sinfoniker weidlich aus - da tönt so manche Phrase Nibelungen-schwer. Auf der anderen Seite trifft Martin-Etxebarria auch den volksliedhaften Ton gut. Nur die große vermittelnde Linie dazwischen, die bleibt er der Musik schuldig, die dadurch mitunter ein wenig collagenhaft daher kommt. Man sieht den Wald vor lauter Besen kaum - Idyll mit 14 Engeln.
Der knabenhaft kecken Susanne Seefing (Hänsel) und noch mehr der sehr mädchenhaft-lyrischen Sophie Witte (Gretel), wegen einer Erkältung als indisponiert angekündigt (im - sparsam eingesetzten - Forte klingt die Stimme schnell angestrengt) läge eine durchgehend liedhaft schlichte Interpretation sicher mehr, denn da haben sie ihre starken Momente. Janet Bartolova als Mutter Gertrud dagegen neigt zum heroisch großen Ton, wobei die Stimme nicht mehr die Durchschlagskraft früherer Jahre hat. Johannes Schwärsky ist ein groß auftrumpfender Vater, Markus Heinrich eine komödiantisch solide singende und spielende Hexe. Gabriela Kuhn singt Sand- und Taumännchen mit reichlich unterkühltem, ziemlich farblosem Timbre. Dafür ist sie die einzige, die mit guter Textverständlichkeit singt - bei allen anderen ist leider kaum ein Wort zu verstehen. Der Kinderchor Theaterspätzen dürfte an Sicherheit und Genauigkeit noch zulegen. Die Hexe kommt direkt aus dem Bayreuther Lebkuchenfestspielhaus.
Zum turbulenten Ende wird dann doch ziemlich viel ziemlich konventionell herumgehüpft, und der tiefere Sinn von überdimensionierten Löffeln und Gabeln, die vom Bühnenhimmel herab fahren, erschließt sich nicht so recht. Lebkuchen für alle? Die Hexe jedenfalls hat überlebt, an Oberweite deutlich verloren und serviert nun das vorweihnachtliche Gebäck. Eine Gute-Laune-Finale.
Keine irgendwie tiefsinnige, aber eine recht unterhaltsame Produktion für die ganze Familie auf musikalisch ordentlichem Niveau. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Kostüme
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Peter, Besenbinder
Gertrud, Frau des Besenbinders
Hänsel
Gretel
Knusperhexe
Sandmännchen
Taumännchen
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