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Musiktheater
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Wiener Blut

Operette in drei Akten
Libretto von Victor Léon und Leon Stein, für die Bühne bearbeitet von Adolf Müller jun.
Textfassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Nicole Claudia Weber
Musik von Johann Strauß

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Wiederaufnahme im Cuvilliéstheater am 21. Juli 2017 (Premiere der Inszenierung am 26.11.2014)
(rezensierte Aufführung: 25.07.2017)



Staatstheater am Gärtnerplatz München
(Homepage)

Wiener Liebesverwicklungen mit bayerischen Engeln

Von Thomas Molke / Fotos:
© Christian POGO Zach

Johann Strauß' Operette Wiener Blut zählt neben der Fledermaus und dem Zigeunerbaron zu seinen erfolgreichsten Bühnenwerken, obwohl der Walzerkönig sie als solches eigentlich gar nicht komponiert hat. Als nämlich der Wiener Impresario Franz Jauner ihn 1898 darum bat, für das wirtschaftlich angeschlagene Carltheater in der Leopoldstadt eine neue Operette als publikumswirksames Zugpferd zu komponieren, fühlte sich Strauß gesundheitlich nicht mehr in der Lage, seinem Wunsch nachzukommen, und vereinbarte nicht zuletzt auf Drängen seiner geschäftstüchtigen Ehefrau Adele, aus zahlreichen bisher komponierten Walzern, Polkas und Quadrillen ein Pasticcio erstellen zu lassen. Der damalige Kapellmeister am Theater an der Wien, Adolf Müller jun., arrangierte daraufhin Auszüge aus mindestens 31 unterschiedlichen Werken zu einer neuen Operette, für die die Librettisten Victor Léon und Leon Stein ein Textbuch verfassten. Die Uraufführung am 26. Oktober 1899 geriet jedoch zu einem Misserfolg und trieb Jauner mit dem anschließenden Bankrott seines Theaters sogar in den Selbstmord. Da Strauß wenige Monate zuvor gestorben war, sahen viele in diesem Stück eine unmoralische, kommerzielle Verwertung des Strauß'schen Nachlasses. Erst bei der Wiederaufnahme 1905 im Theater an der Wien konnte das Werk das Publikum überzeugen und entwickelte sich zu einem Kassenschlager, der einen Siegeszug um die ganze Welt antrat. Das Staatstheater am Gärtnerplatz hat kurz vor der Rückkehr in das neu renovierte Stammhaus noch einmal im zauberhaften Cuvilliéstheater die Inszenierung von Nicole Claudia Weber aus dem Jahr 2014 auf den Spielplan gestellt.

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Josef (hier: Daniel Prohaska) ahnt nicht, dass der Graf ein Auge auf Pepi (Jasmina Sakr) geworfen hat.

Die Handlung ist, wie es sich für eine gute Wiener Operette gehört, reichlich verworren. Balduin Graf Zedlau ist als Botschafter des sächsischen Kleinstaates Reuß-Schleiz-Greiz nach Wien gekommen und hat dort "per Konvention" die Wienerin Gabriele geheiratet. Da der lebensfrohen Wienerin der biedere Sachse allerdings ein bisschen langweilig war, lebten sie die meiste Zeit getrennt voneinander. Mittlerweile hat das temperamentvolle "Wiener Blut" aber auch von Balduin Besitz ergriffen, und so hat er ein Verhältnis mit der Tänzerin Franziska Kagler, genannt Demoiselle Cagliari. Ihr Vater, der dem Wein sehr zugetan ist, glaubt, dass seine Tochter bald den Grafen heiraten werde. Doch dieser ist mittlerweile auf neue Abenteuer aus und hat sich in die reizende Probiermamsell Pepi Pleininger verguckt, die jedoch eigentlich mit Balduins Kammerdiener Josef liiert ist. Als der Premierminister von Reuß-Schleiz-Greiz, Fürst Ypsheim-Gindelbach, in Wien auftaucht, da er von dem skandalösen Lebenswandel des Grafen gehört hat, und in der Villa die Tänzerin für die Gräfin und die Gräfin für die Geliebte des Grafen hält, wird die Verwirrung perfekt. Auf dem großen Ball des Grafen Bitowski werden beim Walzertanz die Paare erneut durcheinander gewürfelt, da Pepi in das Kostüm der Tänzerin geschlüpft ist und der Fürst nun gar nicht mehr weiß, wer hier eigentlich wer ist. Beim Heurigen in Hietzing finden die drei Paare in unterschiedlichen Lauben aber schließlich doch noch in der korrekten Form zueinander. Graf und Gräfin beschließen, ihrer Ehe noch einmal eine Chance zu geben, Josef verzeiht seiner Pepi das amouröse Abenteuer mit dem Grafen, und auch der Fürst ist mittlerweile vom "Wiener Blut" infiziert und will die Tänzerin ehelichen.

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Fürst Ypsheim-Gindelbach (Hans Gröning, rechts) und Kagler (Wolfgang Hübsch, links) sind über das lasterhafte Leben des Grafen entsetzt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Auch wenn die Inszenierung von Nicole Claudia Weber mit den opulenten Kostümen von Marie-Luise Walek in Walzerseligkeit nur so schwelgt, scheint sie dem viel besungenen "Wiener Blut" mit seinem Saft und seiner Glut nicht allein zuzutrauen, diese Liebesverwicklungen herbeizuführen. Deshalb führt sie zwei Engel ein, die mit ihren Liebespfeilen das Verhalten der Figuren lenken. Auch wenn diese beiden Liebesboten im Programmheft als "Bayerischer" und "Wiener Engel" bezeichnet werden, wirken sie in ihren braunen Wildlederhosen recht urbayerisch und wie Figuren aus Ludwig Thomas Lausbubengeschichten. In einem mit einer weißen Wolke verzierten Korb tragen sie all ihre kleinen Hilfsmittel mit sich und sind selbst auch einem guten Schluck Wein gegenüber nicht abgeneigt. Während der einzelnen Szenen befinden sie sich häufig auf einer Art Balkon über dem Bühnenbild, der ebenfalls mit weißen Wolken verziert ist, die an Sahne-Baiser erinnern, und beobachten das Geschehen. Das Bühnenbild von Judith Leikauf und Karl Fehringer spielt mit opulentem Kitsch der k. und k. Monarchie. Da ist selbst die kleine Kommode in der Villa des Grafen mit den zahlreichen Schubladen eine Art Miniaturschloss. Beim Ball des Grafen Bitowski hängen überdimensionale Elemente eines Kronleuchters aus dem Schnürboden herab, und auch die Bank, auf der Balduin und Gabriele erstmals das "Wiener Blut" besingen, ist als Schaukel konzipiert, die von den beiden Engeln angeschoben wird. Die Lauben beim Heurigen im letzten Akt sind dann mit riesigen Weinreben verziert.

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Opulenz auf dem Ball beim Grafen Bitowski: von links vorne: Pepi (Jasmina Sakr), Gräfin Gabriele (hier: Cornelia Horak), Graf Balduin (hier: Tilmann Unger), Demoiselle Cagliari (hier: Ella Tyran) und Fürst Ypsheim-Gindelbach (Hans Gröning) (dahinter: Chor)

Bei dieser optischen Opulenz lässt sich leicht in die Operettenseligkeit eintauchen, zumal die Solisten ebenfalls mit großartigem Spiel die "Wiener Seele" zum Leben erwecken. Da sind zunächst einmal Wolfgang Hübsch und Harald Hofbauer zu nennen. Hübsch torkelt als stets angetrunkener Karussellbetreiber Kagler mit großem Spielwitz über die Bühne und sorgt nicht nur mit seinem großartigen Wiener Dialekt, bei dem aus "Liaison" "lia a Sohn" und aus "Techtelmechtel" "Töchterl möchterl" wird, für reichliche Verwirrung und zahlreiche Lacher. Besonders witzig gelingt ihm auch die Suche nach seiner Klarinette im dritten Akt, wenn Josef glaubt, dass es sich bei dem gesuchten Element nicht um ein Instrument, sondern um seine Geliebte Pepi handelt. Auch Hofbauer nimmt man den Wiener Schmäh wunderbar ab. Als Graf Bitowski sitzt er zwar im Rollstuhl, was ihn jedoch nicht daran hindert, den kreischenden jungen Frauen auf dem Ball hinterher zu jagen, und als Fiakerkutscher begeistert er mit recht trockenem Wiener Humor, wenn er sich im ersten Akt zunächst nicht von dem Fürsten mit dem gezahlten Entgelt für den Transport mit der Kutsche abfinden lassen möchte, oder im dritten Akt nicht einsieht, wieso die Lauben ihm versperrt bleiben sollen. Hans Gröning hält als sächselnder Fürst Ypsheim-Gindelbach, der große Schwierigkeiten hat, den Wiener Dialekt zu verstehen, mit "preußischer Standhaftigkeit" dagegen, bis auch er in der Laube mit der Tänzerin Franziska dem "Wiener Blut" erliegt.

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Noch haben sich die richtigen Paare nicht gefunden: links: Josef (hier: Daniel Prohaska) und Demoiselle Cagliari (hier: Ella Tyran), Mitte: Graf Balduin (hier: Tilmann Unger) und Pepi (Jasmina Sakr), rechts: Gräfin Gabriele (hier: Cornelia Horak) und Fürst Ypsheim-Gindelbach (Hans Gröning) (oben: die beiden Engel).

Auch Jasmina Sakr ist als Probiermamsell Pepi Pleininger noch von der ursprünglichen Besetzung dabei und begeistert mit frechem, soubrettenhaftem Charme. Beim Tanz auf dem Ball zeigt sie, welches Feuer in ihr steckt. Daniel Prohaska ist mittlerweile vom Kammerdiener zum Grafen "aufgestiegen". Hat er 2014 noch den Josef interpretiert, ist er nun als Graf Balduin zu erleben und überzeugt mit höhensicherem Tenor und charmantem Spiel, so dass man ihm den Wiener Charmeur auch ohne übermäßigen Dialekt, schließlich ist der Graf ja ein "eingebürgerter Sachse", jederzeit abnimmt. Christoph Filler gestaltet die Partie des Dieners Josef mit großem Spielwitz und stellt dessen Eifersucht glaubhaft dar. Großartige Komik entfacht auch Sophie Mitterhuber als Demoiselle Franziska Cagliari, die sich, obwohl sie doch eigentlich nur die Geliebte ist, wie eine eifersüchtige Ehefrau gebärdet. Wunderbar lässt sie in den Wiener Dialekt eine gewisse Zickigkeit einfließen, so dass man gut nachvollziehen kann, dass Balduin diese doch recht anstrengende Geliebte gerne loswerden möchte. Mara Mastalir verleiht der Gräfin Gabriele eine vornehme Eleganz, die die Figur neben den anderen Charakteren beinahe ein bisschen blass wirken lässt, was aber, wenn überhaupt, weniger Mastalirs Spiel als vielmehr der Rolle anzulasten ist. Stimmlich überzeugt sie wie die anderen Solisten durch gute Textverständlichkeit. Der von Felix Meybier einstudierte Chor scheint sich in der kurzweiligen Inszenierung ebenfalls sehr wohl zu fühlen und überzeugt mit lebhaftem Spiel. Michael Brandstätter taucht mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz leichtfüßig in Strauß' Walzerseligkeit ein, so dass man im Publikum bei den schwungvollen Melodien kaum ruhig auf dem Platz sitzen mag, sondern am liebsten gleich mittanzen würde.

FAZIT

Nicole Claudia Webers Inszenierung hat auch bei der Wiederaufnahme nichts von ihrer Frische eingebüßt und beweist, wie schön Operette bei allem Kitsch sein kann, wenn man auf die Wirkung des Stückes vertraut und nicht versucht, es mit irgendwelchen Regie-Mätzchen lächerlich zu machen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Michael Brandstätter /
Oleg Ptashnikov

Regie
Nicole Claudia Weber

Choreographie
Cedric Lee Bradley

Bühne
Judith Leikauf
Karl Fehringer

Kostüme
Marie-Luise Walek

Licht
Michael Heidinger

Chor
Felix Meybier

Dramaturgie
Daniel C. Schindler



Chor und Statisterie des
Staatstheaters am Gärtnerplatz

Orchester des
Staatstheaters am Gärtnerplatz


Solisten

*rezensierte Aufführung

Fürst Ypsheim-Gindelbach
Hans Gröning

Balduin Graf Zedlau
Tilmann Unger /
*Daniel Prohaska

Gabriele Gräfin Zedlau
Cornelia Horak /
*Mara Mastalir

Demoiselle Franziska Cagliari
Ella Tyran /
*Sophie Mitterhuber

Kagler, ihr Vater
Wolfgang Hübsch

Pepi Pleininger
Jasmina Sakr

Josef, Diener des Grafen Zedlau
Daniel Prohaska /
*Christoph Filler

Graf Bitowski / Ein Fiakerkutscher
Harald Hofbauer

Kellnerin Mitzi
Irmela Jane Purvis

Kellner Schurli
Tom O'Mailley

Kellner 2
Christian Weindl

Bayerischer Engel
Sebastian Kießer

Wiener Engel
Alexander Merola

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater am Gärtnerplatz München
(Homepage)





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