Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Orphée aux enfers

Operette in zwei Akten und vier Bildern
Libretto von Ludovic Halévy und Hector Crémieux
Musik von
Jacques Offenbach

In französischer Sprache mit französischen, niederländischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere  im Théâtre Royal de Liège am 20. Dezember 2016
(rezensierte Aufführung: 22.12.2016)

 



Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)

Verrückte Antike zum Jahreswechsel

Von Thomas Molke / Fotos von © Lorraine Wauters - Opéra de Wallonie

Kurz vor dem Jahreswechsel hat die Operette an zahlreichen Bühnen Hochkonjunktur, bietet sie doch das optimale Programm für eine, an manchen Theatern sogar zwei Silvestervorstellungen, um beschwingt ins Neue Jahr zu kommen. Während in den letzten Wochen an den Bühnen an Rhein und Ruhr mit Emmerich Kálmán (Die Csárdásfürstin in Hagen) und Franz Lehár (Der Graf von Luxemburg an der Deutschen Oper am Rhein und Die lustige Witwe in Gelsenkirchen) Vertreter der Silbernen Operette Premiere feierten, geht man in Liège zu den Ursprüngen der Gattung zurück und präsentiert mit Orphée aux enfers nicht nur Jacques Offenbachs ersten großen Erfolg, mit dem er vor allem dank des eingängigen "Galop infernal" die Bühnen der ganzen Welt eroberte, sondern auch die erste große französische Operette, auch wenn das Stück eigentlich als "Opéra-bouffe" bezeichnet wird. Nachdem 1858 zunächst eine zweiaktige Fassung zur Uraufführung gelangte, überarbeitete Offenbach das Stück und brachte es 1874 in einer um zahlreiche musikalische Nummern verlängerten vieraktigen "Opéra Féerie" heraus. Heutzutage hat sich eher die ursprüngliche Fassung von 1858 durchgesetzt, wobei häufig einzelne Passagen aus der späteren Bearbeitung, beispielsweise das Couplet des Cupidon in der Unterwelt, eingefügt werden. Auch in Liège hat man sich für diese Variante entschieden.

Offenbach bürstet mit seinen beiden Librettisten Ludovic Halévy und Hector Crémieux die mythologische Geschichte um den begnadeten thrakischen Sänger Orpheus (Orphée), der seine verstorbene Gattin Eurydice aus der Unterwelt zurückholen will, sie auf dem Weg allerdings erneut verliert, weil er sich verbotener Weise nach ihr umdreht, gehörig gegen den Strich. Hier sind Orphée und Eurydice ein unglücklich verheiratetes Ehepaar, das sich gerne trennen würde, wäre da nicht die öffentliche Meinung (L'opinion publique), die höchstpersönlich auftritt und dies zu verhindern weiß. Selbst als der Gott der Unterwelt, Pluton, als verkleideter Hirte und Imker Aristée auftritt und Eurydice in sein Reich entführt, gibt die öffentliche Meinung keine Ruhe und verlangt, dass Orphée bei den Göttern des Olymp vorspricht und seine Gattin zurückverlangt. Jupiter, der selbst ein Auge auf die schöne Eurydice geworfen hat, beschließt, mit den übrigen Göttern, denen es im Himmel so langweilig ist, dass sie eine Revolution gegen Jupiter anzetteln wollen, einen Abstieg in die Unterwelt zu machen, um Eurydice zurückzuholen. Doch er will sie natürlich nicht Orphée zurückgeben, sondern sie in den Olymp entführen. Dazu nähert er sich ihr zunächst in Gestalt einer Fliege. Eurydice, die in der Unterwelt erkennen muss, dass Pluton als Liebhaber auch nicht besser als ihr Gatte ist, kommt Jupiter als neuer Verehrer gerade recht, zumal er ja auch noch der höchste Gott ist. Doch der Plan fliegt auf. Die öffentliche Meinung fordert nun Eurydice für Orphée. Da überlegt sich Jupiter als letzte List und macht als Auflage, dass Orphée sich auf dem Weg zur Erde nicht nach Eurydice umdrehen darf. Aber das ist überhaupt kein Problem für Orphée, da ihn seine Frau ja gar nicht mehr interessiert, so dass Jupiter schließlich einen Blitz schleudern muss, damit Orphée erschrocken und überrascht hinter sich blickt. Nun muss auch die öffentliche Meinung einsehen, dass Eurydice für Orphée verloren ist und von nun an als Bacchantin den Göttern zu Diensten sein soll.

Bild zum Vergrößern

Alexise Yerna als L'opinion publique

Bei den zahlreichen zeitgenössischen Anspielungen auf die Doppelmoral der Adelskreise des Zweiten Kaiserreichs und Napoleon III., der mit der Figur des Jupiter karikiert wurde, lädt das Stück natürlich zu Modernisierungen ein, so dass auch das Regie-Team um Claire Servais die Geschichte nicht im antiken Griechenland stattfinden lässt. Der begnadete Musiker Orphée spielt, wie soll es anders sein, die erste Geige in einem Theater und seine Frau Eurydice fristet ein langweiliges Dasein mit Bügelbrett und Flachbildschirm als Pförtnerin in diesem Theater. Die öffentliche Meinung ist Journalistin, die stets ein Kamerateam dabei hat, um die Macht der Medien zu demonstrieren. Zu Beginn nimmt sie mit ihrem Team in der Seitenloge über dem Orchestergraben Platz und lauscht andächtig der Ouvertüre, die Cyril Englebert mit dem Orchester der Opéra Royal de Wallonie mit viel Fingerspitzengefühl und dem für Offenbachs Musik typischen Esprit herausarbeitet. Alexise Yerna, die in Liège schon zahlreiche Rollen interpretiert hat, ist für die öffentliche Meinung eine Idealbesetzung. Mit Charme begrüßt sie vor ihrem Prolog im ersten Akt das Publikum in zahlreichen Sprachen, bevor sie wie eine Diva mit dem Dirigenten flirtet, dabei aber gleichzeitig deutlich macht, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Jodie Devos überzeugt als Eurydice mit mädchenhaftem Sopran und sauberen Höhen und spielt die Langeweile der Ehefrau überzeugend aus. Schade ist nur, dass die Handlung nicht immer zum Text passt. Die Blumen, die sie für den Schäfer Aristée anrichtet, sind nur auf ihrem Kleid. Da hätte man sich schon irgend etwas anderes einfallen lassen können.

Bild zum Vergrößern

Die große Liebe ist vorbei: Orphée (Papuna Tchuradze) und Eurydice (Jodie Devos).

Papuna Tchuradze tritt als Orphée mit seiner Geige aus dem Orchestergraben auf und hält seine Gattin zunächst für seine geliebte Nymphe Maquilla. Doch schnell ist der Irrtum festgestellt, und Tchuradze und Devos machen in dem fulminanten Streitduett "Ah! C'est ainsi!" deutlich, dass ihre Ehe nicht mehr zu retten ist. Dabei ziehen sie auch das Orchester und Englebert in den Streit mit hinein. Devos trällert einfach mal eine ganz andere Melodie gegen das Orchester, bevor sie Orphées Noten schließlich wutentbrannt in den Orchestergraben schmeißt. Pluton / Aristée kommt dann mit einem kleinen roten Wagen vorgefahren, der sich später in einen roten Flitzer verwandelt, in dem Pluton Eurydice in die Unterwelt mitnimmt. Aus dem Schnürboden wird ein Bühnenprospekt mit einer Landschaft herabgelassen. Aber auch die Idee mit der Schlange wird wieder sehr unbefriedigend umgesetzt. So versteht man eigentlich gar nicht, wieso Eurydice tödlich verwundet sein soll. Thomas Morris gibt den Pluton mit großer Komik, vor allem wenn er in seiner Auftrittsarie ins Falsett wechselt. Für den Antrittsbesuch bei den Göttern muss sich Orphée dann "in Schale werfen". Das Team der öffentlichen Meinung verwandelt ihn mit einem antiken Gewand und einer Leier in eine mythologische Gestalt, und er darf auf seinem Weg in den Olymp sogar wilde Tiere mit seiner Musik zähmen. Hier hätte Tchuradze vielleicht ansatzweise mal die Saiten der Leier berühren sollen, um den Eindruck zu vermitteln, dass es wirklich sein Spiel ist, das die wilden Tiere besänftigt. Diskutabel ist auch der Auftritt der zahlreichen Musikschüler, die die öffentliche Meinung Orphée wegnehmen will, wenn er sich nicht auf den Weg macht, um seine Gattin zurückzuholen. Das Geigenspiel und der Gesang der Schüler sind zwar niedlich in die Inszenierung eingebaut, aber müssen dann wirklich anschließend alle noch einmal auftreten, um sich zu verbeugen, so dass die Zwischenmusik zum zweiten Bild des ersten Aktes mit Applaus gestört wird?

Bild zum Vergrößern

Jupiter (Pierre Doyen) wird angeklagt (von links: Minerve (Alexia Saffery), Cupidon (Natacha Kowalski), Diane (Sarah Defrise) und Vénus (Julie Bailly)).

Der Olymp ist ein Parlamentssaal, in dem die Politiker bezeichnender Weise auf ihren Bänken schlafen. In der Mitte steht ein Rednerpult, von dem auch im berühmten Götter-Rondeau "Pour séduir Alcmène la fière" Minerve, Cupidon, Vénus, Diane und Pluton Jupiter für seine außerehelichen Verfehlungen anklagen, sehr zum Leidwesen seiner Gattin Junon. Warum Laura Balidemaj als Jupiters Ehefrau mit Babybauch dargestellt wird, erschließt sich übrigens nicht wirklich. Pierre Doyen überzeugt als Jupiter mit weichem Bariton und komödiantischem Spiel. Natacha Kowalski begeistert als Liebesgott Cupidon mit leichtem Sopran und bezaubernder Mimik und Gestik. Julie Bailly gefällt als Cupidons Mutter Vénus, auch wenn ihr die erotische Komponente der Liebesgöttin in dem doch eher strengen Politikerkostüm fehlt. Sarah Defrise kann als Diane in ihrem Auftritts-Couplet "Quand Diane descend de la plaine" stimmlich nicht wirklich überzeugen und klingt auch in ihrer Strophe im oben genannten Rondeau in den Höhen ein wenig scharf. Der Abstieg in die Unterwelt erfolgt dann mit "Olympic Airlines", wobei aus dem Schnürboden die Seitenansicht eines Flugzeuges herabgelassen wird, in das die Götter einsteigen, während sie das Finale des ersten Aktes präsentieren. An dieser Stelle gibt es bei den Tutti bisweilen leichte Ungenauigkeiten bei den Tempi in der Abstimmung mit dem Orchester.

Bild zum Vergrößern

Finale in der Unterwelt: von links: Mercure (André Gass), Pluton (Thomas Morris), Orphée (Papuna Tchuradze), Eurydice (Jodie Devos), Jupiter (Pierre Doyen) und L'opinion publique (Alexise Yerna)

Für die Unterwelt begibt man sich dann auf die Theaterbühne. Das Hinterzimmer, in dem Pluton Eurydice versteckt, mag eine Theatergarderobe sein, wie der Spiegel an der linken Seite und die zahlreichen Kostüme auf der rechten Seite andeuten. Devos spielt die Allüren der gelangweilten Eurydice erneut wunderbar aus und gewinnt auch im Zusammenspiel mit Frédéric Longbois als John Styx. Das berühmte Couplet "Quant j'étais roi de Béotie" hat man schon witziger inszeniert gesehen, obwohl Longbois stimmlich dabei überzeugt. Dass er für die zweite Strophe einen Kilt anlegt und in einen leicht snobistischen Oxford-Dialekt verfällt, ist Geschmacksache. Großen Teilen des Publikums gefällt es. Ein Höhepunkt des Abends stellt das folgende Fliegen-Duett zwischen Eurydice und Jupiter dar. Beim zweiten Bild in der Unterwelt möchte man dann anfangen die Sektkorken knallen zu lassen. Hier schöpft Jorge Jara mit den Kostümen aus dem Vollen. Die Götter tummeln sich nun auch in ausgefallenen Kostümen in der Unterwelt, und Jupiter erinnert an den Sonnenkönig. Schade ist nur, dass der "Galop infernal" in der Choreographie von Gianni Santucci etwas blass wirkt. Die Tänzerinnen und Tänzer lassen trotz ausgefallener, diabolischer Kostüme den Funken nicht wirklich überspringen. Das gelingt erst ganz am Schluss, wenn dann auch die Beine unter den bunten Röcken zum berühmten Cancan fliegen.

Neben den bekannten musikalischen Zitaten, die Offenbach selbst in das Stück übernommen hat - so stimmt auch sein Orphée Glucks berühmte Melodie "J'ai perdu mon Eurydice" aus Glucks Oper an -, klingen auch weitere bekannte Melodien aus anderen Werken, wie beispielsweise das berühmte Rondo aus Gounods Faust, an. Dalidas "Parole, parole" ist ebenfalls für einen weiteren Lacher gut. So vergehen die drei Stunden wie im Flug, und das Publikum belohnt alle Beteiligten mit großem Applaus.

FAZIT

Auch in Liège stellt man kurz vor dem Jahreswechsel eine Operetten-Inszenierung auf den Spielplan, mit der sich das Neue Jahr angemessen einleiten lässt.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Cyril Englebert

Inszenierung
Claire Servais

Bühnenbild
Dominique Pichou

Kostüme
Jorge Jara

Choreographie
Gianni Santucci

Licht
Jacques Chatelet †
Olivier Wéry

Chorleitung
Pierre Iodice

Dramaturgie
Frédéric Roels

 

Chor der
Opéra Royal de Wallonie

Orchester der
Opéra Royal de Wallonie

Statisterie der
Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Orphée
Papuna Tchuradze

Eurydice
Jodie Devos

L'Opinion publique
Alexise Yerna

Jupiter
Pierre Doyen

Pluton / Aristée
Thomas Morris

Cupidon
Natacha Kowalski

Vénus
Julie Bailly

Diane
Sarah Defrise

John Styx
Frédéric Longbois

Mercure
André Gass

Junon
Laura Balidemaj

Minerve
Alexia Saffery

Fortune
Yvette Weris

Cérès
Sylviane Binamé

Pomone
Chantal Glaude

Flore
Palmina Grottola

Mars
Marc Tissons

Tänzerinnen und Tänzer
Jérôme Albert
Michel Beckers
Philippe Bonhomme
Stéphanie Bouriez
Maud Brambach
Baptiste Campanile
Sabine Defourney
Giada Luciani
Colline Libon
Manoah Michelot
Clarisse Miallet
Guillaume Revaud
Alekszandr Szivkov
Clara Villalba
Martina Virgili

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2016 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -