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Antigona

Dramma per musica in drei Akten
Text von Marco Coltellini
Musik von Tommaso Traetta

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Kassel am 3. Juni 2017
(rezensierte Aufführung: 15.06.2017)

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Antike Mythologie im Weltall

Von Thomas Molke / Fotos von N. Klinger

Tommaso Traetta gehört zu einer Reihe von Komponisten, die heute nur noch sehr wenigen Opernbesuchern bekannt sein dürften, obwohl er bis zu seinem Tod 1779 mit seinen über 40 Opern, Sinfonien und Divertimenti zu einem der renommiertesten Repräsentanten der Neapolitanischen Schule gehörte und für die Opern-Reformbestrebungen ähnlich bedeutend war wie Christoph Willibald Gluck, mit dem man heutzutage im Allgemeinen den Übergang von der Opera seria zum musikalischen Drama assoziiert. Sein Dramma per musica Antigona entstand 1772 als Auftragswerk für den Zarenhof in St. Petersburg, wo Traetta seit 1768 Hofkapellmeister war. Das Staatstheater Kassel, das es sich in den letzten Jahren immer wieder zur Aufgabe gemacht hat, versunkene Opernschätze des 18. Jahrhunderts zur Aufführung zu bringen, hat sich nun mit dieser Oper auseinandergesetzt, die als Traettas "reifstes" Werk gilt.

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Die Söhne des Ödipus (Karim Afoun und Dhimas Aryo Satwiko) im Kampf um Theben

Das Libretto stammt von Marco Coltellini, der als Hofpoet in Wien die Nachfolge von Pietro Metastasio angetreten hatte und ab 1772 ebenfalls in St. Petersburg für die Zarin Kathaina II. tätig war, und basiert größtenteils auf der mythologischen Erzählung, wie sie im Drama von Sophokles erhalten ist. Oedipus ist, nachdem er erkannt hat, dass er seinen Vater Laios getötet und mit seiner Mutter Jokaste vier Kinder gezeugt hat, als König von Theben zurückgetreten und ins Exil gegangen. Seine beiden Söhne Eteokles und Polyneikes, die eigentlich abwechselnd jeweils für ein Jahr über Theben herrschen sollen, streiten sich um den Thron, und es kommt zu einer kriegerischen Auseinandersetzung, bei der beide fallen. Die Herrschaft fällt an ihren Onkel Creon (Creonte), Jokastes Bruder, der anordnet, dass nur Eteokles ehrenvoll begraben werden soll, während Polyneikes als Feind des Vaterlandes unbestattet bleiben soll. Antigone (Antigona), die Schwester der beiden, sieht es als ihre Pflicht an, beide Brüder zu bestatten, und widersetzt sich dem Befehl Creons. Doch darauf steht die Todesstrafe. Antigone soll lebendig eingemauert werden. Haimon (Emone), Antigones Verlobter und Creons Sohn, fleht seinen Vater an, Gnade walten zu lassen, doch Creon bleibt hart. Während sich bei Sophokles daraufhin Antigone, Haimon und Creons Ehefrau, die in der Oper nicht vorkommt, das Leben nehmen, lenkt Creon in der Oper schließlich doch noch ein. Als Haimon durch eine Felsspalte einen Weg zur eingemauerten Antigone findet und sich gemeinsam mit Antigone das Leben nehmen will, bereut Creon seine Entscheidung und begnadigt seine zukünftige Schwiegertochter.

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Antigona (Jaclyn Bermudez, links) will ihren toten Bruder begraben. Ismene (Maren Engelhardt, rechts) warnt vor den Konsequenzen.

Das Regie-Team um Stephan Müller hat eine etwas fragwürdige Einstellung zur Aktualität des Stoffes und beschließt, die Geschichte in einer nicht näher definierten Zukunft spielen zu lassen. Die Thebaner haben aufgrund der Pest die Erde verlassen und sich auf einem Lichtjahre von der Erde entfernten Planeten neu angesiedelt. Star Wars lässt grüßen, wenn der auf eine Leinwand projizierte Fließtext die Handlung mehr nach Science Fiction als nach einer antiken Tragödie klingen lässt. Von einer "Nova der Sieben" ist hier die Rede, die Polyneikes, der von seinem Bruder in einen "fernen Winkel der Galaxie" verbannt worden ist, als "Armee interstellarer Kräfte" um sich versammelt, um die Macht über Theben an sich zu reißen. Schlüssig ist das alles nicht. Wieso sollten die Brüder überhaupt sterben, wenn man auf dem neuen Planeten den Tod besiegt und die Unsterblichkeit installiert hat? Aber die Gnade des Grabes soll hier "das Sein im Unsterblichen" darstellen und die Verweigerung einer Bestattung "das seelenlose Sein, das immer weiter auf das ewige Nichts zutreibt". Und das ganze wird dann noch in eine plakative Kritik am Fortschritt verpackt. Wer die antike Geschichte nicht kennen sollte, wird Schwierigkeiten haben, sie in dieser Verortung überhaupt nachvollziehen zu können. Wer sich mit der griechischen Mythologie gut auskennt, wird verständnislos den Kopf schütteln, warum eine unbekannte Oper mit einer derartigen Deutung überfrachtet werden muss.

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Creonte (Bassem Alkhouri, rechts) erfährt von Adrasto (Musa Nkuna, links), dass sich jemand seiner Anordnung widersetzt und Polyneikes beerdigt hat.

Doch die Inszenierung hat auch gute Momente. Geschickt spielt Müller mit der Idee, dass das Verhalten der Figuren nicht von ihnen selbst, sondern von göttlichen Mächten gesteuert wird. So nimmt er ihnen teilweise ihre eigene Bewegungsfreiheit und lässt sie quasi fremdgesteuert über die Bühne gleiten. Creonte und Adrasto "schweben" in der Regel auf einem Hoverboard über die Bühne. Erst als Creonte seinen herzlosen Entschluss bereut, steigt er vom Hoverboard herab und bewegt sich auf seinen eigenen Beinen, um Antigona zu begnadigen. Mit welcher Eleganz sich Bassem Alkhouri als Creonte und Musa Nkuna als Adrasto auf dem Hoverboard bewegen, ist beachtlich. Die Bühne wird in verschiedenen Ebenen teilweise wellenförmig eingesetzt, so dass einzelne Figuren mal von unten auftauchen und dann wieder in der Tiefe verschwinden. Auch der Orchestergraben wird hierfür nach der Pause kurz hochgefahren. Über der ganzen Szene schwebt als riesiges Luftkissen ein Raumschiff, mit dem die Thebaner wohl auf diesem Planeten gelandet sind und das sie am Ende - warum auch immer - unter sich begräbt. Die abstrakten Kostüme von Gareth Pugh sind farblos gestaltet, wobei sich das weiße Kostüm Ismenes von den dunkel gehaltenen Kostümen der anderen Figuren abhebt. Schließlich ist sie auch die einzige, die im ganzen Stück keine wirkliche Entscheidung trifft. Die beiden Brüder, die zu Beginn der Oper im Zweikampf auftreten, sehen aus wie zwei Felsgestalten, die aufeinander losgehen. Im weiteren Verlauf treten die beiden Darsteller als eine Art Weltraumpolizei auf.

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Emone (Marta Herman, links) steht Antigona (Jaclyn Bermudez, rechts) bei der Beerdigung ihres Bruders zur Seite.

Musikalisch hält der Abend wunderschöne Momente bereit, die im Stil stark an Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart erinnern, so dass verwunderlich ist, dass diese Musik dem Vergessen anheim gefallen ist. Jaclyn Bermudez stattet die Titelpartie mit leuchtendem Sopran aus und überzeugt mit beweglichen Koloraturen. Hervorzuheben ist die Dramatik, mit der sie im zweiten Akt beschließt, den verstoßenen Bruder gegen die Erlaubnis Creontes zu beerdigen. Ihre Arie "Ombra cara, amorosa" geht in Bermudez' eindringlicher Interpretation unter die Haut. Auch Antigonas großer Auftritt im dritten Akt, wenn sie in der Arie "O Tebe, o cittadini" das Leid der Stadt und ihrer Bürger beklagt, wird von Bermudez mit flexibler Stimmführung und großer Dramatik umgesetzt. Im Zusammenspiel mit Marta Herman als Emone findet Bermudez zu einer bewegenden Innigkeit. Herman punktet mit warmem Mezzo, der ebenfalls zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Heldenhaft will sie die Schuld auf sich nehmen und ist bereit, für die Geliebte zu sterben. Besonders bewegend gelingt ihr Duett im dritten Akt, wenn die beiden gemeinsam von der Welt Abschied nehmen wollen. Maren Engelhardt stattet Antigonas Schwester Ismene mit einem weichen Sopran aus, der die Unentschlossenheit der Figur unterstreicht. Bassem Alkhouri verfügt als Creonte über einen kräftigen Tenor, der die Unerbittlichkeit des Herrschers deutlich macht. Musa Nkuna rundet als Adrasto das Solisten-Ensemble überzeugend ab.

Jörg Halubek erweist sich am Hammerklavier und am Pult des Staatsorchesters Kassel erneut als sichere Bank für Barockmusik und zaubert einen filigranen Klang aus dem Orchestergraben, der nur im Blech bisweilen etwas scheppert. Der von Marco Zeiser Celesti einstudierte Chor singt aus dem Off ebenfalls mit großer Dramatik, so dass es für die musikalische Gestaltung des Abends großen Beifall gibt. Die szenische Umsetzung hingegen wird nur mit höflichem Applaus bedacht. Da es sich um die dritte Aufführung handelt, stellt sich das Regie-Team nicht dem Publikum.

FAZIT

Musikalisch ist es dieses Werk von Traetta wirklich wert, wiederentdeckt zu werden. Szenisch hätte man vielleicht bei einem so unbekannten Werk näher am Libretto bleiben und nicht alles in eine ferne Zukunft transferieren sollen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Hammerklavier
Jörg Halubek

Inszenierung
Stephan Müller

Bühnenbilddesign und
visuelle Konzeption

Goshka Macuga

Bühne (Produktion)
Siegfried E. Mayer

Kostüme
Gareth Pugh

Video
Sophie Lux

Choreographie
Deborah Smith-Wicke

Chor
Marco Zeiser Celesti

Licht
Albert Geisel

Dramaturgie
Dr. Ursula Benzing

 

Staatsorchester Kassel

Basso Continuo (Rezitative)
Cembalo
Giulia Glennon

Violoncello
Eugene Lifschitz /
*Manfred Schumann

Opernchor des
Staatstheaters Kassel


Solisten

*rezensierte Aufführung

Antigona, Prinzessin von Theben
Elizabeth Bailey /
*Jaclyn Bermudez

Ismene, ihre Schwester
Maren Engelhardt

Creonte, ihr Onkel
Bassem Alkhouri

Emone, sein Sohn
Marta Herman

Adrasto, Bürger Thebens
Musa Nkuna

Söhne des Ödipus
Karim Afoun
Dhimas Aryo Satwiko


Weitere
Informationen

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Staatstheater Kassel
(Homepage)



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