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Wenn Kunst zu uns sprichtVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
Auf einer Firmenfeier beginnt ein Angestellter plötzlich, in einer unverständlichen Sprache zu reden, springt aus dem Fenster (13. Stock!) und irrt danach in der Nacht von einer merkwürdigen Begebenheit zur anderen. Seine Sprache entpuppt sich als "antilopisch", drei verrückte Ärzte diagnostizieren bei ihm eine "Afrikanische Depression", und ein Kunstwerk singt ihn (in antilopischer Sprache) in den Schlaf. Er wacht im Zoo auf, wird von Kollegen gefunden und zurück ins Büro gebracht, wo alles endet, wie es begonen hat: Mit einer Firmenfeier. Durs Grünbein hat den Text, der 1974 in Innsbruck geborene Jakob Maria Staud die Musik dieser Oper geschrieben, die im Auftrag des Lucerne Festivals, des Theater Luzern und der Kölner Oper entstand und in Luzern 2014 (in der nun auch in Köln gezeigten Inszenierung) uraufgeführt wurde. ![]() Ein Arrangement, wie man es von Leonardos Abendmahl kennt. Hier geht es allerdings um eine ganz profane Firmenfeier.
Der Wechsel der Sprache in ein vermeintlich unverständliches Kauderwelsch ist ein raffinierter Kunstgriff. Grünbein hat Worte erfunden - oder verfälscht -, die man irgendwie zu kennen glaubt, bei denen eine Bedeutung durchschimmert oder der Wortklang Assoziationen weckt; dieses Antilopisch ist daher keineswegs so sinnfrei dadaistisch, wie es vorgibt zu sein. Und Staud gibt mit der Musik natürlich eine emotionale Bedeutung hinzu. Die allerschönste Szene der Oper ist die mit dem singenden Kunstwerk. Hier findet Staud berückende Töne für hohen Sopran (von Emily Hinrichs hinreißend schön gesungen) und Klavier (eine zweite Pianistin schlägt die Saiten des offenen Flügels mit Stäben direkt an), ganz sparsam kommt noch die Klarinette hinzu. Die Kunst ist es, die dem irrenden (und gerade noch in deutscher Sprache auf eben diese Kunst schimpfenden) Victor, dem sinnsuchenden Angestellten, in dessen Sprache entgegen tritt. ![]() Victor hat keinen rechten Spaß an der Party (und springt lieber aus dem Fenster).
Die sich somit selbst besingende Kunst ist der durchaus faszinierende Kern der Oper, wirft aber schnell allerlei dramaturgische Probleme auf. Dürnbeins Text ist ziemlich symbolschwer geraten, das beginnt bei der titelgebenden Antilope: Die ist ein äußerst schönes Tier, aber gleichzeitig ein Herdentier. Solche Sprachbilder funktionieren auf der Textebene recht gut, und die Antilope hätte womöglich als Stoff für eine brillante, lakonisch knapp erzählte und dennoch sehr dichte Kurzgeschichte getaugt. In Stauds Vertonung aber geht diese Lakonie verloren. Das liegt auch an dere Klangsprache des großen Orchesters, um elektronische Zuspielungen, darunter Partygeräusche und mehrfach zersplitterndes Glas, ergänzt. In dem meist ebenfalls "zersplitterten", aus vielen, oft scharf akzentuierten Klangereignissen zusammengesetzten Klangraum mag man die Fortsetzung dieser Zersplitterung erahnen, die wiederum ihr Pendant in der teilweise sehr flotten Szenenfolge findet. Aber die Musik wirkt oft erdrückend gewichtig, zu schwer für Text und Handlung, und dann doch nicht markant genug, um Grünbeins aufblitzende Einfälle adäquat aufzugreifen. Da gibt es eine Szene mit einem Jungen, der von seiner Mutter in einem Café geradezu abgestellt wird, weil die Mutter einen Massagetermin hat - und dieser Junge spricht den ihn unbekannten Victor mit Namen an. Das lässt sich in ein paar knappen Worten hinschreiben, aber bei Staud, das zumindest der Eindruck beim einmaligen Hören, verpufft der Gedanke musikalisch. ![]() Von Victors Sprung ist schon in der Zeitung zu lesen.
Und das ist nicht nur in dieser Szene so; immer wieder scheint die Oper zu schwerfällig und unglücklich proportioniert, nicht das richtige "timing" für die Situation findend. Hechelt Staud dem Text einerseits oft hinterher, so ist die Eingangssequenz im Büro arg lang(weilig) geraten. Die Firmenstruktur wird parodistisch zum Abbild einer auf Funktionstüchtigkeit ausgerichteten Gesellschaft, und sollte Staud den Ehrgeiz gehabt haben, dem einen nervtötenden Unterton zu geben, so ist das gelungen. Andererseits fehlen manchen Szenen die "opernhaften" Momente. Das singende Kunstwerk und Victors antilopische Arie, das steht auf der musikalischen Haben-Seite, aber das ist für rund 90 Minuten (ohne Pause) doch etwas wenig. Die Inszenierung von Domique Mentha hilft dem Werk auch nicht sehr. Der Regisseur verpasst dem gesamten Firmenpersonal - mit Ausnahme von Victor - Tiermasken; der Chef hat natürlich die des Löwen (Kostüme: Ingrid Erb). Er lässt die Szenen im weitgehend abstrakten, auf sehr wenige Requisiten reduzierten Raum spielen (Bühne: Werner Hutterli und Ingrid Erb) . Das Libretto gewinnt die Absurdität daraus, dass Alltagssituationen bis ins Absurde hin verfremdet werden; Mentha dagegen setzt das Surreale gleich an den Anfang - das "Normale" gibt es gar nicht erst. Wo aber alles von vornherein skurril ist, müsste Mentha die Spannung aus der Konstellation heraus gewinnen, aber da gelingt ihm nicht viel - die Inszenierung plätschert so dahin. Dass Victor die singende Skulptur als "abstrakt" bezeichnet, die hier gezeigte aber gar nicht abstrakt ist (sondern einen recht bieder stilisierten Vogelkopf darstellt), ist bei dieser zentralen Szene mehr als nur eine nebensächliche Nachlässigkeit: Geradezu sinnbildlich taucht die Regie-Kunst hier ins harmlos Betuliche ab. ![]() Immerhin kann die Kunst mit Victor kommunizieren.
Gewichtiger ist die musikalische Interpretation. Unter der umsichtigen Leitung von Howard Arman, der bereits die Uraufführung in Luzern dirigiert hatte, macht das Gürzenich-Orchester sehr vielfältige, oft perkussiv geprägte, mitunter bewusst "hässliche" Klangfarben hörbar (etwa die Oboe muss mehrfach explizit scheußliche Töne spielen). Dem fabelhaften und schwer beschäftigten Schlagzeuger Alexander Schubert zuzuschauen ist meist amüsanter als das Bühnengeschehen, aber den meisten Witz zeigt notgedrungen die tapfer um den Flügel herumrennende Pianistin, die dessen Saiten mal auf der einen, mal auf der anderen Seite (und mitunter eben im schnellen Seitenwechsel) als Schlagwerk traktiert. Auf der Bühne gibt Miljenko Turk den Victor mit einer schönen Mischung Komik und Eleganz und wird den stimmlichen Anforderungen mit seinem galanten Bariton absolut gerecht.
Ein paar tolle Momente hat die Antilope, aber (zu) vieles läuft musikalisch und szenisch ins Leere. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Live-elektronische Realisation
Klangregie
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenVictorMiljenko Turk
Sekretärin / junge Frau / Passantin / Mutter
Kollegin / Frau / Skulptur
Kollegin / Frau / alte Frau
Kollege / junger Mann / Doktor
Kollege / Passant / Doktor
Chef / Oberkellner / Doktor / Wachmann
Frau
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