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Tri tra trullala, Samiel ist wieder da Von Bernd Stopka / Fotos: Benjamin Westhoff Carl Maria von Weber und Friedrich Kind schufen mit Der Freischütz ein für ihre Zeit ganz außergewöhnliches Werk, das als erste romantische deutsche Oper in die Geschichte eingegangen ist. Insbesondere mit der Wolfsschlucht-Szene öffnete Weber musikalisch den Weg zum Musiktheater seines großen Bewunderers Richard Wagner. Der Freischütz bediente neben seinen musikalischen Neuerungen aber auch den Wunsch nach einer deutschen Nationaloper, die sich von der italienischen Vorherrschaft emanzipiert und nebenbei auch noch Vorreiter einer politischen deutschen Einheit sein sollte. Das alles führte und führt zu allerlei skurrilen Ausdeutungen, wie sie auch kürzlich am Opernhaus Hannover zu sehen waren (siehe auch unsere Rezension). Wer sich mit den dortigen Deutungsversuchen nicht anfreunden konnte, kann nun in Hildesheim bzw. im Theater am Aegi, der zweiten Spielstätte des Theaters für Niedersachsen (TfN), eine ganz andere Herangehensweise an das Sujet erleben. Hier steht Der Freischütz auch nicht als romantische Oper auf der Bühne, sondern als naive Mischform aus Märchen, Sage und Puppenspiel. Zwei extreme Interpretationsansätze, die – um es vorweg zu sagen – beide nicht glücklich machen.
Geschichtliches und Politisches wird am TfN nicht
beleuchtet. Gastregisseur Dominik Wilgenbus nimmt die
Geschichte wie ein Puppen- oder Gauklerspiel und
erzählt sie ganz bewusst wie ein Kasperltheater. Das
Märchenhafte und Sagenhafte um Glauben und Aberglauben
interessiert ihn, nicht das Seelenleben der Figuren.
Agathe ist nicht betroffen, sondern spielt betroffen,
Max ist nicht verzweifelt, er spielt es usw. Wilgenbus
hinterfragt nicht Logik und Unlogik der Geschichte,
sondern stellt sie einfach dar und lässt die Figuren
ganz wörtlich zwischen Schnürboden und Versenkung,
Himmlischem und Höllischem agieren - zuweilen mit
puppenhaften Bewegungen, Standbildern und Zeitlupen –
und lässt dabei auch den Sternenhimmel nicht aus. Das
wirkt wie ein Kinderbilderbuch zum Ausmalen,
schemenhaft, naiv… und immer wieder auch
hochnotpeinlich.
Mit dezenten, vor allem durch Beleuchtung charakterisierten Bühnenbildern tritt Jörg Zysik dienend in den Hintergrund und deutet nur ansatzweise die Zerstörungen an, die der Dreißigjährige oder irgendein anderer Krieg im Lande hinterlassen hat. Zeitlich ist man hier ebenso wenig festgelegt wie regional. Ein zerstörtes Fensterkreuz hängt rechts so in der Luft, dass es wie ein satanisches, auf dem Kopf stehendes Kreuz wirkt, während links eine hohe Leiter zum Himmel hinaufführt. Die Erde zwischen Himmel und Hölle also nicht nur in der Vertikalen, sondern auch in der Horizontalen. Die mit Pyrotechnik angereicherte Wolfsschlucht nimmt dann zum Teil grotesk-komische Züge an, ob es nun der projizierte Kopf eines Wildschweins ist, der zur „wilden Jagd“ immer größer wird, oder der riesige Kupferkessel nebst einer Kelle, die geeignet wäre, Kanonenkugeln statt Gewehrkugeln zu gießen. Das erinnert an den übergroßen Kochlöffel von Kasperles Großmutter, in deren Suppentopf auch das Gummihuhn gehört, das neben Totenschädel und Stofftiger (als Wiedehopf und Luchs) neben dem Kessel liegt. Das Gespräch der zwei Jäger zu Beginn des dritten Akts ist dann tatsächlich ein – natürlich von Samiel gespieltes – Kasperletheater. Dass die letzte freie Freikugel, die Kaspar verschießt, einen Stofftierfuchs zur Strecke bringt, belustigt zumindest einen Teil des Publikums. Dass das Naive denn doch ein wenig zu wenig ist, ist dem Regieteam wohl auch aufgefallen und so wird die naiv im positiven Sinne sein wollende, aber ungeschickt, dilettantisch und hölzern wirkende Grundidee durch allerlei ach so Tiefsinniges ergänzt. Zuallererst ist da Samiel zu nennen, der nicht nur leibhaftig auftritt, sondern quasi omnipräsent ist und die Menschen auf seine Seite ziehen möchte, sie per Handschlag zum Teufelspakt verführt oder mit Alkohol verwirrt, den er als Mischung aus Schneewittchens böser Stiefmutter und Frau Marthe Schwertlein serviert. Immer mal wieder spricht er Textpassagen der anderen Figuren, was an Theaterformen erinnert, denen Naivität fremd ist. Max verfällt ihm, Ottokar widersteht und schlägt nicht ein – auch, als der Leibhaftige ihm Agathe als Mädchen anpreist, das er für sein Bett vielleicht noch übersehen hat. Über den finalen Lobpreis dessen „der Schutz der Unschuld war“, kann Samiel nur lachen.
In Kaspar hat Samiel einen willfährigen Diener, der im dunklen Mantel mit schwarzen Hahnenfedern so gar nicht auffällig als der Bösewicht durch die Jagdgesellschaft streift. „Schweig, schweig! Damit dich niemand warnt“ ist als Wunschbild inszeniert: Max, Kuno und Agathe liegen tot auf der Bühne. Zum letzten Takt wirft sich Kaspar wie wild auf Agathes Leiche. Max ist nicht nur ein liebenswerter Trottel, sondern ein schüchtern-dusseliger Außenseiter, der gern mal sein Messer zückt – gegen andere und am Schluss auch gegen seine eigenen Pulsadern. Agathe ist immer traurig und gedankenversunken und Ännchen immer quirlig. Als Gegenspieler und Symbol des Göttlichen fungiert der als wildhaariger Mönch kostümierte Eremit, der Agathe nach dem vermeintlich tödlichen Schuss ferngesteuert wiederaufrichtet, indem er eine Agathe-Handpuppe über die Hand zieht und lebendig werden/bleiben lässt. Der Holzhammer lässt hier genauso grüßen wie am Schluss, wenn Samiel und der Eremit den Vorhang von beiden Seiten, aber gemeinsam schließen. Noch Fragen? Oder hat es jeder kapiert?
Auch
die Hoffnung, dass zwischen Himmel und Hölle
wenigstens musikalische Freude aufkommt,
wird sehr schnell geerdet. Die beiden als
Max alternierenden Sänger standen
offensichtlich nicht zur Verfügung und
Daniel Pataky sprang ein, sodass die
Aufführung stattfinden konnte und nicht, wie
vier Tage vorher, gegen eine andere
Produktion getauscht werden musste. Da
verbittet sich eine Beurteilung der
Sängerleistung. Uwe Tobias Hieronimi ist
seit vielen Jahren ein Publikumsliebling in
Hildesheim. Als Kaspar tönen die sicheren
Töne gewaltig, es fehlt der Stimme aber die
Flexibilität für diese Partie und die Höhen
sind nur angedeutet. Peter Kubik klang als
Ottokar ein wenig indisponiert, Peter Frank
als alternder Oberförster überzeugend.
Daniel Käsmann machte seine Sache als Kilian
sehr ordentlich. Mit Levente György als
Eremit klangen volle und kultivierte
Basstöne von der Bühne, aber leider blieben
die tiefen Töne auf ihr stehen und waren im
Zuschauerraum nur schwach zu vernehmen.
Elissa Huber singt mit schönen Tönen eine
durchweg vom Schicksal betroffene Agathe,
Martina Nawrath ein quicklebendiges und
koloraturfreudiges Ännchen. Beide Stimmen
ergänzen sich köstlich in dem kurzen Moment,
indem Agathe eine Passage aus Ännchens Arie
„Kommt ein schlanker Bursch gegangen“
einfach mal eben mitsingt. Gotthardt
Hauschild spielt einen angemessen
widerlichen Samiel.
Kaschperltheater.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Chor Dramaturgie
Opernchor, Extrachor und Statisterie des TfN Orchester des TfN
Solisten*rezensierte Aufführung Ottokar Kuno Agathe Ännchen Kaspar Max Ein Eremit Kilian Sechs Brautjungfern Samiel
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