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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Johann Friedrich Kind nach der Novelle Der Freischütz, Eine Volkssage von J. A. Apel
Musik von Carl Maria von Weber

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden,  45 Minuten (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 18. Februar 2017
(besuchte Aufführung: am 25. Februar 2017)



Theater für Niedersachsen
(Homepage)

Tri tra trullala, Samiel ist wieder da

Von Bernd Stopka / Fotos: Benjamin Westhoff

Carl Maria von Weber und Friedrich Kind schufen mit Der Freischütz ein für ihre Zeit ganz außergewöhnliches Werk, das als erste romantische deutsche Oper in die Geschichte eingegangen ist. Insbesondere mit der Wolfsschlucht-Szene öffnete Weber musikalisch den Weg zum Musiktheater seines großen Bewunderers Richard Wagner. Der Freischütz bediente neben seinen musikalischen Neuerungen aber auch den Wunsch nach einer deutschen Nationaloper, die sich von der italienischen Vorherrschaft emanzipiert und nebenbei auch noch Vorreiter einer politischen deutschen Einheit sein sollte. Das alles führte und führt zu allerlei skurrilen Ausdeutungen, wie sie auch kürzlich am Opernhaus Hannover zu sehen waren (siehe auch unsere Rezension). Wer sich mit den dortigen Deutungsversuchen nicht anfreunden konnte, kann nun in Hildesheim bzw. im Theater am Aegi, der zweiten Spielstätte des Theaters für Niedersachsen (TfN), eine ganz andere Herangehensweise an das Sujet erleben. Hier steht Der Freischütz auch nicht als romantische Oper auf der Bühne, sondern als naive Mischform aus Märchen, Sage und Puppenspiel. Zwei extreme Interpretationsansätze, die – um es vorweg zu sagen – beide nicht glücklich machen.

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Uwe Tobias Hieronimi (Kaspar), Daniel Käsmann (Kilian), Peter Frank (Kuno), Konstantinos Klironomos (Max)

Geschichtliches und Politisches wird am TfN nicht beleuchtet. Gastregisseur Dominik Wilgenbus nimmt die Geschichte wie ein Puppen- oder Gauklerspiel und erzählt sie ganz bewusst wie ein Kasperltheater. Das Märchenhafte und Sagenhafte um Glauben und Aberglauben interessiert ihn, nicht das Seelenleben der Figuren. Agathe ist nicht betroffen, sondern spielt betroffen, Max ist nicht verzweifelt, er spielt es usw. Wilgenbus hinterfragt nicht Logik und Unlogik der Geschichte, sondern stellt sie einfach dar und lässt die Figuren ganz wörtlich zwischen Schnürboden und Versenkung, Himmlischem und Höllischem agieren - zuweilen mit puppenhaften Bewegungen, Standbildern und Zeitlupen – und lässt dabei auch den Sternenhimmel nicht aus. Das wirkt wie ein Kinderbilderbuch zum Ausmalen, schemenhaft, naiv… und immer wieder auch hochnotpeinlich.
Dazu tragen auch Hannes Neumaiers knallbunte Kostüme bei, die an naive Malerei erinnern sollen. Auch mit Volkskunst haben sie auf den ersten Blick wenig zu tun, obwohl sie Trachtenelemente aus verschiedenen Regionen aufnehmen und verbinden (hier könnte man mutmaßen, dass die Vereinigung vieler Regionen zu einem deutschen Nationalstaat angedeutet werden soll – wenngleich das für den Regieansatz viel zu bedeutungsvoll wäre). Hierarchien sind durch Kostümelemente angedeutet: je höher eine Figur in der Jägergesellschaft steht, desto üppiger ist sie ausgestattet. Die hier gezeigte Gamaschen-Kostümkultur und einfachste Symbolik unterstreichen das - wenngleich auf denn aber doch ein wenig sehr befremdliche Weise. Orangefarbene Gamaschen für die Jäger, schwarze für Kaspar und – wie sollte es anders sein – rote für Samiel.

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Johanna Winkel (Agathe), Dominika Kocis (Ännchen)

Mit dezenten, vor allem durch Beleuchtung charakterisierten Bühnenbildern tritt Jörg Zysik dienend in den Hintergrund und deutet nur ansatzweise die Zerstörungen an, die der Dreißigjährige oder irgendein anderer Krieg im Lande hinterlassen hat. Zeitlich ist man hier ebenso wenig festgelegt wie regional. Ein zerstörtes Fensterkreuz hängt rechts so in der Luft, dass es wie ein satanisches, auf dem Kopf stehendes Kreuz wirkt, während links eine hohe Leiter zum Himmel hinaufführt. Die Erde zwischen Himmel und Hölle also nicht nur in der Vertikalen, sondern auch in der Horizontalen. Die mit Pyrotechnik angereicherte Wolfsschlucht nimmt dann zum Teil grotesk-komische Züge an, ob es nun der projizierte Kopf eines Wildschweins ist, der zur „wilden Jagd“ immer größer wird, oder der riesige Kupferkessel nebst einer Kelle, die geeignet wäre, Kanonenkugeln statt Gewehrkugeln zu gießen. Das erinnert an den übergroßen Kochlöffel von Kasperles Großmutter, in deren Suppentopf auch das Gummihuhn gehört, das neben Totenschädel und Stofftiger (als Wiedehopf und Luchs) neben dem Kessel liegt. Das Gespräch der zwei Jäger zu Beginn des dritten Akts ist dann tatsächlich ein – natürlich von Samiel gespieltes – Kasperletheater. Dass die letzte freie Freikugel, die Kaspar verschießt, einen Stofftierfuchs zur Strecke bringt, belustigt zumindest einen Teil des Publikums.

Dass das Naive denn doch ein wenig zu wenig ist, ist dem Regieteam wohl auch aufgefallen und so wird die naiv im positiven Sinne sein wollende, aber ungeschickt, dilettantisch und hölzern wirkende Grundidee durch allerlei ach so Tiefsinniges ergänzt. Zuallererst ist da Samiel zu nennen, der nicht nur leibhaftig auftritt, sondern quasi omnipräsent ist und die Menschen auf seine Seite ziehen möchte, sie per Handschlag zum Teufelspakt verführt oder mit Alkohol verwirrt, den er als Mischung aus Schneewittchens böser Stiefmutter und Frau Marthe Schwertlein serviert. Immer mal wieder spricht er Textpassagen der anderen Figuren, was an Theaterformen erinnert, denen Naivität fremd ist. Max verfällt ihm, Ottokar widersteht und schlägt nicht ein – auch, als der Leibhaftige ihm Agathe als Mädchen anpreist, das er für sein Bett vielleicht noch übersehen hat. Über den finalen Lobpreis dessen „der Schutz der Unschuld war“, kann Samiel nur lachen.

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Uwe Tobas Hieronimi (Kaspar), Konstantinos Klironomos (Max)

In Kaspar hat Samiel einen willfährigen Diener, der im dunklen Mantel mit schwarzen Hahnenfedern so gar nicht auffällig als der Bösewicht durch die Jagdgesellschaft streift. „Schweig, schweig! Damit dich niemand warnt“ ist als Wunschbild inszeniert: Max, Kuno und Agathe liegen tot auf der Bühne. Zum letzten Takt wirft sich Kaspar wie wild auf Agathes Leiche. Max ist nicht nur ein liebenswerter Trottel, sondern ein schüchtern-dusseliger Außenseiter, der gern mal sein Messer zückt – gegen andere und am Schluss auch gegen seine eigenen Pulsadern. Agathe ist immer traurig und gedankenversunken und Ännchen immer quirlig. Als Gegenspieler und Symbol des Göttlichen fungiert der als wildhaariger Mönch kostümierte Eremit, der Agathe nach dem vermeintlich tödlichen Schuss ferngesteuert wiederaufrichtet, indem er eine Agathe-Handpuppe über die Hand zieht und lebendig werden/bleiben lässt. Der Holzhammer lässt hier genauso grüßen wie am Schluss, wenn Samiel und der Eremit den Vorhang von beiden Seiten, aber gemeinsam schließen. Noch Fragen? Oder hat es jeder kapiert?

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Gotthard Hauschild (Samiel), Levente György (Eremit)

Auch die Hoffnung, dass zwischen Himmel und Hölle wenigstens musikalische Freude aufkommt, wird sehr schnell geerdet. Die beiden als Max alternierenden Sänger standen offensichtlich nicht zur Verfügung und Daniel Pataky sprang ein, sodass die Aufführung stattfinden konnte und nicht, wie vier Tage vorher, gegen eine andere Produktion getauscht werden musste. Da verbittet sich eine Beurteilung der Sängerleistung. Uwe Tobias Hieronimi ist seit vielen Jahren ein Publikumsliebling in Hildesheim. Als Kaspar tönen die sicheren Töne gewaltig, es fehlt der Stimme aber die Flexibilität für diese Partie und die Höhen sind nur angedeutet. Peter Kubik klang als Ottokar ein wenig indisponiert, Peter Frank als alternder Oberförster überzeugend. Daniel Käsmann machte seine Sache als Kilian sehr ordentlich. Mit Levente György als Eremit klangen volle und kultivierte Basstöne von der Bühne, aber leider blieben die tiefen Töne auf ihr stehen und waren im Zuschauerraum nur schwach zu vernehmen. Elissa Huber singt mit schönen Tönen eine durchweg vom Schicksal betroffene Agathe, Martina Nawrath ein quicklebendiges und koloraturfreudiges Ännchen. Beide Stimmen ergänzen sich köstlich in dem kurzen Moment, indem Agathe eine Passage aus Ännchens Arie „Kommt ein schlanker Bursch gegangen“ einfach mal eben mitsingt. Gotthardt Hauschild spielt einen angemessen widerlichen Samiel.
Werner Seitzer beginnt die Ouvertüre recht brav, beendet sie aber fulminant in Tempo und Ausdruck und bewegt sich auch während der Aufführung zwischen diesen beiden Eindrücken. Vielleicht lag es an meinem (seitlichen) Platz, dass das Orchester ungewohnt hölzern klang, möglicherweise ist das aber auch regiekonzeptadäquat beabsichtigt. Zahlreichen Patzern kann dies allerdings nicht als Begründung dienen.  Ähnliches ist vom in anderen Aufführungen sehr viel homogener, harmonischer und kultivierter klingenden Chor zu berichten.

FAZIT

Kaschperltheater.
Mit diesem Freischütz hat sich Hildesheim kräftig übernommen, was sehr verwundert, denn hier wurden schon ganz andere Opern beachtlich und begeisternd gestemmt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Werner Seitzer

Inszenierung
Dominik Wilgenbus

Bühne
Jörg Zysik

Kostüme
Hannes Neumaier

Chor
Achim Falkenhausen

Dramaturgie
Roland Mörchen

 

Opernchor, Extrachor und
Jugendchor des TfN

Statisterie des TfN

Orchester des TfN

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Ottokar
Peter Kubik

Kuno
Peter Frank

Agathe
Johanna Winkel /
*Elissa Huber /
Antonia Radneva

Ännchen
Dominika Kocis /
*Martina Nawrath

Kaspar
Uwe Tobias Hieronimi

Max
Konstantinos Klironomos /
Chris Lysack /
*Daniel Pataky

Ein Eremit
*Levente György /
Piet Bruninx

Kilian
Daniel Käsmann

Sechs Brautjungfern
Mitglieder des Jugendchors

Samiel
Gotthard Hauschild

 


Weitere
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Theater für Niedersachsen
(Homepage)



Da capo al Fine

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