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Auf der Suche nach der verlorenen UtopieVon Roberto Becker / Fotos: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Falk Wenzel
Manchmal ist das Erstaunlichste das, was nicht passiert. Wenn sich der Chefdramaturg der Oper Halle Michael von zur Mühlen den Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny vornimmt, rechnet man mit einem Feuerwerk an kapitalismuskritischen Bildern zu dem betont antibürgerlichen Duktus von Bert Brechts und Kurt Weills Oper. Die Uraufführung war 1930 ein veritabler Theaterskandal der untergehenden Weimarer Republik, ja, der pöbelnde Nazimob gehörte selbst zur Begleitmusik dieses Untergangs. Auftakt als Trauerfeier
Weil das belehrende Singspiel vom Dreigroschenopernduo seine Botschaft von der Macht des Geldes im Kapitalismus und der Verkommenheit der Moral schon vor sich herträgt, wird das Stück heute für Regisseure, die jenseits der puren Illustration mit den Subtexten im Bündnis sind, eine besondere Herausforderung. Hier ist nichts mehr zu enthüllen, denn die "Botschaft" kommt mit Verve direkt über die Rampe. John Mahoney, der Verkünder des „Du darfst!“
Wer sich nicht mit einer vorgefassten Meinung, sondern offen in die jüngste Neuproduktion der Oper in Halle begibt, hört plötzlich - und durchaus mit Erschrecken - vor allem die verzweifelte Wut und die melancholische Trauer über das Ende so gut wie jeder Art von Utopie, die Weill und Brecht in ihrer fiktiven Glücksritterstadt hineingelegt haben. Und sie hören sie gut. Denn die unter Leitung von Kapellmeister Christopher Sprenger mit Verve aufspielende Staatskapelle spielt sozusagen die erste Geige, oder besser: die erste Posaune von Jericho. Um das Podest für die Musiker in der Höhe herum hat Ausstatter Christoph Ernst einen feierlich weißen, Repräsentation andeutenden Rahmen und davor ein Rednerpult gesetzt. Wenn den Zuschauern diese Paulskirchen-Atmosphäre entgegenschlägt und sie gefangen nimmt, wir auch klar, warum die Choristen mit Urnen in den Händen im Foyer herumliefen. Wir werden nämlich, nach einer kurzen O-Ton Ansprache "An die Nachgeborenen", gemeinsam mit dem Chor Teil einer Trauergemeinde. Der Hedonismus außer Rand und Band
Mit demonstrativer, dick aufgetragener Ergriffenheit gibt es die Regieanweisungen wie eine Bibellesungen vom Rednerpult aus. Und alle rechts und links neben Pult sitzenden Protagonisten werfen sich in diese Trauer über die verlorenen Utopien, zelebrieren die Geschichte jener metaphorischen, sozusagen postfaktischen Traumstadt Mahagonny. In der im Angesicht der Katastrophe die letzten Verbindungen zur überlieferten Moral gekappt werden. Das einzige, was jetzt zählt, ist der Besitz von ausreichend Geld. Die Regie übersetzt diesen Malstrom in den Abgrund durch einen Wechsel in der ästhetischen Gangart. Wenn es zuerst das ausgestellte Pathos ist, was in Spannung zu Musik und Text tritt, so ist es nach der "Du darfst!" Inauguration des grundsätzlich moralfreien Handelns ein wüster Trash. Am Ende ist nichts mehr übrig von der Feierlichkeit des Anfangs
Da ziehen sich Jim Mahoney (Ralph Ertel), die Witwe Begbick (Svitlana Slyvia), Dreieinigkeitsmoses (Ki-Hyun Park), Jenny (Ines Lex), Jack O'Brian (Robert Sellier), Alaskawolfjoe (Vladislav Solodyagin), der Prokurist (Philipp Werner) und Sparbüchsenbill (Franz Xaver Schlecht) in den Raum unter dem Orchester zurück. Auf einer Leinwand wird verfremdet übertragen, in welche grotesk infantilen Spiele sie sich flüchten. Natürlich mit Plaste-MPis und Spielzeugen aller Art. Die sie sich dann so ähnlich wie Sprengstoffgürtel mit Folie um den Körper wickeln. Wenn sie dann in dieser zum Bild gewordenen Sinnlosigkeit im Finale auf die Bühne torkeln, ist das der denkbar größte Kontrast zur Formstrenge einer kollektiven Trauer. Und die Utopielosigkeit ist bei sich an- und auf den Punkt gekommen.
Michael von zur Mühlen inszeniert den Brecht/Weill-Klassiker als eine Passion. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Leokadja Begbick
Fatty, der "Prokurist"
Dreieinigkeitsmoses
Jenny Hill
Jim Mahoney
Jack O'Brian, Tobby Higgins
Bill, Sparbüchsenbill
Joe, genannt "Alaskawolfjoe"
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- Fine -