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Musiktheater
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Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Oper in drei Akten
Text von Bertolt Brecht
Musik von Kurt Weill


Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Halle am 21. Januar 2017


Opernhaus Halle

Auf der Suche nach der verlorenen Utopie

Von Roberto Becker / Fotos: © Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Falk Wenzel

Manchmal ist das Erstaunlichste das, was nicht passiert. Wenn sich der Chefdramaturg der Oper Halle Michael von zur Mühlen den Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny vornimmt, rechnet man mit einem Feuerwerk an kapitalismuskritischen Bildern zu dem betont antibürgerlichen Duktus von Bert Brechts und Kurt Weills Oper. Die Uraufführung war 1930 ein veritabler Theaterskandal der untergehenden Weimarer Republik, ja, der pöbelnde Nazimob gehörte selbst zur Begleitmusik dieses Untergangs.


Vergrößerung Auftakt als Trauerfeier

Weil das belehrende Singspiel vom Dreigroschenopernduo seine Botschaft von der Macht des Geldes im Kapitalismus und der Verkommenheit der Moral schon vor sich herträgt, wird das Stück heute für Regisseure, die jenseits der puren Illustration mit den Subtexten im Bündnis sind, eine besondere Herausforderung. Hier ist nichts mehr zu enthüllen, denn die "Botschaft" kommt mit Verve direkt über die Rampe.
Und was, wenn die Wirklichkeit in einem dialektisch Übersprung die Bühne überholt? Etwa, wenn ein gewählter Weltmacht-Anführer bei der Amtseinführung nur "America first" sagt, "Ich" denkt, sich mit seinem Milliardärs-Kabinett allen Ernstes als Retter der "Abgehängten" ausgibt und dann den Medien (und der Mathematik) den Krieg erklärt - das hätte selbst den listigen BB in Bedrängnis gebracht. Denn damit überholt Trump spielend die "Du darfst!"-Rede, mit der John Mahoney, im Angesicht der durch den Hurrican drohenden Vernichtung Mahagonnys, das Ende der alten Ordnung ankündigt.

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John Mahoney, der Verkünder des „Du darfst!“

Wer sich nicht mit einer vorgefassten Meinung, sondern offen in die jüngste Neuproduktion der Oper in Halle begibt, hört plötzlich - und durchaus mit Erschrecken - vor allem die verzweifelte Wut und die melancholische Trauer über das Ende so gut wie jeder Art von Utopie, die Weill und Brecht in ihrer fiktiven Glücksritterstadt hineingelegt haben. Und sie hören sie gut. Denn die unter Leitung von Kapellmeister Christopher Sprenger mit Verve aufspielende Staatskapelle spielt sozusagen die erste Geige, oder besser: die erste Posaune von Jericho. Um das Podest für die Musiker in der Höhe herum hat Ausstatter Christoph Ernst einen feierlich weißen, Repräsentation andeutenden Rahmen und davor ein Rednerpult gesetzt. Wenn den Zuschauern diese Paulskirchen-Atmosphäre entgegenschlägt und sie gefangen nimmt, wir auch klar, warum die Choristen mit Urnen in den Händen im Foyer herumliefen. Wir werden nämlich, nach einer kurzen O-Ton Ansprache "An die Nachgeborenen", gemeinsam mit dem Chor Teil einer Trauergemeinde.


Vergrößerung Der Hedonismus außer Rand und Band

Mit demonstrativer, dick aufgetragener Ergriffenheit gibt es die Regieanweisungen wie eine Bibellesungen vom Rednerpult aus. Und alle rechts und links neben Pult sitzenden Protagonisten werfen sich in diese Trauer über die verlorenen Utopien, zelebrieren die Geschichte jener metaphorischen, sozusagen postfaktischen Traumstadt Mahagonny. In der im Angesicht der Katastrophe die letzten Verbindungen zur überlieferten Moral gekappt werden. Das einzige, was jetzt zählt, ist der Besitz von ausreichend Geld. Die Regie übersetzt diesen Malstrom in den Abgrund durch einen Wechsel in der ästhetischen Gangart. Wenn es zuerst das ausgestellte Pathos ist, was in Spannung zu Musik und Text tritt, so ist es nach der "Du darfst!" Inauguration des grundsätzlich moralfreien Handelns ein wüster Trash.

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Am Ende ist nichts mehr übrig von der Feierlichkeit des Anfangs

Da ziehen sich Jim Mahoney (Ralph Ertel), die Witwe Begbick (Svitlana Slyvia), Dreieinigkeitsmoses (Ki-Hyun Park), Jenny (Ines Lex), Jack O'Brian (Robert Sellier), Alaskawolfjoe (Vladislav Solodyagin), der Prokurist (Philipp Werner) und Sparbüchsenbill (Franz Xaver Schlecht) in den Raum unter dem Orchester zurück. Auf einer Leinwand wird verfremdet übertragen, in welche grotesk infantilen Spiele sie sich flüchten. Natürlich mit Plaste-MPis und Spielzeugen aller Art. Die sie sich dann so ähnlich wie Sprengstoffgürtel mit Folie um den Körper wickeln. Wenn sie dann in dieser zum Bild gewordenen Sinnlosigkeit im Finale auf die Bühne torkeln, ist das der denkbar größte Kontrast zur Formstrenge einer kollektiven Trauer. Und die Utopielosigkeit ist bei sich an- und auf den Punkt gekommen.


FAZIT

Michael von zur Mühlen inszeniert den Brecht/Weill-Klassiker als eine Passion.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Sprenger

Inszenierung
Michael von zur Mühlen

Ausstattung
Christoph Ernst

Video
Vincent Stefan

Licht
Max Karbe

Chor
Peter Schedding

Dramaturgie
Jeanne Bindernagel


Chor und Extrachor der Oper Halle

Staatskapelle Halle


Solisten

Leokadja Begbick
Svitlana Slyvia

Fatty, der "Prokurist"
Philipp Werner

Dreieinigkeitsmoses
Ki-Hyun Park

Jenny Hill
Ines Lex

Jim Mahoney
Ralph Ertel

Jack O'Brian, Tobby Higgins
Robert Sellier

Bill, Sparbüchsenbill
Franz Xaver Schlecht

Joe, genannt "Alaskawolfjoe"
Vladislav Solodyagin


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Opernhaus Halle
(Homepage)






Da capo al Fine

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