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Tschick

Road Opera
Libretto von Tiina Hartmann nach dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Herrndorf
Musik von Ludger Vollmer


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)


Auftragswerk des Theater Hagen
Uraufführung im Theater Hagen am 18. März 2017

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Das soll die Musik des Erwachsenwerdens sein?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)

Das Rezept ist vergleichsweise schlicht: Man nehme einen populären Stoff und vertone ihn leicht verdaulich. Mit Gegen die Wand (nach dem Film von Fatih Akin, 2008 uraufgeführt in Bremen)und Lola rennt (nach dem Film von Tom Tykwer, 2013 in Regensburg) hat das immerhin so gut funktioniert, dass das Theater Hagen beide Produktionen nachgespielt hat, auch wenn künstlerische Gründe für eine Opernversion in beiden Fällen nur mit sehr, sehr viel Wohlwollen auszumachen waren. Jetzt hat man in Hagen eine Uraufführung bei Vollmer bestellt, und mit Tschick nach dem überaus erfolgreichen (Jugend-)Roman von Wolfgang Herrndorf auch gleich das passende Sujet vorgeschlagen. Die Bühnenfassung davon avancierte immerhin zum meistgespielten Theaterstück der letzten Jahre. Hinzu kommt die Verfilmung von Fatih Akin. Tschick kennt man. Das hat sicher keine kleine Rolle gespielt.

Vergrößerung in neuem Fenster Maik und Tschick, beide 14, in einem gestohlenen Auto.

Ein paar musikalische Spuren, die freilich nicht in Richtung Oper verlaufen, hat Romanautor Herrndorf ja ausgelegt: Tschick, der deutschrussische Außenseiter der Berliner Oberschule, und Maik, der aus ebenso wohlhabender wie zerrütter Familie stammende anders geartete Außenseiter, finden in dem kurzerhand geklauten Wagen, mit dem sie im ostdeutschen Nirgendwo herumirren, eine altmodische Audiokasette mit Musik von Richard Clayderman. Das ist eine dieser genial lakonischen Pointen, die Herrndorf völlig unopernhaft setzt. Vollmer und seine Librettistin Tiina Hartmann, die sich weitestgehend ganz brav an Herrndorf Roman entlang hangelt, greifen das kurz auf, lassen die beiden Ausreißer eine Kasette mit irgendwie moderner Klaviermusik finden und umgehend wieder entsorgen ("sicher Mozart oder sowas"). Damit das Werk ein bisschen mehr wird als der Soundtrack zur Handlung, ist leitmotivisch ein Gedicht von Christian Morgenstern eingebaut ("Die zwei Parallelen"), dessen Textzeilen vom Chor immer wieder hämmernd skandiert werden, was zunehmend nervt. Und eben dieser Chor, ein wenig im Stil der antiken Tragödie das Drama kommentierend und in ziemlich stupiden Ressentiments gefangen die "öffentliche Meinung" darstellend, der soll das Geschehen überhöhen - gefühlt sind das die allerschwächsten Szenen des Stücks.

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Isa, das Mädchen von der Müllkippe

So nimmt das Unvermeidliche seinen Lauf: Wir sehen zweieienhalb Stunden mit an, wie Erwachsene so tun, als könnten sie total jugendlich das Seelenleben Heranwachsender darstellen. Vollmer hat für Tschick und Maik zwei veritable Baritonpartien geschrieben, wobei man Andrew Finden den biederen Maik kaum, Karl Huml den anarchischen Tschick auch nicht einen einzigen Takt lang abnimmt. Keine Frage, beide singen toll, Findens schlanke und Humls sehr sonore Stimme bewältigen die Partien ausgezeichnet - aber welche 14-jährigen kämen auf die Idee, sich singend in (moderater) Jugendsprache zu verständigen? Zumal Huml auch nicht entfernt dem Bild eines Pubertierenden entspricht (eher schon denkt man an The Big Lebowski).

Vergrößerung in neuem Fenster "Willst Du ficken?" Nein, das will oder kann Maik nicht.

Vollmer und Hartmann bemühen sich um kurze Szenen und hohes Tempo, was leidlich gut gelingt - der Schluss der Oper allerdings zieht sich ziemlich, auch weil es dem Jugendrichter (mit großartiger vokaler Noblesse: Heikki Kilpeläinen) übertragen ist, pathetisch über den Lebensweg der Jugendlichen zu sinnieren - so viel Pädagogik muss sein (der Charme des Romans besteht ganz wesentlich darin, auf Pädagogik zu verzichten). Hier und da fragt man sich, warum Vollmer Steilvorlagen für Ruhepunkte und dramaturgisch begründete theatralische Ausschweifungen nicht konsequenter nutzt (etwa in der Szene, in der Maik und Tschick den Sternenhimmel betrachten). An anderen Stellen fehlt es an musikalischem Witz. Vollmer baut immer wieder moderne Unterhaltungsmusik ein (was inhaltlich nahe liegt), könnte dabei sehr viel radikaler vorgehen - in der Einführung vor der Premiere sprach er von der Verwendung der "schmutzigen" E-Gitarre, die aber bei ihm lediglich eine interessante Klangfarbe ist und nicht mehr. Eine klangliche Chiffre für den Freiheitsdrang der beiden Außenseiter sucht man vergebens. Die formal ziemlich konventionell als Nummernoper gehaltene Musik pendelt zwischen gemäßigtem Konversationston und ein paar schlagwerklastigen Härten - harmlos und mainstreamtauglich etwa im Vergleich zu Ligetis auch nicht mehr ganz jungem Le Grand Macabre, um ein Beispiel aus dem Opernrepertoire zu nennen.

Vielleicht könnte man die Geschichte für die Opernbühne retten, wenn die Musik sehr viel rockiger, eben "schmutziger", vor allem mutiger wäre. Es gibt ein paar Stellen, wo sich das andeutet, am interessantesten vielleicht beim Auftritt von Isa, dem Mädchen, das auf der Müllkippe lebt. Vollmer such nach einem nachvollziehbaren Grund dafür (Herrndorf brauchte nie Begründungen) und zitiert aus Wilhelm Buschs Max und Moritz, völlig aus dem Kontext gerissen: "Kurz, man ist darauf bedacht / Was dem Onkel Freude macht." Offenbar wurde diese Isa Opfer sexuellen Missbrauchs durch ebenjenen "Onkel", was ihr aber eine furiose Auftrittsarie verschafft, deren unverholener Zorn die Figur stärker charakterisiert, als es bei Maik und Tschick (obwohl die sehr viel größere Partien haben) gelingt, die musikalisch ziemlich blass bleiben. Kristine Larissa Funkenhauser singt und spielt diese Isa bravourös, und dass sie die im Roman ganz wunderbare Doch-nicht-Liebesszene ganz werktreu mit entblößtem Oberkörper spielt, ist die mit Abstand verwegenste Entscheidung in Roman Hovenbitzers allzu biederer Regie, die zwar klug weitgehend auf eine realistische Erzählweise verzichtet und sich mit Andeutungen begnügt, das aber meist viel zu harmlos. Einigermaßen aufgefangen wird das durch die allerdings wunderbaren Videoeinblendungen (Krista Burger), gezeichnete Stadt- und Industrielandschaften und mancher phantastische Einfall mehr, die vorbei ziehen und eine Ahnung von road movie ganz eigener Prägung vermitteln. Die Ausstattung von Jan Bammes dagegen (mit einem arg schlicht geratenen Auto) trägt, von dem ganz ansehnlichen Haus von Maiks Familie, wenig Überzeugendes bei.

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Strafpredigt: Maik mit Eltern

Und an wen wendet sich nun diese Oper? Für das erwachsene Stammpublikum ist das eine allzu dürftige Novität. Das mit dem Sujet anvisierte jugendliche Publikum wird wohl in Anerkennung der Bemühungen brav applaudieren - und innerlich feststellen, dass Oper wohl doch eine ziemlich biedere Angelegenheit der Älteren ist. Vollmers Mittelweg führt ins Leere. Gleichwohl merkt man der engagiert gesungenen und gespielten Aufführung an, mit wie viel Herzblut das Theater Hagen auch hier zur Sache geht. Sängerisch und darstellerisch imponieren Rainer Zaun als Maiks Vater und Richard van Gemert als skurriler Weltkriegsveteran. Der von Wolfgang Müller-Saalow einstudierte um den Extrachor verstärkte Opernchor singt mit für diese Musik deutlich zu viel Vibrato. Das Philharmonische Orchester Hagen unter der Leitung von Chefdirigent Florian Ludwig leistet sich leider ein paar Patzer an prominenten Stellen, trifft den Gestus zwischen Populär- und Kunstmusik aber sicher.


FAZIT

Wenn Erwachsene versuchen, sich in 14-jährige hineinzuversetzen, geht das meisten schief - so auch hier. Aus einem hinreißenden Roman wird eine ausgesprochen banale Oper gemacht.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Ausstattung
Jan Bammes

Video
Krista Burger

Licht
Ulrich Schneider

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Ina Wragge


Chor und Extrachor
des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

Maik
Andrew Finden

Tschick
Karl Huml

Isa
Kristine Larissa Funkhauser

Mutter von Maik
Marilyn Bennett

Vater von Maik
Rainer Zaun

Friedemann, Mona
Maria Klier

Horst Fricke
Richard van Gemert

Schulze
Werner Hahn

Leher, Richter, Vater Heckel
Heikki Kilpeläinen

Mutter Friedemann
Sophia Leimbach
Dorothee Ueter
Diatra Zulaika

Krankenschwester
Sophia Leimbach
Dorothee Ueter
Diatra Zulaika

Taxifahrer
Wolfgang Niggel

Tatjana
Elizabeth Pilon

Elisabeth
Alicia Susanna Nsukami

Florentine
Ann-Kathrin Niemczyk

Jonas
Nicole Naughton


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




Da capo al Fine

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