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Schön ist es nicht an der grauen Donau
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)
Eine junge Frau stürzt sich ausgerechnet am Tag ihrer Verlobung in die Arme eines fremden Mannes, wirft alles hin und hofft auf das große Los, der Enge ihrer Herkunft und ihres Viertels zu entkommen; die Beziehung scheitert schnell, aus der Not heraus wird sie kriminell, das aus der Beziehung entstandene Kind stirbt - und am Ende ist vieles auf Anfang: Der ungeliebte Verlobte Oskar kriegt "seine" Marianne doch noch. Glück sieht freilich anders aus. Ödön von Horvath schrieb sein Schauspiel Geschichten aus dem Wiener Wald 1931, und der Moralkodex hat seitdem ein paar Verschiebungen durchgemacht; so ganz anders funktioniert die Welt in den nicht überall schönen Vierteln um das Hagener Theater herum aber wohl auch heute nicht. Der Wiener Komponist HK Gruber hat das Schauspiel, von Librettist Michael Sturminger auf opernverträgliche Maße gekürzt, als Auftragswerk für die Bregenzer Festspiele und das Theater an der Wien komponiert, und nach der Bregenzer Uraufführung 2014 hat die Komische Oper Berlin das Werk in einer eigenen Produktion zur Diskussion gestellt (unsere Rezension). Mit der Premiere am trotz aller finanziellen Probleme entdeckungsfreudigen Theater Hagen unterstreicht die Oper jetzt ihre Repertoiretauglichkeit. Gleich wird in der Donau gebadet: Mariannes Vater der "Zauberkönig", und Valerie, Inhaberin des Trafiks nebenan
Die Musik HK Grubers stellt sich in die Nachfolge von Kurt Weill - immer wieder klingen doppelbödige Tanzrhythmen an, Walzerfetzen natürlich, prächtig dekonstruiert; die Musik klingt oft "schmutzig", bietet interessante und vielfältige Farben und unterlegt wie ein schräger Subtext in dezenten Lautstärken die häufig unopernhaft geradlinig vertonte Dialoge, die dadurch eine gute Textverständlichkeit behalten. Wenn die Personen aber aneinander vorbei reden, dann vertont Gruber auch gerne im vollen, schnatternden Orchestersatz das Scheitern der Kommunikation - wo eh' keiner dem anderen zuhört, muss auch das Publikum nix verstehen. Dazu kommen ein paar expressive Ausbrüche wie bei Alban Berg. Sicher braucht das Schauspiel keine zusätzliche musikalische Dimension, das ist das alte Problem der Literaturoper, und sicher hätte Grubers Partitur radikaler ausfallen können, um sich trotzdem zu behaupten. Die Hagener Aufführung aber ist trotz der Länge von über drei Stunden durchgehend spannend und gewinnt der Geschichte und ihren Figuren musikalisches Profil ab. Aus dem Bad in der Donau wird ein amouröses Abenteuer für Marianne und Alfred, der bei Frauen nicht nein sagen kann
Ein wenig atmosphärischer als in dem allzu unterkühlt neutralen und nach Billig-Lösung aussehenden, trist grauen Bühnenbild von Jan Bammes hätte die Inszenierung des scheidenden Intendanten Norbert Hilchenbach dabei durchaus ausfallen dürfen. Kahle Wände, der Bühnenrand und manche Türöffnung gerahmt von Varieté-Lampen (warum eigentlich? Die Varieté-Episode spielt keine allzu große Rolle) öffnen das Stück zwar hin zur überzeitlichen Deutung, lassen die Genre-Figuren aber ein wenig hilflos im leeren Raum stehen. Dabei hat Hilchenbach eine nahezu perfekt passende Besetzung zusammen. Die mädchenhaft zierliche Jeanette Wernecke ist in jedem Moment glaubwürdig als Marianne, und dass ihr beweglicher Sopran eben doch sehr klein ist, das passt hier ausgezeichnet, weil im Kontrast dazu die flammenden Emphase im Ausdruck die Auflehnung gegen das Schicksal wie gegen das Orchester unterstreicht. Bariton Kenneth Mattice gibt den Kurzzeitgeliebten Alfred als körperlich sehr attraktiven Hallodri mit mafiöser Aura, die Stimme hat jugendlich-schlankes Timbre und Durchsetzungsvermögen - der ist schon eine Nummer, dieser Alfred. Philipp Werner legt Mariannes erst-nicht-und-am-Ende-doch-Verlobten Oskar mit ausdrucksfähigem und höhensicherem Tenor leicht schmierig und ein wenig tumb an, eigentlich ein Versager, der erst zum Erfolg kommt, als Marianne vollständig vernichtet ist - leichte Beute für den Metzger, der zu anderem wohl nicht fähig ist. Der Lebensentwurf, der für Marianne vorgesehen ist: Metzger Oskar (rechts) mit Gehilfe
Kristine Larissa Funkhauser gibt der lebenserfahrenen und liebestollen Nachbarin Valerie ein vielschichtiges Profil, stimmlich jederzeit souverän, Martin Blasius als Vater Mariannes, Joselyn Rechter als Mutter Oskars und Marilyn Bennett als Großmutter überzeugen als teilweise bitterböse Verwandtschaft. Dazu gesellen sich Rainer Zaun als amerikanischer Gast in dem Varieté, in dem Marianne kurzzeitig unbekleidet auftritt, und Richard van Gemert als halbseidener Hierlinger Ferdinand, der sie dorthin vermittelt, außerdem Andrew Finden als unsensibler Beichtvater - allesamt mit großer Spielfreude und sehr ordentlichen Gesangsleistungen. Ein Bravourstück legt Björn Christian Kuhn mit markigem Tenor als Student Erich hin, ein deutschnationaler Wiederling besonderer Güte. Der Chor macht seine Sache ordentlich, fällt aber nicht weiter ins Gewicht. Alfreds Großmutter hat durch bewusst unfürsorgliches Verhalten zum Tod ihres Enkels beigetragen; ganz unglücklich ist Alfred darüber nicht.
Seinen Abschied gibt auch GMD Florian Ludwig, der mit dem Hagener philharmonischen Orchester die Sänger sensibel und mit schön ausgehörten Klangfarben begleitet, es aber in den hochexpressiven Momenten ohne Gesang mit knalligen Blechkaskaden ordentlich krachen lassen kann. Die Wechsel zwischen lapidarer Gebrauchsmusik und hohem Opernton gelingen mit großer Souveränität und Grubers Musik entfaltet doch einigen Reiz. So mögen die Geschichten aus dem Wiener Wald kein ganz großes musikalisches Meisterwerk sein, aber sie sind am Theater Hagen bestens aufgehoben und bereichern den Spielplan unbedingt. Viel Beifall.
Auch wenn der Wiener Schmäh kurz kommt, eine tolle Aufführung eines interessanten Werks. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Marianne
Alfred
Oskar
Valerie
Zauberkönig
Die Mutter
Die Großmutter
Erich
Rittmeister, Beichtvater
Mister
Der Hierlinger Ferdinand
Havlitschek
1. Tante
2. Tante
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