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Menschliches,
Allzumenschenliches, Unmenschliches Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauk Werke des modernen Musiktheaters haben es nicht leicht, selbst wenn ihr Komponist Hans Werner Henze heißt und einer ihrer bedeutendsten Komponisten ist. Seine Oper Die englische Katze wurde 1983 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt. Der Komponist führte selbst Regie (was damals wie heute Dimensionen eröffnet). Den Sprung ins Repertoire hat das Werk - wie so viele seiner Artgenossen - nie geschafft. Es steht nur selten auf den Spielplänen der Opernhäuser und das ist bedauerlich, denn es hat einen ganz besonderen Reiz und mannigfache Qualitäten, was die Produktion des Staatstheaters Hannover sehr deutlich macht. Das Libretto stammt aus der Feder des Dramatikers Edward Bond, der das Werk nach eigenem Bekunden als „Sittenkomödie“ verstanden wissen wollte. Das Parabelhafte, ironisch Moralisierende und mit Humor Entlarvende dieser in ihrer Doppelmoral und Egozentrik allzu menschlichen Katzen wirkt dabei nie aufgesetzt, sondern macht augenzwinkerndes Vergnügen, z. B. wenn die Justiz auf's Korn genommen wird: Staatsanwalt, Verteidiger und Richter werden von Hunden gemimt, die Geschworenen von Vögeln. Der Pfarrer wird von einem Schaf dargestellt und die finale Teufelei wird von einem Fuchs ausgeführt. Ganz besondere Humor-Qualitäten zeigt das Textbuch aber in den wie von links eingeworfenen Nebensätzen und Andeutungen. Julia Sitkovetsky (Louise, unten), Hanna Larissa Naujoks (Babette, hinten rechts), Ensemble Die Geschichte spielt um 1900 in London. Erster Akt Edward Mout (Pfarrer), Mareike Morr (Lady Toodle), Carmen Fuggiss (Miss Crisp), Stella Motina (Mrs. Gomfit), Ania Vegry (Minette), Sung-Keun Park (Lord Puff), Martin Busen (Mr. Plunkett) Zweiter Akt Daniel Eggert (Arnold, l.), Ania Vegry (Minette), Matthias Winckhler (Tom), Ensemble Ein geradezu
überbordender Strauß von Symbolen und Anspielungen in einem
Libretto, das mit feiner Komik alles auf's Korn nimmt, was Menschen tun
und denken, fühlen und vortäuschen. Gern in Form von ironisch
gepaarten Gegensätzen und oft als böse und/oder sympathische
Ehrlichkeiten, die man eigentlich verschweigen sollte. Mit charmant
verkleideten Bissigkeiten gegen Selbstdarstellung und Scheinheiligkeit
von Gesellschaftsordnungen und falsch verstandenem Christentum. Und
auch typisch Englisches wird karikiert: neben der besonderen Form von
Contenance auch ganz Konkretes, z. B. die Szene, in der sich das
Gericht zum Tee zurückzieht. Henze hat erklärt: „Weil ich an die revolutionären Kräfte in den Menschen glaube, ist es eine optimistische Musik, die lachen und weinen will und das hochverehrte Publikum zum Weinen und Lachen erweichen.“ Diese Musik bewegt sich scheinbar frei zwischen Harmonik und Atonalität, bleibt dabei aber immer gut anhörbar, ok: fast immer... Sie enthält romantisch anrührende Passagen, die gern auch mal ironisch gebrochen werden. Sie imitiert keine Tierlaute, sondern möchte Stimmungen und Atmosphären vermitteln. Einzelne Instrumente des klein besetzten Orchesters sind bestimmten Figuren zugeordnet. Nummernbezeichnungen wie „Gebet und Polka“, „Andantino und Walzerino“, „Schwur-Duett“ und „K.G.S.R.-Walzer“ unterstreichen das Humorvolle und Ironische des ganzen Werkes, dass als Nummernoper konzipiert ist. Ania Vegry (Minette), Daniel Eggert (Arnold), Carmen Fuggiss (Miss Crisp), Stella Motina (Mrs. Gomfit), Mareike Morr (Lady Toodle), Martin Busen (Staatsanwalt), Byung Kweon Jun (Richter), Matthias Winckhler (Tom) Regisseurin Dagmar Schlingmann, die künftige Intendantin des Staatstheaters Braunschweig, verzerrt die Geschichte ins Groteske und interpretiert die Fabel, indem sie Hintergründiges durch Überzeichnung deutlich zu machen versucht, manchmal skurril, zuweilen absurd. In den Kostümen aus der vorletzten Jahrhundertwende von Ellen Hofmann stecken keine Katzenköpfe, sondern Menschen einer degenerierten, heruntergekommenen Gesellschaft, die immer mal wieder in Verhaltensweisen und Gesten von Katzen verfallen und deren Frisuren Katzenohren andeuten. Sind es Mensch gewordene Tiere, deren Animalisches doch wieder hervortritt? Die Grenzen zwischen Mensch und Katze sind schwimmend und durch groteske Überzeichnung entsteht eine Distanz, durch die der Zuschauer individuelles und gesellschaftlich menschliches Verhalten wiedererkennen kann, ohne das Gefühl zu haben, dass ihm der Spiegel direkt vor die Nase gehalten wird. Das ist das gleiche Prinzip, nach dem auch die Fabel im Original arbeitet, die ihre Botschaft allerdings dezenter und feinsinniger vermittelt. Um ein Beispiel zu nennen: Menschen, die sich über Frauen und die Ehe mokieren, sind gewöhnlich. Wenn Katzen dies tun, bekommt das eine ganz besondere Komik. Auch das Bühnenbild von Sabine Mader ist grotesk: ein heruntergekommener, schräg auf der Bühne schwebender Raum, in den ein Baumstamm hineingebrochen ist. Übergroße Kieselsteine liegen neben einem ausgeblichenen Teppich, der sich die hintere Wand hinaufschiebt und am vorderen Rand herunterhängt. Zu einer Flügeltür führen Treppenstufen hinauf und links befindet sich ein großer Tresor. Eine Jugendstil-Deckenleuchte ragt von der linken Wand aus seitlich in den Raum. Unter ihm befindet sich ein schmutziger Keller, in dem Louise gehalten wird. Ein „I love EU“-Aufkleber im Keller und die Zeichnung einer Katze mit „no brexit“-Schild auf der Rückseite des Hauses schlagen eine Brücke in die Gegenwart. Schwarze Müllsäcke sind allgegenwärtig. Zur Dachszene versinkt der Raum langsam in der Unterbühne und aus dem Schnürboden schwebt eine knallrote Feuerleiter herab, auf der sich Minette vor Tom und seinem Bruder in Sicherheitsabstand bringt. Im Hintergrund sieht man die Katzentruppe und als Mondaufgang wird der Raum mit grell scheinender Deckenleuchte wieder in die Höhe gefahren. Zurück im Einheitsraum wird Minette in ihr Hochzeitskleid gesteckt. Puff schaut lüstern zu. Während Puff vom falschen Arzt untersucht wird, kaut der Pfarrer im Keller heimlich an einem großen rohen Steak. Vollkommen skurril ist die Hochzeitszeremonie inszeniert, an deren Ende der Geistliche den Eheleuten die Ringe ansteckt, deren Kästchen hinter sich wirft und Puff dem Publikum den Stinkefinger zeigt. Ania Vegry (Minette) Zu Beginn des zweiten Aktes
kommt Tom nicht aus dem Wasser, sondern schwebt auf der Feuerleiter vom
Himmel. Nachdem Puff die beiden entdeckt hat, sperrt er Minette
in den Tresor, der inzwischen leer ist und der sich, wenn sich der Raum
dreht, von der anderen Seite als Anklagebank im Scheidungsprozess
zeigt. Ein starkes Bild. Warum der Staatsanwalt Arnold zur Aussage
geradezu prügeln muss, ist ebenso unverständlich, wie der
Umstand, dass niemand den armen Verteidiger die Fesseln abnimmt, so
dass der versucht, sich die Perücke aufzusetzen, indem er sie mit
den Zähnen in die Luft schleudert. Der Staatsanwalt erkennt Tom
als Sohn des Lord Fairport dadurch, dass er an ihm nach Katzenmanier
schnüffelt. Die Müll-Ästhetik wird ja immer wieder gern genommen, doch
gerade hier wirkt sie besonders befremdlich, denn eigentlich leben
diese Katzen in einem Wohlstand, aus dem heraus sie dekadent geworden
sind. Auch erklärt es sich nicht, dass sie ihr
Alibi-Mäuschen im schmutzigen Keller halten. Als
Aushängeschild ihrer Wohltätigkeit sollte Louise doch
gehätschelt und getätschelt werden – auch, wenn sie alle mit
der Aufzählung ihrer gefressenen Verwandtschaft immer wieder
nervt. Aber vielleicht ist sie ja auch nur ein Vorführobjekt, das
ansonsten unterdrückt und misshandelt wird. Indem die Inszenierung die Fabel auflöst und doch eher menschliche statt tierische Figuren zeigt (Hunde und Schaf gibt es nicht, lediglich die Vögel sind erkennbar, wenn auch karikaturenhaft überzogen), Charaktere umformt, die Gesellschaft nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich verarmt darstellt und sich des Stilmittels der grotesken Überzeichnung bedient, nimmt sie dem Stück einen Großteil seines Zaubers, seiner Subtilität, seines Charmes. Das ist zwar durchaus eine Interpretationsmöglichkeit, bei einem so selten gespielten Werk wie Die englische Katze aber doch besonders schade. Ania Vegry ist eine großartige Minette. Ihr in den Koloraturen höchst geläufiger Sopran hat Wärme und Substanz, Ausdruckskraft und Intonationssicherheit. Mit Matthias Winckhler als Tom hat sie einen adäquaten Partner, der mit hoher Stimmkultur und ausgesprochen schönem Timbre nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Julia Sitkovetsky ist eine bezaubernde Louise und mit ihrer glasklaren, anrührenden Stimme geradezu eine Idealbesetzung der kleinen Waisenmaus. Daniel Eggert ist ein stimmvoller und wohlklingender Arnold, Sung-Keun Park ein uriger, stimmakrobatischer Lord Puff, der aber in der Höhe etwas eng klingt. Aus dem gut aufeinander abgestimmten, ebenso spielfreudigen wie gesanglich hoch engagierten Ensemble lässt Martin Busen als Staatsanwalt und Mr. Plunkett besonders aufhorchen. Die besondere Herausforderung der modernen Musik meistert das Ensemble mit Bravour und hinterlässt in jedem Moment den Eindruck von Sicherheit und Souveränität, was ebenso für das Staatsorchester Hannover unter der Leitung von Mark Rohde gilt, der die zuweilen doch sehr wirren musikalischen Fäden fest in der Hand hält und dabei auch der ungewöhnlich großen Vielfalt von musikalischen Stimmungen und Ausdrucksformen gerecht wird.
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Licht Dramaturgie
Niedersächsisches
Statisterie der
Solisten Lord Puff Arnold Lousie Mr. Keen / Peter / Verteidiger / Mr. Jones / Mr. Fawn/Richter Mr. Plunkett / Der Staatsanwalt Miss Crisp Mrs. Gomfit Lady Toodle Minette Babette Tom Weitere
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