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Im Land der
1001 Zwiebeln
Von Thomas Molke /
Fotos von Rolf K. Wegst
Peter Cornelius gilt zwar als wichtiges Bindeglied zwischen der traditionellen
deutschen Spieloper und Richard Wagners Meistersingern, ist aber als
Komponist so gut wie gar nicht mehr auf den Spielplänen vertreten. Sich selbst
bezeichnete er einmal als "Nebenmensch", der neben den berühmten Vertretern
seiner Zeit, Hector Berlioz, Franz Liszt und nicht zuletzt Richard Wagner, eher
"wie eine Schnecke... auf den Parnass kriecht". Dabei zählt seine komische Oper
Der Barbier von Bagdad neben Wagners Meistersingern zu den
bedeutendsten komischen Opern des 19. Jahrhunderts, und für namhafte Tenöre wie
Rudolf Schock und Fritz Wunderlich gehörte die Tenorpartie des Nureddin zu den
absoluten Paraderollen. Dass die Uraufführung am 15. Dezember 1858 in Weimar ein
Misserfolg wurde, der sogar zur Entlassung von Franz Liszt als Operndirektor und
Hofkapellmeister führte, lag weniger an der Qualität des Werkes als vielmehr an
einer sorgfältig ausgearbeiteten Intrige des Weimarer Intendanten Franz von
Dingelstedt, der der "Neudeutschen Schule" sehr ablehnend gegenüberstand und
deshalb zahlreiche Personen eingeschleust hatte, die die Aufführung mit lautem
Pfeifen und Zischen störten. Cornelius selbst erlebte keine weitere Aufführung
seines Werkes. Erst nach seinem Tod arbeiteten seine Zeitgenossen Felix Mottl
und Hermann Levi die Partitur für weitere Aufführungen in Karlsruhe und München
um und passten sie ihren spätromantischen Klangidealen an. Das Theater Gießen,
das seit vielen Spielzeiten mit vergessenen Werken des 19. Jahrhunderts auch
überregional auf sich aufmerksam macht, hat sich beim Barbier für
Cornelius' ursprüngliche Fassung entschieden.
Der geschwätzige Barbier (Philipp Meierhöfer,
rechts) und Nureddin (Clemens Kerschbaumer, links)
Die Handlung basiert auf der "Geschichte des Schneiders", der 34. Erzählung aus Tausendundeiner Nacht. Nureddin, ein junger Mann, ist an schwerem Liebeskummer erkrankt. Er hat nämlich
Margiana, die schöne Tochter des Kadis Baba Mustapha, beim Blumengießen am Fenster gesehen und verzehrt sich seitdem in Liebe zu ihr.
Sein Zustand bessert sich sofort, als Margianas Vertraute Bostana erscheint und
ihm ein Rendezvous mit der Angebeteten in Aussicht stellt, ihm jedoch rät, sich
vorher rasieren zu lassen. Der herbeigerufene Barbier Abul Hassan Ali
Ebn Bekar ist allerdings nicht nur ein einfacher Barbier, sondern auch als
Wahrsager tätig und rät Nureddin dringend davon ab, das Haus zu verlassen. Da
Nureddin dem Gerede des Barbiers keinen Glauben schenkt, folgt Abul Hassan dem
jungen Mann, um ihn vor seinem Unglück zu bewahren. Im Hause des Kadis herrscht
derweil große Freude. Mustapha wartet auf seinen Jugendfreund Selim, der
Margiana heiraten möchte und bereits eine große Schatzkiste für seine zukünftige
Braut geschickt hat. Margiana fiebert dem Treffen mit Nureddin entgegen, der zu
ihr kommen soll, wenn der Kadi sich in die Moschee begeben hat. Es kommt zu
einem Liebestreffen, das aber von der frühzeitigen und unerwarteten Rückkehr
Mustaphas jäh unterbrochen wird. Nureddin versteckt sich in der Schatzkiste. Da
der Barbier jedoch glaubt, dass Mustapha den jungen Mann getötet und den
Leichnam in der Schatzkiste versteckt habe, dringt er mit allerlei Volk in das Haus des Kadis ein,
um die Schatzkiste mitzunehmen. Die Aufregung ruft schließlich auch den Kalifen
auf den Plan, der eine Aufklärung verlangt. Als Margiana die Kiste öffnet,
findet man
dort einen scheinbar leblosen Nureddin, dessen Lebensgeister durch Margianas
Stimme wieder geweckt werden. Der Kalif ordnet an, dass die beiden vermählt werden sollen, und nimmt den Barbier als Geschichtenerzähler in
seine Dienste.
Der Kadi Baba Mustapha (Dan Chamandy) will seine
Tochter Margiana (Karola Pavone, hinten links mit Marie Seidler als Bostana) mit
seinem Freund Selim verheiraten.
Roman Hovenbitzer verzichtet in seiner Inszenierung auf orientalisches
märchenhaftes Flair und macht aus den 1001 Erzählungen 1001 Zwiebeln, die auf
einem Feld ausgesät werden und zu Blumen heranwachsen könnten, wenn nicht
irgendwelche Schädlinge dies vorher verhindern würden. So sieht man den Barbier
bereits beim Orchestervorspiel als alten Gärtner mit langem Rauschebart
auftreten und eine große Zwiebel einpflanzen. Das Bühnenbild und die Kostüme von
Duncan Hayler greifen dieses Naturmotiv in einer mikroskopischen Vergrößerung
wieder auf. Ein ironischer Stilbruch sind dabei die überdimensionale
Wilkinson-Klinge im Hintergrund des Zwiebelfeldes im ersten Akt und die beiden
riesigen Scheren und der Kamm im Palast des Kadis im zweiten Akt, die wohl auf
das Handwerk des Barbiers anspielen sollen. Der Chor krabbelt wie
überdimensionale Blattläuse direkt zu Beginn des ersten Aktes über die Bühne und
verhindert, dass die ausgesäten Zwiebeln sich zu roten Blumen entwickeln. Soll
das ein Bild für Nureddins Sorge sein, dass die von ihm geliebte Margiana
unerreichbar ist? Hovenbitzer lässt den jungen Mann als ein Insekt auftreten,
das seine Flügel abgestreift hat. Wieso auf den gelben Stäben, die er um seinen
Körper trägt, "RETTUNG" steht, erschließt sich nicht. Unklar ist auch, wieso
Bostana als Maulwurf auftritt. Liegt es daran, dass sie heimlich den Plan des
Kadis, nämlich seine Tochter mit seinem Freund Selim zu verheiraten,
unterwandern will?
Nureddin (Clemens Kerschbaumer, vorne rechts)
erwacht durch Margiana (Karola Pavone, rechts) zu neuem Leben (ganz links:
Mustapha (Dan Chamandy), daneben: der Kalif (Grga Peroš), in der Mitte links:
der Barbier (Philipp Meierhöfer), zweite von rechts: Bostana (Marie Seidler), im
Hintergrund: Chor).
Wenn der Barbier dann bei Nureddin erscheint, um ihn zu rasieren, kriecht er als
eine Art Schildkröte sehr langsam über die Bühne. Der Schildkrötenpanzer besteht
aus mehreren Schalen, die wohl seine sechs Brüder repräsentieren, die er
allesamt durch Liebesleid verloren hat. Um sich des geschwätzigen Barbiers zu
entledigen, verwickelt Nureddin ihn in eine Art Spinnennetz, wobei offen bleibt,
wie sich der Barbier im zweiten Akt wieder daraus befreit hat. Bei Margiana ist
im zweiten Akt nicht ganz klar, ob sie in einem Kokon oder einem Spinnennetz im
Palast ihres Vaters gefangen gehalten wird. Die einzelnen Beine, die sich
hierbei öffnen und von denen sie, umgeben von schwarzen Tänzerinnen mit roten
Tüchern, eingeschlossen ist, erinnern eher an eine Spinne, deren Beute sie ist.
Wenn sie allerdings am Ende mit Nureddin glücklich vereint ist, entwickelt sie
sich zu einem bunten Falter, was dann doch eher für einen Kokon zu Beginn des
Aktes spricht. Ihr Vater wird als nicht näher definierter Käfer dargestellt,
während der Kalif mit einem Zwiebelkopf auftritt, in dem ein Krummsäbel steckt.
Es erschließt sich zwar nicht, was das eigentlich mit der Geschichte zu tun hat,
aber dem Publikum scheinen die aufwändig gestalteten Kostüme, das bunte
Bühnenbild und die Verlagerung in eine Fantasiewelt zu gefallen, so dass die
zahlreichen Gags mit begeisterten Lachern goutiert werden.
Happy End für Margiana (Karola Pavone, hinten
Mitte) und Nureddin (Clemens Kerschbaumer, hinten Mitte), vorne links: der
Barbier (Philipp Meierhöfer), vorne rechts: Mustapha (Dan Chamandy)
Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Das Philharmonische
Orchester Gießen unter der Leitung von Jan Hoffmann arbeitet die Feinheiten der
Partitur sorgfältig heraus, so dass nachvollziehbar wird, wieso Cornelius sich
als eine Art "zweiten Lortzing mit noblerer Faktur" gesehen hat. Einerseits
klingt sein Stil nämlich stellenweise schlicht und volksliedhaft, andererseits
nähert er sich bereits Wagners hehrer Musiksprache an. Die Melodien sind dabei
unterhaltsam, jedoch nicht direkt eingängig. Für die Titelpartie ist Philipp
Meierhöfer von der Komischen Oper Berlin verpflichtet worden. Meierhöfer stattet
den Barbier mit großem Spielwitz aus und überzeugt mit einem beweglichen
Buffo-Bass. Hervorzuheben ist seine vor Eigenlob strotzende Vorstellung im
ersten Akt, "Bin Akademiker, Doktor und Chemiker". Clemens Kerschbaumer stattet
die Partie des Nureddin mit lyrischem Tenor aus und macht die Leiden des jungen
Mannes sehr glaubhaft. Witzig gestaltet er auch die Auseinandersetzung mit dem
Barbier im ersten Akt. Mit Karola Pavone als Margiana findet er im Duett im
zweiten Akt zu einer harmonischen Innigkeit. Pavone, die sich an diesem Abend
wegen einer leichten Indisponiertheit entschuldigen lässt, setzt die Töne sehr
vorsichtig an. Dan Chamandy gefällt als Kadi Baba Mustapha mit leichtem Tenor
ebenso wie Marie Seidler als Bostana mit warmem Mezzo.
Grga Peroš rundet als Kalif das Solisten-Ensemble
überzeugend ab. Der von Jan Hoffmann einstudierte Chor hat zu Beginn noch
leichte Abstimmungsschwierigkeiten in den Tempi, findet aber im weiteren Verlauf
des Abends zu einem homogenen Klang. Hovenbitzers Regie-Ansatz wirft einige Fragen auf, tut aber auch keinem weh. Ob das Stück musikalisch wieder den Platz im Repertoire verdient, den es in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts innehatte, ist fraglich. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung und Chorleitung
Inszenierung Bühne und Kostüme Licht
Dramaturgie
Chor und Extrachor Philharmonisches Orchester
SolistenAbul Hassan Ali Ebn Bekar, Barbier Nureddin
Baba Mustapha, ein Kadi
Margiana, dessen Tochter
Bostana, ihre Vertraute Kalif
1. Muezzin
2. Muezzin
3. Muezzin
Ein Sklave
Tänzerinnen
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