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Der Barbier von Bagdad

Komische Oper in zwei Aufzügen
nach einer Erzählung aus Tausendundeiner Nacht
Musik und Libretto von Peter Cornelius

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 10'  (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 28. Januar 2017
(rezensierte Aufführung: 10.02.2017)



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Im Land der 1001 Zwiebeln

Von Thomas Molke / Fotos von Rolf K. Wegst

Peter Cornelius gilt zwar als wichtiges Bindeglied zwischen der traditionellen deutschen Spieloper und Richard Wagners Meistersingern, ist aber als Komponist so gut wie gar nicht mehr auf den Spielplänen vertreten. Sich selbst bezeichnete er einmal als "Nebenmensch", der neben den berühmten Vertretern seiner Zeit, Hector Berlioz, Franz Liszt und nicht zuletzt Richard Wagner, eher "wie eine Schnecke... auf den Parnass kriecht". Dabei zählt seine komische Oper Der Barbier von Bagdad neben Wagners Meistersingern zu den bedeutendsten komischen Opern des 19. Jahrhunderts, und für namhafte Tenöre wie Rudolf Schock und Fritz Wunderlich gehörte die Tenorpartie des Nureddin zu den absoluten Paraderollen. Dass die Uraufführung am 15. Dezember 1858 in Weimar ein Misserfolg wurde, der sogar zur Entlassung von Franz Liszt als Operndirektor und Hofkapellmeister führte, lag weniger an der Qualität des Werkes als vielmehr an einer sorgfältig ausgearbeiteten Intrige des Weimarer Intendanten Franz von Dingelstedt, der der "Neudeutschen Schule" sehr ablehnend gegenüberstand und deshalb zahlreiche Personen eingeschleust hatte, die die Aufführung mit lautem Pfeifen und Zischen störten. Cornelius selbst erlebte keine weitere Aufführung seines Werkes. Erst nach seinem Tod arbeiteten seine Zeitgenossen Felix Mottl und Hermann Levi die Partitur für weitere Aufführungen in Karlsruhe und München um und passten sie ihren spätromantischen Klangidealen an. Das Theater Gießen, das seit vielen Spielzeiten mit vergessenen Werken des 19. Jahrhunderts auch überregional auf sich aufmerksam macht, hat sich beim Barbier für Cornelius' ursprüngliche Fassung entschieden.

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Der geschwätzige Barbier (Philipp Meierhöfer, rechts) und Nureddin (Clemens Kerschbaumer, links)

Die Handlung basiert auf der "Geschichte des Schneiders", der 34. Erzählung aus Tausendundeiner Nacht. Nureddin, ein junger Mann, ist an schwerem Liebeskummer erkrankt. Er hat nämlich Margiana, die schöne Tochter des Kadis Baba Mustapha, beim Blumengießen am Fenster gesehen und verzehrt sich seitdem in Liebe zu ihr. Sein Zustand bessert sich sofort, als Margianas Vertraute Bostana erscheint und ihm ein Rendezvous mit der Angebeteten in Aussicht stellt, ihm jedoch rät, sich vorher rasieren zu lassen. Der herbeigerufene Barbier Abul Hassan Ali Ebn Bekar ist allerdings nicht nur ein einfacher Barbier, sondern auch als Wahrsager tätig und rät Nureddin dringend davon ab, das Haus zu verlassen. Da Nureddin dem Gerede des Barbiers keinen Glauben schenkt, folgt Abul Hassan dem jungen Mann, um ihn vor seinem Unglück zu bewahren. Im Hause des Kadis herrscht derweil große Freude. Mustapha wartet auf seinen Jugendfreund Selim, der Margiana heiraten möchte und bereits eine große Schatzkiste für seine zukünftige Braut geschickt hat. Margiana fiebert dem Treffen mit Nureddin entgegen, der zu ihr kommen soll, wenn der Kadi sich in die Moschee begeben hat. Es kommt zu einem Liebestreffen, das aber von der frühzeitigen und unerwarteten Rückkehr Mustaphas jäh unterbrochen wird. Nureddin versteckt sich in der Schatzkiste. Da der Barbier jedoch glaubt, dass Mustapha den jungen Mann getötet und den Leichnam in der Schatzkiste versteckt habe, dringt er mit allerlei Volk in das Haus des Kadis ein, um die Schatzkiste mitzunehmen. Die Aufregung ruft schließlich auch den Kalifen auf den Plan, der eine Aufklärung verlangt. Als Margiana die Kiste öffnet, findet man dort einen scheinbar leblosen Nureddin, dessen Lebensgeister durch Margianas Stimme wieder geweckt werden. Der Kalif ordnet an, dass die beiden vermählt werden sollen, und nimmt den Barbier als Geschichtenerzähler in seine Dienste.

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Der Kadi Baba Mustapha (Dan Chamandy) will seine Tochter Margiana (Karola Pavone, hinten links mit Marie Seidler als Bostana) mit seinem Freund Selim verheiraten.

Roman Hovenbitzer verzichtet in seiner Inszenierung auf orientalisches märchenhaftes Flair und macht aus den 1001 Erzählungen 1001 Zwiebeln, die auf einem Feld ausgesät werden und zu Blumen heranwachsen könnten, wenn nicht irgendwelche Schädlinge dies vorher verhindern würden. So sieht man den Barbier bereits beim Orchestervorspiel als alten Gärtner mit langem Rauschebart auftreten und eine große Zwiebel einpflanzen. Das Bühnenbild und die Kostüme von Duncan Hayler greifen dieses Naturmotiv in einer mikroskopischen Vergrößerung wieder auf. Ein ironischer Stilbruch sind dabei die überdimensionale Wilkinson-Klinge im Hintergrund des Zwiebelfeldes im ersten Akt und die beiden riesigen Scheren und der Kamm im Palast des Kadis im zweiten Akt, die wohl auf das Handwerk des Barbiers anspielen sollen. Der Chor krabbelt wie überdimensionale Blattläuse direkt zu Beginn des ersten Aktes über die Bühne und verhindert, dass die ausgesäten Zwiebeln sich zu roten Blumen entwickeln. Soll das ein Bild für Nureddins Sorge sein, dass die von ihm geliebte Margiana unerreichbar ist? Hovenbitzer lässt den jungen Mann als ein Insekt auftreten, das seine Flügel abgestreift hat. Wieso auf den gelben Stäben, die er um seinen Körper trägt, "RETTUNG" steht, erschließt sich nicht. Unklar ist auch, wieso Bostana als Maulwurf auftritt. Liegt es daran, dass sie heimlich den Plan des Kadis, nämlich seine Tochter mit seinem Freund Selim zu verheiraten, unterwandern will?

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Nureddin (Clemens Kerschbaumer, vorne rechts) erwacht durch Margiana (Karola Pavone, rechts) zu neuem Leben (ganz links: Mustapha (Dan Chamandy), daneben: der Kalif (Grga Peroš), in der Mitte links: der Barbier (Philipp Meierhöfer), zweite von rechts: Bostana (Marie Seidler), im Hintergrund: Chor).

Wenn der Barbier dann bei Nureddin erscheint, um ihn zu rasieren, kriecht er als eine Art Schildkröte sehr langsam über die Bühne. Der Schildkrötenpanzer besteht aus mehreren Schalen, die wohl seine sechs Brüder repräsentieren, die er allesamt durch Liebesleid verloren hat. Um sich des geschwätzigen Barbiers zu entledigen, verwickelt Nureddin ihn in eine Art Spinnennetz, wobei offen bleibt, wie sich der Barbier im zweiten Akt wieder daraus befreit hat. Bei Margiana ist im zweiten Akt nicht ganz klar, ob sie in einem Kokon oder einem Spinnennetz im Palast ihres Vaters gefangen gehalten wird. Die einzelnen Beine, die sich hierbei öffnen und von denen sie, umgeben von schwarzen Tänzerinnen mit roten Tüchern, eingeschlossen ist, erinnern eher an eine Spinne, deren Beute sie ist. Wenn sie allerdings am Ende mit Nureddin glücklich vereint ist, entwickelt sie sich zu einem bunten Falter, was dann doch eher für einen Kokon zu Beginn des Aktes spricht. Ihr Vater wird als nicht näher definierter Käfer dargestellt, während der Kalif mit einem Zwiebelkopf auftritt, in dem ein Krummsäbel steckt. Es erschließt sich zwar nicht, was das eigentlich mit der Geschichte zu tun hat, aber dem Publikum scheinen die aufwändig gestalteten Kostüme, das bunte Bühnenbild und die Verlagerung in eine Fantasiewelt zu gefallen, so dass die zahlreichen Gags mit begeisterten Lachern goutiert werden.

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Happy End für Margiana (Karola Pavone, hinten Mitte) und Nureddin (Clemens Kerschbaumer, hinten Mitte), vorne links: der Barbier (Philipp Meierhöfer), vorne rechts: Mustapha (Dan Chamandy)

Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Das Philharmonische Orchester Gießen unter der Leitung von Jan Hoffmann arbeitet die Feinheiten der Partitur sorgfältig heraus, so dass nachvollziehbar wird, wieso Cornelius sich als eine Art "zweiten Lortzing mit noblerer Faktur" gesehen hat. Einerseits klingt sein Stil nämlich stellenweise schlicht und volksliedhaft, andererseits nähert er sich bereits Wagners hehrer Musiksprache an. Die Melodien sind dabei unterhaltsam, jedoch nicht direkt eingängig. Für die Titelpartie ist Philipp Meierhöfer von der Komischen Oper Berlin verpflichtet worden. Meierhöfer stattet den Barbier mit großem Spielwitz aus und überzeugt mit einem beweglichen Buffo-Bass. Hervorzuheben ist seine vor Eigenlob strotzende Vorstellung im ersten Akt, "Bin Akademiker, Doktor und Chemiker". Clemens Kerschbaumer stattet die Partie des Nureddin mit lyrischem Tenor aus und macht die Leiden des jungen Mannes sehr glaubhaft. Witzig gestaltet er auch die Auseinandersetzung mit dem Barbier im ersten Akt. Mit Karola Pavone als Margiana findet er im Duett im zweiten Akt zu einer harmonischen Innigkeit. Pavone, die sich an diesem Abend wegen einer leichten Indisponiertheit entschuldigen lässt, setzt die Töne sehr vorsichtig an. Dan Chamandy gefällt als Kadi Baba Mustapha mit leichtem Tenor ebenso wie Marie Seidler als Bostana mit warmem Mezzo. Grga Peroš rundet als Kalif das Solisten-Ensemble überzeugend ab. Der von Jan Hoffmann einstudierte Chor hat zu Beginn noch leichte Abstimmungsschwierigkeiten in den Tempi, findet aber im weiteren Verlauf des Abends zu einem homogenen Klang.

FAZIT

Hovenbitzers Regie-Ansatz wirft einige Fragen auf, tut aber auch keinem weh. Ob das Stück musikalisch wieder den Platz im Repertoire verdient, den es in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts innehatte, ist fraglich.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Chorleitung
Jan Hoffmann

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Bühne und Kostüme
Duncan Hayler

Licht
Ulrich Schneider

Dramaturgie
Matthias Kaufmann

 

Chor und Extrachor
des Stadttheaters Gießen

Philharmonisches Orchester
Gießen

 

Solisten

Abul Hassan Ali Ebn Bekar, Barbier
Philipp Meierhöfer

Nureddin
Clemens Kerschbaumer

Baba Mustapha, ein Kadi
Dan Chamandy

Margiana, dessen Tochter
Karola Pavone

Bostana, ihre Vertraute
Marie Seidler

Kalif
Grga Pero
š

1. Muezzin
Chul-Ho Jang

2. Muezzin
Vepkhia Tsiklauri

3. Muezzin
Kornel Maciejowski

Ein Sklave
Sang-Kyu Han

Tänzerinnen
Larissa Blau
Nicolette Tvardik
Tamara Vlasenko
Jasmine Wierzbicki

 


Weitere
Informationen

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Stadttheater Gießen
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Da capo al Fine

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