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Des Dichters Leid, des Publikums Freud'
Von Stefan Schmöe
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Fotos: Pedro Malinowski
Hoffmann und Studenten in Lutters Weinstube
Wenn sich ein Stück als "phantastische Oper" bezeichnet, dann muss man nicht gerade detailgetreuen Realismus erwarten. Und wenn man Michiel Dijkema als Regisseur verpflichtet, auch nicht - der hat sich bisher eher an die ganz eigenen Wahrheiten des Theaters gehalten. Und so werden auch Hoffmanns Erzählungen nicht stringent durcherzählt, sondern eher als großes Puppenspiel in knallbunten Kostümen gefeiert. Da sitzen die Studenten in Luthers Weinkeller in schwarzen Anzügen und riesigen Zylindern herum, und Hoffmann trägt ein elegantes Dunkelgelb mit historischem Einschlag. Seine Muse ist ein quietschgrüner Kobold mit rotem Haar, Olympia eine rosarote Puppe, die Kurtisane Giulietta trägt standesgemäß verführerisches Rot mit üppigem Stoffbusen. Nur die totkranke Antonia ist im leichentuchhaften Weiß eine beinahe reale Figur. Und Hoffmanns ewiger Widersacher, der Rat Crespel, der in allen Episoden der Oper in neuer Gestalt auftritt, der hat tolle Zaubererkostüme mit riesigem Kragen.
Olympia
Die Bühne ist ein immergleiches Carré, dessen Spitze zum Zuschauerraum zeigt, von zwei Wänden eingeschlossen, in denen man ein aufgeschlagenes Buch oder Heft erahnen kann. Die Bühne ändert sich das Stück über praktisch nicht, die Tische sind zu eine Art Bühne auf der Bühne zusammengestellt. Drumherum sitzen ein paar Studenten, wie eingefroren, und nicht immer ist sofort klar, ob das Statisten oder Puppen sind. Dijkema spielt mit solchen Effekten, gaukelt z.B. während der Umbauten mit Videoeinblendungen eine Drehbühne vor, die gar nicht zum Einsatz kommt. Ein paar stark vergrößerte Requisiten geben jeder der drei Erzählungen eine ästhetische Chiffre - ein mechanisches Augenmodell für Olympia, die Reste einem zerbrochenen Geigenhals für Antonia, Säulen und eine (über der Szene schwebende, daher vom Oberrang wohl nicht zu sehende) venezianische Gondel für Giulietta. Darin arrangiert Dijkema seine Figuren auf engstem Raum und gewinnt ihnen doch einige Spannung ab. Viel Interpretation gibt es dabei nicht, vielmehr wird die Oper auf die ganz wesentlichen Handlungselemente konzentriert, die überdeutlich inszeniert sind. Weil ganz hervorragend gesungen und gespielt wird, funktioniert das prächtig. Vom Mut wie von der Streitlust der Hoffmann-Produktion im benachbarten Wuppertal allerdings ist Dijkema weit entfernt.
Antonia mit Vater Crespel; hinten droht der dämonische Doktor Miracle.
Mit dem Schweden Joachim Bäckström gastiert fabelhafter Hoffmann in Gelsenkirchen, großformatig, strahlend und höhensicher, dazu mit leidenschaftlicher Emphase. Almuth Herbst ist die koboldhafte Muse an seiner Seite, und wichtiger als alle interpretatorischen Entscheidungen auf der Bühne ist die für die Fassung dieser unvollendet hinterlassenen Oper. Man spielt (mit ein paar Freiheiten) die von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck editierte fünfaktige Fassung - mit dem apotheotischen Schlusschor. "Denn groß ist man durch die Liebe, doch größer noch durch Leid" - das ist in seinem Pathos ja gerne kritisch inszeniert worden als Selbstentlarvung eines den Künstler verschlingenden Kunstideals. Bei Dijkema ist nichts von solcher Kritik zu sehen, und wenn die Muse Hoffmann tröstend in den Armen hält, ist man in der Kinderzimmerwelt irgendwo zwischen Pumuckel und dem Sams angekommen. Aber die bei aller Schlichtheit doch sehr schöne Musik entfaltet ihre Wirkung. Es hat ja auch eine gewisse Ehrlichkeit, jedenfalls mehr als die meisten kritischen Regiekonzepte: Als Publikum genießen wir schließlich tatsächlich den Liebeskummer des Dichters. Da darf man diese Apotheose auch einmal einfach so stehen lassen.
Hoffmann und Giulietta mit Gefolge
Dongmin Lee ist eine hinreißende Olympia mit nicht zu kleiner Stimme und glasklaren, bei aller Leichtigkeit mit Nachdruck gesetzten Koloraturen. Solen Mainguené stattet die Antonia mit aparter, zerbrechlicher Stimme aus, kann aber auch auftrumpfen. Petra Schmidts flammender Giulietta hört man in den Spitzentönen hier und da an, dass die Stimme nicht mehr ganz jung ist. Urban Malmberg ist ein agiler Vierfach-Bösewicht, Edward Lee ein clownesker Diener. Mit Noriko Ogawa-Yatake (Stimme von Antonias Mutter), Joachim G. Maaß (Crespel), William Saetre (Spalanzani) und Marvin Zobel (Schlémil) sind die Nebenpartien gut besetzt.
"Denn groß ist man durch die Liebe, doch größer noch durch Leid": Apotheose mit Hoffmann und Muse
Ausgezeichnet singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Alexander Eberle), und das gesamte, gut harmonierende Ensemble zeichnet sich zudem durch große Spielfreude aus. Die sehr überzeugende Neue Philharmonie Westfalenzeichnet unter der Leitung von Kapellmeister Valtteri Rauhalammi nuanciert die Klangfarben der Partitur nach, von der ratternden Mechanik in Spalanzanis Kabinett über die düstere Romantik des Antonia-Akts bis zur flirrenden Venedig-Atmosphäre. Die Musik hat Schwung und Kraft, aber auch Feinzeichnung im Detail.
Eine musikalisch großartige Aufführung, originell (aber nicht weiter tiefsinnig) bebildert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Olympia
Giulietta
Antonia
Andreas/Conchenille/
Lindorf/Coppelius/
Niklaus/Muse
Stimme der Mutter
Hoffmann
Spalanzani
Nathanael
Wilhelm
Crespel
Luther
Hermann
Schlemihl
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