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Martha ist
wieder da! Von Christoph Wurzel / Fotos von Barbara Aumüller Flotows Martha, einst ein absolutes Erfolgsstück, war seit Beginn der Regietheater-Ära fast vollständig aus den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden. Hauptkonjunktur hatte die Oper in grauer Vorzeit, als Opernregie lediglich szenisches Arrangement oder kunterbunte Bühnenfolkloristik bedeutete und auch der biedermeierlich anmutende Text niemanden so recht störte. Als Lichtblick ist nur Loriots ironische Stuttgarter Inszenierung Mitte der 80er Jahre in Erinnerung. Wie würde also heute diese Martha wirken, fragt man sich, wenn die Frankfurter Oper das Werk nun aus der Verbannung befreit? Nicht angestaubt, sondern frisch und munter. Wie einen „gehobenen Klumpen Gold“ empfindet nach eigenen Worten die Regisseurin das Werk und lässt es als solchen in ihrer vor Einfällen sprühenden Inszenierung auf der Frankfurter Opernbühne dann auch kräftig strahlen. Am Schluss des Premierenabends heimsten alle Beteiligten dafür einhelligen Jubel ein. Zuerst war es der Frankfurter GMD Sebastian Weigle, der sich für dieses Werk stark machte, die meisten übrigen Beteiligten kannten Martha nach eigenem Bekunden kaum, allenfalls vielleicht die paar Schlager, die sich in die Wunschkonzerte gerettet hatten, das Lied von der letzten Rose und Lyonels Klagearie Martha, du entschwandest und mit dir mein ganzes Glück, die sogar im Repertoire der Startenöre von Caruso bis Pavarotti -natürlich auf italienisch- erfolgreich überdauert hatte. Eine „gewisse graziöse Liebenswürdigkeit“ attestierte in seinem Standardlexikon Hugo Riemann einst dem Komponisten, wiewohl er ihm schwer ankreidete, sich musikalisch fast völlig der französischen Schule assimiliert zu haben. Tatsächlich hatte Friedrich von Flotow, Sproß des mecklenburgischen Landadels, in Paris sein musikalisches Handwerkszeug gelernt, war mit Offenbach befreundet und ging in den Salons aus und ein. So ist Martha deutlich der Tradition der Opéra comique verpflichtet und diese Mischung aus Komik und Gefühlsseligkeit geht in der Frankfurter Aufführung eine wunderbare Verbindung ein. Sebastian Weigle reizt das Potential der Musik weidlich aus. Schon im Ouvertüren-Potpourri, das alle späteren Arien-Ohrwürmer enthält, spannt er die stilistische Bandbreite von Flotows Musik effektvoll aus. Das Orchester leistet wieder einmal Hervorragendes: herrlich romantische Hörner, kantable Holzbläser, singender Streicherklang - das Schwere wie das Leichtfüßige wunderbar verbunden. Möchte nicht mehr Glamour-Püppchen sein: Lady Harriet (Maria Bengtsson mit Chor) Das Libretto von Wilhelm Friedrich Riese atmet mit den entsprechenden Rollenbildern zwar deutlich den Geist der Restauration vor 1848. Dennoch ist die Dramaturgie der Oper in sich stringent und konsequent entwickelt. Die vom Adelsalltag gelangweilte Lady Harriet erhält von ihrer Freundin Nancy den Rat sich zu verlieben. Sie beschließen, sich verkleidet unters Volk zu mischen. Auf dem Mägdemarkt von Richmond verpflichten sich beide zum Scherz, als „Martha“ und „Julia“ auf dem Hof des Pächters Plumkett und seines Freundes Lyonel Dienst zu tun. Die Angelegenheit wird brenzlich, als Lyonel sich unsterblich in „Martha“ verliebt. Gerade noch können die beiden Frauen entkommen. Als Lyonel nach einiger Zeit bei einer Jagdgesellschaft die Lady als „Martha“ wiedererkennt und ihr seine Liebe gesteht, weist sie ihn schnöde zurück und erklärt ihn für wahnsinnig. Lyonel bleibt deprimiert allein. Nachdem sich aber plötzlich seine adlige Abstammung herausstellt, möchte die Lady ihn zurück gewinnen, gekränkt stößt Lyonel sie nun seinerseits zurück. Erst als Lady Harriet demütig wieder als Magd „Martha“ zu ihm kommt, stellt sich das ersehnte Happy End ein. Als „Martha“ und „Julia“ suchen die Lady und Nancy beim Volksfest Zerstreuung (Maria Bengtsson, Katharina Magiera und als Lord Tristan Barnaby Rea) Die Regisseurin bürstet den Stoff nicht etwa grob gegen den Strich, sondern behandelt ihn mit sanfter Hand, vertraut auf die Gefühle der Figuren und baut auf die Komik der Situation. Behutsam befördert sie die Geschichte in die Moderne. Etienne Pluss hat hierzu ein sprechendes Bühnenbild erfunden. Im Rahmen eines konservativ mit Holz vertäfelten Saales spielt sich die eigentliche Handlung in modernem Ambiente ab. Ein kleiner Kubus im eleganten Weiß dient als Wohnraum, ein Wohnwagen als Behausung der Bauern, eine Bierbar wird zum Zentrum des Volksfests. Rascher Szenenwechsel wird effektvoll durch geschickten Einsatz der Drehbühne ermöglicht. Leise Ironie ist im Spiel, wenn die Lady es anfangs online mit einer Partneragentur versucht und unter den 583 Bewerbern bei „Pash Pair“ sich ausgerechnet zwei Bauern befinden, die natürlich überhaupt nicht infrage kommen. Witzig werden Rollenbilder umgewendet: Statt dass die Mägde sich ans Spinnrad setzen, muss Bauer Plumkett selbst die Pedale treten und zwar in der modernen Version eines Strom erzeugenden Hometrainers. Ein besonders berührendes Bild findet die Regisseurin zum Lied von der letzten Rose, wenn im Vordergrund Martha und Lyonel zarte Liebesbande zu knüpfen beginnen, tanzt dazu innig im Hintergrund ein älteres Paar. Als überschwängliches Volksfest ist der Markt zu Richmond inszeniert, auf dem die Tradition der Mägdewahl als lustige Persiflage durchgespielt wird. Derlei Regieeinfälle gibt es in Überfülle, niemals aber überfrachtet die Regisseurin die Szene mit bloßem Aktionismus. Eine handwerklich blendend gemachte Produktion. Etwas gerät hier in Schieflage: „Martha“ und „Julia“ passen (noch) nicht richtig hierher (Maria Bengtsson, Katharina Magiera, Björn Burger als Plumkett und AJ Glückert als Lyonel) Großartige Sängerdarsteller tragen zum großen Erfolg ihrerseits bei. Darstellerisch folgen sie der Regie durchweg mit enormer Spielfreude, mit dem nötigen Augenzwinkern aber auch mit Mut zum romantischen Gefühl. Maria Bengtsson gibt der Lady Harriet ihre große Stimme, die sie bis ins Dramatische führt, aber auch lyrisch zart. Großartig wie sie die gespaltene Gefühlslage ihrer Figur vokal vermittelt. Entschieden und selbstbewusst spielt Katharina Magiera ihre Vertraute Nancy und gibt gewitzt und handfest der falschen Julia Profil. Als Karikatur eines schnöseligen Dandys legt Barnaby Rea zum Vergnügen des Publikums die Rolle Lord Tristans an. Mit Björn Burger steht als Plumkett ein überaus komödiantischer Sänger auf der Bühne, der zudem vokal voll überzeugt. Der amerikanische Tenor AJ Glueckert singt die Rolle des Lyonel berückend schön und in perfektem Deutsch. Als Neuzugang im Frankfurter Ensemble ein großer Gewinn, ein lyrischer Tenor mit Zukunft und ein Sympathieträger par excellence. Last but not least zeigt sich der Frankfurter Opernchor samt Extra-Chor wieder von seiner besten Seite. Als nettes Aperçu wirkt immer mal wieder der Schlagzeuger Georg Hromadka im Frack auf offener Bühne an Becken, Glocke oder Triangel mit.
So durfte das Publikum die Frankfurter Oper heiter verlassen,
schmunzelnd über den bis zum Schluss durchgehaltenen Humor der
Inszenierung. Gestaltet sich doch das Happy End nicht groß und
pathetisch, sondern leise und alltäglich normal. „Martha“ und
Lyonel begeben sich nämlich zuerst mal in die Küche und
spülen Geschirr. FAZIT
Von einer ganzen Generation von Operngängern kann Flotows Martha nun wiederentdeckt werden.
Die Frankfurter Produktion bietet dem Werk dabei szenisch wie
musikalisch den schönsten Empfang und wird hier bestimmt zu einem
Renner im Spielplan.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreografie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Chor und Extrachor (Damen) SolistenLady
Harriet Durham Nancy, ihre Vertraute Lord Tristan Mickleford, Harriets Vetter Lyonel Plumkett Der Richter von Richmond Drei Mägde Zwei Pächter Drei Diener Ein Schlagzeuger
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