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Dunkel ist das Leben ...Von Roberto Becker / Fotos von Lutz Edelhoff / © Theater ErfurtAlban Bergs Wozzeck aus dem Jahre 1925 gehört zu der Handvoll von Opern, in denen der Text und die Musik fest untergehakt Seit an Seit schreiten. Schon Georg Büchners Stück über den Fall Franz Woyzeck aus dem Jahre 1837 ist schon ein genialer Wurf. Das Leiden der Kreatur scheint da in jedem Halbsatz auf. Und vom Blick in den "Abgrund Mensch", von dem der Titelheld einmal spricht, wird nicht nur dem armen, gequälten Franz schwindlig. Bergs Komposition setzt da noch einen drauf. Er macht daraus die erste atonale und doch unmittelbar das Mit-Gefühl ansprechende Oper. Genau wegen dieser Mischung ist sie längst zu einem immer wieder neu befragten Prunkstück der Moderne avanciert. Gerade weil Stückvorlage und Musik hier so auf Augenhöhe sind, ist es für auch Regisseure besonders interessant, die vom Schauspiel kommen oder im Schauspiel und der Oper zu Hause sind. Wie Andrea Moses, etwa, die Wozzeck in ihrer Zeit an der Stuttgarter Oper ebenso befragt hat wie Andrea Breth in Berlin. Wozzeck rasiert den Hauptmann
Wirklich falsch machen kann man da zwar eigentlich nichts. Aber man kann es auf eine so entschiedene Weise in einem faszinierenden Zusammenspiel von Graben und Bühne richtig machen - so wie es jetzt an der Oper in Erfurt. Etienne Pluss hat mit seinen drei Bühnenbildern einen faszinierenden optischen Nenner für die Geschichte des geschundenen "guten Menschen" gefunden, der nur der Spielball für die andern ist, zum Mörder wird und sich am Ende selbst umbringt. Und der trotzdem nach Kräften versucht hat, etwas von der Welt zu verstehen und selbst "richtig" zu leben. Die Welt ist aus den Fugen und Wozzeck geht zu Boden
Der Leipziger Schauspielchef Enrico Lübbe (42) erfüllt bei seinem (nach der deutschen Erstaufführung von Manfred Trojahns Orest in Hannover) erneuten Ausflug ins Genre Oper seinen Wozzeck und die Figuren um ihn herum so mit Leben, dass es ergreift und man nur fasziniert über die Schönheit des Hässlichen staunen kann. In den ersten Szenen sieht man Wozzeck wie in einem Hamsterrad zwischen lauter zellenartigen Räumen wechseln und sich abstrampeln. Wenn er den dümmlich philosophierenden Hauptmann (Erik Biegel trifft die aufgeblasen verfettete Figur, ohne ins Schrille abzugleiten) rasiert, oder sich vom Doktor (mit der Geste des von sich überzeugten genialen Forschers: Vazgen Gazaryan) zum Versuchskaninchen machen lässt oder seinen einzigen Freund Andres (Won Whi Choi) besucht. Und wenn er dann bei der Mutter seines Sohnes Marie (mit vielleicht eine Spur zu reifer Lebenssehnsucht in der Stimme, aber insgesamt überzeugend: Stéphanie Müther) vorbeischaut, um seinen Sold und das Geld, das er nebenbei verdient hat, brav bei ihr für sich und das Kind abzuliefern. Während die sich längst vom aufgeblasenen und gockelnden Tambourmajor (schneidend: Thomas Paul) bezirzen lässt. Der Tambourmajor tanzt mit Marie - das ist zu viel für Wozzeck
Dass der Sohnemann einen Geburtstagskuchen bekommt, auf dem vier Kerzen brennen, Marie aber auf die Frage von Franz, wie lange sie sich schon kennen "drei Jahre" antwortet, ist so eine dezente metaphorische Fußnote, die den Zweifel an Maries Treue und das Mitgefühl, dass man für diesen Wozzeck in dieser verrückten Welt hat, zusätzlich nähert. Der berührende und hochsouveräne Máté Sólyom-Nagy als Wozzeck ist das Zentrum der Geschichte und führt dieses rollendeckende Protagonisten-Ensemble überzeugend an. Es ist grandios, wie die beklemmende Enge des vorgezeichneten Lebens hier in eine so bühnenwirksame Enge von Zellen übersetzt wird. So muss Wozzeck das Leben und die Welt empfunden haben. Und wenn dann in der Wirtshausszene, nachdem Doktor und Hauptmann ihm schon die Augen in Sachen Tambourmajor geöffnet haben, seine Welt völlig aus den Fugen gerät und alles ins Rutschen kommt, dann verwandelt sich plötzlich der Raum eine Schieflache, in der sie saufen und grölen. Und vor dem ihn der großmäulige Tamborjmajor erniedrigt, indem er Wozzeck Gesicht in seinen Schoß drückt. Oben vollführt einer der blau Uniformierten sogar eine 360° Drehung. Das ist eben so faszinierend wie dann die Dunkelheit über dem See mit dem Schilf an der Seite, an dem er Marie die Kehle durchschneidet. Was wir durch ein plötzlich aufleuchtendes Licht nicht direkt sehen. Der Weg ins Nichts - Marie und Wozzeck sind am Ende
Wozzecks Versuche, sich beim Tanz mit Margret (Katja Bildt) abzulenken und zu betäuben, scheitern, und er verschwindet in der Dunkelheit des Sees, von dem der Hauptmann und der Doktor dann das Stöhnen des Ertrinkenden vernehmen. Vom Abgrund Mensch zum Mensch im Abgrund. Wenn schließlich der Knabe mit seinem Steckenpferd unterm Schnee in seine Einsamkeit reitet, sind sie alle wieder da, haben die Kinder die Kostüme der Alten an, denen man gerade beim Scheitern ihres Lebens zugesehen hat. Dass es am Ende ein paar Sekunden der Besinnung braucht, bis der Jubel des Publikums einsetzt, liegt natürlich auch an Joana Mallwitz, die mit dem Erfurter Orchester Abgründe hörbar macht, die Zwischenspiele zu einem grandiosen Orchester-Wetterleuchten macht und ansonsten genau den Schulterschluss mit dem Text liefert, den dieses Werk braucht. FAZIT Enrico Lübbe und Joana Mallwitz faszinieren mit einem mustergültigen Wozzeck. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Wozzeck
Tambourmajor
Andres
Hauptmann, Gast
Doktor
1. Handwerksbursch
2. Handwerksbursch
Der Narr
Marie
Margret
Mariens Knabe
Ein Soldat
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