Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Hinter die Maske der Fröhlichkeit schauen
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Matthias Jung Seine gesellschaftliche Rolle ist die des Clowns: Rigoletto
Diese Oper ist eine Zumutung. Jedenfalls die Handlung. Um es kurz zu rekapitulieren: Da verschließt ein Oberzyniker seine Tochter vor der Männerwelt und insbesondere vor dem sexbesessenen Herzog, wirkt aber versehentlich an ihrer Entführung mit, die sie flugs in die Arme eben dieses Weiberhelden führt - in den sie natürlich längst verliebt ist. Und als er aus Rache den Herzog töten lassen will, bringt der Auftragsmörder ausgerechnet statt diesem die Tochter um, die als Leiche in einen Sack eingeknotet zu allem dramaturgischen Überfluss ein furioses Finale singt. Was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gr schauerlich den Zeitgeschmack bediente, ließ alsbald selbst hartgesottene Opernfreunde schaudern. Indes ist Verdis vor musikalischen Einfällen gegensätzlichster Art nur so sprudelnde Wunderpartitur Grund genug für den festen Platz des Werkes im Repertoire. Die Essener Philharmoniker, fast immer exzellent (ein paar Bläsersoli dürften noch aufpoliert werden), setzt unter der Leitung von Matteo Beltrami eine ganze Menge davon um, vor allem den Schwung, das brio, das die Musik voran treibt. Die Sänger haben den Vortritt, das ist beste italienische Schule, stilsicher. Was aber fehlt, das ist das Abgründige, die "schwarzen" Töne, auch die Trauer, die über dem Stück liegt, bei dem es so viele Verlierer gibt. Brüchige Vater-Tochter-Beziehung: Rigoletto und Gilda.
Das ist der Punkt, an dem die Regie einhakt. Ein historisierendes Kostümdrama haben Regisseur Frank Hilbrich, Bühnenbilder Volker Thiele und Kostümbildnerin Gabriela Rupprecht nicht im Sinn, vielmehr zeigen sie eine moderne Herrengesellschaft in Anzügen im Dauerpartystress - der Luftballon wird zum wichtigsten Requisit. Die Frauen sind nicht mehr als Sexualobjekte, und diese arg reduzierte Sichtweise auf gesellschaftliche Verhältnisse ist der schwächste Teil der in vielen Aspekten überzeugenden Inszenierung. Es findet keine Übersetzung in die Gegenwart statt, sondern die Handlung wird nur angerissen, gerade konkret genug, um den Inhalt nachzuvollziehen, aber auch distanziert genug, um sich nicht in den Absurditäten zu verlieren. An vielen Stellen bleibt offen, ob reale Handlungselemente dargestellt sind oder nur Gedanken, etwa ob der Herzog tatsächlich in Gildas Zimmer erscheint oder vielleicht nur ein Tagtraum des Mädchens ist. Das Regieteam gewinnt den genretypischen Momenten dadurch eine höhere Gültigkeit und erhebliche psychologische Spannung ab. Da passiert's: Gilda und der Herzog kommen sich näher als Rigoletto lieb ist
Rigolettos Buckel besteht aus einem Bündel zerplatzter Luftballons, die Bürde des ewigen Spaßmachers, der sein Familienleben nicht mit der Gute-Laune-Welt in Einklang bringen kann. Luca Grassi singt mit schlankem, jugendlichem Bariton, stimmlich für die Partie eine Spur zu hell timbriert, obgleich mit Durchschlagskraft; szenisch passt er perfekt. Dass er seine Tochter Gilda vor der hässlichen Männerwelt, zu deren treibenden Kräften er gehört, schützen will, ist sofort plausibel, und gerade diese Widersprüchlichkeit gibt der Figur Gewicht. Gilda wiederum wird von Christina Pasaroiu bravourös als selbstbewusste junge Frau an der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein gezeichnet. Rigoletto führt ihr im Schlussakt wie in einer Theateraufführung das Lasterleben des Herzogs vor, und ihr Entschluss, dennoch an Stelle des Untreuen zu sterben, lässt sich in der Doppelbödigkeit der Regie verstehen als ein Ausbruch aus dem väterlichen Haushalt, eine Flucht vor dem erdrückenden Beschütztwerden. Da gewinnt die Handlung eine interessante und sehr moderne Vater-Tochter-Dynamik. So schlecht ist das Libretto, derart geschickt inszeniert, ja doch nicht. Christina Pasaroiu singt mit leuchtendem, ein wenig flackerndem, risikoreich geführtem Sopran, dem man die enormen Schwierigkeiten der Partie anhört, der aber auch deutlich macht, um wie viel es hier geht - jedenfalls um mehr als puren Schöngesang. Ein in seinem Ringen mit der Welt und manchmal auch der Musik faszinierendes Rollenportrait. Was tun, wenn man erwachsen wird? Gilda
Der junge portugiesische Tenor Carlos Cardoso ist kurzfristig für Abdellah Lasri als Herzog von Mantua eingesprungen - optisch passt der schmächtige Junge hervorragend in das Konzept. Der etwas brüchige Tenor ist im Timbre nicht uninteressant, allerdings kann Cardoso offenbar nur Forte, und das nicht immer sehr sauber intoniert. Als forscher Draufgänger liefert er ein paar tolle Stellen, auch weil er mühelos den Chor übertönt, an Zwischentönen fehlt es dagegen, und die Dauerspannung hat auch etwas Ermüdendes. Till Faveyts fehlen für den Auftragsmörder Sparafucile die düsteren Farben, Bettina Ranch ist als seine Schwester Maddalena recht blass. Ganz ausgezeichnet singt der Opernchor (Einstudierung: Patrick Jaskolka).
Die durchdachte und auch ästhetisch konsequente Regie gewinnt der merkwürdigen Handlung ein mitreißendes Psychodrama ab, ohne das Werk deshalb umkrempeln zu müssen. Musikalisch läuft nicht alles rund, aber spannend ist's allemal. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Der Herzog von Mantua
Rigoletto, sein Hofnarr
Gilda, dessen Tochter
Graf von Monterone
Graf von Ceprano
Die Gräfin, seine Gemahlin
Marullo
Borsa, Höfling
Sparafucile
Maddalena, seine Schwester
Giovanna, Gildas Gesellschafterin
Ein Page der Herzogin
Ein Gerichtsdiener
|
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de