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Le Prophète

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe
Musik von Giacomo Meyerbeer

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 30' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 9. April 2017
(rezensierte Aufführung: 13.04.2017)




Theater Essen
(Homepage)
Große Grand Opéra in abstrakten Bildern

Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Jung

Auch wenn es bis zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation am 31.10.2017 noch etwas dauert, hat man dieses Ereignis am Aalto-Musiktheater zum Anlass genommen, Giacomo Meyerbeers Le Prophète auf den Spielplan zu stellen, und leistet damit zusätzlich einen Beitrag zur in den letzten Jahren in Deutschland zu beobachtenden Meyerbeer-Renaissance. Lange Zeit herrschte hier nämlich ein weit verbreitetes Desinteresse an der französischen Grand Opéra, die im 19. Jahrhundert mit aufwändigen Inszenierungen und obligatorischen Balletteinlagen einen ähnlichen Zweck erfüllte wie heute die großen Blockbuster im Kino. Während Meyerbeers Les Huguenots zu den erfolgreichsten und bedeutendsten Werken der Grand Opéra zählt und sich mittlerweile wieder einen festen Platz im Repertoire erkämpft hat, konnte Le Prophète zwar bei der Uraufführung 1849 ebenfalls einen großen Erfolg verbuchen, allerdings zumindest heute noch nicht an den Erfolg des Vorgängerwerkes anknüpfen. Vielleicht liegt es daran, dass das Massaker an den französischen Hugenotten in der sogenannten "Bartholomäusnacht" vom 23. auf den 24. August 1572 eher im Gedächtnis geblieben ist als der westfälische Ausnahmezustand von Februar 1534 bis Juni 1535, als die Wiedertäufer Münster in ihre Gewalt brachten, um einen Gottesstaat nach alttestamentarischem Vorbild zu errichten, an dessen Spitze sie den holländischen Schneidergesellen Jan van Leyden als Propheten stellten.

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Berthe (Lynette Tapia, links) bittet Graf von Oberthal (Karel Martin Ludvik) um die Einwilligung, Jean heiraten zu dürfen (im Hintergrund: Fidès (Marianne Cornetti) und eine Ballerina (Marie Van Cauwenbergh)).

Dieses historische Ereignis bildet die Grundlage für die Handlung der Oper. Doch dem Librettisten Eugène Scribe dienten vor allem die 1822 in Dresden veröffentlichten und später ins Französische übersetzten Romane Die Wiedertäufer und Die Lichtensteiner als Inspirationsquelle für den Text der Oper. So wurde aus dem gelernten Schneider der Sohn der Gasthauswirtin Fidès, die neben der Titelfigur die zentrale Rolle im Stück spielt. Sie ist es letztendlich, die das Handeln ihres Sohnes motiviert. Zu Beginn der Oper begibt sie sich mit Jeans Braut Berthe zum Grafen von Oberthal, da dieser einer Hochzeit zwischen seiner Leibeigenen Berthe und dem jungen Jean zustimmen muss. Doch der Graf verweigert seine Einwilligung und nimmt die beiden Frauen stattdessen gefangen. Als Berthe die Flucht gelingt und sie sich bei Jean versteckt, stellt Oberthal Jean vor die Wahl. Wenn Jean die Geliebte nicht ausliefere, müsse Fidès sterben. Jean entscheidet sich für die Mutter. Erst nach diesem Entschluss zeigt er sich empfänglich für das Ansinnen der Wiedertäufer, die in ihm einen geeigneten Propheten für das Volk sehen, da er eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Bild des biblischen Königs David im Dom zu Münster hat. Unter seiner Führung gelingt es schließlich, die Stadt Münster einzunehmen. Jean lässt sich als "Sohn Gottes" zum Prophetenkönig krönen. Als er auf seine Mutter trifft, die mittlerweile als Bettlerin durch die Straßen Münsters irrt, verleugnet er sie. Es kommt beinahe zu einem Eklat. Doch Fidès schützt ihren Sohn und widerruft ihre Behauptung, seine Mutter zu sein. Als die Wiedertäufer erkennen, dass die Stadt Münster nicht zu halten ist, beschließen sie, Jean an die Obrigkeit auszuliefern, um ihr eigenes Leben zu schützen. Jean verschanzt sich mittlerweile im Schloss, wo es zur versöhnenden Aussprache mit seiner Mutter kommt. Er beschließt, seiner Macht als Prophet zu entsagen. Berthe nimmt sich das Leben, als sie erkennt, dass ihr Geliebter Jean und der Prophet ein und dieselbe Person sind. Als der Graf von Oberthal mit seinen Soldaten und den Wiedertäufern ins Schloss eindringt, sprengt Jean das Gebäude in die Luft und findet in den Armen seiner Mutter den Tod.

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Die drei Wiedertäufer Zacharie (Tijl Faveyts, links), Jonas (Albrecht Kludszuweit, Mitte) und Mathisen (Pierre Doyen, rechts) bemerken eine frappierende Ähnlichkeit zwischen Jean und dem Bild des biblischen Königs David im Dom zu Münster.

Vincent Boussard wählt für seine Inszenierung einen recht abstrakten Ansatz, was sich vor allem im Bühnenbild von Vincent Lemaire äußert, das aus hohen grauen Wänden besteht, die vielfach als Projektionsfläche genutzt werden und durch Einsatz der Drehbühne unterschiedliche Räume entstehen lassen. Weitere Requisiten werden nur sparsam eingesetzt. Man fragt sich, ob die Essener Brauerei Stauder als Sponsor für die Inszenierung fungiert hat, da das Gasthaus, in dem die drei Wiedertäufer auf Jean treffen aus unzähligen Stauder-Bierkästen besteht. Ein grüner Tresor dient zum einen den Wiedertäufern dazu, die zu Unrecht angehäuften Wertgegenstände zu horten. Zum anderen strahlt der Glanz des Goldes aus dem Tresor mit so hellem Schein, dass es Jean damit gelingt, das Volk von seiner göttlichen Bestimmung zu überzeugen. Dass Jean zu Beginn der Oper ein ganz einfacher "holländischer Junge" ist, soll wohl durch ein Poster von einem Fußballer im orangefarbenen Trikot angedeutet werden, das in Jeans spärlich eingerichtetem Zimmer an der Wand hängt. Seine Mutter Fidès erinnert in ihrem dunklen Kleid mit einer braunen Handtasche an die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die drei Wiedertäufer Jonas, Mathisen und Zachary werden sehr unterschiedlich ausgestattet, um zu zeigen, dass religiöse Gefahren sehr vielschichtig sein können. Wieso Graf von Oberthal ständig von zwei Ballerinen in weißem Tutu begleitet wird, lässt sich nur mutmaßen. Vielleicht soll das eine Anspielung auf die Gattung der Oper mit dem obligatorischen Ballett sein.

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Balletteinlage mit Zacharie (Tijl Faveyts) und Ballerina Sofia Pintzou)

Da in Essen nur relativ wenige Striche in der Musik gemacht werden, darf natürlich auch das Schlittschuh-Ballett im dritten Akt ("Le Patineur") nicht fehlen. Doch was Boussard aus den Bauern und Bäuerinnen macht, die angeblich in Pferdeschlitten oder auf Schlittschuhen über den zugefrorenen See kommen, um dem Propheten ihre Gaben zu bringen, hat mit der Vorlage nicht mehr viel zu tun. Zunächst steht der Wiedertäufer Zacharie auf einem Karussell-Pferd und hält Ausschau. Statt der erwarteten Bauern und Bäuerinnen treten allerdings die beiden Ballerinen auf und jagen Zacharie über die Bühne. Dabei wechseln Sofia Pintzou und Marie Van Cauwenbergh zwischen filigranem Spitzentanz mit zahlreichen Pirouetten und modernen Bewegungen, wenn sie mit Zacharie zusammenstoßen oder ihn von einem Raum in den nächsten verfolgen. Hier wird nicht glaubhaft, dass Zacharie eigentlich in dem Moment überzeugt ist, dass Münster von den Wiedertäufern eingenommen werden kann. Auch Berthes Selbstmord wirft in Boussards Inszenierung einige Fragen auf. Laut Libretto plant sie zwar, den Propheten mit seinen Anhängern im Schloss in die Luft zu sprengen, führt dieses Vorhaben allerdings nicht aus. Als sie erkennt, dass Jean der Prophet ist, ersticht sie sich, während Boussard sie bereits eine Explosion auslösen lässt, bei der sie ums Leben kommt. Damit müssten allerdings eigentlich schon alle im Schloss alarmiert sein. Stattdessen stellt sich Jean seinen Gegnern und bringt mit einer weiteren Explosion das Schloss zum Einsturz. Zu Boden gehen allerdings nur er selbst und das Volk, während seine Mutter und die drei Wiedertäufer den Einsturz wohl unbeschadet überstehen.

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Fidès (Marianne Cornetti) erkennt in dem Propheten ihren Sohn Jean (John Osborn).

Wirft die Inszenierung auch einige Fragen auf, lässt die musikalische Umsetzung des Abends keine Wünsche offen. Mit John Osborn, Marianne Cornetti und Lynette Tapia hat man in Essen drei hochkarätige Gäste engagiert, die den drei Hauptpartien nicht nur gewachsen sind, sondern auch unter Beweis stellen, welche musikalische Sprengkraft in diesem zu Unrecht vernachlässigten Meisterwerk steckt. John Osborn begeistert in der Titelpartie mit strahlendem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen. Ein Höhepunkt ist seine große Szene im dritten Akt, wenn er nach der blutigen Niederlage mit seiner visionären Ansprache das Volk erneut auf seine Seite zu ziehen vermag. Hier versprüht Osborn szenisch und stimmlich derart großes Charisma, dass gut nachvollziehbar wird, dass die Massen bereit sind, ihm zu folgen. Doch auch die Unsicherheit des Jean spielt Osborn glaubwürdig aus. Wenn er im zweiten Akt gezwungen wird, sich zwischen seiner Mutter und Berthe zu entscheiden, geht Osborns Darstellung genauso unter die Haut wie im letzten Akt, wenn er seine Mutter reumütig um Vergebung bittet und ihrem Wunsch Folge leistet, als Prophet abzudanken. Marianne Cornetti steht ihm als Fidès in nichts nach. Dabei gelingen ihr die leisen Momente, in denen sie trauernd das Leid der Mutter beklagt, genauso großartig wie die dramatischen Ausbrüche. Cornettis voluminöser Mezzo verfügt über strahlende Kraft in den Höhen und ein warmes, sattes Timbre in den Tiefen. Ein musikalischer Höhepunkt ist ihre große Szene im vierten Akt, in der sie in dem Propheten ihren Sohn erkennt, ihn am Ende jedoch verleugnet, um ihn nicht zu gefährden.

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Wiedersehen im Verlies des Schlosses: von links: Berthe (Lynette Tapia), Fidès (Marianne Cornetti) und Jean (John Osborn)

Lynette Tapia stattet die Berthe mit einem kräftigen Sopran und großer Beweglichkeit in den Koloraturen aus. Schon in ihrer großen Auftrittsarie im ersten Akt, wenn sie sich auf die bevorstehende Hochzeit mit Jean freut, begeistert Tapia mit variabler Stimmführung. Im Duett mit Cornetti im vierten Akt punktet sie mit ebenso großer Dramatik wie in ihrer Schlussszene im letzten Akt, wenn sie erkennt, dass ihr Geliebter der Prophet ist und sie nunmehr nur noch einen Ausweg im Selbstmord sieht. Von den drei Wiedertäufern lässt vor allem Tijl Faveyts als Zacharie mit schwarzem Bass aufhorchen. Beeindruckend ist auch sein Balance-Akt auf dem Karussell-Pferd im dritten Akt. Albrecht Kludszuweit, Pierre Doyen und Karel Martin Ludvik überzeugen als Wiedertäufer Jonas und Mathisen und als Graf von Oberthal ebenso wie der von Jens Bingert hervorragend einstudierte Opern- und Extrachor und der von Patrick Jaskolka einstudierte Kinderchor des Aalto-Theaters. Giuliano Carella bringt mit den Essener Philharmonikern Meyerbeers Partitur zum Blühen, so dass es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten gibt. Da sich das Regieteam in der zweiten Aufführung nicht dem Publikum stellt, lässt sich eine Reaktion auf die Inszenierung nur an einer Unmutsbekundung nach der Balletteinlage im dritten Akt ausmachen.

FAZIT

Das Aalto-Theater setzt ein Zeichen, wie musikalisch gerechtfertigt die derzeitige Meyerbeer-Renaissance ist. Hoffentlich folgen viele Bühnen diesem Beispiel.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Carella

Inszenierung und Kostüme
Vincent Boussard

Bühne
Vincent Lemaire

Mitarbeit Kostüme
Elisabeth de Sauverzac

Choreinstudierung
Jens Bingert

Einstudierung Kinderchor
Patrick Jaskolka

Licht
Guido Levi

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Essener Philharmoniker

Opernchor, Extrachor und Kinderchor
des Aalto-Theaters

Kinderstatisterie des Aalto-Theaters

Studierende der
Folkwang Universität der Künste

Bühnenmusik Klarinette
Johannes Schittler

Saxophon-Solo
Greta Schaller

 

Solisten

Jean de Leyde
John Osborn

Fidès, seine Mutter
Marianne Cornetti

Berthe, Jeans Verlobte
Lynette Tapia

Jonas, Wiedertäufer
Albrecht Kludszuweit

Mathisen, Wiedertäufer
Pierre Doyen

Zacharie, Wiedertäufer
Tijl Faveyts

Graf von Oberthal
Karel Martin Ludvik

Zwei Ballerinen
Sofia Pintzou
Marie Van Cauwenbergh

Erster Bauer (1. Akt)
Mateusz Kabala

Zweiter Bauer (1. Akt)
Swen Westfeld

Ein Soldat (2. Akt)
Ernesto Binondo

Ein Bauer (2. Akt)
Swen Westfeld

Ein Bauer (2. Akt)
Arman Manukyan

Erster Wiedertäufer (3. Akt)
Mario Tardivo

Zweiter Wiedertäufer (3. Akt)
Andreas Baronner

Erster Bürger (4. Akt)
Joo Youp Lee

Zweiter Bürger (4. Akt)
Markus Seesing

Dritter Bürgr (4. Akt)
Mateusz Kabala

Vierter Bürger (4. Akt)
Michael Haag

Ein Wiedertäufer (4. Akt)
Harald Wittkop

Zwei Kinder (4. Akt)
Laura Gergely
Anika Koczka

Zwei Offiziere (5. Akt)
Edgar Fehring
Matty Zinner



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