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Neues Haus für müde Götter - oder: hier geht noch mehr!
Von Joachim Lange Das eigentliche Ereignis ist nicht die Premiere, sondern der Ort an dem sie stattfindet: Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt geht nämlich nicht über die Bretter der (dauer-)provisorischen Spielstätte der Staatsoperette Dresden in Leuben, sondern über die im gerade fertig gewordenen Kraftwerk Mitte. Die Zeit des jahrzehntelangen Nachkriegsprovisoriums abseits der Touristenrouten ist endlich vorbei! Dort draußen in der Vorstadt wurde aus den bunten Paradiesvögeln des Genres schon wegen der akustischen und technischen Grenzen öfter als es den Machern lieb war ein grauer Spatz. Der Ruf des Besonderen zählte da oft mehr als das Ergebnis. Mit einem liebevoll umfassenden, mit Ausgrabungen veredelten Blick auf das Werk von Johann Strauss etwa oder verdienstvollen Beiträgen zur Geschichte des Genres machte man gleich wohl immer wieder auch überregional von sich reden. Die Staatsoperette führt zwar den Staat im Namen - aber wie würde Stadtoperette klingen? Außerdem ist dieses Haus neben der Musikalischen Komödie in Leipzig das einzige Exemplar seiner Art in Deutschland. Schon deshalb ist sie etwas Besonderes. Das neue Domizil der Staatsoperette im Kraftwerk Mitte (Foto: pfp Architekten Hamburg)
Was man heutzutage (mit Blick auf Hamburg, Köln, Stuttgart oder Berlin) gar nicht mehr für möglich hält, scheint in Dresden am Ende tatsächlich gelungen zu sein: Ungefähr im geplanten Kostenlimit von angemessenen 100 Millionen Euro (mit gut begründetem geringfügigem Zuschlag) und punktgenau zum Termin ist der Umbau des Kraftwerks Mitte zu einem Zentrum der städtischen Kultur fertig geworden. Das Theater der jungen Generation mit seinem Saal für 350 Zuschauer und die Staatsoperette mit einem 700 Plätze-Saal teilen sich das verschachtelte, aber geräumige und atmosphärische Foyergebäude. Dass die Türklinken und ein Teil der Toilettenbecken auf die anvisierten kleinsten Zuschauer zugeschnitten sind, hat etwas Anrührendes. Die Beschriftungen in Deutsch, Englisch und Russisch etwas demonstrativ Weltläufiges. Und dass man die einstige Bestimmung des über einhundert Jahre alten Ursprungsbaus als Kraftwerk noch erkennt, entfaltet weit mehr Charme als irgendein schickes, modisches Design vom Reißbrett. Das Innere der neuen Staatsoperette (Foto: pfp Architekten Hamburg)
Der Saal und Teile des Foyers erinnern an die Erfurter Oper. Kein Wunder, denn Jörg Friedrich war dort wie hier der Architekt. In Erfurt steht das zweite Beispiel eines Kulturneubaus aus der Rubrik "gelungen, pünktlich und im Kostenrahmen". Auch in Dresden hat der Saal rote Wände. Sie sind aufgesplittert. Die Zuschauerreihen steigen so an, dass die Plätze in Parkett und Rang ohne Sichtbehinderung auskommen. Akustisch ist das Ganze gut austariert, die Bühne ist technisch rundherum mit allem Pipapo ausgestattet. Davon konnten bisher alle nur träumen. Und das alles ist nur der Kern für ein Kulturquartier zu dem Museum, Diskothek, Musikschule, Kunsthalle und auch Arbeitsmöglichkeiten für andere Kreative schon gehören oder hoffentlich noch gehören sollen. Für all das ist jeder Respekt und jeder Applaus gerechtfertigt! Wolkenbilder (Foto: Stephan Floß)
Für Kritiker-Beifall zur der Eröffnungsinszenierung freilich reicht es beim besten Willen nicht. Denn die ist schlicht und einfach misslungen. Sie reißt einfach nicht mit und hebt nicht ab. Man hat den Eindruck, als ob sie alle mental noch in ihrer alten Schuhschachtel in Leuben Offenbachs geniale Parodie auf den Orpheus-Mythos absolvieren. Alles bieder und schaumgebremst. Selbst der Cancan, mit dem Offenbach und der Herr der Unterwelt noch immer die angereiste Götterbagage, vor allem aber die Zuschauer aus den Sitzen hauen könnte und müsste, verläppert als Abklatsch einer in die Jahre gekommenen Fernsehballett-Nummer. Der Kostüm-Mischmasch, für den sich Uta Heiseke entschieden hat, wartet nur im Falle von Jagdgöttin Diana (Janette Oswald ist auch die einzige, die sich vokal den Möglichkeiten des neuen Hauses überzeugend anpasst) mit Eleganz und im Falle von Hans Styx mit historisch pointierter Stilisierung auf. Andreas Sauerzapf macht das mit seiner knallig schnarrenden Art und dem hübschen, aktualisierten Couplet zur Geschichte des Hauses fabelhaft und wird vom Publikum dafür dankbar beklatscht. Bei Jupiter (Elmar Andere sagt seine Sprechtexte eher auf, als sie zielsicher als Pointen abzuschießen), ist das schlafanzugähnliche Kostüm sprechender als beabsichtigt. Ensemble (Foto: Stephan Floß)
Was die Ausstattung betrifft, da gehören Momme Hinrichs und Torge Moller (von fettFilm) zwar tatsächlich in die Spitzenriege ihrer Branche und die beweglichen Bilderrahmen-Projektionen berühmter Seerose, Wälder, Kornfelder oder Wolken und Unterweltcollagen haben ihren Reiz. Für sich genommen ist dagegen nicht zu sagen. Aber diese Operette verträgt die große Show mit Glanz und Glamour deutlich besser als die dräuende Behauptung eines doppelten Bodens vom gähnen Schwarz der Bühnentiefe. Schade, dass sich auch Chefdirigent Andreas Schüller und sein hörbar gut disponiertes Orchester von Regisseur Arne Böges Operetten-Ausbremsversuch, diesmal jedenfalls, anstecken ließen. Aber das kann nächste Woche schon ganz anders aussehen: dann steht Leonard Bernsteins Musical "Wonderful town" auf dem Programm.
Mit dem "Kraftwerk Mitte" wertet Dresden ein bisher vernachlässigtes Viertel mit einem Kulturquartier auf. Bei der Eröffnungsinszenierung ist noch Luft nach oben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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