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Otello, abgründig schwarz
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Muss Otello schwarz sein? Der Shakespeare'sche Othello war nicht ohne Sinn ein "Mohr", durch seine Hautfarbe zum Außenseiter determiniert. Ob das als Metapher heute noch taugt, darüber lässt sich trefflich streiten. Regisseur Michael Thalheimer zieht sich nicht ungeschickt aus der Affäre, indem er der Farbe schwarz eine andere Konnotation gibt: Hier ist alles schwarz, der schuhkartonartige Bühnenraum, bedrückend wie ein Verlies (Bühne: Henrik Ahr), die fast durchweg schwarzen Kostüme (Michaela Barth). Ein Schwarz der Vernichtung und des Untergangs ist das. Der schwarze Kreis auf Otellos Gesicht ist damit nicht einfach ein black facing (das man, wenn man mag, auch darin sehen kann), sondern das Zeichen des Abgrunds, in den Otello stürzt. Die Gesellschaft ist's, die Otello vor sich her (und in die Katastrophe) treibt
Thalheimers Inszenierung, die in Koproduktion mit der Flämischen Oper Antwerpen und Gent entstand und dort schon zu sehen war (unsere Rezension), erzählt konsequent aus der Seelen-Perspektive Otellos. Alle äußeren Vorgänge sind nur angedeutet, allein das unselige Taschentuch und Desdemonas leuchtend weißes Brautkleid sowie zuletzt ein Messer, mit dem Otello sich ersticht, braucht es an realen Requisiten. Thalheimer interessiert sich für das, was in Otellos Psyche abläuft - da steigert sich jemand in einen Wahn hinein, ohne dass es realer Ereignisse bedarf. Die Katastrophe, so die These, ist in Otello selbst bereits angelegt und unausweichlich. Vielleicht ist Jago nur ein Teil seiner Persönlichkeit. Der Feind, das sind die anderen, die Gesellschaft, der Chor, der in der ersten Szene bedrohlich nahe kommt. Desdemona erscheint zunächst als Madonna, die über den Dingen schwebt (dafür hat sie es ziemlich schwer, umständlich auf die Bühne herab zu steigen), entpuppt sich aber bald als durchaus selbstbewusste Frau. Das ist ein Bruch in der Regie, weil die Figur sich ein Stück weit von der Otello-Perspektive emanzipieren kann, aber es schadet nicht, weil ein Gegenentwurf aufleuchtet. Und zwar ganz reell: In der geschickten Beleuchtung (Stefan Bollinger) erstrahlen ihre nicht von schwarzer Kleidung bedeckten Arme als das Weiße, das ansonsten nur punktuell Platz findet - in besagten Taschentuch und Brautkleid und durch ein paar Spalte in den Verlieswänden im Moment kurz vor Otellos Tod. Die Erkenntnis seines Irrtums gibt immerhin eine Ahnung, dass ein Ausbruch möglich sein könnte. Da ist es, das berühmteste Taschentuch der Literatur- und Operngeschichte, in den Händen von Jago. Vorne Otello, hinten Cassio.
In der radikalen, faszinierenden Bildsprache ist das ungeheuer konsequent, und in der Abstraktion ist die Inszenierung natürlich ein brillantes Repertoirestück (wobei man die genaue Personenregie nicht unterschätzen darf). Das hat aber seinen Preis. Bei Shakespeare und auch bei Verdi und seinem kongenialen Librettisten Boito entwickelt sich der Absturz aus Banalitäten, durch die Otello sich täuschen lässt, die Katastrophe scheint aufhaltbar und gleichzeitig doch nicht, und daraus gewinnt das Drama viel Spannung - das fehlt bei Thalheimer, der sozusagen permanent mit direktem Blick auf das Ende inszeniert. Das hat auch Längen, weil mancher Dialog hier eigentlich überflüssig ist. Öffentliche Demütigung: Otello und Desdemona
Die Aufführung stützt sich auf drei großartige Hauptdarsteller. Zoran Todorovich (er singt die Partie alternierend mit Ian Storey) gibt dem Otello einen schweren, in der Höhe kraftvoll strahlenden, im Piano manchmal etwas schwerfälligen, dadurch aber "unheldisch" gebrochenen Tenor, stimmlich wie darstellerisch nuanciert gestaltet. Jacquelyn Wagner ist eine Desdemona mit großer, dabei jugendlich timbrierter Stimme, großartig nicht erst im letzten Akt mit einem beklemmenden "Lied von der Weide" und einem "Ave Maria" von höchster Spannung, und dass die Spitzentöne da eine winzige Spur angestrengt klingen, verleiht der Szene nur noch mehr Gewicht - schließlich geht's hier ums Sterben (und deshalb geht Szenenapplaus an dieser Stelle gar nicht, auch das Dirigat wollte keine Unterbrechung). Boris Statsenko schließlich ist ein chamäleonhaft bösartiger, nicht tiefschwarzer, aber ungemein präsenter und vielschichtiger Jago. Das ist schon große Oper, auch vom klangprächtigen Chor (Einstudierung: Gerhard Michalski). Dazu ist Sarah Ferede eine engagiert singende Emilia, Ovidiu Purcel ein metallisch strahlender Cassio, der sich mit seinem sicheren Tenor für größere Aufgaben empfiehlt, in der Gestaltung aber eindimensional bleibt. Florian Simson ist ein beachtlicher Roderigo. Das Ende: Otello hat Desdemona getötet.
Große Oper bieten auch die guten Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Axel Kober - zumindest stellenweise. Kober lässt es im Eingangschor und in der Chorszene des dritten Aktes ordentlich knallen, kann aber auch im Schlussakt im Piano schwelgen - könnte da aber auch im Tempo entspannter sein, diesen Ruhepunkt geduldiger auskosten. Auch dirigiert Kober arg ungeduldig über die Szenenwechsel hinweg, da müssten Stimmungswechsel viel sorgfältiger gestaltet werden. Hier steht manches unverbunden nebeneinander und bleibt dadurch recht pauschal, ohne innere Entwicklung. Kober dürfte dieser Wunderpartitur ruhig ein paar mehr Wunder zugestehen.
Thalheimers konsequenter Blick auf das Innenleben Otellos ist ein bisschen schnell durchschaubar, die Regie hat aber ihre ästhetischen Reize, zumal exzellent gesungen wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Otello
Desdemona
Jago
Cassio
Emilia
Rodrigo
Lodovico
Motano
Ein Bote
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