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Musiktheater
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b.30

Concerto Grosso Nr. 1 (Uraufführung)

Ballett von Remus Şucheană
Musik von Alfred Schnittke (Concerto grosso Nr. 1 für zwei Violinen, Klavier/Cembalo und Streicher)

Lonesome George

Ballett von Marco Goecke
Musik von Dmitri Schostakowitsch
(Streichquartett Nr. 8 c-Moll in der Bearbeitung als Kammersinfonie für Streichorchester von Rudolf Barschai)

Wounded Angel (Uraufführung)

Ballett von Natalia Horecna
Musik von Duo Probosci, Alban Berg, Denys Bouliane und Béla Bartók

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere am 14. Januar 2017 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 31. Januar 2017)


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Darf es ein wenig Kitsch sein?

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Es ist die choreographische Visitenkarte des neuen Chefs: Concerto grosso Nr. 1 ist die erste Choreographie von Remus Şucheană, der von Martin Schläpfer zum Co-Direktor des Ballett am Rhein berufen wurde. Als Musik hat er das Concerto grosso Nr. 1 von Alfred Schnittke gewählt, ein halbstündiges Werk für zwei Violinen, Klavier (im Wechsel mit Cembalo) und Streichorchester. Komponiert 1977 steht das Werk beispielhaft für Schnittkes Stil, der mit klassischen Modellen und Zitaten spielt. Şucheană greift das auf, unterlegt es mit kleinen Geschichten. Ein Mädchen geht auf Distanz zu den Eltern (mit mädchenhaftem Charme: Ann-Kathrin Adam); eine Frau verlässt ihren Geliebten (mit kontrollierter Leidenspose: Yuko Kato); eine andere Frau entfremdet sich der Gruppe durch ihren Individualismus (mit sympathischer Extravaganz Marlúcia do Amaral auf den Leib choreographiert). Alle drei wählen einen Weg in die Einsamkeit, das ist der rote Faden. Şucheană lässt sich von der Musik führen, spiegelt den Wechsel von Solo und Tutti im Tanz wieder, verwendet die Sprache des danse d'ecole korrespondierend zu Schnittkes (wenn auch verfremdeten) neoklassizistischem Formbewusstsein.

Vergrößerung Remus Şucheană: Concerto grosso Nr.1; FOTO © Gert Weigelt

Choreographiert ist das mit souveräner Hand. Das narrative Element wird nicht zu dominant, die Tanzsprache variiert das Vertraute immer wieder mit kleinen Überraschungsmomenten. Ein gelungener Einstand, keine Frage. Was fehlt? Es wirkt fast zu "rund", zu perfekt kalkuliert. Es fehlt eine Spur Witz, Selbstironie und Abgründigkeit. Im Kontrast dazu betont der junge kanadische Dirigent Jean-Michael Lavoie am Pult der recht guten Düsseldorfer Symphoniker eher die zerfließenden Aspekte als die traditionell form- und rhythmusbildenden. Franziska Früh und Dragos Manza als Violinsolisten sowie Christian Grifa an Klavier und Cembalo dürften ruhig etwas stärker in den Vordergrund drängen.

Vergrößerung

Marco Goecke: Lonesome George; Foto © Gert Weigelt

Im Mittelteil folgt Lonesome George von Marko Goecke - diese Arbeit zur Musik von Schostakowitschs 8. Streichquartett (in einer Orchesterfassung) war erst 2015 im Ballettabend b.24 zu sehen (unsere Rezension). Warum gerade dieses Stück so schnell wiederaufgenommen wird? Weil es halt so gut sei, so die Dramaturgin, was nicht wirklich überzeugt, weil die Compagnie sicher noch bessere Werke im Repertoire hat. Natürlich knüpft es thematisch an Concerto Grosso Nr. 1 an, weil die Einsamkeit schon im Titel steht. "Lonesome George" war die letzte Riesenschildkröte auf den Galapagos-Inseln, letzter Vertreter der Art zumindest auf seiner Insel. Die für Goecke stilbildenden hektischen Hand- und Armbewegungen, die mechanischen Abläufe mit einer zwingenden aber nicht erkennbaren Logik üben auch beim Wiedersehen große Faszination aus. Und die Aufführung hat, wenn der Eindruck nicht täuscht, an Witz noch dazugewonnen.

Vergrößerung "The Love" mit Engel und "The Heart": Wounded Angel; Foto © Gert Weigelt

Einsam ist auch Marcos Menha als zentrale Figur in Wounded Angel von Natalia Horecna. Er ist "The Love", also die "Liebe", und steht stellvertretend für den Menschen, um den das "Ego" und "The Heart", also das "Herz" ringen, jeweils flankiert von vier Mitstreitern: Fear (Angst), Jealousy (Eifersucht), Insecurity (Unsicherheit) und das "Poor me syndrom" (Selbstmitleid) auf Seiten des Ego, Wealth (Gesundheit), Self Love (Eigenliebe), Believe (Zuversicht) und Sucess (Erfolg) als Begleiter des Herzens. Damit sich das auch auf jeden Fall erschließt, haben die Tänzer ihren Rollennamen oder ein entsprechendes Symbol auf den überlangen T-Shirts aufgedruckt. Dazu kommt noch ein verwundeter Engel, den Horecna einem (in Finnland sehr populären) Bild des Malers Hugo Simberg entnommen hat und der traurig am Fuß einer Himmelsleiter sitzt. "Wounded Angel ist ein Ballett über den kleinen Wunder-Engel in uns. Es handelt davon, das Vertrauen zu leben und das Vertrauen zu uns selbst zu finden. Und davon, dass es nie zu spät ist." Das Schreibt die Choreographin über das Stück. Au weia, ein spätpubertäres Selbstfindungswerk, poesiealbumtauglich?

Vergrößerung

Das "Ego" mit Begleitern: Wounded Angel; Foto © Gert Weigelt

Ganz so schlimm kommt es zum Glück nicht. Die comicartigen Kostüme hat Natalia Horecna selbst entworfen (wie auch das interessante Bühnenbild mit Himmelstreppe). Dazu choreographiert sie einen kraftvollen Stil, den sie selbst als "schmutzigen Neoklassizismus" bezeichnet, der keine völlig neuen Wege sucht, aber in kleinen Zeichen eine Distanz schafft, als würde Horecna den Tanz mit allem Traditionsballast hier von außen mit einer Portion Skepsis betrachten. Musikalisch beginnt es mit Ausschnitten aus Bartoks Wunderbarem Mandarin (und es wäre sicher interessant, wenn Natalia Horecna einmal den kompletten Mandarin oder auch Strawinskys Petruschka in diesem Stil erarbeiten würde), streift ein Stück für Klarinette und Klavier von Alban Berg (aus op.5) und Werke von Denys Bouliane; am stärksten musikalisch prägend aber ist das Duo Probosci (Timba Harris, Violine, und Gyan Riley, Gitarre), die dem Aussehen nach ebenfalls direkt dem Bild Simbergs entsprungen sind, ein Fiedler mit Begleiter aus dem Dorfleben des 19. Jahrhunderts (streng genommen von 1903, als das Gemälde entstand) mit einer volksliedhaften Musik. Das ist von ziemlich frecher Ästhetik, die den herzensgut naiven Ansatz gleich wieder in Frage stellt. Sozusagen bewusster Kitsch mit Ironiefaktor als Waffe gegen den hinter der Idee lauernden Kitsch. In dieser Ambivalenz funktioniert das tatsächlich recht gut. Am Ende siegt natürlich das Herz über das Ego. Aber welcher Kitsch hat jetzt gewonnen, der gute oder der böse? Das muss jeder für sich entscheiden.


FAZIT

Ein achtbares Debut von Remus Şucheană, ein schräges Comic-Ballett ohne Angst vor Sentimentalität von Natalia Horecna, dazwischen eine Wiederaufnahme eines eigenwillig faszinierenden Arbeit von Marco Goecke - ein interessanter Ballettabend. Gemessen an den selbst gesetzten hohen Ansprüchen von Martin Schläpfers Compagnie aber einer der schwächeren Sorte.


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Produktionsteam

Concerto grosso Nr. 1

Choreographie
Remus Şucheană

Bühne und Kostüme
Darko Petrovic

Licht
Thomas Diek

Violine
Franziska Früh
Dragos Manza

Klavier/Cembalo
Christian Grifa

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Düsseldorfer Symphoniker

Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Yuko Kato
Marlúcia do Amaral

Doris Becker
Sabrina Delafield
Sonia Dvo?ák
Nathalie Guth
Alexandra Inculet
Christine Jaroszewski
Kailey Kaba
So-Yeon Kim
Norma Magalhães
Asuka Morgenstern
Virginia Segarra Vidal
Elisabeta Stanculescu
Irene Vaqueiro
Rashaen Arts
Brice Asnar
Yoav Bosidan
Rubén Cabaleiro Campo
Odsuren Dagva
Michael Foster
Filipe Frederico
Philip Handschin
Vincent Hoffman
Sonny Locsin
Tomoaki Nakanome
Chidozie Nzerem
Marcus Pei
Friedrich Pohl
Arthur Stashak
Eric White


Lonesome George

Choreographie
Marco Goecke

Bühne und Kostüme
Michaela Springer

Licht
Udo Haberland

Dramaturgie
Nadja Kadel

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Düsseldorfer Symphoniker


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Wun Sze Chan
Mariana Dias
Nathalie Guth
Michael Foster
Sonny Locsin
Arthur Stashak
Marcos Menha
Bruno Narnhammer
Alban Pinet
Alexandre Simões


Wounded Angel

Choreographie,
Bühne und Kostüme
Natalia Horecna

Bühnenrealisation
Mario Ilsanker
Darko Petrovic

Licht
Thomas Diek

Klavier
Wolfgang Wiechert

Klarinette
Ncole Schrumpf

Duo Probosci:
Timba Harris, Violine
Gyan Riley, Gitarre

Musikalische Leitung
Jean-Michaël Lavoie

Düsseldorfer Symphoniker


Tänzerinnen und Tänzer

The Love
Marcos Menha

Wounded Angel
Yuko Kato

The Heart
Camille Andriot

Ego
Rubén Cabaleiro Campo

Fear
Bruno Narnhammer

Jealousy
Boris Randzio

Insecurity
Yoav Bosidan

Poor me Syndrom
Feline van Dijken

Wealth
Virginia Segarra Vidal

Self Love
Wun Sze Chan

The Believe
Asuka Morgenstern

Success
Alexandre Simões

The Soul's Couple
Kailey Kaba
Philip Handschin



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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