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Lucia di Lammermoor

Oper in drei Akten
Libretto von Salvatore Cammarano
nach dem Roman The Bride of Lammermoor von Walter Scott
Musik von Gaetano Donizetti


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Kooperation mit der ENO - English National Opera, London
Premiere im Opernhaus Bonn am 30. Oktober 2016


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Theater Bonn
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Lucia im Irrenhaus

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu

David Alden verlegt in seiner Produktion der Lucia di Lammermoor, die bereits 2008 an der English National Opera herauskam und auch an anderen Orten zu sehen war, die Handlung - wie man der Inhaltsangabe im Programmheft entnimmt - in eine heruntergekommene Nervenanstalt im England der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zu den dort vorgenommenen Experimenten gehörte es offenbar, die Kranken auf anstaltseigenen Bühnen im Rahmen von speziellen Aufführungen einem interessierten Publikum vorzuführen, das für die Begegnung mit "echten Irren" bezahlte (ob diese bizarre Vorgehensweise historisch belegt ist oder der Fantasie des Regisseurs entspringt, konnte ich nicht auf die Schnelle herausfinden). Lucia jedenfalls findet man meistens in ihrem Gitterbett oder am Rand dieser Bühne, natürlich mit einer Puppe und später ihrem Teddybären in der Hand, verstört, apathisch. Und spätestens als Enrico ihre Puppe intensiv streichelt, ahnt man, worauf Alden hinaus will: Enrico missbraucht seine Schwester, berührt sie unsittlich, fesselt sie ans Krankenbett, und niemand schreitet ein, auch nicht Normanno, ihr Erzieher, der stattdessen lieber mit seiner Bibel herumfuchtelt. Wohl in seiner Rolle fühlt sich Enrico auch nicht, immer häufiger greift er im Laufe des Stücks zum Alkohol (in Plastikflaschen dargeboten, die gern über die Bühne und bis in den Orchestergraben fliegen). Das alles könnte unerhört packend sein, wenn sich die Darstellerinnen und Darsteller dieses Konzept wirklich zu eigen gemacht hätten und mit Leben erfüllten und wenn nicht durch häufige Blicke hinter die Kulissen und Perspektivwechsel das Geschehen permanent gebrochen würde. Ein weiteres Problem bei dieser Einstudierung dürfte sein, dass ihr Leiter (Ian Rutherford) eben doch nicht der Regisseur ist (der zwar die Vorhangordnung am Premierenabend durcheinander brachte, bei den Proben dem Vernehmen nach aber nicht dabei war) und dass sich vieles aus einer acht Jahre alten Originalproduktion, die mit ganz anderen Sängerinnen und Sängern und damit Persönlichkeiten erarbeitet worden ist, einfach nicht 1:1 umsetzen ließ. Und so stellte sich trotz des an sich ja nicht unspannenden Ansatzes über lange Strecken doch Langeweile ein, vieles war eben doch auch schlecht kaschierte Rampensteherei oder sah nach eigenen Einfällen der Ausführenden aus, die niemand recht zusammengebracht hatte.

Szenenfoto

Lucia (Julia Nikolova) wird von ihrem Bruder Enrico (Giorgos Kanaris) missbraucht.

Julia Novikova machte in der Titelpartie vieles richtig und wenig falsch, man bekam die vertrauten Spitzentöne in erster Qualität zu hören, die Stimme ist geläufig, aber sie ist relativ anonym und eintönig, es fehlt ihr an unterschiedlichen Farben und individuellen Nuancen - die Russin ist einfach keine faszinierende, berührende Interpretin, auch darstellerisch nicht. In der Wahnsinnsszene konzertierte sie - was man nicht überall hört - tatsächlich mit einer Glasharmonika und präsentierte eine eigenwillige, stilistisch für mein Empfinden nicht ganz passende Kadenz, gewann auch an Expressivität, ohne aber an die Intensität ganz großer Interpretinnen heranzukommen.

Szenenfoto

Lucia (Julia Nikolova) wird von ihrem Bruder Enrico (Giorgos Kanaris, links außen) gezwungen, den von ihm ausgesuchten Arturo (Christian Georg) zu heiraten. Ihre Vertraute Alisa (Susanne Blattert, rechts außen) bleibt nichts als tatenlos zuzuschauen.

Felipe Rojas Velozo schonte sich als Edgardo im Schottenrock und mit grauenhafter Zottelperücke (die anderen Kostüme von Brigitte Reiffenstuel dagegen waren prächtig anzuschauen) keine Sekunde, da wurde viel tenorales Herzblut vergossen, der Text expressiv-glutvoll und mit Nachdruck ausgelotet, mitunter freilich um den Preis einzelner gefährdet klingender Töne und einer etwas zweifelhaften Intonation, aber nie nur dem respekteinflössenden Schmettern verpflichtet, sondern durchaus auch um Pianoeffekte erfolgreich bemüht.

Szenenfoto

Lucia (Julia Nikolova) hat ihren Gatten Arturo (Christian Georg) getötet.

Giorgos Kanaris war mit höhenstarkem, eher schlankem Bariton ein intensiver, einiges Charisma entwickelnder Enrico, Martin Tzonev hatte seine Momente als trotz verwitterten Timbres erfüllt singender Raimondo (nur der kurze Ausflug ins Falsett in seiner großen Szene irritierte), Susanne Blattert war in vielen Szenen anwesend, aber vokal rollengemäß nur im Sextett präsent, Christian Georg war der schick gewandete, vokal aber mit hellem, in die Jahre gekommenen Tenor ein arg blasser Arturo, während man von Johannes Mertes, der mit gut sitzendem, prägnanten Tenor den Normanno gab, gern mehr gehört hätte. Große Auftritte hatte auch der von Marco Medved sorgfältig vorbereitete Chor - der Kontakt zwischen Bühne und Graben verbesserte sich nach anfänglichen Unsicherheiten stetig. Das Beethoven Orchester präsentierte sich unter Jacques Lacombes kompetenter Leitung auf ansprechendem Niveau; etwas wuchtig geriet zwar die eine oder andere Steigerung, aber dies alles blieb doch so im Rahmen, dass das Bühnenpersonal dadurch nicht in Schwierigkeiten geriet.

Szenenfoto

Unter den Augen eines zahlenden Publikums verfällt Lucia (Julia Nikolova) dem Wahnsinn.


FAZIT

Diese Koproduktion ist sicher nicht die bedeutendste Inszenierung von Donizettis beliebter Oper, an die man sich erinnert, aber sie stört auch nicht wirklich, und musikalisch gibt es trotz der gemachten Einschränkungen das eine oder andere zu entdecken.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jacques Lacombe

Inszenierung
David Alden

Leitung der
Wiederaufnahme
Ian Rutherford

Bühne
Charles Edwards

Kostüme
Brigitte Reiffenstuel

Licht
Adam Silverman

Lichteinrichtung
für Bonn
Adam Silverman

Choreographie
Maxine Braham

Choreinstudierung
Marco Medved


Statisterie
des Theater Bonn

Chor
des Theater Bonn

Beethoven Orchester
Bonn


Solisten


Enrico
Giorgos Kanaris

Lucia
Julia Novikova

Edgardo
Felipe Rojas Velozo

Arturo
Christian Georg

Raimondo
Martin Tzonev

Alisa
Susanne Blattert

Normanno
Johannes Mertes



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
(Homepage)



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