Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Bradamante & Co KG
Von Christoph
Wurzel / Fotos: ©
Christoph Kalscheuer Lydia Steier zeigt eine dichotomische Welt: anarchisch, bunt, phantastisch, auch schrill ist das felsige Reich Alcinas, die ihre zahlreich abgelegten Liebhaber nacheinander offenbar in Paradiesvögel, Chimären, Azteken oder Südseeinsulaner verwandelt hat. Die Kostüme dazu von Gianluca Falaschi sind an Phantasiereichtum kaum zu übertreffen und für das Publikum eine Augenweide. Dolce vita bei Alcina (Alcina: Nicole Heaston, Ruggiero: Valer Sabadus und Chor) Durchorganisiert und streng geht es dagegen im zweiten Teil zu, der dem Libretto gemäß zwar in der Vorhalle von Alcinas Palast spielt, hier aber in einem Büro, das im kühlen Businessdress von Bradamante konsequent regiert wird und in dem die Angestellten (freilich kostümmäßig das Reich der Phantasie noch nicht ganz abgelegt) im Rhythmus der Musik nun brav Geschäftspost in ihre Schreibmaschinen hacken. Der zurückgeholte Ruggiero nimmt sich darin merklich verloren aus. Wie anders dagegen war er unter Alcinas Zauber in deren Reich schwärmerisch aufgeblüht! Eine Glanzpartie für Valer Sabadus mit lyrisch weicher Stimme und später auch mit leiser Melancholie, wenn er begreift, dass er doch wieder zurück muss und - „Verdi prati...perderete la beltà“ - diese traumhafte Welt verlassen muss. Bezwingende Bilder hat Lydia Steier im funktionalen Bühnenbild von Flurin Borg Madsen gefunden. Zu Beginn tauchen, ähnlich den grauen Männern aus Michael Endes Momo, die die Menschen von der Verschwendung angeblich nutzlos verbrachter Zeit abhalten wollen, Bradamante und ihr Begleiter Melisso am Vorderrand der Bühne auf, während hinten Alcina inmitten ihrer verzauberten Exgeliebten von den Freuden ihrer neuen Liebe Ruggiero singt. Und nicht allein das prachtvolle Ornat der amerikanischen Sopranistin Nicole Heaston, vor allem die hinreißende Kraft ihrer Stimme beglaubigen ihre Rolle als wahre Königin dieses Lustparadieses. Ein witziger Regieeinfall folgt in Gestalt von Alcinas Schwester Morgana. Als Sirene mit schuppigem Fischschwanz und buntem Kopfschmuck umgarnt sie Bradamante, die sie in ihrem grauen Anzug mit Melone ja zurecht für einen Mann hält. Zudem ist diesem losen Wesen ohnehin jedes Liebesabenteuer willkommen. Die fröhlichen Koloraturen, die Händel dieser Rolle zugedacht hat, bewältigt die junge australische Sopranistin Bryony Dwyer (Mitglied des Basler Opernstudios plus) mit (vielleicht sogar passend) etwas spitzer Höhe und in stupender Virtuosität. Knallbunte Wasserfrau: Bryony Dwyer als Morgana Relaxed und heiter geht es weiter zu auf Alcinas Wellness-Insel. Es wird fröhlich getanzt und gesteppt, ein Pfeifchen geschmaucht oder nur einfach herumgelungert. Munter werden sogar beim Ritual eines menschlichen Schlachtopfers dessen innere Organe der juchzenden Menge präsentiert. Das geht so lange, bis Ruggiero durch Melisso alias Atlante auf den Boden der Tatsachen geworfen wird: er solle sich gefälligst an Bradamante erinnern. Dem fallen die Schuppen von den Augen und als Bradamante sich ihm offenbart, sagt er sich (freilich nicht ganz ohne Zögern) von der Liebe zu Alcina los. Da ist der Moment für deren Lamento-Arie „Ah! Mio cor“ gekommen, woraus Nicole Heaston eine ganz große Szene macht und mit hochdramatischer Expressivität weit voraus auf so tragische Frauenfiguren wie Mozarts Elvira weist. Wirkungsvoll gibt es an dieser Stelle mitten im 2. Akt die Pausenzäsur. Danach werden alle abrupt in die sachliche Realität geworfen. Nach dem ersten Ernüchterungsschock verbraucht sich der Überraschungseffekt des krassen Wandels der Welten szenisch leider ein wenig, bedingt auch durch die dramaturgisch allzu retardierende Handlung sprüht die Regie nicht mehr so voller Ideen. Umso mehr glänzen die noch folgenden Arien als bravouröse Gesangsnummern. Alcina hat mit ihrer Rachearie „Ma quando tornerai“ einen furiosen Auftritt im Büro. Ruggiero antwortet nicht minder effektvoll mit der da-caccia-Arie „Sta nell' ircana“ und Bradamante versichert sich mit der Arie „All' alma fede“ ihres glücklichen Sieges: Gelegenheit für alle drei Sängerinnen und Sänger nochmals große Vokalkunst vorzuführen. Katarina Bradić als Badamante zeigt hier als coole Geschäftsfrau darstellerisch ebenso starke Präsenz wie zuvor als verkleideter vorgeblich eigener Bruder Ricciardo. Die höchst virtuosen Arien dieser Rolle bewältigt sie nicht allein mit beeindruckender Technik, sondern auch starkem emotionalen Ausdruck. Auftritt im Büro: Katarina Bradić (Bradamante), Valer Sabadus (Ruggiero), Nicole Heaston (Alcina) und Mitglieder des Chors bzw. der Statisterie Auch in den Nebenrollen erreicht diese Aufführung beachtliches Niveau. Alice Borciani als Oberto stürzt nach ihrem von Alcina verzauberten Vater suchend verzweifelt durch die Kulisse und meistert ihre Arien mit Verve. Nathan Haller spielt den von Morganas Wankelmut genervten Oronte mit entsprechend kämpferischem Gehabe wie ein Indianer auf dem Kriegspfad und meistert seine Arien blendend. Als Melisso trägt mit entschlossenem Bass schließlich José Coca Loza entscheidend zur Wende bei. Das in Basel heimische La Cetra Barockorchester unter der Leitung von Andrea Marcon braucht anfangs in der einleitenden Sinfonia ein wenig, um das passend schwungvolle Tempo zu finden. Etwas verschwommen bleiben stellenweise die Streicher, aber die Holzbläser treten ebenso wie die Continuogruppe immer wieder klangschön hervor.
Eine vor
allem im ersten Teil kurzweilige und humorvolle Inszenierung mit einem
einleuchtenden Konzept. Sängerisch ist die Aufführung ein Glücksfall.
Vom Orchester hätte man sich mitunter plastischeres Spiel gewünscht.
|
ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Chor des Theater Basel
Solisten
Alcina
Ruggiero
Bradamante, in Gestalt ihres vorgeblichen
Morgana, Alcinas Schwester
Oberto, Jüngling
auf der Suche nach seinem Vater
Oronte, Geliebter Morganas
Melisso, Begleiter Riccardos
und alias Atlante
|
© 2017 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -