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Alcina

Dramma per musica in tre atti
Text von einem unbekannten Bearbeiter
nach dem Libretto von Antonio Fanzaglia zu der Oper L'isola di Alcina von Riccardo Broschi
nach Motiven  aus Ariostos Orlando furioso
Musik von Georg Friedrich Händel

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: ca. 3 1/2 Stunden – eine Pause

Premiere am 10. Juni 2017
(rezensierte Aufführung: 19. Juni 2017)


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Theater Basel
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Bradamante & Co KG

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Christoph Kalscheuer

Spätestens seit dieser Aufführung weiß man, warum Bradamante so verzweifelt nach Ruggiero, ihrem verschollenen Geliebten, sucht, den sie  nach langer Fahrt endlich auf Alcinas Zauberinsel wiederfindet: Sie braucht ihn als Kompagnon ihrer Firma. So endet jedenfalls in der Lesart von Lydia Steier diejenige von Händels Opern mit der vielleicht phantastischsten Handlung. Schluss also mit Traum- und Zauberwelt und wieder zurück in die graue Bürorealität: diese nach der Pause, jene davor.

Lydia Steier zeigt eine dichotomische Welt: anarchisch, bunt, phantastisch, auch schrill ist das felsige Reich Alcinas, die ihre zahlreich abgelegten Liebhaber nacheinander offenbar  in  Paradiesvögel, Chimären, Azteken oder Südseeinsulaner verwandelt hat. Die Kostüme dazu von Gianluca Falaschi sind an Phantasiereichtum kaum zu übertreffen und für das Publikum eine Augenweide.

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Dolce vita bei Alcina (Alcina: Nicole Heaston, Ruggiero: Valer Sabadus und Chor)

Durchorganisiert und streng geht es dagegen im zweiten Teil zu, der dem Libretto gemäß zwar in der Vorhalle von Alcinas Palast spielt, hier aber in einem Büro, das im kühlen Businessdress von Bradamante konsequent regiert wird und in dem die Angestellten (freilich kostümmäßig das Reich der Phantasie noch nicht ganz abgelegt) im Rhythmus der Musik nun brav Geschäftspost in ihre Schreibmaschinen hacken. Der zurückgeholte Ruggiero nimmt sich darin merklich verloren aus. Wie anders dagegen war er unter Alcinas Zauber in deren Reich   schwärmerisch aufgeblüht! Eine Glanzpartie für Valer Sabadus mit lyrisch weicher Stimme und später auch mit leiser Melancholie, wenn er begreift, dass er doch wieder zurück muss und  - „Verdi prati...perderete la beltà“ - diese traumhafte Welt verlassen muss.

Bezwingende Bilder hat Lydia Steier im funktionalen Bühnenbild von Flurin Borg Madsen gefunden. Zu Beginn tauchen, ähnlich den grauen Männern aus Michael Endes Momo, die die Menschen von der Verschwendung angeblich nutzlos verbrachter Zeit abhalten wollen, Bradamante und ihr Begleiter Melisso am Vorderrand der Bühne auf, während hinten Alcina inmitten ihrer verzauberten Exgeliebten von den Freuden ihrer neuen Liebe Ruggiero singt. Und nicht allein das prachtvolle Ornat der amerikanischen Sopranistin Nicole Heaston, vor allem die hinreißende Kraft ihrer Stimme beglaubigen ihre Rolle als wahre Königin dieses Lustparadieses. Ein witziger Regieeinfall folgt in Gestalt von Alcinas Schwester Morgana. Als Sirene mit schuppigem Fischschwanz und buntem Kopfschmuck umgarnt sie Bradamante, die sie in ihrem  grauen Anzug mit Melone ja zurecht für einen Mann hält. Zudem ist diesem losen Wesen ohnehin jedes Liebesabenteuer willkommen. Die fröhlichen Koloraturen, die Händel dieser Rolle zugedacht hat, bewältigt die junge australische Sopranistin Bryony Dwyer (Mitglied des Basler Opernstudios plus) mit (vielleicht sogar passend) etwas spitzer Höhe und in stupender Virtuosität.

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Knallbunte Wasserfrau: Bryony Dwyer als Morgana

Relaxed und heiter geht es weiter zu auf Alcinas Wellness-Insel. Es wird fröhlich getanzt und gesteppt, ein Pfeifchen geschmaucht oder nur einfach herumgelungert.  Munter werden sogar beim Ritual eines menschlichen Schlachtopfers dessen innere Organe der juchzenden Menge präsentiert. Das geht so lange, bis Ruggiero durch Melisso alias Atlante auf den Boden der Tatsachen geworfen wird: er solle sich gefälligst an Bradamante erinnern. Dem fallen die Schuppen von den Augen und als Bradamante sich ihm offenbart, sagt er sich (freilich nicht ganz ohne Zögern) von der Liebe zu Alcina los. Da ist der Moment für deren Lamento-Arie „Ah! Mio cor“ gekommen, woraus Nicole Heaston eine ganz große Szene macht und mit hochdramatischer Expressivität weit voraus auf so tragische Frauenfiguren wie Mozarts Elvira weist.

Wirkungsvoll gibt es an dieser Stelle mitten im 2. Akt die Pausenzäsur. Danach werden alle abrupt in die sachliche  Realität geworfen. Nach dem ersten Ernüchterungsschock verbraucht sich der Überraschungseffekt des krassen Wandels der Welten szenisch leider ein wenig, bedingt auch durch die dramaturgisch allzu retardierende Handlung sprüht die Regie nicht mehr so voller Ideen. Umso mehr glänzen die noch folgenden Arien als bravouröse Gesangsnummern. Alcina hat mit ihrer Rachearie „Ma quando tornerai“ einen furiosen Auftritt im Büro. Ruggiero antwortet nicht minder effektvoll mit der da-caccia-Arie „Sta nell' ircana“ und  Bradamante versichert sich mit der Arie „All' alma fede“ ihres glücklichen Sieges: Gelegenheit für alle drei Sängerinnen und Sänger nochmals große Vokalkunst vorzuführen. Katarina Bradić als Badamante zeigt hier als coole Geschäftsfrau darstellerisch ebenso starke Präsenz wie zuvor als verkleideter vorgeblich eigener Bruder Ricciardo. Die höchst virtuosen Arien dieser Rolle bewältigt sie nicht allein mit beeindruckender Technik, sondern auch starkem emotionalen Ausdruck.

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Auftritt im Büro:  Katarina Bradić (Bradamante), Valer Sabadus (Ruggiero), Nicole Heaston (Alcina) und Mitglieder des Chors bzw. der Statisterie

Auch in den Nebenrollen erreicht diese Aufführung beachtliches Niveau. Alice Borciani als Oberto stürzt nach ihrem von Alcina verzauberten Vater suchend verzweifelt durch die Kulisse und meistert ihre Arien mit Verve. Nathan Haller spielt den von Morganas Wankelmut genervten Oronte mit entsprechend kämpferischem Gehabe wie ein Indianer auf dem Kriegspfad  und meistert seine Arien blendend. Als Melisso trägt mit entschlossenem Bass schließlich José Coca Loza entscheidend zur Wende bei. Das in Basel heimische La Cetra Barockorchester unter der Leitung von Andrea Marcon braucht anfangs in der einleitenden Sinfonia ein wenig, um das passend schwungvolle Tempo zu finden. Etwas verschwommen bleiben stellenweise die Streicher, aber die Holzbläser treten ebenso wie die Continuogruppe immer wieder klangschön hervor.


FAZIT

Eine vor allem im ersten Teil kurzweilige und humorvolle Inszenierung mit einem einleuchtenden Konzept. Sängerisch ist die Aufführung ein Glücksfall. Vom Orchester hätte man sich mitunter plastischeres Spiel gewünscht.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Andrea Marcon

Inszenierung
Lydia Steier

Bühne
Flurin Borg Madsen

Kostüme
Gianluca Falaschi

Licht
Guido Hölzer
Roland Edrich

Chorleitung
Henryk Polus

Dramaturgie
Juliane Luster

 

Chor des Theater Basel

La Cetra Barockorchester

Statisterie des Theater Basel

 

Solisten

Alcina
Nicole Heaston

Ruggiero
Valer Sabadus

Bradamante, in Gestalt ihres vorgeblichen
Bruders Ricciardo

Katarina Bradić

Morgana, Alcinas Schwester
Bryony Dwyer**

Oberto, Jüngling auf der Suche nach seinem Vater
Alice Borciani

Oronte, Geliebter Morganas
Nathan Haller**

Melisso, Begleiter Riccardos und alias Atlante
José Coca Loza*


* Mitglied des Opernstudios OperAvenir

** Mitglied des Opernstudios OperAvenir Plus



Weitere Informationen
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Da capo al Fine

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