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Der Kampf von Himmel und Hölle am Gartenzaun
Von Joachim Lange / Fotos von Monika Rittershaus
Der Intendant der Komischen Oper Barrie Koksy ist zur Zeit damit beschäftigt, in Bayreuth seine Meistersinger in Stellung zu bringen, Interviews zu geben und Festspielchefin Katharina Wagner zu loben. Zur letzten Premiere der Spielzeit war er natürlich in Berlin an seinem Haus. Dort hat Tobias Kratzer Jean-Philippe Rameaus hierzulande nahezu unbekannte fünfaktige Tragédie Zoroastre aus dem Jahre 1756 inszeniert. Vielleicht haben die beiden ja auch über Bayreuth gesprochen - Kratzer ist dort 2019 für den nächsten Tannhäuser" vorgesehen, und dass er eine ganze Menge von den Meistersingern versteht, hat er in Karlsruhe schon bewiesen. Rameau freilich war da fast die härtere Nuss. Für die wenig geläufige Story und die auf meist einem deklamatorischen Level ihre Künstlichkeit vor sich hertragende Musik, einen szenischen Zugriff zu finden, bei dem nicht alles hinter Staub oder Puderwolken verschwindet, ist nicht so einfach.
Rameaus Nymphe Platee oder seine Galante Inderin kann man dem heutigen Publikum wohl leichter schmackhaft machen. Schon, weil sie einfach besser gebaut sind. Kosky hat an der Komischen Oper selbst Castor et Pollux des französichen Händelzeitgenossen als ein packendes Stück Musiktheater mit allem Psycho-Drum-und-Dran inszeniert. Zoroastre spielt eigentlich im heutigen Norden Afghanistans. Dort hat ein Finsterling namens Abramane in unsicheren Zeiten, nach dem Tod des rechtmäßigen Herrschers, die Macht an sich gerissen und will das durch seine Verbindung mit der Thronfolgerin Amélite legitimieren. Doch die konkurriert mit ihrer Rivalin Erince um den Thron und den Titelhelden Zoroastre (hinter dem sich kein anderer als Zarathustra verbirgt). Bei Rameau wird aus dem Zweckbündnis von Abramane und Erince gleich ein Kampf der Hölle gegen alle Mächte des Himmels und der Erde. Wenn der Krieg am Zaun ausgebrochen ist, wird die Badewanne zum Schutzschild.
Um das ins Bild zu setzen, hat Kratzer nicht aufs große Ganze, sondern aufs Nächstliegende zurückgegriffen. Bei ihm wird der Streit von Gut und Böse aus der Dimension des Universums auf die des Gartenzauns herunter gebrochen. Da mag die EU noch so durchlässige Außengrenzen haben, für die Grenzen des eigenen Grundstücks gilt das noch lange nicht. Für das Verständnis, wer denn hier gut und wer böse ist, wird das freilich zu einem Türöffner. Rainer Sellmaier hat links das spießige, aber doch propere Häuschen im schmucken hellen Ambiente mit Dahlienbeet vor der Tür, Bibliothek und Wintergarten, nebst privatem Yogalehrer, platziert. Rechts daneben den finsteren Nachbarn, der sich den Maschendraht per Boten anliefern lässt (wahrscheinlich den billigeren aus dem Internet) und dann auch noch ein Stück von Nachbars Garten abzwackt. Samt der darauf lebenden Ameisen, an deren Leben man im Laufe des Abends zu den Ballettmusiken immer wieder regen Anteil nehmen kann. Sie (der Chor) sind ins Menschenmaß vergrößert, verändern die Perspektive der Betrachter, haben putzigen Witz und sind gleichsam der doppelte komödiantische Boden. Dieser Ausflug ins Tierreich erinnert zwar an Hans Neuenfels' diverse Exkursionen, erreicht aber deren Überzeugungskraft nicht. Irgendwann schießen die Guten (hier Zoroastre) zurück.
Der Nachbarschaftsstreit kann nicht gut gehen. Und wenn dann noch ambitionierte Frauen ins Spiel kommen, dann sind Aufrüstung, mit Stacheldraht, Strom- und anderen Fallen, Eskalation und Krieg angesagt. Dann hat der eine bald eine Flag auf dem Dach und der anderen walzt mit dem Furor des Fürsten der Finsternis und einem Rasenmähertraktor alles nieder. Nach der ersten Runde blüht hier nichts mehr. Da gibt es nur noch Sandsäcke und Trümmer. Ein Bürgerkrieg in einem so wörtlichen Sinne, dass der hinter jeder Gartentür lauert. Kratzer liefert dabei viel fürs Auge, nimmt jedes musikalische Angebot für eine nachvollziehbar in seine Geschichte passende Aktion an. Mit einem Wort: Er holt raus, was rauszuholen ist. Und doch müssen die Zuschauer auch ein gerüttelt Maß an Durchhaltevermögen haben. Was nutzen schon Zäune, wenn die Guten (links) und die Bösen (rechts) nicht mehr reden?
Die vom Barockspezialisten Christian Curnyn am Pult des hauseigenen Orchesters mehr genüsslich zelebrierend und nur gelegentlich dramatisch zuspitzend dirigierte Musik wirkt über weite Strecken wir ein Gruß aus der Vergangenheit, als die Deklamation der Worte den Treibstoff lieferten und nicht das Feuerwerk der Arien. Wie so oft hat auch hier der Bösewicht die besten Karten - Thomas Dolié macht aus Abramane einen echten Cowboy-Stinktiefel, der gerne am Computer und im Vorgarten rumballert. Das etwas gequetschte, angestrengte in der Stimme von Thomas Walker muss man nicht mögen, aber er liefert einen prägnanten Gegenpart. Mit Temperament stattet Nadja Mchantaf die dauerintrigierende Érinice aus. Während Katherine Watson, die mehrfach entführte Geliebte Zoroastres, mehr in der Opferrolle glänzt. Der Beifall des Publikums galt am Ende auch ein Stück weit sich selbst.
An der Komischen Oper setzt der designierte Bayreuth-Regisseur Tobias Kratzer den kleinen Rameau Zyklus mit einem Exoten fort Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Zoroastre
Abramane
Amélite
Érinice
La Vengeance
Zopire
Naranor
Oromasès
Céphie
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