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Leben am AbgrundVon Joachim Lange / Fotos: © Monika RittershausBenjamin Brittens Musik ist so, wie sie dasteht, erzählt, dramatisch zuspitzt und aufbraust oder innehält, faszinierend und packend. Wenn man Peter Grimes als eine etwas gruselige Geschichte aus dem Leben einfacher Fischer nimmt, dann hat man die raue See und das kärgliche Leben zum Greifen nahe vor Augen und vor Ohren. Dass da ein einsamer, etwas grober Mann mit seinen Lehrjungen Pech hat und sie verunglücken, dass das immer wieder zu Gerüchten führt, er sei daran irgendwie Schuld und dass selbst die, die ihm wohl gesonnen sind, befürchten, "es gehe wieder los", wenn sie einen blauen Fleck beim jungen Helfer entdecken, gehört bei dieser Lesart zur Melange aus bewegter See und schwerem Leben.
Dass Peter Grimes seit der Uraufführung 1945 zu einer der erfolgreichsten Britten- und britischen Opern avancierte, ist dennoch ein Phänomen. Nicht wegen der Musik, denn die steht, sozusagen außerhalb jeden Zweifels, auf einem sicheren Fundament aus origineller Genialität, Tradition und maßvoller Moderne. Nein, es ist die Ebene dahinter. Dass Britten und sein Uraufführungs-Grimes schwul und ein Paar waren, und sich im damals noch offiziell postvictorianisch-homophoben England, mit einer Oper, die zumindest biographische Rückschlüsse erlaubt, so selbstbewusst an die Rampe stellten, ist schon verblüffend. Denn alte Vorlage hin und Naturvertonung her, dass es auch um ein zwar verarbeitetes, doch eigentlich klar erkennbares Statement zum speziellen Lebensthema (respektive -Risiko) von Britten und Pears ging, hätte man eigentlich erkennen können. Doch offensichtlich sah man nicht, was man nicht sehen wollte. Oder durfte. Peter und John - eine unmögliche Liebe In Russland machen sie gerade mit ihrem Komponistenheroen Tschaikowsky vor, wie man die Vielfalt der menschlichen Natur ins eigene beschränkte Weltbild zwängt. Dortzulande hätte die Inszenierung von Christof Loy wohl alle Chancen, nicht durch die Zensur zu kommen. Was nun allein noch kein Qualitätssigel ist, aber in Verbindung mit einer perfekten Charakterzeichnung und Personenregie und einer metaphorisch zwingenden Raumidee, die in ihrer sinnlichen Abstraktion ohne nautisches Kolorit auskommt, dann doch dazu wird. Loy übersetzt das, was Britten hinter der detailliert und spannend erzählten Geschichte an Eigenem verborgen hat, einfach zurück. Lässt jede Maskierung beiseite und zeigt Peter Grimes als eine Art künstlerisch sublimierter Auseinandersetzung mit der eigenen Befindlichkeit und ihren Zwängen in einer Gesellschaft, die sich noch im Falle von Oscar Wilde nicht zu blöd war, das Genie auf dem Altar der eigenen Spießigkeit zu opfern. Bei Britten machte sie zwar eine Ausnahme (so nach dem Motto: Wer schwul ist, bestimmen wir). Aber auch ihn hätte sie in seiner bürgerlichen Existenz mit dem Strafgesetzbuch vernichten können. (Was durchaus an Thomas Manns verzweifeltes und zum Glück erfolgreiches Bemühen erinnert, seine in München zurückgebliebenen Tagebücher mit einschlägigen Notizen dem Zugriff der Nazis zu entziehen.)
Bei Loy ist Grimes schwul und sein Freund Balstrode auch. Beide kämpfen deswegen permanent mit sich selbst und der dörflichen Gemeinschaft, die als neu- und skandalgieriger Chor (in Hochform: der Arnold Schoenberg Chor) meist auf der Bühnenschräge präsent ist. Wir sehen die männliche Dorfjugend unverhohlen lasziv aufmarschieren und den neuen Gehilfen mit klatschnassem Hemd wie direkt vom Strich (oder aus der Parfümreklame) eintreffen. Dieser John, in Gestalt des fabelhaften Tänzers Gieorgij Puchalski, ist sich als junger Mann (hier nicht als Kind) seiner Wirkung auf Grimes, Balstrode und auch auf Ellen höchst bewusst. Er spielt damit, versucht Ellen zu irritieren und Balstrode sogar zu verführen. Offensichtlich liebt er aber den zwar groben, aber gutherzigen Grimes mit der Zeit wirklich. Man kann gegen diese Deutung einwenden, dass damit die unheimliche Komponente in Grimes' Charakter zu kurz kommt. Aber die ist schon oft ausgeleuchtet worden. Und Grimes als Opfer eines bigotten, homophoben Dorfmobs zu zeigen, der zwar die Form wahrt, aber ihn doch indirekt in den Selbstmord treibt, das reanimiert die einstige Brisanz des Themas durchaus. Einen offen schwulen Außenminister oder Prinzen, oder ein Volksabstimmungsvotum über die Gleichstellung wie bei den plötzlich von der Toleranz geküssten irischen Nachbarn kann man sich in England immer noch nicht so recht vorstellen. Von Russland und noch bornierteren Eiferern ganz zu schweigen. Und wie eine Dorfgemeinschaft selbst im liberalen Deutschland zum Mob werden kann, lässt sich im Moment zu oft zum Beispiel in Sachsen besichtigen. Im Dorf hakt man sich unter Die Bühne von Johannes Leiacker ist ein Welt in Schieflage. Diese Schräge auf die unaufdringlich Meer und Wolken projiziert wird, auf der ein paar Stühle als Ausstattung genügen und an dessen Kante ein Bett wie ein Boot am Strand halb in den Orchestergraben, sprich Abgrund hängt, entspricht der Gefühlslage von Peter, aber auch von Balstrode. Die Taschenlampen der Dorfbevölkerung machen vor keinem Bett halt. Darin finden sie ganz am Ende Balstrode, der sich zuvor Johns Pullover übergezogen und eingerollt hat. Man ahnt, wie es weiter geht. Überhaupt diese Dorfbevölkerung - da ist jeder einzelne Charakter wunderbar detailliert gezeichnet. Grandios, wie Hanna Schwarz als alte Lady in Rot ihre Lebenserfahrung und Abgeklärtheit als Auntie mit verblüffender, auch stimmlicher Präsenz über die Bühne stöckelt. Oder wie Rosalind Plowright die klatsch- und auch sonst süchtige Mrs. Sedley als Hobby-Mrs. Marple ihr Gift verspritzt. Oder wie Tobias Greenhalgh als smarter Apotheker Ned Keene dealt und den Möchtegern-Aufreißer gibt. In dieser Deutung ist der Tenor Joseph Kaiser eine Idealbesetzung. Ungekünstelt kraftvoll, von sich selbst irritiert und doch mit immer wieder durchscheinendem Gefühl. Einer, dem man zurufen möchte: Schnapp dir deinen John und haut zusammen mit Balstrode und Ellen ab nach London! Geht aber nicht. Mit bestechender Klarheit und im Hosenanzug singt und spielt Agneta Eichenholz die aufrichtig um Peter bemühte Freundin. Balstrode (stets präsent und differenziert: Andrew Foster-Williams), der sich von Peter offenbar schon angezogen fühlte, wird sich in der von John in einem hinreißend choreografierten Tanz im Zwischenspiel des zweiten Aktes forcierten Annäherung seiner Gefühle bewusst und erschrickt. Auch die traumhafte Begegnung von Peter mit dem schon verunglückten John ist präzise aus der Zwischenmusik hergeleitet und gehört zu den stärksten Momenten dieser insgesamt spannenden Inszenierung. Cornelius Meister und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien schließlich sorgen auch im Graben für die sinnliche Spannung, die man auf der Bühne an diesem Abend zu sehen bekommt.
Das Theater an der Wien hat sich mit dieser Produktion erneut als wichtigstes Wiener Opernhaus erwiesen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Solisten
Peter Grimes
Ellen Orford
Auntie
Niece 1
Niece 2
Balstrode
Mrs. Sedley
Swallow
Bob Boles
Reverend Horace Adams
Ned Keene
Hobson
John, Grimes´ Gehilfe
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- Fine -