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Die Vergangenheit ist nicht vergangenVon Roberto Becker / Fotos von Candy Welz
Wie geht man mit dem Grauen um? Was sagt man, wenn in einem verschlossenen LKW über 70 Menschen ersticken, weil völlig verrohte Gangster nicht mal die Türen entriegeln, und den Laster einfach abstellen? Wie malt man sich den Todeskampf dieser Menschen auf der Flucht aus? Eine Weile bleibt das eine Spitzen-Meldung. Die Betroffenheitsrituale sind eingeübt. Wenn Bilder von den skrupellosen Schleppern ins Fernsehen kommen, dann werden die auch noch weggepixelt. Wegen der Persönlichkeitsrechte. Und der rechte Mob klatscht Beifall und postet ihn "mutig offen" oder anonym in den sozialen Netzwerken, die längst zu asozialen Netzwerken verkommen sind. Gesänge von der Rampe bis zu den Feueröfen
Wenn das alles so schief läuft, wie im Moment, dann stellt sich die Frage, ob ein Film, eine Dokumentation, ein Theaterstück oder eben ein Musiktheater an das Grauen von Auschwitz erinnern sollte, gar nicht. Die aktuelle Nachrichtenlage beantwortet das von selbst. Und die Organisatoren des Kunstfestes Weimar haben von vornherein mit der Entscheidung Recht, die deutsche Erstaufführung mit dem Thema Auschwitz an den Anfang zu setzten. Der Triumph des Todes heißt sie und der heute 77jährige Amerikaner Frederic Rzewski hat das Stück Mitte der 80er Jahre komponiert. Seine Vorlage war Die Ermittlung, mit der Peter Weiss Mitte der sechziger Jahre die Protokolle der Auschwitzprozesse von 1963-65 zu einer Theater-Collage verarbeitet hat. Diese Prozesse kamen erst zwanzig Jahre nach dem Kriegsende und gegen den zähen Widerstand einer Gesellschaft zustande, die beschlossenen hatte, dass das kollektive Vergessen und das Übergehen zur Tagesordnung das beste sei, was man mit dem Blick zurück in die Vergangenheit machen könne. Das Brautkleid zu einer Geschichte, die nicht von dieser Welt ist
Der Triumph des Todes ist ein Stück für Streichquartett und 5 Solisten dessen elf Gesänge, in die die Episoden aus dem Alltag des Vernichtungslagers untergliedert sind, samt Prolog und Epilog, den zweistündigen Abend füllen. Vom unmenschlichen Transport in den Waggons, von der Ankunft an der Rampe und den berüchtigten Selektionen, von Folter und dem Zynismus der Aufseher wird da ein Panorama des Grauens entfaltet. Oft ist die Musik (der erste Kapellmeister Martin Hoff dirigiert das Amalia Quartett der Staatskapelle) eine gemäßigt modere Begleitung eines Sprechgesangs, bei dem es immer auf das Gesagte ankommt. Andreas Koch, Sara Lee, Caterina Maier, Ulrike Strömstedt und Bjørn Waag teilen sich mit Engagement und erheblicher Verfremdungsanstrengung diese Grenzgängerei zwischen Sprechen und Singen, zwischen Anklagen und Dokumentieren, kurzum: diesen Versuch das eigentlich Nichtausdrückbare in Worte zu fassen. Das Streichquartett auf seinem eigenen Podest
Dafür gibt es in der Inszenierung von Alexander Fahima keine naturalistischen Zutaten, außer die wechselnden und die Situation konterkarierenden Kostüme (inklusive Brautkleid und Operettenuniformen) und Projektionen der Laookongruppe und anderer Kunstwerke mit Extremsitutationen. Das ist inklusive der mitunter in ihrer Beiläufigkeit nicht eindeutig zu entschlüsselnden Choreographie (Dorothea Ratzel) schon alles. Die Musiker haben ein optisch separierten Spielpodest. Die Sänger erklimmen ihres über einen Kanal aus dem Untergrund und verlassen es über einen Steg (Ausstattung: Julia Schnittger). Den Rest steuert Rzewski bei, der diverse Grenzüberschreitungen für die Musiker vorschreibt. Da wird einmal ein Blecheimer geräuschvoll umgeworfen, laut gehustet oder mit Schwung ein Stuhl zertrümmert. Diese Tricks der Moderne sind das eine. Was aber wirklich an die Nieren geht, ist die Kombination der Erzählungen aus der neuzeitlichen Hölle mit allzu eingängigen Melodien, wie etwa "Die Gedanken sind frei", dem Lied von den Moorsoldaten, Mozart oder gar Countrymusik. Die Provokation, die aus dieser Kombination von Inhalt und Form erwächst, ist natürlich Absicht. Und verfehlt ihre Wirkung nicht. Und dass die Anwälte der industriellen Menschenvernichtung beim Tennis über die Vorzüge von Zyklon B diskutiert haben könnten, das kann man sich sogar ganz gut vorstellen. Natürlich auch, wie sie dann alle in den Chor der Verdränger eingestimmt haben, mit dem uns der Epilog entlässt. Der Abend hat ohne Zweifel eine überzeitliche Berechtigung. Das, worum es geht, ist eben nicht unendlich weit von uns entfernt, sondern zelebrieret seine makabre Wiederauferstehung nur ein paar Flugstunden von uns entfernt. Da war es auch vollkommen richtig danach an die idenditätsstiftende Kraft der Kultur zu erinnern und der Landesregierung vorzuhalten, dass sie mit ihren bekannt gewordenen Plänen mit dem Feuer spielt und dass gerade die Oper seit Jahrzehnten per se ein Beispiel gelebter Integration ist.
Das Kunstfest Weimar eröffnet mit der ambitionierten deutschen Erstaufführung von Rzewskis Oper zur Ermittlung von Peter Weiss. Die Inszenierung bemüht sich um eine Form für ein Stück, das versucht, das Unsagbare in Worte zu fassen. Das gelingt teilweise vor allem dann, wenn das protokollierte Grauen durch die Konfrontation mit der zitierten Musik aus einer anderen Welt zum Nachdenken zwingt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Szenische Choreographie
Video
SolistenAndreas KochSaya Lee Caterina Maier Ulrika Strömstedt Bjørn Waag
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