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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Johann Friedrich Kind nach der Novelle Der Freischütz. Eine Volkssage von J. A. Apel
Musik von Carl Maria von Weber


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere am 6. Februar 2016 im Deutschen Nationaltheater Weimar


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Deutsches Nationaltheater Weimar
(Homepage)

Finster ist der deutsche Wald auch ohne Blätter

Von Roberto Becker / Fotos von Candy Welz


Carl Maria von Webers Freischütz hat es in sich. Bei der Uraufführung 1821 schlug er so ein, dass das "Lied vom Jungfernkranz" die Hitparade anführte, die es da noch gar nicht gab. Das Ganze: Die Nationaloper, ohne Nation. Die Geistes- bzw. Kulturgeschichte als Vorbote der Realgeschichte. Da genau liegt auch das Problem jeder Freischütz-Inszenierung - und keineswegs im unterdurchschnittlichen Libretto-Deutsch von Johann Friedrich Kind. Man lese nur Wagners Ergüsse ohne seine Musik. Die Vision als ein Alptraum der Überforderung. Das ist das Problem, aber auch die Chance. Es ist keine Musik, die mit fliegenden Fahnen (wie bei Verdi) auf die Nation zustürmt. Sondern eine, die von Ängsten und Überforderung erzählt. Von der Verführungskraft dunkler Mächte, vor denen man sich besser hüten sollte. Auch vom Taktieren der Mächtigen, die am Ende doch einen Kompromiss finden.

Wenn man das Etikett mit der Nationaloper so interpretiert, dann hat man den entscheidenden Teil von Andrea Moses' Ansatz in Weimar schon erfasst. Gerade hatte sie in Berlin an der Staatsoper die Meistersinger inszeniert, die - so die Regisseurin im Vorfeld - mit deutlich mehr Berechtigung als Nationaloper gelten darf, wenn man sie denn nicht ausschließlich vom meist kritisch hinterfragten Ende her, durch die Brille von Hans Sachs' Schlussansprache sieht. Zu dem, was Moses da als utopischen demokratischen Selbstversuch (ohne Politiker!) ausmacht, liefert Weber das dunkle Gegenbild.

Szenenfoto

Der Blick in die Zunkunft ist düster

In Weimar finden wir uns in einer Welt wieder, in der vom deutschen Wald nur noch die blattlosen Baumstämme übrig sind, die Jan Pappelbaum auf die Drehbühne gestellt hat. Auch die Waldluft kann auf Dauer nur noch mit Mundschutz wie im Pekinger Smog eingeatmet werden. So verkommen und desolat wie die Natur sind auch die Menschen. Verarmt, verroht, gewalttätig und auch in der Mitte der Gesellschaft (zu der man Max rechnen kann) für die falschen Versprechen von Dunkelmännern anfällig. Die natürlich wie der smarte Samiel im modischen weißen Anzug daherkommen, wissen, wie das Geschäft der Manipulation so geht (von falschen Aufstiegsversprechen mit Hokuspokus bis hin zum Einsatz von Drogen und allem, was teuflischer Erfindergeist so bietet), um am Ende einen Kompromiss mit dem offiziellen Politiker an der Spitze und dem ideologischen Anführer einzugehen.

Der Triumph des Todes heißt sie und der heute 77jährige Amerikaner Frederic Rzewski hat das Stück Mitte der 80er Jahre Es gehört zu den blitzgescheiten Momenten dieser Inszenierung, wenn Max unmittelbar nach dem halben Happyend, das die Umwandlung des Probeschusses in ein Probejahr bringt, und der allgemeinen Berufung auf's allfällige Gottvertrauen, bemerkt, wie sich Fürst, Eremit und Samiel abseits, höchst einvernehmlich, einen Drink genehmigen.

Szenenfoto

Agathe ist wenigstens in Punkto Sex vor der Ehe deutlich weiter als Max

Was dieser Kompromiss zum Machterhalt so an Inhalten deckt, hat man sowohl in der Wolfsschlucht, noch mehr aber beim Jägerchor mit eigenen Augen gesehen. Die Wolfsschlucht, in der Kaspar zum Kugelgießen ein halbes Dutzend Laptops traktiert, Samiel mit den leicht aktualisierten hingeraunten Regieanweisungen Angst und Schrecken verbreitet, und der dumpfen Masse nach und nach Drogen oder Chips verpasst und sie so auf Linie bringt. Und dann beim Jägerchor, wo martialisch bewaffnete maskierte Horden unter dem missbrauchten schwarz-rot-goldenen Banner eine andere Gruppe auf dem Boden robben und das Pflaster schrubben lässt wie weiland die Nazis die Juden in der sogenannten Kristallnacht, da wird einem plötzlich ganz anders im Deutschen Nationaltheater in Weimar. Gerade da. Wo der an sich harmlose Begriff Buchenwald zum Synonym für die Konzentrationslager der Nazis wurde und Hitler einst seine reichlich genutzte eigene Loge hatte.

Aber das gehört schon zur Erkenntnis im Auge des Betrachters. Andrea Moses vermeidet nämlich eine direkte plakative Botschaft. Sie sagt auf ihrer Bühne nicht direkt: Hütet euch vor den enthemmten Horden der PEGIDA. Aber man kommt auf den Gedanken, wenn man sich ihrem Freischütz aussetzt. Der wahrt genügend Distanz zur aktuellen, geradezu hysterisch herbeigeredeten Angst vor der Überforderung der Nation, um Kunst zu bleiben. Das ist allein schon eine beachtliche intellektuelle Leistung.

Szenenfoto

Der Jägerchor wird nochmal zur Wolfsschlucht

Außerdem unterschlägt der Weimarer Freischütz keineswegs den szenischen Witz, der immer wieder Funken schlägt. Wenn sich Agathe und ihre lebenslustige Freundin Ännchen über die alten Männer (in dem Falle Kanzler Adenauer), dessen Porträt gerne mal vom Stamm fällt, oder die Jungen, die man sich zur Männermodenschau im Fernsehen herbeisehnt, so ihre Gedanken machen. Da ziehen Heike Porstein und Steffi Lehmann richtig vom komödiantischen Leder. Wenn sich Agathe in Erwartung von Max schon mal (ziemlich) frei macht und auf dem Eisbärenfall vorm flackernden TV-Kamin hindrapiert, was für diesen Max offenbar wirklich eine Überforderung ist. Das ist alles fein gearbeitet und von den Protagonisten mit Verve umgesetzt. Diese wohlstandsnobel eingerichtete Stube ist die Kehrseite von Wald- und Tribünenresten.

Um mit den Tücken des Freischütz klarzukommen, hat Moses das musiklose Vorspiel, das Agathes Besuch beim Eremiten zeigt, als Schattenspiel auf dem Eisernen Vorhang eingeblendet. Bei den gesprochenen Dialogen reißt ein von Jungkomponisten der Weimarer Musik-Hochschule dazu komponierter Elektrosound unaufdringlich jede plappernde Niedlichkeit fort und deckt die dahinter liegenden Abgründe auf. Dieser maßvoll dosierte Eingriff schärft die Atmosphäre, aber beschädigt die Musik nicht. Die liegt beim Ersten Kapellmeister der Staatskapelle Weimar Martin Hoff ohnehin in kompetenten Händen. Auch wenn der eifrige Chor ihm manchmal etwas davon galoppiert und er ein wenig braucht, um den Schulterschluss zwischen Bühne und Graben herzustellen. So ist das eben, wenn die Zeit aus den Fugen geraten ist. Insgesamt aber überzeugt die Staatskapelle mit ihrer Emphase, und auch der Chor kommt mit seinem vokalen Beitrag an seine spielerische Qualität heran.

Szenenfoto

Hier ist die Wolfsschlucht virtuell - aber nicht minder furchteinflößend

Als Agathe bewältigt Heike Porstein nicht nur ihre großen Arien, sondern vermag es auch, die an Wohlstand gewöhnte Frau mit einem Schuss langsam erwachendem Widerspruchsgeist zu verbinden. Deutlich mehr Sympathie bringt die Regie fürs temperamentvolle Ännchen auf. Steffi Lehmann bewältigt selbst die Ballade vom Kettenhund ohne Peinlichkeit, dafür mit Sexappeal. Heiko Börner geht für seinen Max bis an seine Grenzen, während Uwe Schenker-Primus als raumgreifender Kaspar mit Mühelosigkeit die überzeugendste Gesangsleistung abliefert. Sebastian Campione ist der bieder standfeste Erbförster Kuno, Alik Abdukayumov der im Smoking machtbewusst auftretende Fürst und Daeyoung Kim ein etwas alternativ angehauchter Eremit und der Gegenspieler zu dem attraktiven Samiel von Schauspieler Nahuel Häfliger.


FAZIT

Andrea Moses überzeugt in Weimar mit Carl Maria von Webers Freischütz, aus dem sie einen beklemmenden Blick in die Zukunft macht. In Weimar gab es unterdessen am gleichen Tag einen Aufmarsch von Neonazis. Und viele Gegendemonstranten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marin Hoff

Inszenierung
Andrea Moses

Bühne
Jan Pappelbaum

Kostüme
Christian Wiehle

Video
Bahadir Hamdemir

Paul Hauptmeier
Martin Recker
Sergio Valencia

Dramaturgie
Hans-Georg Wegner
Thomas Wieck



Staatskapelle Weimar


Solisten

Ottokar, böhmischer Fürst
Alik Abdukayumov

Cuno, fürstlicher Erbförster
Sebastian Campione

Agathe, seine Tochter
Heike Porstein

Ännchen, eine junge Verwandte
Steffi Lehmann

Caspar
Uwe Schenker-Primus

Max
Heiko Börner

Ein Eremit
Daeyoung Kim

Kilian, ein reicher Bauer
Chao Deng

Vier Brautjungfern
Susann Günther
Mirjam Meinhold
Susanne Polifka
Diana Schnürpel

Samiel, der schwarze Jäger
Nahuel Häfliger



Weitere
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