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Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Unter der Autobahnbrücke
Seit der zum Ende der Spielzeit scheidende Opernintendant
Toshiyuki Kamioka die Leitung der Musiktheatersparte in Wuppertal übernommen
hat, hat er sich auf das klassische Opernrepertoire beschränkt. Operetten gab es
unter seiner Leitung genauso wenig wie Musicals. Nun steht mit Leonard
Bernsteins West Side Story nicht nur ein Meilenstein der Gattung Musical
auf dem Programm, sondern es gibt auch bis Anfang Januar 2016 insgesamt 22
Vorstellungen, so dass das Stück in diesem Zeitraum in einer Häufigkeit
präsentiert wird, die man ansonsten nur aus dem kommerziellen Musicalbereich der
Stage Entertainment kennt. Und betrachtet man den enormen Aufwand an
Tanzchoreographien und tontechnischer Ausstattung, der hier betrieben wird, kann
diese Produktion es auch durchaus mit den kommerziellen Musicaltempeln
aufnehmen. Ein nicht zu unterschätzender Unterschied besteht allerdings darin,
dass die Eintrittspreise in Wuppertal wesentlich günstiger sind und hier ein
absoluter Klassiker geboten wird. Natürlich kann man so ein Stück nicht mit
einem Opernhaus-Ensemble besetzen, aber das gibt es ja in Wuppertal derzeit
nicht mehr beziehungsweise noch nicht wieder. Jets (links mit Riff
(Christopher Brose, oben) und von links: Big Deal (Benny Tyas), Snowboy (Patrick
Stauf), Action (Andres Esteban), Diesel (Alex Hyne), Baby John (Benjamin A.
Merkl), Anybodys (Sabrina Reischl) und A-Rab (Martin Ruppel)) kämpfen mit den
Sharks (rechts mit Bernardo (Vladimir Korneev, oben) und von links: Pepe (Tim
McFarland), Chino (Kevin Reichmann), Anxious (Michael Sattler), Indio (Oriol
Sanchez i Tula) und Louis (János Harót)) um die Vormachtstellung auf der Straße
(im Hintergrund Mitte: Tony (Gero Wendorff)). Statt dessen hat man hier eine Crew hochkarätiger
Musicaldarsteller verpflichtet, die nicht nur musikalisch sondern auch
tänzerisch auf ganzer Linie überzeugen. Bereits im Orchestervorspiel lassen die
einheimischen Jets und die südamerikanischen Sharks unter einer schäbigen
Betonbrücke irgendwo in der Gegenwart in einer perfekt abgestimmten
Choreographie von Christopher Tölle ihre gegenseitigen Anfeindungen zum
Vorschein kommen, die sich zu den leicht aggressiven Klängen langsam zu einer
kämpferischen Auseinandersetzung hochschaukeln, die vom Officer Krupke und dem
zwielichtig dargestellten Shrank zunächst im Zaum gehalten werden. Dietmar
Nieder macht mit herrlich unsympathischem Spiel deutlich, dass er bei aller
Ablehnung gegen die Straßenkinder die einheimischen Jugendlichen dennoch den
Ausländern vorzieht. Da muss das Regieteam zur Aktualisierung des Themas kaum
noch einen Beitrag leisten. Claus Renzelmann wirkt als Officer Krupke leicht
tumb, so dass klar wird, dass diese Art von Gesetzeshütern den öffentlichen
Frieden nicht sichern kann. So ist es kein Wunder, dass die orientierungslosen
Jugendlichen in den Erwachsenen keine Vorbilder sehen und ihren eigenen Weg
gehen. Auch Stefan Gossler findet als sympathischer, aber charakterlich
schwacher Doc keinen Zugang zu den Jugendlichen. Zwischen Riff (Christopher
Brose, links vorne) und Bernardo (Vladimir Korneev, rechts vorne) wird es ernst
(im Hintergrund: Jets (links) und Sharks (rechts)). Cary Gayler hat ein Einheitsbühnenbild unter einer grauen
Betonbrücke entworfen. Auf der linken Seite befindet sich eine mit Graffiti
besprühte Garage, die mit zahlreichen Bierkästen Docs Laden darstellt. Hier
arbeitet Tony (Gero Wendorff), der gemeinsam mit Riff (Christopher Brose) die
Jets gegründet, sich nun aber von ihnen distanziert hat, um seinem Leben eine
neue Perspektive zu geben. Die findet er dann auch zunächst in Maria (Martina
Lechner), der Schwester des Sharks-Anführers Bernardo. Das Haus in dem Maria
wohnt wird in der Mitte der Bühne im Hintergrund mit einem ebenfalls grauen
Gebäude und einem großen Fenster angedeutet. Auf der rechten Seite befindet sich
eine weitere Garage, die für Auf- und Abgänge genutzt wird und in der sich, so
suggeriert Anita (Sarah Bowden) im ersten Akt, die Autos der Puertoricaner
befinden. Während Heike Seidler bei den Kostümen für die puertoricanischen
Mädchen mit kurzen Röcken und aufreizenden Tops noch relativ klassisch arbeitet,
wirken die Jets optisch wie Jugendliche, auf die man heute so auch in
zahlreichen nicht ganz so vornehmen deutschen Vierteln treffen könnte. Die
Mädchen der Jets tragen keine Röcke, sondern eng anliegende knallige Leggings.
Auch die Tanzsprache ist bei den Jets in modernen Bewegungen gehalten. "A Boy Like That": Anita
(Sarah Bowden, links) und Maria (Martina Lechner, rechts) Dass es der Inszenierung in diesem Bild gelingt, auch ganz
andere Orte wie beispielsweise den Tanzclub zu zeichnen, ist dem großartigen
Lichtdesign von Pia Virolainen zu verdanken. So erzeugt sie beim Mambo eine
bunte Atmosphäre, die wunderbar mit den lateinamerikanischen Klängen
korrespondiert. Wenn Maria und Tony in diesem Club erstmals aufeinander treffen,
friert die Szene komplett ein. Nicht nur das Lichtspiel scheint den Lauf der
Zeit um die beiden herum anzuhalten, auch die anderen Darsteller bewegen sich
nicht mehr, so dass Tony und Maria eine bewegende erste Begegnung im Club haben.
Für die Kampfszenen schafft Virolainen eine düstere, neblige Atmosphäre, die den
grenzenlosen Hass noch unterstützt. Aus den Bodenöffnungen steigt kalter Rauch
auf, der die Darsteller gespenstisch einhüllt. Auch die Zigaretten und das
Rauchen spielen zum Ausdruck eines coolen Auftretens eine entscheidende Rolle.
Wenn Tony am Ende tot in Marias Armen liegt, wird die ganze Kulisse in eine
Hochhausprojektion mit zahlreichen erleuchteten Fenstern getaucht. Das
Geschehene scheint also plötzlich von 1000 Augen beobachtet zu werden. Maria (Martina Lechner, Mitte
vorne) trauert um Tony (Gero Wendorff, Mitte vorne) (rechts und links: Sharks
und Jets). Ein wenig abstrakt wirkt die Szene in dem Laden, in dem Maria
als Näherin arbeitet. Katja Wolff verzichtet in ihrer Inszenierung vollständig
auf irgendwelche Ankleidepuppen, die dann in Marias und Tonys Spiel ihre Eltern
andeuten und ihren Traum einer glücklichen Zukunft zumindest für einen kurzen
Moment Wirklichkeit werden lassen. Doch gerade weil in dieser Szene keinerlei
Requisiten vorhanden sind, wird die Illusionslosigkeit der Beziehung zwischen
Tony und Maria unterstrichen. Auch der nach der Versöhnung zwischen den beiden
auf offener Bühne angedeutete Sex wirkt kalt und emotionslos. Interessant ist
Wolffs Ansatz bei Marias berühmtem Song "I Feel Pretty". Erinnert man sich im
Film an eine durch wunderschöne Kleider tänzelnde Natalie Wood, lässt Wolff
Martina Lechner stark alkoholisiert auftreten. Gemeinsam mit den anderen Mädchen
nimmt sie damit diesem lieblichen Lied den Kitschfaktor und gibt der Deutung
dieses Songs einen ganz neuen Aspekt. Großartig choreographiert ist dann der
Klassiker "Somewhere". Hier treten Jets und Sharks nach dem tragischen Tod von
Riff und Bernardo wie in Trance auf und bilden vor Tony und Maria eine Reihe,
die von einer nicht erreichbaren Einheit träumt. Auch musikalisch gehört diese
Nummer zu den ganz großen Momenten des Abends. Neben Martina Lechner, die als Maria mit mädchenhaftem Spiel
und sauber angesetzten Höhen überzeugt, und Gero Wendorff, der als Tony in den
Höhen über ein kräftiges Volumen verfügt, nur bei den Übergängen bisweilen ein
bisschen schwächelt, begeistert vor allem Sarah Bowden als Anita. Darstellerisch
zeichnet sie Bernardos Freundin mit viel Sex-Appeal und einem herrlich frechen
Mundwerk, das von einer gewissen Überlegenheit zeugt, die sie auch in der
großartig angelegten Nummer "America" den anderen Sängerinnen gegenüber
ausspielt. Regelrecht verträumt wirkt sie im großen Ensemble "Tonight", wenn
sich Sharks und Jets auf den Kampf vorbereiten und sie von ihrem Zusammentreffen
mit Bernardo nach dem Kampf träumt. Einsam steht sie da im Hintergrund der Bühne
und weiß sich stimmlich gegen den Rest wunderbar zu behaupten. Großartig gelingt
ihr auch das eindringliche Duett mit Maria, "A Boy Like That", in dem sie Maria
zunächst für ihre Gefühle für Tony verurteilt und dann am Ende doch einbricht
und sich bereit erklärt, Tony vor Chino zu warnen. Wie sie dann durch die
schonungslos auf der Bühne inszenierte Gewalt der Jets doch von diesem Vorhaben
abweicht und Tony die fatale Nachricht zukommen lässt, Maria sei tot, zeigt
Bowdens großartige Wandlungsfähigkeit, da die Jets es nun doch geschafft haben,
ihren Stolz zu brechen. Vladimir Korneev macht als Bernardo genauso eine gute Figur
wie Christopher Brose als sein Gegenspieler Riff und die kompletten Jets, von
denen an dieser Stelle Sabrina Reischl als Anybodys erwähnt werden soll, die mit
eindringlichem Spiel ihren Kampf um einen Platz in der Gang deutlich macht, oder
Andres Esteban als Action, der mit unbändigem Bewegungsdrang versucht,
seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen. Benjamin A. Merkl wird seinem Namen
Baby John als Angsthase wunderbar gerecht. Den Song "Officer Krupke" im
Gegensatz zu den anderen Songs auf Deutsch zu präsentieren, ist eine kluge
Entscheidung, da bei der deutschen Übersetzung der Zynismus des Textes erhalten
bleibt und man somit mehr versteht, als wenn man an dieser Stelle die Übertitel
hätte verfolgen müssen. So kann man sich bei dieser Nummer vollkommen auf die
großartige Choreographie der Jets mit den leeren Bierkästen einlassen. Christoph
Wohlleben zaubert aus dem Orchestergraben mit dem Sinfonieorchester Wuppertal
einen in jedem Moment packenden Musical-Sound, so dass es am Ende für alle
Beteiligten stehende Ovationen gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie Choreographie Bühne Kostüme Lichtdesign
Sinfonieorchester Wuppertal SolistenMaria
Tony Anita Riff Bernardo Shrank
Doc Krupke Jets Graziella Velma Clarice Pauline Minnie Anybodys
Action A-Rab Big Deal Baby John Diesel Snowboy Sharks Rosalia Consuelo Teresita Estella Marguerita Chino Indio Louis
Anxious Pepe Weitere Rollen
Male Swing / Dance Captain Female Swing
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- Fine -