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Hier geht's gleich weiter in Sarastros Reich
Von Stefan Schmöe / Fotos von Alain Kaiser
„Der Bub kann doch gar nichts“, beklagte sich Mozart ein paar Wochen vor der Münchner Uraufführung des Idomeneo brieflich bei Vater Leopold über den Kastraten Vincenzo del Prato, der die Rolle des Idamante sang. Anlass mag konkret der Ärger über die stilistische Unsicherheit des Sängers gewesen sein, halb bewusst schwang da sicher auch das Unbehagen über die artifiziellen Konvention der allmählich veralteten opera seria mit, einen jungen Mann, der von zwei rivalisierenden Frauen begehrt wird, mit einer hohen Stimme besetzen zu lassen. Ein paar Jahre später hat Mozart für eine konzertante Privataufführung in Wien die Partie mit einem Tenor besetzt – und (nicht nur damit) der Nachwelt das Problem hinterlassen, die „richtige“ Fassung zu finden. In der Neuproduktion der Opéra national du Rhin in Strasbourg, Colmar und Mulhouse haben sich Dirigent Sergio Alapont und Regisseur Christophe Gayral an dieser Stelle für die Wiener Variante, also mit Tenor, entschieden und heben die Verbindungslinien zur Zauberflöte hervor: Der alte König Idomeneo dankt ab wie später Sarastro, und das junge Paar Idamante – Ilia übernimmt nach schwerer Prüfung das Regime, wie es 1791 Tamino und Pamina tun werden. Und die furios untergehende Elettra nimmt die Königin der Nacht vorweg.
Prinz liebt versklavte Prinzessin: Idamante und Ilia
Die szenischen Probleme des umständlichen Textbuchs löst Gayral, indem er die Handlung auf fast leerer Bühne mehr andeutet als real umsetzt. Zwei verschiebbare Stellwände schaffen variable Räume (in Brechtscher Verfremdungsmanier werden die Wände gut sichtbar von Choristen bewegt), die Stürme werden pantomimisch angedeutet, das Meeresungeheuer als ironischer Nosferatu-Verschnitt per Schattenwurf projiziert (Bühne: Barbara de Limburg). Choristen und Tänzer bewegen sich in fast vollständig schwarzen Kostümen - dunkelblaue Einsprengsel verweisen auf das Meer, das in einem blauen Tuch angedeutet wird - und barfuß, was dem Spiel mitunter einen rituellen Charakter gibt. Konkreter wird es in den Kostümen (Jean-Jacques Delmonte): Idomeneo ist in historisierender Uniform klar als Herrscher gekennzeichnet, auch sein Sohn Idamante trägt bereits entsprechende Hosen; Prinzessin Elettra ist eine moderne und sehr modebewusste Frau, die in einer Szene kurz das Kopftuch anlegt, das ikonographisch auf Jackie Kennedy-Onassis verweist; die versklavte Prinzessin Ilia im schlichten Kleid ist mit demonstrativer Natürlichkeit der Gegenentwurf dazu. Nebenbei: Das alles ist farblich perfekt aufeinander abgestimmt und gibt der statischen Eleganz dieser verspäteten opera seria einen stimmungsvollen ästhetischen Rahmen – um ihn am Ende demonstrativ abzustreifen: Im Finale werden die Kostüme weggeworfen, und aus dem Opernpersonal wird eine bunte Freizeitgesellschaft am Strand, die mit Zauberflöten-Übermut die neue Zeit feiert, die zuvor mit der Neptun-Statue auch die alte (Opern-)Ordnung zerstört hat. Szenisch ist dieses Finale ein wenig schrill geraten, ist aber ein logischer Schlusspunkt für das aufklärerische Konzept, mit dem Idomeneo sozusagen im seria-Zeitalter zu beginnen und (wenn auch ziemlich unpolitisch) in der befreiten Moderne zu enden.
In der Titelpartie gibt Maximilian Schmitt glaubwürdig einen zwischen Schuldgefühlen und Machtanspruch zerrissenen Herrscher, mit moderat baritonal grundiertem, standfesten und doch beweglichem Tenor (auch wenn die für einen Heldentenor fast unsingbaren Koloraturen ihn an den Rand seiner technischen Möglichkeiten führen). Auch der ebenfalls souveräne Tenor von Juan Francisco Gatell ist keineswegs zu leicht und eher maskulin herb als lyrisch, dabei im Timbre ein wenig pauschal unspezifisch, und es passt gut, dass der Sohn die weniger massive Stimme hat und das Rollengefüge bestehen bleibt. Das ist bei den Frauenstimmen anders: Judith van Wanroij ist eine leuchtend klare, mitunter trompetenhaft strahlende Ilia und damit eigentlich zu groß für die introvertiert lyrische Partie besetzt (wobei sie den geforderten lyrischen Gestus sehr schön trifft), und dadurch hat es Agneta Eichenholz als Elettra schwer – sie müsste als tragische und heroische Gestalt eigentlich die größere Stimme haben, kann da aber nicht ganz mithalten. Was ihr an Volumen fehlt, kann sie zumindest teilweise durch den von barocken Effekten dominierten Ausdruck kompensieren – und mit der (von Mozart in Wien eigentlich gestrichenen) Arie „d'Oreste, d'Ajace“ gibt ihr die Regie einen ausgesprochen wirkungsvollen Abgang.
Bis auf kurze Rezitative gestrichen ist die Partie des Arbace (ein Vertrauter des Idomeneo), was wegen der beiden fehlenden Arien bedauerlich sein mag, aber aus dramaturgischen Gründen sinnvoll ist: Tatsächlich gelingt es der Regie so, einen stringenten Ablauf ohne Verzögerungen zu erreichen. Emmanuel Franco ist ein kerniger Oberpriester. Sehr ordentlich singt der von Sandrine Abello einstudierte Chor, wobei der eigentlich hinter der Bühne platzierte Fernchor leider per Lautsprecher (in sehr mäßiger Klangqualität) eingespielt wird, was der grandiosen Sturm-Szene einiges an Wirkung nimmt. Das Orchestre symphonique de Mulhouse unter der Leitung des umsichtigen Dirigenten Sergio Alapont schlägt sich wacker, ist filigran in den kleinen Noten und transparent im Klang. Ein wenig fehlt der aufgeraute Klang, den auf „alte Musik“ spezialisierte Spezialensemble besitzen, und in den grandiosen Accompagnato-Rezitativen dürfte die „Klangrede“ noch ein gutes Stück bewegter, dramatischer sein. Aber vielleicht spart Alapont ganz bewusst den Sturm-und-Drang-Mozart zu Gunsten der heiteren Zauberflöten-Gelassenheit aus – und deren Tonfall trifft er im Finale sehr genau. Da gehen Inszenierung und Szene in ihrer Deutung Hand in Hand.
Ein paar Ecken und Kanten müssen dem Idomeneo abgeschliffen werden, um die Oper als Schwesterwerk der Zauberflöte in den Kanon der großen Opern Mozarts einzuordnen – aber insgesamt geht das ästhetische Konzept der Elsässischen Oper am Rhein überzeugend und auf ordentlichem musikalischen Niveau auf. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Choreinstudierung
Continuo Solisten
Idomeneo
Idamante
Elektra
Ilia
Arbace
Der Oberpriester des Poseidon
Die Stimme des Orakels
Kreterinnen
Trojaner
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