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Idomeneo, Rè di Creta


Dramma per musica in drei Akten
Dichtung von Giambattista Varesco.
Musik von Wolfgang A. Mozart
Wiener Fassung von 1786


In italienischer Sprache mit französischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere an der Opera National du Rhin in Strasbourg am 16. März 2016
(rezensierte Aufführung: 20. März 2016)


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Opera National du Rhin
(Homepage)
Hier geht's gleich weiter in Sarastros Reich

Von Stefan Schmöe / Fotos von Alain Kaiser


Vergrößerung in neuem Fenster Noch erkennt Isomeneo den Sohn Idamante (hinten) nicht - aber er hat den Unerkannten in einem fatalen Gelübde bereits den Göttern zum Opfer bestimmt.

„Der Bub kann doch gar nichts“, beklagte sich Mozart ein paar Wochen vor der Münchner Uraufführung des Idomeneo brieflich bei Vater Leopold über den Kastraten Vincenzo del Prato, der die Rolle des Idamante sang. Anlass mag konkret der Ärger über die stilistische Unsicherheit des Sängers gewesen sein, halb bewusst schwang da sicher auch das Unbehagen über die artifiziellen Konvention der allmählich veralteten opera seria mit, einen jungen Mann, der von zwei rivalisierenden Frauen begehrt wird, mit einer hohen Stimme besetzen zu lassen. Ein paar Jahre später hat Mozart für eine konzertante Privataufführung in Wien die Partie mit einem Tenor besetzt – und (nicht nur damit) der Nachwelt das Problem hinterlassen, die „richtige“ Fassung zu finden. In der Neuproduktion der Opéra national du Rhin in Strasbourg, Colmar und Mulhouse haben sich Dirigent Sergio Alapont und Regisseur Christophe Gayral an dieser Stelle für die Wiener Variante, also mit Tenor, entschieden und heben die Verbindungslinien zur Zauberflöte hervor: Der alte König Idomeneo dankt ab wie später Sarastro, und das junge Paar Idamante – Ilia übernimmt nach schwerer Prüfung das Regime, wie es 1791 Tamino und Pamina tun werden. Und die furios untergehende Elettra nimmt die Königin der Nacht vorweg.

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Prinz liebt versklavte Prinzessin: Idamante und Ilia

Die szenischen Probleme des umständlichen Textbuchs löst Gayral, indem er die Handlung auf fast leerer Bühne mehr andeutet als real umsetzt. Zwei verschiebbare Stellwände schaffen variable Räume (in Brechtscher Verfremdungsmanier werden die Wände gut sichtbar von Choristen bewegt), die Stürme werden pantomimisch angedeutet, das Meeresungeheuer als ironischer Nosferatu-Verschnitt per Schattenwurf projiziert (Bühne: Barbara de Limburg). Choristen und Tänzer bewegen sich in fast vollständig schwarzen Kostümen - dunkelblaue Einsprengsel verweisen auf das Meer, das in einem blauen Tuch angedeutet wird - und barfuß, was dem Spiel mitunter einen rituellen Charakter gibt. Konkreter wird es in den Kostümen (Jean-Jacques Delmonte): Idomeneo ist in historisierender Uniform klar als Herrscher gekennzeichnet, auch sein Sohn Idamante trägt bereits entsprechende Hosen; Prinzessin Elettra ist eine moderne und sehr modebewusste Frau, die in einer Szene kurz das Kopftuch anlegt, das ikonographisch auf Jackie Kennedy-Onassis verweist; die versklavte Prinzessin Ilia im schlichten Kleid ist mit demonstrativer Natürlichkeit der Gegenentwurf dazu. Nebenbei: Das alles ist farblich perfekt aufeinander abgestimmt und gibt der statischen Eleganz dieser verspäteten opera seria einen stimmungsvollen ästhetischen Rahmen – um ihn am Ende demonstrativ abzustreifen: Im Finale werden die Kostüme weggeworfen, und aus dem Opernpersonal wird eine bunte Freizeitgesellschaft am Strand, die mit Zauberflöten-Übermut die neue Zeit feiert, die zuvor mit der Neptun-Statue auch die alte (Opern-)Ordnung zerstört hat. Szenisch ist dieses Finale ein wenig schrill geraten, ist aber ein logischer Schlusspunkt für das aufklärerische Konzept, mit dem Idomeneo sozusagen im seria-Zeitalter zu beginnen und (wenn auch ziemlich unpolitisch) in der befreiten Moderne zu enden.

Vergrößerung in neuem Fenster Noch ist der Sturm nicht ausgestanden, auch wenn er szenisch nur pantomimisch angedeutet wird: Idomeneo und Chor

In der Titelpartie gibt Maximilian Schmitt glaubwürdig einen zwischen Schuldgefühlen und Machtanspruch zerrissenen Herrscher, mit moderat baritonal grundiertem, standfesten und doch beweglichem Tenor (auch wenn die für einen Heldentenor fast unsingbaren Koloraturen ihn an den Rand seiner technischen Möglichkeiten führen). Auch der ebenfalls souveräne Tenor von Juan Francisco Gatell ist keineswegs zu leicht und eher maskulin herb als lyrisch, dabei im Timbre ein wenig pauschal unspezifisch, und es passt gut, dass der Sohn die weniger massive Stimme hat und das Rollengefüge bestehen bleibt. Das ist bei den Frauenstimmen anders: Judith van Wanroij ist eine leuchtend klare, mitunter trompetenhaft strahlende Ilia und damit eigentlich zu groß für die introvertiert lyrische Partie besetzt (wobei sie den geforderten lyrischen Gestus sehr schön trifft), und dadurch hat es Agneta Eichenholz als Elettra schwer – sie müsste als tragische und heroische Gestalt eigentlich die größere Stimme haben, kann da aber nicht ganz mithalten. Was ihr an Volumen fehlt, kann sie zumindest teilweise durch den von barocken Effekten dominierten Ausdruck kompensieren – und mit der (von Mozart in Wien eigentlich gestrichenen) Arie „d'Oreste, d'Ajace“ gibt ihr die Regie einen ausgesprochen wirkungsvollen Abgang.

Vergrößerung in neuem Fenster Für Elettra ist das Ende nicht glücklich - gleich wird sie im sandigen Boden versinken.

Bis auf kurze Rezitative gestrichen ist die Partie des Arbace (ein Vertrauter des Idomeneo), was wegen der beiden fehlenden Arien bedauerlich sein mag, aber aus dramaturgischen Gründen sinnvoll ist: Tatsächlich gelingt es der Regie so, einen stringenten Ablauf ohne Verzögerungen zu erreichen. Emmanuel Franco ist ein kerniger Oberpriester. Sehr ordentlich singt der von Sandrine Abello einstudierte Chor, wobei der eigentlich hinter der Bühne platzierte Fernchor leider per Lautsprecher (in sehr mäßiger Klangqualität) eingespielt wird, was der grandiosen Sturm-Szene einiges an Wirkung nimmt. Das Orchestre symphonique de Mulhouse unter der Leitung des umsichtigen Dirigenten Sergio Alapont schlägt sich wacker, ist filigran in den kleinen Noten und transparent im Klang. Ein wenig fehlt der aufgeraute Klang, den auf „alte Musik“ spezialisierte Spezialensemble besitzen, und in den grandiosen Accompagnato-Rezitativen dürfte die „Klangrede“ noch ein gutes Stück bewegter, dramatischer sein. Aber vielleicht spart Alapont ganz bewusst den Sturm-und-Drang-Mozart zu Gunsten der heiteren Zauberflöten-Gelassenheit aus – und deren Tonfall trifft er im Finale sehr genau. Da gehen Inszenierung und Szene in ihrer Deutung Hand in Hand.


FAZIT

Ein paar Ecken und Kanten müssen dem Idomeneo abgeschliffen werden, um die Oper als Schwesterwerk der Zauberflöte in den Kanon der großen Opern Mozarts einzuordnen – aber insgesamt geht das ästhetische Konzept der Elsässischen Oper am Rhein überzeugend und auf ordentlichem musikalischen Niveau auf.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sergio Alapont

Inszenierung
Christophe Gayral

Bühne
Barbara de Limburg

Kostüme
Jean-Jacques Delmotte

Licht
Philippe Berthomé

Choreographie
Karine Girard

Choreinstudierung
Sandrine Abello


Chor der Opéra du Rhin

Orchestre symphonique de Mulhouse

Continuo
Irene Cordelia Hubert


Solisten

Idomeneo
Maximilian Schmitt

Idamante
Juan Francisco Gatell

Elektra
Agneta Eichenholz

Ilia
Judith Van Wanroij

Arbace
Diego Godoy-Gutiérrez

Der Oberpriester des Poseidon
Emmanuel Franco

Die Stimme des Orakels
Nathanaël Tavernier

Kreterinnen
Isabelle Majkut
Styliani Oikono

Trojaner
Sangbae Choi
Laurent Koehler



Weitere
Informationen

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Opera National du Rhin
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