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Musiktheater
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Fidelio

Oper in zwei Aufzügen op. 72
Libretto von Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke nach dem „Fait historique“ Léonore ou L’Amour conjugal von Jean-Nicolas Bouilly
Musik von Ludwig van Beethoven

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer der Aufführung: 3 Stunden - Eine Pause

Premiere in der Oper Stuttgart am 25. Oktober 2015
(Rezensierte Aufführung: 3. November 2015)

 



(Homepage)

Bürgerrechtlerin im Vorratsdatenspeicher

Von Christoph Wurzel / Fotos: A. T. Schaefer

Eine äußerst reduzierte Bühne: ein weißer Raum, in der Mitte ein schwarzer Kubus mit schmalem Sichtschlitz, vorne rechts ein Laufband, das regelmäßig Pappkartons herein befördert, rechts hinten werden sie wieder heraus gerollt, weiter nur noch eine bunte Hollywoodschaukel; zentral hängt vom Bühnenhimmel eine Tafel, auf die viel größer als gewohnt der Text projiziert wird und in akkurat abgemessenen Abständen hängen Mikrofone herab. Bert Neumanns abstrahierender Bühnenraum (es ist die letzte Bühnenarbeit des im Juli verstorbenen Bühnenbildners) macht deutlich: Dies ist weniger inszeniertes Opernspiel als ein Kommentar zum Stück - ein Kommentar zu Zeiten von NSA und Vorratsdatenspeicherung: „Wir sind belauscht mit Ohr und Blick“. Dem Freiheitspathos, das wir bei Beethovens Fidelio gewohnt sind, wird heftig widersprochen. Die Oper wird hier kühl exekutiert.

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1. Akt: „Im Hofe eines Staatsgefängnisses“: Josefin Feiler (Marzelline), Rebecca von Lipinski (Leonore) Roland Bracht (Rocco), Daniel Kluge (Jaquino) (v.l.)

Selten werden aus den Figuren lebendige Charaktere, es scheint als handelten sie fremd gesteuert, mit wenig individuellen Zügen. Alle, auch die Gefangenen, stecken in mit verschiedenen IT-Symbolen bedruckten Kostümen. Nur schwer bekommt man Zugang zu dieser Bühnenwelt. Die schwerfällig daher kommenden Dialoge werden relativ unbeteiligt gesprochen, das Handeln ist unspektakulär. Marzelline geht banalen Putzarbeiten nach, Jaquino kontrolliert die ankommenden Kartons auf ihren Inhalt. Manchmal fallen Schnipsel heraus, er klebt den Karton wieder zu und lässt ihn auf dem anderen Band wieder verschwinden. Und Roccas Aufgabe bleibt unerklärt. Eine irgendwie rätselhafte Atmosphäre, bis Fidelio, alias Leonore, auftaucht, auf den sich die Gefühle der Anderen konzentrieren. Zu einem Moment atmosphärischer Dichte wird das Quartett, in dem jeder seinen geheimen Gedanken nachgeht. Dann taucht alles wieder ab in öde Routine. Der Chor trippelt bemerkenswert heiter herein (singt aber mit bewährt Stuttgarter-Chor-Macht) und Pizarros Mord-Befehl an Rocco wirkt in diesem Ambiente irgendwie deplatziert. Sein gewalttätiger Machtmissbrauch wird szenisch nicht abgeleitet und wirkt aufgesetzt.

Auch kann die Musik sich in dieser sterilen Bühnenumgebung nur schwer entfalten. Schon in der Ouvertüre dominieren Härte, Kälte und Schroffheit. Kaum gibt es wärmere, lyrische Farben. Und Sylvain Cambreling dämpft zu wenig die Lautstärke, so dass der Gesang an zu vielen Stellen arg überdeckt wird. Am meisten darunter zu leiden hat Rebecca von Lipinski in der Rolle der Leonore, wenn sie in der Höhe stark forcieren muss. Ihre große Arie wird zur Enttäuschung, weil ihr Wärme im Ausdruck („…der Menschheit Stimme…“) und klingendes Piano so nicht ermöglicht werden. Stattdessen dominieren zu stark die Hörner. Anders Michael Königs Florestan: Ihm gelingt es trotz angesagter Indisposition die Facetten der Arie subtil auszugestalten und stimmlich  eindrucksvoll zu präsentieren. In den übrigen Rollen zeigen Stuttgarter Ensemblekräfte solides, zuverlässiges Können: Roland Bracht mit fülligem Bass als Rocco, Michael Ebbecke als stimmstarker Schurke Pizzarro, dazu Josefin Feiler als selbstbewusst entschiedene Marzelline und Daniel Kluge überzeugt in der undankbaren Rolle des vergeblich werbenden Jaquino. Einen recht unauffälligen Minister Fernando gibt Ronan Collett mit in der Tiefe blass bleibendem Bass.

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2. Akt: „In Florestans Verlies“: Rebecca von Lipinski (Leonore) und Mitglieder des Staatsopernchores

Zunächst eher Erwartbares im 2. Akt: dunkle Bühne, eine Grube im Vordergrund. Ein verzweifelter Florestan taumelt um den Kubus herum. Aber statt Ketten trägt er eine elektronische Fußfessel. Dann erneut Pizzarros furchteinflößender Auftritt und ganz in Tatort-Manier Leonores energische Gegenwehr. Welches Geheimnis sich in dem Kubus verbirgt, wird nach des Ministers rettendem Eingriff nun offenbar: Nicht Florestans Ketten fallen zu Boden, sondern der Kubus öffnet sich mit einem Klick auf der Fernbedienung zu einem geheimen Raum mit Aktenberg und Schreddermaschine: das Gefängnis als geheimer Datenspeicher, Wahrheitsvernichter oder Überwachungskrake. Wen allerdings Leonore hier in Florestan befreit, wird nicht ganz klar: ein Opfer der Datenwillkür oder einen willigen Helfer der Sammelwut. Am Schluss steht auf der Tafel ein Satz aus Florestans Arie „Meine Pflicht hab ich getan“. Hat er also das Leben der Anderen ausspioniert und wird deswegen aus falsch verstandener Pflicht befreit? Leonore also als Bürgerrechtlerin zugleich gegen und für ihren Mann, seine Befreiung aus dem Zwang, dem Unrecht zu dienen?

FAZIT

Ganz gegen die Erwartung, wenn man die Inszenierungen von Wieler / Morabito kennt, geht diesen Mal das Konzept nicht so glatt auf. Die neue Lesart des bekannten Stoffs führt nicht unbedingt zu mehr Schlüssigkeit und Klarheit. Musikalisch überzeugt Cambrelings geschärftes Klangbild ebenfalls nur teilweise. Sängerisch gibt es neben Glanz- auch Schwachpunkte.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sylvain Cambreling

Regie und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne
Bert Neumann

Kostüme
Nina von Mechow

Licht
Lothar Baumgarte
 
Chor
Johannes Knecht

 

Staatsorchester Stuttgart

Staatsopernchor Stuttgart


Solisten

Don Fernando
Ronan Collett

Don Pizarro
Michael Ebbecke

Florestan
Michael König

Leonore
Rebecca von Lipinski

Rocco
Roland Bracht

Marzelline

Josefin Feiler

Jaquino
Daniel Kluge

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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