Religionskonflikt in beeindruckenden Bildern
Von Thomas Molke
/
Fotos von Ludwig Olah
Seit einigen Jahren ist die viele
Jahrzehnte in Deutschland kaum beachtete Gattung der Grand Opéra
wieder häufiger auf den Spielplänen der Opernhäuser zu finden. Auch Peter
Theiler, der während seiner Intendanz immer wieder einen Schwerpunkt auf
Belcanto-Raritäten und selten aufgeführte französische Opern gelegt hat, hat
nach Rossinis Guillaume Tell und Meyerbeers Les Huguenots mit
Fromental Halévys La Juive nun eines der bedeutendsten Werke dieses
Genres auf den Spielplan gestellt, das nicht nur nach der Uraufführung 1835
einen so großen Erfolg verbuchen konnte, dass es allein an der Pariser Oper die
nächsten 60 Jahre über 500 Mal gespielt wurde, und mit der Arie des Juden
Éléazar am Ende des vierten Aktes, "Rachel, quand du seigneur", ein Highlight
enthält, das zum Standardrepertoire aller namhaften Tenöre gehört. Auch nachdem
das Werk zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts allmählich von den
Spielplänen verschwand, gehörte es zu den ersten Vertretern dieser Gattung, die,
nicht zuletzt durch die Verdienste des Tenors Neil Shicoff, der den Juden
Éléazar in zahlreichen Produktionen verkörpert hat, den Weg ins Repertoire
zurückfanden. Für Nürnberg hat die Oper ebenfalls eine ganz besondere Bedeutung.
Zum einen lebte Halévys Familie in Fürth, bevor sie 1795 nach Paris auswanderte.
Zum anderen fand dort am 26. April 1840 die erste Aufführung der Jüdin in
deutscher Sprache statt, und das Werk gehörte bis zum 11. Juni 1930 zum
Standardrepertoire. Als das Werk dann in den 90er Jahren des letzten
Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, stand es bereits 1994 in einer Inszenierung
von John Dew auf dem Spielplan. Gut 20 Jahre später steht nun die nächste
Inszenierung in Nürnberg auf dem Spielplan.
Das Volk (Chor und Extrachor)
feiert den Sieg über die aufständischen Hussiten.
Dabei ist das Werk, das während
der Zeit der Nationalsozialisten wie alle anderen Werke jüdischer Komponisten
von den Spielplänen verbannt worden war,
mit Blick auf den Charakter des Juden Éléazar nicht unproblematisch, was die
Rückkehr ins Repertoire gerade in Deutschland erschwert haben dürfte. Éléazar
hasst die Christen und provoziert sie, indem er beispielsweise am Sonntag in
seiner Goldschmiede arbeitet. Sein größter Feind ist der Kardinal Brogni, der
einst in Rom dafür verantwortlich war, dass Éléazars Söhne hingerichtet wurden
und er selbst in die Verbannung gehen musste. Bei den folgenden Unruhen verlor
Brogni bei einem Brand Frau und Kind. Das Kind wurde jedoch von Éléazar gerettet
und unter dem Namen Rachel wie eine eigene Tochter aufgezogen. Rachel verliebt
sich in den Reichsfürsten Léopold, der sich zunächst als Jude ausgibt. Als er
Rachel gesteht, dass er Christ ist, will sie mit ihm fliehen, wird aber von
Éléazar überrascht. Dieser ist bereit, die Verbindung zu akzeptieren, wenn
Léopold zum jüdischen Glauben konvertiert und Rachel heiratet. Das kann Léopold
allerdings nicht, weil er bereits mit der Nichte des Kaisers, Prinzessin Eudoxie,
verheiratet ist. Daraufhin klagt Rachel ihn öffentlich an, und Léopold, Rachel
und Éléazar droht die Todesstrafe. Eudoxie fleht Rachel an, ihre Aussage
zurückzuziehen. Éléazar überlegt, ob er Rachels wahre Identität preisgeben soll,
um sie vor der Hinrichtung zu retten. Er zeigt ihr die Möglichkeit auf, zum
christlichen Glauben zu konvertieren. Doch Rachel lehnt ab. Sie widerruft ihre
Anschuldigung gegenüber Léopold, um den Geliebten zu retten, und geht in den
Tod. Erst anschließend verrät Éléazar Brogni, dass er soeben seine eigene
Tochter hat hinrichten lassen.
Rachel (Leah Gordon) liebt den
Christen Léopold (Uwe Stickert, rechts), sehr zum Missfallen ihres Vaters Éléazar (Luca Lombardo, links).
Das Regie-Team um Gabriele Rech verlegt die Handlung, die eigentlich zur Zeit
des Konzils von Konstanz um 1414 spielt, in die 30er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts, ohne dabei einen direkten Bezug zu den Nationalsozialisten zu
ziehen. Der Antisemitismus, der das Stück durchzieht, ist wesentlich allgemeiner
gehalten und in der dargestellten Art auch zu anderen Zeiten und an anderen
Orten zu beobachten gewesen. Ob es dabei nötig ist, im ersten Akt ein
Statistenpaar entkleiden und demütigen zu lassen, ist Ansichtssache. Fraglich
ist ebenfalls, ob nach Éléazars Fluch im zweiten Akt, vor den Fenstern seines
Hauses Menschen mit Fackeln auflaufen müssen, die sein Haus in Brand stecken,
was wahrscheinlich an die Reichskristallnacht erinnern soll. Die Kerkerszene im
vierten Akt spielt dann augenscheinlich in den Resten des verbrannten Hauses.
Für die Hinrichtungsszene im fünften Akt steht dann ein riesiges Becken auf der
Bühne, das auch als Taufbecken fungieren könnte. Aus zwei Kannen wird vor der
Hinrichtung Wasser in dieses Becken geschüttet. Rachel scheint also die Wahl zu
haben, ob sie in diesem Becken getauft werden oder sterben will. Als sie sich
weigert, dem Rat ihres Vaters zu folgen und den christlichen Glauben anzunehmen,
ertränkt Ruggiero sie in dem Becken. Wenn Éléazar Brogni anschließend gesteht,
dass die Tote seine Tochter ist, legt Brogni selbst Hand an und tötet den Juden.
Rachel (Leah Gordon, Mitte
sitzend) klagt Léopold (Uwe Stickert, rechts vorne liegend) vor dem Kardinal Brogni (Nicolai Karnolsky, vorne links) an, eine verbotene Beziehung
mit ihr zu unterhalten (rechts neben Rachel: Ruggiero (Kay Stiefermann), links
von ihr: Albert (Jens Waldig) mit dem Chor).
Dieter Richter kreiert für jeden Akt beeindruckende Bilder, die besonders in den
ersten beiden Akten die Christen und Juden als Parallelwelten zeigen. Im ersten
Akt prangt über den Stufen, die in die christliche Kirche führen, ein riesiges
Kirchenfenster, das den Prunk des christlichen Glaubens, der sich musikalisch
auch in den groß angelegten Chorälen ausdrückt, unterstreicht. Dieses Fenster
wird im zweiten Akt durch einen großen Judenstern ersetzt, der wie die Musik im
zweiten Akt bei der Feier des Pessachfestes schlichter wirkt. Im dritten Akt
wirkt die Bühne dann wesentlich tiefer. Ein riesiger weißer Vorhang schirmt
Eudoxie in ihrem Palast von der Außenwelt ab. Doch so rein und lieblich, wie
Eudoxie sich beim Fest zu Ehren ihres Gatten Léopold gibt, sieht Rech sie
keineswegs. So wählt sie für die große Feier nicht eines der zahlreichen weißen
Kleider aus, die ihre Dienerinnen ihr anbieten und die von ihr missmutig
abgelehnt werden, sondern entscheidet sich für ein dunkelrotes Kleid. Auch wenn
die Personenregie in diesem Bild gut nachvollziehbar ist, bleibt fraglich, ob
sie mit dieser kühlen Haltung Rachel glaubhaft überreden kann, den Geliebten
durch die Widerrufung ihrer Aussage vor der Hinrichtung zu retten. Die
Hinrichtungsszene wird dann auf zwei Ebenen konzipiert. Auf der oberen Ebene
thronen Eudoxie, Léopold und Brogni mit den Oberen der Stadt, während das
einfache Volk unten hinter einer Absperrung Zeuge der Hinrichtung wird.
Rachel (Leah Gordon, unten
Mitte) geht erhobenen Hauptes in den Tod (unten links: Ruggiero (Kay Stiefermann),
unten Mitte: Éléazar (Luca Lombardo) mit Statisterie und Chor, oben Mitte: Léopold (Uwe Stickert) und Eudoxie (Banu Böke) mit dem Chor).
Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Luca Lombardo, der bereits bei
der Aufführung an der Opéra de Nice die Partie des Juden Éléazar verkörpert hat,
glänzt auch in Nürnberg mit einem höhensicheren und strahlenden Tenor, der die
große Arie zum Ende des vierten Aktes zu einem musikalischen Glanzpunkt des
Abends werden lässt. Darstellerisch macht er den Hass, den Éléazar empfindet,
nachvollziehbar. Ensemble-Mitglied Leah Gordon begeistert als Rachel mit
strahlendem Sopran und leuchtenden Höhen. Bewegend zeichnet sie darstellerisch
den Leidensweg der Titelfigur und findet in den Szenen mit Lombardo zu einer
bewegenden Innigkeit. Auch Nicolai Karnolsky erweist sich als Kardinal Brogni
erneut als sichere Bank in Nürnberg und stattet den Kardinal mit profunden
Tiefen aus. Großartig gestaltet er die Milde, die Brogni aufgrund seines
schlechten Gewissens gegen Éléazar walten lässt, die dann in Verzweiflung
umschlägt, da Éléazar ihn nicht über das Schicksal seiner Tochter aufklären
will. Uwe Stickert legt die Partie des Léopold sehr hoch an und stößt mit seinem
Tenor dabei stellenweise an seine Grenzen. Glaubhaft spielt er im fünften Akt
seine innere Zerrissenheit aus, wenn er von Eudoxie gezwungen wird, bei Rachels
Hinrichtung zuzuschauen. Banu Böke präsentiert die Prinzessin Eudoxie mit
kräftigem Sopran und sauberen Höhen. Dabei gestaltet sie die Partie
darstellerisch etwas distanziert. Kay Stiefermann gibt den Schultheiß Ruggiero,
die wohl unsympathischste Figur des Abends, mit kräftigem Bariton und boshaftem
Spiel.
Weiterer Höhepunkt des Abends ist der von Tarmo Vaask einstudierte Chor, der um
den Extrachor und weitere Chorgäste ergänzt wird. Fulminant überzeugt der Chor
bei den Massenszenen im ersten, dritten und fünften Akt stimmlich durch große
Homogenität und gewaltigen Klang und schafft auch gerade im ersten Akt bei den
etwas einengenden Treppen vor dem Eingang zur Kirche einen gut inszenierten Auf-
und Abgang. Die Staatsphilharmonie Nürnberg rundet unter der Leitung des ersten
Kapellmeisters den Abend musikalisch mit einem großartigen Klang aus dem Graben
ab, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. Schade ist nur,
dass in der dritten Vorstellung einige Plätze frei geblieben sind, was
sicherlich nicht an der Qualität der Aufführung, sondern vielmehr an der
zeitgleich stattfindenden Spielwarenmesse gelegen haben mag, die auswärtige
Interessenten an diesem Wochenende von einem Besuch mit überteuerten
Hotelpreisen abgehalten haben dürfte.
FAZIT
Die Aufführung in Nürnberg überzeugt musikalisch und bleibt szenisch nah am
Libretto, auch wenn die Handlung vom 15. Jahrhundert in die 30er Jahre des
letzten Jahrhunderts verlegt wird.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Guido Johannes Rumstadt
Inszenierung
Gabriele Rech
Bühne
Dieter Richter
Kostüme
Gabriele Heimann Licht
Patrick Méeüs
Thomas Schlegel Chor
Tarmo Vaask
Dramaturgie
Kai Weßler
Chor, Extrachor und Chorgäste
des
Staatstheater
Nürnberg
Staatsphilharmonie Nürnberg
Solisten
*rezensierte Aufführung
Rachel, Éléazars Tochter
Leah Gordon
Der Jude Éléazar
Luca Lombardo
Léopold,
Reichsfürst
Uwe Stickert
Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers
Banu Böke
Kardinal Brogni, Präsident des Konzils
Nicolai Karnolsky
Ruggiero,
Schultheiß der Stadt Konstanz
Kay Stiefermann
Albert, Feldwebel
Jens Waldig
Ein Offizier des Kaisers
Chool Seomun /
*Emanoel Velozo
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Staatstheater Nürnberg
(Homepage)
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