Weltenbrand getwittert
Von Thomas Molke
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Fotos von Ludwig Olah
"Geraten ist ihm der Ring": so lautet der Titel einer Podiumsdiskussion, in der
sich das Regie-Team am 17. November 2015 um 20.00 Uhr im Foyer des Neuen Museums
zur Inszenierung der Ring-Tetralogie im Staatstheater Nürnberg äußern
wird, die nun mit der Götterdämmerung ihren Abschluss gefunden hat und ab
der kommenden Spielzeit dann auch zyklisch zu erleben sein soll. Anlässlich
dieses Ereignisses gibt es im Neuen Museum vom 16. Oktober bis zum 6. Dezember
2015 eine Ausstellung, in der der Versuch unternommen wird, "inszenatorische
Momente für den Museumsraum" weiterzudenken und so "das Universum des Rings im
Museum auf anderen als der Oper üblichen Ebenen zugänglich zu machen". Inwieweit
der Titel des Podiumsgesprächs auch auf Schmiedleitners Inszenierung zutrifft,
wird vom Premierenpublikum der Götterdämmerung jedenfalls recht
kontrovers diskutiert. Im Vergleich zum Siegfried sind die unnötigen
Regiemätzchen zwar etwas weniger geworden, aber auch hier lassen sich einige
zentralen Ansätze sicherlich sehr kontrovers diskutieren.
Der Anfang überzeugt szenisch auf ganzer Linie. Schmiedleitner lässt die Nornen beim Spannen des Seils durch das Parkett und den Rang klettern und
fordert Ida Aldrian, Solgerd Isalv und Anne Ellersiek, die als Gast für Michaela
Maria Mayer eingesprungen ist, körperlich einiges ab. So müssen die Nornen unter
anderem über die Lehnen der Sitze im Parkett steigen und sind dabei schon darauf
angewiesen, dass ihnen der eine oder andere Zuschauer eine Hand zur Stütze
reicht. Das Seil wird von drei Tonbändern dargestellt, die die Nornen im Saal
langsam abrollen und die sie dann, nachdem sie auf der Bühne angekommen sind,
reißen lassen. Auch im dritten Aufzug tauchen diese Tonbänder erneut auf, dieses
Mal bei den Rheintöchtern, als sie Siegfried seinen baldigen Tod prophezeien.
Doch Siegfried lässt sich weder von der Drohung der drei Wasserwesen
beeindrucken, noch von den abgerollten Tonbändern einschränken und befreit sich
aus den Fängen des Schicksalsfadens. Ob Schmiedleitner die Nornen mit den
Rheintöchtern gleichsetzen will - immerhin werden sie auch von den gleichen
Darstellerinnen gesungen -, lässt sich nur mutmaßen. Die unterschiedlichen
Kostüme sind jedenfalls kein Indiz dafür. Stimmlich überzeugen Aldrian, Isalv
und Ellersiek durch eine gute Textverständlichkeit und einen homogenen
Dreiklang.
Siegfried (Vincent Wolfsteiner)
drängt es zu neuen Taten, kein Wunder bei einer solch unbequemen Behausung
(links: Rachael Tovey als Brünnhilde).
Wieso die Nornen nach dem Reißen des Seils nicht hinab zur Mutter
Erda steigen, sondern auf dem Bühnenelement, in dem sich Siegfried und
Brünnhilde niedergelassen haben, nach oben fahren, lässt sich nur so erklären,
dass es in diesem Bühnenelement kein Oben und kein Unten gibt. Die Requisiten,
die man noch aus dem letzten Aufzug des Siegfried kennt, stehen teilweise
auf dem Kopf oder sind seitlich befestigt. Sinn macht das eigentlich nicht,
zumal es Vincent Wolfsteiner und Rachael Tovey als Siegfried und Brünnhilde auch
darstellerisch stark einschränkt. Stimmlich beginnt Tovey leider da, wo sie im
Siegfried aufgehört hat. Die Höhen sind absolut schrill angesetzt,
worunter auch die Textverständlichkeit enorm leidet. Wolfsteiner gibt mit
strahlendem Tenor einen Helden ab, der in der Personenführung doch recht tumb
daherkommt. Wenn er dann auch noch eine Trachtenlederhose anziehen muss, um mit
einem kleinen Stoffpferd zu neuen Taten
auszuziehen, gibt Schmiedleitner den Helden endgültig der Lächerlichkeit preis.
Siegfried (Vincent Wolfsteiner,
vorne rechts) und Gunther (Jochen Kupfer, vorne Mitte) schließen
Blutsbrüderschaft (hinten rechts: Ekaterina Godovanets als Gutrune, hinten
links: Woong-Jo Choi als Hagen).
Für die Gibichungen hat Stefan Brandtmayer einen sterilen Raum entworfen, der
einer digitalisierten Welt zu entstammen scheint. Die zerstörte Umwelt und die
Menschen am Rand der Gesellschaft werden hier einfach ausgeblendet, indem ein
schräger Bühnenboden herabgelassen wird, der die Menschen nicht nur verbirgt,
sondern indirekt auch noch andeutet, dass der Wohlstand der Gibichungen auf der
Ausbeutung anderer fußt. Im zweiten Aufzug lässt Schmiedleitner diese anderen
als Flüchtlingsstrom mit einem großen Boot auftreten, mit dem sie zwischen
Hagens Mannen erscheinen und von diesen in die Knie gezwungen werden, so dass
sie, wenn der Bühnenboden wieder schräg hochgefahren wird, hilflos wieder ins
Elend hinabgleiten. So können sie den Hochzeitsfeierlichkeiten nur als Zaungäste
hinter einer Fensterfront beiwohnen. Siegfrieds Verwandlung in Gunther findet
dann bereits am Gibichungenhof vor dem Aufbruch zum Walkürefelsen statt. Gutrune
zieht Siegfried den gleichen hellblauen Anzug an, den auch Gunther trägt. Wenn
er Brünnhilde damit erobert, macht Schmiedleitner sehr deutlich, dass Siegfried
alles andere als züchtig die Nacht neben Brünnhilde verbringt. Zum Ende des
ersten Aufzugs lässt er Siegfried seinen Bauch entblößen und Brünnhilde langsam
auf ihn zurücken. Damit wäre eigentlich alles gesagt. Dass der zweite Aufzug
dann noch Siegfried mit blankem Hintern auf dem Kühlschrank sitzend und die
geschändete Brünnhilde mit aufgeschlagenen Knien zeigt, ist völlig unnötig.
"Hörst du mich, Hagen mein
Sohn?" (Antonio Yang (hinten) als Alberich) und Woong-Jo Choi (vorne) als Hagen)
Musikalisch kommen nun die beiden Glanzpunkte des Abends: Waltrautes Erzählung
und die Szene zwischen Hagen und Alberich. Roswitha Christina Müller überzeugt
als Waltraute in ihrer Schilderung mit dramatischem Mezzo und einer
hervorragenden Diktion. Woong-Jo Choi begeistert als Hagen mit nachtschwarzem
Bass, der dem finsteren Albensohn charakterlich mehr als gerecht wird. Antonio
Yang, der schon im Rheingold als Alberich begeisterte, glänzt auch in
seiner relativ kurzen Szene im zweiten Aufzug mit kräftigem Bass-Bariton. Dabei
entwickelt Schmiedleitner eine ungewohnte Sichtweise auf die Szene zwischen
Alberich und seinem Sohn. Während man Alberich gewöhnlich eher als Geist
wahrnimmt, dessen Macht mittlerweile geschwunden ist, so dass er seinen Sohn
eher anfleht als ihm wirklich Befehle erteilt, dreht Schmiedleitner das
Machtverhältnis um. Alberich erscheint Hagen als regelrechter Alptraum und lässt
den Nachtalben absolut bedrohlich erscheinen. Verzweifelt scheint Hagen sich dem
Einfluss seines Vaters entziehen zu wollen, am Ende sogar mit Mord, doch da ist
Alberich bereits wieder verschwunden und scheint hinter einer Glasscheibe nur
noch Hagens Gedanken zu manipulieren.
Weltenbrand (in der Mitte
sitzend: Vincent Wolfsteiner als Siegfried, vorne rechts: Rachael Tovey als
Brünnhilde mit Ida Aldrian, Solgerd Isalv und Michaela Maria Mayer als
Rheintöchter, im Hintergrund: Chor)
Für die Szene bei den Rheintöchtern greift Schmiedleitner ein Bild aus dem
Rheingold auf. Im Hintergrund hängt wieder die gewaltige Baumkrone, die,
ebenso wie die Bühne, mit Plastikmüll übersät ist. Das Wasser scheint dem Rhein
mittlerweile ausgegangen zu sein. In einem leeren Swimmingpool tummeln sich die
Rheintöchter und versuchen erfolglos, Siegfried den Ring abzugewinnen. Wieso
Hagen anschließend Siegfried mit seinem eigenen Schwert ermordet, obwohl der
Meineid an seinem Speer geschworen worden ist, erschließt sich nicht. Ebenso
wenig wird klar, wieso Gunther den toten Siegfried beim Trauermarsch wieder
aufstellt und dieser anschließend dann auf den herabgelassenen Boden der
Gibichungenhalle krabbelt. Bewegend hingegen gelingt der Moment, wenn sich die
Mannen alle entsetzt vom Leichnam abwenden und Gunther mit dem toten Blutsbruder
allein lassen. Die Inszenierung des Weltenbrands löst dann wiederum nur
Unverständnis aus. Während Brünnhildes Schlussgesang bauen die drei Rheintöchter
in beigefarbenen Trenchcoats einen Tisch mit einem Laptop auf und fangen an zu
twittern, was auf die Rückseite der Bühne projiziert wird. Wenn Brünnhilde dann
den Rheintöchtern den Ring übergibt, setzt sie sich zu ihnen an den Tisch und
unterschreibt Papiere, während ein Filmteam auf der Bühne erscheint und die
Geschichte zu kommentieren scheint. Auf der Bühne sieht man nun die Flüchtlinge
aus dem zweiten Aufzug, die alle ein Handy mit dem Bild eines brennenden Feuers
in die Höhe halten. Soll das die Vision einer neuen Welt sein?
Während der Regie-Ansatz das Premierenpublikum eher spaltet, wird die
musikalische Leistung des Abends mit großem Jubel belohnt. Marcus Bosch erntet
mit der Staatsphilharmonie Nürnberg für sein kraftvolles Dirigat großen
Zuspruch, wobei man sich stellenweise etwas mehr Zurückhaltung gewünscht hätte,
um den Sängern das Leben nicht ganz so schwer zu machen. Besonders Rachael Tovey
hätte als Brünnhilde dann vielleicht mehr Gelegenheit gehabt, die Facetten der
Partie etwas differenzierter herauszuarbeiten. So kann sie zwar in den mittleren
Passagen mit großer Dramatik überzeugen, wird allerdings in den Höhen an ihre
Grenzen gezwungen. Dass es ab dem zweiten Aufzug nicht mehr so störend wirkt,
mag vor allem daran liegen, dass Brünnhildes Wut und Wunsch zur Rache dadurch
glaubhaft zur Geltung kommen. Vincent Wolfsteiner gelingt es stets, mit dem laut
aufspielenden Orchester mitzuhalten, und wird stimmlich und darstellerisch dem
jugendlichen Helden gerecht. Jochen Kupfer und Ekaterina Godovanets gefallen
stimmlich und darstellerisch als Gibichungenpaar Gunther und Gutrune. Der
heimliche Star des Abends ist und bleibt allerdings Woong-Jo Choi als Hagen.
FAZIT
Der Abschluss der Tetralogie überzeugt musikalisch und weist auch szenisch
einige gute Ansätze auf. Den Weltenbrand lässt Schmiedleitner aber völlig
verpuffen und inszeniert hierbei doch stark gegen die Musik.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Marcus Bosch
Inszenierung
Georg Schmiedleitner
Bühne
Stefan Brandtmayr
Kostüme
Alfred Mayerhofer Licht
Olaf Lundt Video
Boris Brinkmann Chor
Tarmo Vaask
Dramaturgie
Kai Weßler
Chor und Chorgäste des
Staatstheater
Nürnberg
Staatsphilharmonie Nürnberg
Solisten
*Premierenbesetzung
Siegfried
Vincent Wolfsteiner
Gunther
Jochen Kupfer
Hagen
Woong-Jo Choi
Alberich
Antonio Yang
Brünnhilde
Rachael Tovey
Gutrune
Ekaterina Godovanets
Waltraute
Roswitha Christina Müller
1. Norn / Flosshilde
Ida Aldrian
2. Norn / Wellgunde
Solgerd Isalv
3. Norn / Woglinde
Michaela Maria Mayer /
*Anne Ellersiek (als Gast)
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