Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Märchenoper wie zu Omas Zeiten Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Oliver Berg
Engelbert Humperdincks 1893 in Weimar uraufgeführte Märchenoper Hänsel und Gretel gehörte vor allem in den 1950er, -60er Jahren zum vorweihnachtlichen Standardtheaterprogramm. In eher langweiligen, fantasielosen und biederen Inszenierungen, die Ängste schürten und Autoritätsgläubigkeit förderten, begegnete so manch einer zum ersten Mal dem Musiktheater. Das änderte sich mit dem Aufkommen des Regietheaters. Aus den pflichtbewussten, gehorsamen Geschwistern Hänsel und Gretel wurden kleine Rebellen. Die Rolle der Hexe wurde mit der Darstellerin der Mutter besetzt oder einem Tenor anvertraut. Und plötzlich verwandelte sich Humperdincks originelles Gemisch aus Volkslied und symphonisch-dramatischer Komposition in anregendes, auch psychoanalytische Erkenntnisse vermittelndes Musiktheater für Erwachsene. Und heute? Im November 2015? Ein Blick ins Publikum zeigt, dass an diesem Donnerstagabend so gut wie keine Kinder der Aufführung beiwohnen. Viele dagegen spielen auf der Bühne mit: zum Beispiel wenn während der Ouvertüre die Mutter von alten Zeiten träumt, eine kleine, süße Gretel ihre Nähe sucht, während der Vater dem etwas älteren Hänsel beibringt, wie man Nägel ins Holz schlägt. Oder wenn im zweiten Akt die Fliegenpilze wie von Zauberhand erwachen oder wenn am Schluss der Oper, brav in Zweierreihen aufgestellt, eine große Anzahl entzauberter Kuchenkinder den Jubelgesang anstimmen. Taumännchen (Katarzyna Grabosz) weckt Hänsel (Lisa Wedekind) und Getel (Eva Bauchmüller) auf. Andreas Beuermann, der für die Inszenierung in Münster verantwortlich zeichnet, erzählt das Märchen von Hänsel und Gretel wie man es kennt - ohne psychoanalytische Erkenntnisse oder einem bei den Gebrüdern Grimm vorhandenen sozialkritischen Touch mit einzubeziehen. Er wirft einen eher retrospektiven, geradezu nostalgischen, weil unkommentierten Blick auf die problematischen Kleinfamilienverhältnisse und reichert seine Bilder hier und da mit kleinem, unterhaltsamem Augenzwinkern an. Hänsel trägt Lederhosen, Gretel hat blonde Zöpfe und trägt ein knielanges, im Schnittmuster an ein Dirndl erinnerndes, mehrfach geflicktes Kleid. Froh, beschwingt und unbekümmert erklingen das alte Kinderlied Suse, liebe Suse und das Tanzlied Brüderlein, komm tanz mit mir, während im folgenden Auftritt der Mutter erregte Töne folgen. Ärgerlich über die liegen gebliebenen Arbeiten und den zerbrochenen Milchtopf schickt sie die Kinder zum Beerensammeln in den Wald. Angeheitert trällernd und singend wird Vater Peter vorgestellt. Glücklich über den gewinnbringenden Verkauf seiner Besen hat er Wurst, Speck und andere Leckereien für seine Familie eingekauft. Und auch wenn Mutter Gertrud den Alkohol auf dem Stuhl sitzend unter ihren vielen Unterröcken versteckt, angelt er sich die Flasche zurück, ohne dass sie es merkt. Szene aus dem dritten Akt: Gretel (Eva Bauchmüller), Hänsel (Lisa Wedekind) und die Knusperhexe (Boris Leisenheimer) Vor den Augen des Publikums vollzieht sich dann die fantasievoll gestaltete Verwandlung zum zweiten Bild. Christian Floeren, Daniël Veder und Erik Constantin zaubern hier mit Licht, Videoanimation, Malerei und kunstvollen Scherenschnitt-Techniken. Zum ersten Mal kommt ein wenig fantasievolle Unterhaltung und Spannung auf. Der Raum öffnet sich zunächst. Der Wald erscheint als kunstvoll stilisierte, kleinformatige, kontrastreiche Schwarz-Weiß-Silhouette, um sich fließend in einen großen, bunten Tannenwald mit nach und nach lebendig werdenden Pflanzen und Fliegenpilzen, später auch bewegten Irrlichtern und freundlich lächelndem Mondgesicht zu verwandeln. Sand- und Taumännchen glitzern in langen, schillernden Gewändern. Im dritten Akt wird es dann etwas peppiger. Die Rolle der Knusperhexe übernimmt ein als Transvestit verkleideter Boris Leisenheimer. Wie die Wurst in der Pelle sitzt das schillernde rote Abendkleid und in Vorfreude auf den Leckerbissen Hänsel wackelt sein Hintern. Allerdings verpufft die Idee, steht zu unverbunden im Raum, zumal im Vorspiel zum zweiten Bildes die Mutter beim musikalischen Hexenritt gezeigt wird. Insgesamt wirkt die Inszenierung über weite Strecken langweilig und auch für Kinder von heute zu betulich. Daran ändern auch die Projektionen, Lichtspiele und kleinen humorvollen Zusätze nichts. Musikalisch überzeugt die Aufführung. Unter der umsichtigen Leitung von Stefan Veselka leuchten farbig und kammermusikalisch transparent die vielen volksmusikalischen Bezüge des musikdramatischen Netzwerks auf. Homogen und textverständlich erschallt der Jubelgesang des Kinderchors des Gymnasiums Paulinum und der Westfälischen Schule für Musik unterstützt vom Damenchor des Theater Münster. Sopranistin Eva Bauchmüller und Mezzosopranistin Lisa Wedekind sind ein sich stimmlich und darstellerisch wunderbar ergänzendes Geschwisterpaar. Lyrisch, klangschön und differenziert gestaltet erklingen die Gesangsparts. Die Texte sind auch im hinteren Parkett weitgehend zu verstehen, was in der besuchten Aufführung nicht bei allen Gesangssolisten der Fall war. Übertitel werden nicht eingeblendet. FAZIT Trotz stimmiger musikalischer Darbietung hat die Inszenierung zu wenig Biss und witzig einfühlsame Personenregie. Als vorweihnachtliches Musiktheaterstück für die ganze Familie vermag es wohl kaum ein Kind von Computerspiel und sozialen Netzwerken wegzulocken.
Ihre Meinung
|
Produktionsteam Musikalische Leitung Inszenierung
Choreografie
Bühne & Kostüme
Videodesign
Choreinstudierung
Kinderchoreinstudierung
Dramaturgie
Damenchor Kinderchor des Sinfonieorchester Münster
Solisten *rezensierte Aufführung
Gretel
Hänsel
Gertrud
Peter
Knusperhexe
Sandmännchen /
Taumännchen
|
© 2015 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de