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Mefistofele

Oper in einem Prolog, vier Akten und einem Epilog
nach Johann Wolfgang von Goethes Faust
Musik und Libretto von Arrigo Boito

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Nationaltheater am 24. Oktober 2015

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 21.07.2016) 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Spiel in der Hölle

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Unter das Motto "Vermessen" hat die Bayerische Staatsoper die sich dem Ende neigende Spielzeit 2015/2016 gestellt und in diesem Jahr auch erstmals Arrigo Boitos Mefistofele auf den Spielplan gesetzt. Für Boitos einzige vollständige Oper mag dieser Begriff ebenfalls zutreffen, da er doch im Gegensatz zu Ludwig Spohr, Charles Gounod und Hector Berlioz den wahnwitzigen Versuch unternahm, beide Teile von Goethes Faust zu einer Oper zu verarbeiten. Dabei erlitt der vielen nur als Verdi-Librettist bekannte Boito zunächst 1868 in Mailand einen absoluten Misserfolg. Fünfeinhalb Stunden reine Spielzeit waren für das damalige Publikum dann wohl doch zu viel. Als Konsequenz überarbeitete er seine Urfassung, strich einen ganzen Akt und kürzte das Werk auf gut zweieinhalb Stunden Spielzeit. Auch wenn ihm mit dieser Fassung ein großer Erfolg beschieden war, konnte sich die Oper trotzdem keinen zentralen Platz im Repertoire erarbeiten. Dabei kommt sie Goethes Vorlage im Kern wesentlich näher als die anderen Vertonungen. Vielleicht liegt aber das Problem gerade darin, dass Boito dabei weniger an Faust oder der Gretchen-Tragödie interessiert ist, sondern sich, wie der Titel bereits verrät, auf den eigentlichen Bösewicht der Geschichte konzentriert. Musikalisch gelingt ihm jedenfalls mit großartig angelegten Chören ein monumentales Werk, das seinen Kollegen Verdi in mancher Hinsicht sogar noch übertrifft. Wenn man dann auch noch mit Stars wie René Pape in der Titelpartie und Joseph Calleja als Faust aufwarten kann, ist der Erfolg vorprogrammiert, zumindest der musikalische. Ob man Roland Schwabs Regieansatz folgen kann oder will, ist eine andere Frage.

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Mefistofele (René Pape, links) nimmt Faust (Joseph Calleja, rechts) mit auf die Reise durch die Welt.

Schwab geht in seiner Inszenierung nämlich noch einen Schritt weiter als Boito, macht den Teufel nicht nur zur Hauptperson, sondern verlegt gleich die ganze Handlung in die Hölle und negiert damit den Himmel. Piero Vinciguerra gestaltet die Bühne mit rohrförmig angelegten Stahlkonstrukten als eine Art Schlauch, der wie in Dantes Inferno in die Unterwelt hinabführt. Hier lungern schon vor Beginn der eigentlichen Oper suspekte Gestalten auf abgenutzten Ledersofas. Auf dem Boden sind Reste von einer Posaune und einer Harfe zu finden, die noch als Reliquien an einen nicht mehr existierenden Himmel hinweisen. Aus dem Stahlkonstrukt suchen erbarmungslose Scheinwerfer wie in einem Überwachungsstaat die Bühne ab. Im Vordergrund steht ein altes Grammophon auf einem Podest mit der leuchtenden Aufschrift "Open", die in diesem Zusammenhang etwas makaber wirkt. Mefistofele legt als Drahtzieher der ganzen Szene eine Schallplatte auf. Die ersten Töne des Prologs aus dem Himmel ertönen also mit lautem Rauschen und Knacken über Lautsprecher aus einer längst vergangenen Zeit, bevor das Bayerische Staatsorchester das Spiel übernimmt, dabei aber immer wieder an die Musik aus der Konserve übergibt. Das ist zwar im Regie-Konzept stringent durchdacht, beraubt den Zuschauer aber seiner Emotionen, die dieses wuchtige Vorspiel normalerweise freizusetzen vermag. Es ist fraglich, ob man damit den Qualitäten des Werkes nicht Unrecht tut. Wer die Oper nämlich nicht kennt und hier zum ersten Mal erlebt, kann bei dieser Inszenierung nicht ermessen, welchen wuchtigen Eindruck dieser Prolog normalerweise zu hinterlassen vermag. Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch das Zusammenspiel mit dem Chor und Kinderchor der Bayerischen Staatsoper. Schwab verbannt beide in den nicht sichtbaren Bereich der hinteren Bühne - wie es übrigens auch Boitos ursprüngliche Intention gewesen sein soll. Dies geht aber leider zu Lasten des homogenen Klangs. So hat man nämlich bisweilen den Eindruck, dass Chor und Orchester musikalisch nicht auf einer Linie liegen.

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Walpurgisnacht mit reichlich Feuerzauber (Chor der Bayerischen Staatsoper mit René Pape (Mefistofele) und Joseph Calleja (Faust) in der Mitte)

In diesem Ambiente sind folglich auch die dissonanten Töne, zu denen Mefistofele laut Libretto eigentlich auftritt, ein wenig verschenkt, da Pape ja bereits die ganze Zeit auf der Bühne agiert. Dennoch gelingt ihm mit schelmischer Interpretation eine großartige erste Arie mit "Ave Signor", auch wenn nicht ganz klar wird, wen er hier eigentlich grüßt. Faust wird dann an einer Kette aus dem Bühnenuntergrund gezerrt. Befindet er sich folglich auch schon in der Hölle? Soll alles nur ein perfides Spiel sein? Wieso wird ihm ein weißes Hemd angezogen, auf das die Geister der Unterwelt dann mit blutroter Farbe "Reue" schreiben? Fragen, auf die auch der weitere Verlauf der Inszenierung keine Antwort gibt. Dennoch wird bereits am Ende des Prologs ein Funken Hoffnung gestreut, dass sich doch noch alles zum Guten wenden könnte. Während auf einer Leinwand zunächst eine Kirchenkuppel gezeigt wird, die dann von einem Flugzeug als Zeichen des Fortschritts verdrängt wird, das wohl außerdem andeuten soll, dass der Mensch sich nun auch den Himmel zu eigen gemacht hat, stößt Faust am Ende des Prologs die Leinwand um. Ganz hat der Teufel die Macht anscheinend doch noch nicht übernommen.

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"L'altra notte in fondo al mare": Margherita (Kristine Opolais) in der Kerkerszene

Der erste Akt beginnt dann mit einem großen Volksfest, das mit den Holzbänken und den Lebkuchenherzen Oktoberfest-Charakter hat. Calleja wandelt hier als Faust abseits mit Wagner (Andrea Borghini) und macht direkt bei seiner ersten Arie "Al soave raggiar" mit leuchtenden Höhen und sauber ausgesungenen Spitzentönen deutlich, was im weiteren Verlauf des Abends von ihm noch erwarten werden darf. Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist Papes Interpretation von Mefistofeles großer Arie "Son lo spirito" im ersten Akt. Wie diabolisch und differenziert Pape das kleine Wörtchen "No" ertönen lässt, ist ganz großes Musiktheater, und auch das gellende Pfeifen auf den Fingern gelingt ihm hervorragend. Warum es im weiteren Verlauf bei dem Karussell im Hintergrund eine Explosion geben muss, so dass alle Insassen leblos in den Gondeln hängen, ist hingegen wieder ein unnützer Regieeinfall. Nachdem Faust den Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, ist es ein schneidiges Motorrad, das die beiden "durch die Lüfte trägt" und direkt im Garten bei Margherita "landen" lässt. Heike Grötzinger räkelt sich dann als Marta lasziv auf diesem Gefährt und versucht, den Teufel zu verführen, während es bei Faust und Margherita doch ein wenig gesitteter abgeht. Für den Garten wird ein riesiger vertrockneter Busch aus dem Schnürboden herabgelassen. Kristine Opolais ist als Margherita im Zusammenspiel mit Calleja stellenweise ein bisschen zu leise, so dass sie nicht immer über das Orchester kommt, gestaltet die Partie aber mit innigem Sopran. Bei der anschließende Walpurgisnacht lässt Schwab es dann mit zahlreichen Feuerfontänen so richtig krachen. Ob Faust in diesem Zusammenhang allerdings Margherita beim Hexensabbat vergewaltigen muss, ist Geschmacksache.

Für die Kerkerszene im dritten Akt ist die Bühne dann mit rotem Absperrband versehen. Margherita bewegt sich innerhalb dieser Absperrung zwischen mehreren Gräbern umher, die wohl für ihre Mutter und das getötete Kind stehen. Hier überzeugt Opolais in Margheritas großer Arie "L'altra notte in fondo al mare", in der sie langsam in den Wahnsinn entgleitet, mit ausdrucksstarkem Spiel. Die Höhen könnten noch ein bisschen dramatischer angelegt sein. Bewegend gelingt das anschließende Duett mit Calleja "Lontano, lontano, lontano", in dem die beiden sich noch einmal für einen kurzen Augenblick in eine glückliche Zeit träumen, bis Mefistofele auftritt und Margherita erkennt, dass sie einen anderen Weg einschlagen muss. Der führt dann allerdings in die Tiefe der Hölle und nicht in den Himmel, wie das Libretto eigentlich aussagt. Auch wird nicht klar, wieso Marta in der Kerkerszene ebenfalls noch einmal auftritt.

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Traumland Arkadien als Altersheim: in der Mitte hinten: Elena (Karine Babajanyan) mit Faust (Joseph Calleja)

Der als Arkadien angelegte vierte Akt mit der schönen Elena führt dann schnurstracks in ein Altersheim. Elena, Pantalis und Nerèo kümmern sich als Altenpfleger um den Chor, der mit weißen Haaren und Nachthemden auftritt und in mehreren Sitzgruppen wohl mit kleinen Gesellschaftsspielchen bei Laune gehalten werden soll. Karine Babajanyan punktet als Elena mit dunkel eingefärbtem Sopran und sauberen Höhen. Dabei wird klar, dass Faust in diesem Ambiente seinen Frieden finden kann, nämlich durch Vergessen. Das Vergessen oder besser gesagt die Amnesie führt dazu, dass Faust am Ende dann doch noch zum Augenblick sagen kann: "Verweile doch, du bist so schön". Doch dies verläuft anders, als Mefistofele es geplant hat. In Form der alten Menschen scheint der Himmel von Neuem zu erstarken. Nun kommt musikalisch die ganze Wucht durch, die Schwab dem Anfang der Inszenierung durch das Einspielen über Lautsprecher genommen hat. Mefistofele bleibt nichts anderes übrig, als die Platte zu zerbrechen, und er wird von der Allgewalt der Musik regelrecht zu Boden gedrückt. Kapituliert Schwab also am Ende doch noch mit seiner negativen Sicht auf das Stück? Es wäre ihm wie dem Teufel zu wünschen. Großen Beifall gibt es am Ende für alle Beteiligten.

FAZIT

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Omer Meir Wellber

Inszenierung
Roland Schwab

Bühne
Piero Vinciguerra

Kostüme
Renée Listerdal

Licht
Michael Bauer

Video
Lea Heutelbeck

Choreographie
Stefano Giannetti

Chor
Sören Eckhoff

Kinderchor
Stellario Fagone

Dramaturgie
Daniel Menne
 

Chor und Kinderchor der
Bayerischen Staatsoper

Statisterie und Opernballett der
Bayerischen Staatsoper

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Mefistofele
René Pape

Faust
Joseph Calleja

Margherita
Kristine Opolais

Marta
Heike Grötzinger

Wagner
Andrea Borghini

Elena
Karine Babajanyan

Pantalis
Rachel Wilson

Nerèo
Joshua Owen Mills


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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