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La Juive (Die Jüdin)

Oper in fünf Akten
Libretto von Eugène Scribe
Musik von Fromental Halévy


In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h (eine Pause)

Premiere im Rahmen der Münchner Opernfestspiele am 26. Juni 2016 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Vor die Wand

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

Auch in München wurde Fromental Halévys Grand opéra La Juive aus dem Jahre 1835 zu einer der meistgespielten Exemplare ihrer Art. 170 Aufführungen vermelden die Annalen des Hauses bis 1933, als die Nazis die Rezeptionsgeschichte des Werkes abrupt unterbrachen. Das Genre ist allemal eine Herausforderung für Orchester und Interpreten, braucht gewaltige Chormassen und im speziellen Fall auch einen überzeugenden szenischen Zugriff. Denn in der von Eugen Scribe verfassten Geschichte um das Konstanzer Konzil von 1414 herum geht es zur Sache. Da prallen die Katholiken, die gerade über die Hussiten triumphiert haben, auf die Juden, die sich offenbar mit einigem Selbstbewusstsein behauptet und es im Falle von Éléazar sogar zu erheblichem Reichtum gebracht haben. Der Goldschmied jedenfalls bietet dem Gebot der Sonntagsruhe die Stirn und arbeitet weiter, was von den Fanatikern der anderen Seite mit dem Tode bedroht wird. Hinzu kommt, dass sich die Tochter des Juden in einem Moment emotionaler Unbeherrschtheit in aller Öffentlichkeit bekennt, die Geliebte des Reichsfürsten Leopold zu sein, den alle gerade feiern, und für den seine Frau, die Kaisernichte Prinzessin Eudoxie, ein aufwendiges Schmuckstück ausgerechnet bei Éléazar erworben hat.

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Eléazar und Rachel

Was folgt, ist die Logik einer unheiligen Allianz von fundamentalistischem Hass und staatlicher Gewalt über Leben und Tod von Abweichlern jeglicher Art. Rachel gibt dem Drängen von Eudoxie nach, und nimmt alle Schuld auf sich, um wenigstens das Leben von Leopold zur retten. Der kommt auf diese Weise mit einer Verbannung davon. Wobei er insgesamt keine besonders gute Figur abgibt. In dieser Oper haben allerdings alle Akteure einen vielschichtigen Charakter. Mit Schwarzweiss-Zeichnungen kommt man keinem bei. Der bedrängte Jude Éléazar ist liebender Vater und zugleich starrsinnig und orthodox, wenn es um seine Religion geht. Der Kardinal Brogni ist der, der die Ketzer ins Feuer schickt, aber auch um Ausgleich bemüht, also zum Buhmann nicht geeignet ist.

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Rachel und Eudoxie

Calixto Bieito erzählt diese Geschichte nicht als spannenden Historienthriller, sondern macht daraus ein Kammerspiel, das die Ängste und Obsessionen der Protagonisten sichtbar macht. Die Bühne von Rebecca Ringst ähnelt dabei auf frappierende Weise jener für die Inszenierung von Aribert Reimanns Lear, den Bieito und sein Team vor grade mal vier Wochen in Paris heraus gebraucht haben. Dort war es eine Wand aus Brettern, mit denen er die äußere und innere Landschaft beklemmend nachzeichnete. Jetzt, in München, ist es eine erschlagende Betonwand. Unüberwindbar hoch. Wie die in Israel oder die Zäune zwischen Mexiko und den USA. Das Alptraumende jeder Freiheit. Nicht nur der Bewegung, sondern auch des Denkens und Fühlens. Diese Mauer kann bis dicht an die Rampe gefahren oder gedreht werden. Einzelne Segmente können abklappen. Sie dient als Projektionsfläche für religiöse Schlagworte oder ein Video vom Schächten eines Opferlamms. Mit dieser einen Groß-Metapher muss die Bühne auskommen, was die Opulenz einer Grand opéra natürlich spürbar ausbremst.

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Rachel wird geschlagen

Bieito lässt seine Figuren gleichsam vor die Wand laufen. Besonders im Falle von Eudoxie bleibt das rätselhaft. Eifersucht wäre bei ihr ja nachvollziehbar (und berechtigt). Aber warum diese Frau sich so aufführen muss, bleibt Bieitos Geheimnis. Zumal das Objekt ihrer geradezu unkontrollierten Begierde gelinde gesagt ein ziemliches Weichei ohne Charakterrückgrat ist. Es gelingen in diesem abstrakten Raum aber auch starke Szenen. Die Massentaufe der Kinder, die nicht so ganz freiwillig wirkt, die schwarz verbunden Augen der Massen, die bei geringstem Anlass mit belaubten Ästen auf die Juden einschlagen (und an diverse Mob-Szenen von heute erinnern), und dann am Ende der Käfig, in dem Rachel verbrannt wird (auch der erinnert an die Barbarei dem ein jordanischer Pilot zum Opfer fiel). Das alles bleibt haften. Zu einem stringenten Sog fügt es sich dennoch nicht, weil Bieito das Genre der Grand opéra und dessen Eigengesetzlichkeiten auf die Chortableaus eindampft und sich ansonsten auf die Personenführung konzentriert. Die fällt vor allem bei Prinzessin Eudoxie sehr detailliert aus. Auch wenn der Kardinal die Fußwaschung des Papstes an Éléazar vollzieht, mag die Intention aus den beiden Figuren erklärbar sein, aber es fügt sich nicht in ein Ganzes, bei dem Bieito doch eher von den religiösen Konnotationen des Stückes abstrahiert. So ist die gewaltige Mauer zwar eindrucksvoll, aber sie wird zugleich zu einer Barriere für das Genre.

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Tod in den Flammen

Bezieht der Auftakt mit den wuchtigen, eingespielten Orgelklängen das Publikum unmittelbar in das Stück ein, - man hat für Momente das Gefühl, in einer Kirche zu sitzen - so setzt sich alsbald eine Distanziertheit durch, die wohl eher als eine tiefe Ergriffenheit für den sehr spärlichen Szenenapplaus verantwortlich ist. Aus dem Protagonisten-Ensemble ragen die beiden Frauen deutlich heraus. Vor allem die kurzfristig eingesprungene Vera-Lotte Böcker macht die Prinzessin Eudoxie zu einem stimmlichen und szenischen Ereignis, auch wenn sich die Anlage der Figur nicht völlig erschließt. Die eigentlich für diese Partie vorgesehen Aleksandra Kurzak hat die Rachel übernommen und bewältigt sie mit Bravour. Ihr Ehemann im wirklichen Leben und Bühnenvater Roberto Alagna überrascht mit der Ernsthaftigkeit seiner Gestaltung und der fast bis zum Schluss auch sicheren Stimme. John Osborn setzt für die undankbaren Rolle des Reichsfürsten Leopold seinen geschmeidigen Tenor ebenso stilsicher ein wie Ain Anger seine profunde vokale Würde für den Kardinal de Brogni. Am Ende war der Beifall für Bertrand de Billy am Pult des Bayerischen Staatsorchesters eher verhalten. Man ist in München bei Kirill Petrenko mehr lodernde Glut gewöhnt. Bei de Billy klang das Orchester vielen wohl etwas zu geglättet. Obwohl den direkten Vergleich zu anderen Interpretationen vor Ort ja niemand ziehen kann.

FAZIT

La Juive an die Münchner Oper zurückzuholen, war überfällig und ist per se verdienstvoll. Calixto Bieito gelingen mit seiner Inszenierung starke Momente, auch wenn er sich dem Genre der Grand opéra bis zu einem gewissen Grad verweigert. Das musikalische Niveau war auf dem Niveau des Hauses. Trotz der Einwände lohnt es, sich diese Produktion anzuschauen. Schon wegen des Vergleichs mit Antwerpen bzw. Mannheim (Peter Konwitschny) oder Nürnberg (Gabriele Rech).


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Bertrand de Billy

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Rebecca Ringst

Kostüme
Ingo Krügler

Licht
Michael Bauer

Video
Sarah Derendinger

Chor
Sören Eckhoff

Dramaturgie
Benedikt Stampfli



Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Rachel, Éléazars Tochter
Aleksandra Kurzak

Eléazar
Roberto Alagna

Léopold, Reichsfürst
John Osborn

Prinzessin Eudoxie
Vera-Lotte Böcker

Kardinal Jean-François de Brogni
Ain Anger

Ruggiero
Johannes Kammler

Albert
Tareq Nazmi

Ausrufer des kaiserlichen Heeres
Christian Rieger

Henker
Peter Lobert


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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